Читать книгу Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen - Max Herrmann-Neisse - Страница 11

VIII

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Am andern Tage stand im Stadtblatt die Notiz: »Das beliebte Mitglied unsres Musentempels, Herr René Casati, wurde uns gestern durch einen jähen Todesfall entrissen. Er war in einer unsrer gediegenen Großkaufmannsfamilien, deren Mäzenatentum ja allgemein bekannt ist, zu Gast. Mitten in der vornehmen, aber bescheidenen Festlichkeit erlitt er einen Ohnmachtsanfall und der sofort herbeigeholte Herr Sanitätsrat Dr. Preussner konnte nur noch den Tod feststellen, als dessen Ursache er Herzschlag angab. Wie oft mag der wackre Künstler René Casati, der auf eine mehr als dreißigjährige Bühnenlaufbahn zurückblicken konnte, in Schillers »Wilhelm Teil« auf den Brettern, die die Welt bedeuten, wohl jene erschütternden Verse angehört oder gar mitgesprochen haben: »Rasch tritt der Tod den Menschen an . . .«, ohne zu ahnen, daß sie einmal an ihm selbst so eklatant sich verwirklichen würden!«

Frau Kausch kam zu dem unverhofften Triumph, von den andern Bürgerfamilien um das sensationelle Ereignis beneidet zu werden. Das Begräbnis des Schauspielers bildete für die ganze Stadt eine außergewöhnliche Begebenheit. Die Kolleginnen und Kollegen des Verstorbenen erregten in ihren seltsamen, teils altväterischen, teils dürftigen, teils ihrer Zusammenstellung nach ungewöhnlichen Trauerkleidern ein berechtigtes Aufsehen. Sie alle zeigten in Mienen und Gesten etwas übertrieben Leidtragendes, spielten nach besten Kräften die Rolle der trauernden Hinterbliebenen aus einem imaginären romantischen oder realistischen Drama. Es war sogar eine richtige Witwe vorhanden. René Casati hieß, wie sich jetzt herausstellte, eigentlich Reinhold Wichler. Dieser beruhigend normale Name und das mickrige, solid bieinbürgerliche Aussehen seiner Ehefrau gewann dem Toten die aufrichtige Sympathie aller Normalmenschen. Auch wurde eine kirchliche Beerdigung mit allen Schikanen geliefert, und der Pastor hielt, um sein Kunstverständnis und seine Liberalität zu beweisen, eine Grabrede, die mit den ergreifendsten klassischen Zitaten geziert war. Leider wollte sie kein Ende nehmen, schwelgte in den raffiniertesten Kunststücken virtuoser Rühr- und Zermürbungstechnik und wurde durch die Kollegen von der ehrlicheren Theaterfakultät mit der nötigen Sachkunde in allen Nuancen geschmeckt und zu Recht, ob ihrer billigen Mittel, in Grund und Boden kritisiert.

Frau und Fräulein Kausch wohnten im bevorzugten Kreis der nächsten Leidtragenden mit würdiger Haltung der Trauerfeier bei. Paula drückte sich unter dem neugierigen Volk herum, das dem offiziellen Trauerzuge sich nachgedrängt und mit der gesunden Brutalität der Massen über umgestürzte Kränze und zertrampelten Gräberschmuck eine Aussicht auf das Schauspiel erkämpft hatte. Selbst von diesen, weder zur Andacht gewillten noch sehr taktvollen Leuten wurde Paula zurückgewiesen, als sie während der Leichenrede herausprustete. Und weil sie ihr Gelächter nicht beherrschen konnte, mußte sie vorzeitig den Friedhof räumen.

Am nämlichen Abend gab es in der Bernertschen Wohnung und in der von Frau Kausch einen gleich schweren Zusammenstoß zwischen Mutter und Tochter.

Paula war vom Friedhof zu der kleinen Siedlung »Die sieben Seligkeiten« hinaufgelaufen. In ihr war eine unbändige Fröhlichkeit, den Kindern, die dort vor den Hoftoren spielten, rief sie allerlei Ulk zu, in Mährengasse scheuchte sie die Gänse auf, machte, daß die Kettenhunde in gemeinsamem Radau hinter ihr her bellten. Am Bahnübergang mußte sie warten, die Schranken waren geschlossen, ein Personenzug dampfte vorbei, und Paula winkte übermütig den Reisenden, die aus den Fenstern schauten. Dann lief sie über die Festungswälle, obwohl sie keine Erlaubniskarte hatte, machte dem Patrouilleur, der zu ihrem Glück auf der Schanze jenseits des Grabens stand, eine lange Nase und schrie ihm den verhaßten Spitznamen: »Pickatz, Schnicksack« hinüber. An der Ziegelbarriere begegnete ihr eine Abteilung Pioniere, die vom Übungsplatze marschierten und frisch ein unanständiges Soldatenlied sangen, und ausgelassen erwiderte sie das eindeutige Spiel der Mienen und Handbewegungen. Noch zu Hause war sie aufgekratzt, pfiff laut vor sich hin und stellte unter Grimassen und komischem Getu alles fürs Abendessen parat.

Die Mutter aber kam in ganz entgegengesetzter Stimmung heim. Sie hatte bereits von dem pietätlosen Verhalten ihrer Tochter am Grabe des Herrn Casati gehört und war über ein so lästerliches Betragen ehrlich entrüstet. Was sollten die Leute von ihr denken? Wie kann das ungeratene Ding ihrer Mutter solche Schande machen! Damit es wieder heißt, arme Leute hätten keine Benehmität! Aber von ihr hätte sie das nicht, von ihr nicht! Wann hätte sie, die alte Bernert, wohl je daran gedacