Читать книгу Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen - Max Herrmann-Neisse - Страница 10

VII

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Pünktlich um vier Uhr nachmittag ging die Korridorklingel. Paula öffnete und hatte Mühe, nicht laut heraus zu prusten. Gleichfalls geschminkt, unnatürlich jugendlich sich gebahrend, trat René Casati ein, suchte mit getragenem Würdeton sofort Distanz zu schaffen und war nicht zu bewegen, seinen Mantel auszuziehen. Aber Paula war ja gewitzt genug, sich gleich anzupassen, mit einem Knicks ließ sie ihn in den sogenannten Salon und konnte grade noch hören, daß er geschwollen knödelte: »Ich versprach auch einmal spanisch zu kommen . . .« Damit ließ er den Mantel fallen und paradierte in einer Phantasie-Uniform, die ein Mittelding war zwischen dem Habit Münchner Hatschiere und dem, was kindliche Gemüter sich unter Gala vorstellten. Und nach einigem belanglosen Hin und Her der üblichen Redensarten hatte er sich wuchtig im Ehrenplatze auf dem Sofa verstaut, und das große Essen und Trinken begann.

Paula trug auf, und Herr Casati genoß, was es zu genießen gab, Speisen und Getränke, wie das Geschick sie bot, Saures und Süßes, Magres und Fettes, Fleischiges und Gebratenes, Trockenes und Feuchtes, und Elfriede saß steif dabei, brachte vor Erregung keinen Bissen hinunter, nahm nur grade aus Höflichkeit von jeder gereichten Speise ein Häppchen, saß und wartete in furchtsamer Begier auf den mit Schrecken ersehnten Augenblick, da der Gewaltige sie ergreifen würde. Die Spannung erhitzte ihre Kehle, so tat sie ihm bei jedem Zutrunk mit gewaltigem Zuge Bescheid.

Der Schauspieler thronte nun schon sanft angeglüht, es ging ihm gut, und er war in der schönsten Stimmung. Zwischen dem Knappern an einer Gänsekeule, dem Weinschlucken und Schmatzen, erzählte er dröhnend Anekdoten aus seinem Leben. Da er lange nicht mehr aus seiner Scheinwelt herausgekommen war und den dort üblichen Ton für überall verwendbar hielt, auch nicht zu unterscheiden vermochte, wohin etwas paßte oder nicht, gefiel er sich in Eindeutigkeiten der ungeniertesten Form. Wie es bei Männern seines Alters und Schlages vorkommen kann, war dies Schwelgen in Unanständigkeiten und Zoten für ihn eine Art erotischer Befriedigung, die einzige, die ihm noch geblieben war, und angeregt von den reichlichen Spenden eß- und trinkbarer Stoffe, fröhnte er dieser Leidenschaft immer hemmungsloser. Elfriede fiebert in prickelnder Bängnis, Paula ist in ihrem Element, bringt dem Schauspieler aus dem Obszönitätenschatze der Gassenreden die nötigen Stichworte, hält seiner impotenten, glibbrigen Geilheit begeistert den Reifen, kostet triumphierend das vermeintliche Erlebnis aus, in die solide Hut der Bürgerstuben die Laszivität schrankenloser Vogelfreiheit zu schleudern. Das Ganze hatte etwas unglaubwürdig Phantastisches, anrüchig Schaubudenhaftes. Paula und der Schauspieler waren wie von Sinnen; ohne jeden Grund, aus purer Verzückung über sich selbst, schrieen sie sich gegenseitig ihre Schmutzereien zu. Mit glasigen, faszinierten Augen blickte der Backfisch sie an und alle drei Gesichter kochten in flammendem Rot, Paulas Wangen im Feuer ihrer zerstörerischen Lust, die der Bürgerstochter von unbefriedigter Begierde und die des Mimen von allen Feuern der Völlerei. Endlich ist Casati soweit, daß er seine Worte auch durch die entsprechende Geste ergänzen zu müssen glaubt. Patsch, knallt seine Pratze auf Elfriedes Dekolleté; ergeben, gern gemißbraucht, reckt das Mädchen die ganze Auslage seinem ungeschickten Zugriff entgegen. Plötzlich geht die Glut in Herrn Casatis Antlitz erschrekkend ins Blaurote über, er würgt und seufzt, schließlich gibt es einen Ton, als ob ein Mäuslein pfiffe. »Der alte Versager macht ja mit einem Male so krampfhaft kindische Kasperlezuckungen . . . das ist ja wohl übertrieben!« denkt Paula, und hat noch nicht ausgedacht, da sackt der Schauspieler haltlos zusammen und hängt wie eine Stoffpuppe in der Sofa-Ecke. Elfriede hat nichts gemerkt, Casatis Betastungen haben ihre Erregtheit gesteigert, nun fühlt sie sich beleidigend abgelehnt, fängt hysterisch an zu schluchzen und fällt Paula um den Hals. Paula weiß, daß Casati über Bord ist, und dieses Wissen macht sie fest und stark. Einen Augenblick lang hat sie das Gefühl, daß ihr krummer Rücken durch das Todesopfer grade wird. Es hebt sie das Bewußtsein, der unschuldige Grund solcher irreparablen Betriebsstörungen zu sein: erst das Schuhmacherkind, nun der längst fällige Komödiant, auf die Höhe der Situation. Sofort erwidert sie Elfriedes Zärtlichkeit und steigert sie zu tollen Zungenküssen, gleitet mit ihren Liebkosungen an Hals und Schulter zu den Brüsten, gibt dem aufgewühlten Mädchen, was Casati ihr schuldig blieb und hat mit erstaunlicher Fertigkeit auf eine nie vorher geübte Art die Jungfrau Elfriede Kausch schließlich mit den Freuden der Liebe bekannt und restlos glücklich gemacht.

Als Elfriede aus diesen Freuden wieder zu sich kam, bezeugte sie der schiechen Paula eine rührende, ganz sanfte Ergebenheit. Und einen Augenblick lang war Paula dieser Innigkeit ohne Berechnung ebenso verfallen, streichelte Elfriedes Haar und glaubte, die Welt erlaube so selbstverlorene Schwärmereien. Einen kurzen Augenblick nur – dann sah sie auf Casatis eklig glotzende Totenfratze, sie wußte wieder Bescheid und vollendete kaltblütig ihrem Selbsterhaltungstrieb gehorsam das widrige Werk der Vernichtung. Elfriede hatte anscheinend vergessen, daß der Schauspieler mit von der Partie gewesen war; es galt, ihr den peinlichen Anblick zu ersparen, und Paula hielt Elfriedes Kopf an ihrer Brust und animierte sie zum Trinken. Elfriede wollte nun ihrerseits imponieren und zeigte, wie Studenten ex trinken – sie hatte es von ihrem Tanzstundenpartner gehört; Paula dachte: »Krepier’ dran!« und schien fleißig mitzutun. In Wirklichkeit wußte sie ihr Glas jedesmal heimlich fortzugießen, während Elfriede, wie es im Studentenjargon heißt, »bierehrlich soff«. Da sie fast nichts gegessen hatte, war die Wirkung bald fürchterlich. Sie fing unbeherrscht zu schimpfen an, und zwar auf die Mutter, die Elfriedes ganzes Leben knickrig beeinträchtige. Paula stimmte hetzerisch zu und fachte die Entrüstung weiter an. »Mama tut, als ob man ohne den ganzen Krempel hier nicht existieren könnte! Weil sie sich einmal diese Häuslichkeit hier geschaffen hat, soll ich gezwungen sein, sie fortzuführen. Sie denkt sich, daß ich mal einen dieser faden Koofmichs heiraten und hier so wie sie versauern werde. Ich denke nicht dran!« »Bravo!« »Am liebsten möchte ich alles kurz und klein schlagen!« »Warum tust du’s nicht?« Und Paula nahm, um ihr Mut zu machen, eine leere Flasche und warf sie gegen die Wand.

Damit begann eine Orgie der Zerstörungswut. Schüsseln, Teller, Gläser flogen an die Tapete. Speisereste, Brothappen, Knochen wurden verstreut. Zwischendurch trank man gerührt. Elfriede fegte mit wildem Schrei die Nippesfiguren von der Kommode, durchstieß Vaters lebensgroßes Porträt, zerbrach die Staffelei, auf der es gestanden hatte, riß sich selbst die Kleider vom Leib, tanzte auf dem Trümmerfeld von Scherben, Möbelstücken, Tuchfetzen, und fiel plötzlich um, ähnlich dem Schauspieler, doch mit dem Unterschied, daß sie noch völlig lebendig war und sich auf den Ruinen ihres Heimkarthagos scheußlich übergab.

Kurz nachher wurde draußen die Korridortür aufgeschlossen, fuhr Mutter Kausch geschäftig im Gang herum. Paula wartete gespannt auf den Schlußeffekt der Komödie; bis Frau Kausch endlich ins Zimmer trat, schien eine Ewigkeit zu vergehen. Und dann war die Szene garnicht einmal so wirkungsvoll, wie man sie sich erhofft hatte.

Frau Kausch begann weder zu schreien, noch fiel sie in Ohnmacht bei dem unerwarteten Anblick, der sich ihr da bot: die gute Stube verwüstet, die teuren Möbel versaut und beschädigt, Zeichen eines kostspieligen Gelages, die Tochter und ein fremder Mann in verdächtiger Kostümierung sinnlos betrunken, dieser Balg der Aushilfsschneiderin in der zweideutigen Rolle einer Komplizin!

Die Witwe brachte erst einmal ihren Gelegenheitskauf in Sicherheit, dann nahm sie einen Stuhl und setzte sich. »Hier ist etwas Unerwartetes über die Geizige verhängt worden, etwas so Ungeheuerliches, daß ihre gewöhnliche Unerschütterlichkeit glatt kapitulieren muß«, dachte Paula. Aber Frau Kausch war gestählt und überlegte in Ruhe, wie sie das angerichtete Unheil mit dem geringsten Kostenaufwand liquidieren könnte. Der unangenehme, halb parfümschwüle, halb säuerliche Geruch, der in dem Zimmer herrschte, hatte sie zuerst gestört, nun machte er sie aus Widerwillen wach und zum äußersten entschlossen. Mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre Paula hier die lang angestellte Magd, rief sie ihr zu: »Aufräumen! Dalli, dalli!« Und die Schneiderintochter, die alles andre eher erwartet hatte als diese Art, auf eine so katastrophale Überraschung zu reagieren, gehorchte erschrocken. Schweigend krochen Frau Kausch und Paula auf dem Teppich herum und sammelten zwei Körbe voll. In den einen kam, was unweigerlich verloren war, in den andern, was man mit einiger Nachsicht noch gebrauchen könnte, und vor dem Trödlerblick der Frau Kausch fand vieles als verwendbar großzügig Gnade.

Als einigermaßen Ordnung geschaffen war, kam Elfriede an die Reihe. Ein paar knallende Ohrfeigen, von der Mutter verabreicht, fruchteten wenig; kaum daß der sinnlos betrunkene Fratz die vage Anstrengung machte, sich zu bewegen, und etwas Unverständliches lallte. Auch hier mußte schließlich Paula mit anfassen. Unsanft wurde Elfriede ins Badezimmer hinübergeschleift und in die leere Wanne gelegt, denn Frau Kausch wollte auf jeden Fall das Bett vor unliebsamer Verunreinigung bewahrt wissen.

Schließlich galt es den gefährlichsten Fall zu beheben: die Sache mit dem wüsten Mannsbild, Eindringling und Friedensstörer, Mädchenverführer und Mitgiftjäger aus der Welt zu schaffen. Frau Kausch machte eine geringschätzige Handbewegung auf den Sessel hin, in dem der Mime lag, und fragte: »Und was ist mit dem Schweinkerl?« Paula war über diese ordinäre Sprache glücklich, als hätte sie das reiche Weib nun dort, wo sie es haben wollte, und antwortete im ruhigen Ton einer beiläufigen Auskunft: »Der ist tot. Schlaganfall.« Auch darauf reagierte Frau Kausch ganz anders, als es Paula erwartet hatte. Mit befriedigtem Nicken sagt sie: »Geschieht ihm recht!« Denn sie nahm es sofort als gerechte Strafe des Himmels für den ihr angetanenen Frevel; einen wieviel kleineren Verstoß gegen die gottgewollte Selbstbescheidung hatte ihr seliger Bruno mit dem Tode büßen müssen! Ihr zweiter Gedanke war: »Den Hauptschädling bin ich los. Er kann aus dem, was geschehen sein mag, keine Ansprüche mehr herleiten. Ich werde Elfriede jetzt möglichst rasch nach meinem Willen verheiraten. Dieser erste Schrecken wird ihr die Lust zu allen weiteren Abenteuern verleidet haben. Sie wird hübsch gefügig sein, froh, daß es noch einmal so glimpflich ablief. Auch mich hätte es noch mehr kosten können!« Und durstig von der Anstrengung des Aufräumens, nahm sie das halbvolle Glas René Casatis – und trank es leer, wobei sie genau so schmatzte, wie er es vorhin getan hatte. Zu ihrer Genugtuung erfuhr sie, daß es sich um einen Schauspieler handelte. Wenigstens kein Ortseingesessener! Der Skandal würde sich vermeiden lassen. Sie schärfte Paula ein, was sie auszusagen hätte, und schickte sie zu ihrem alten Hausarzt. In der Zwischenzeit richtete sie alles vollends manierlich her. Es sah nun so aus, als hätte das Unglück sich während eines kleinen offiziellen Soupers zugetragen.

Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen

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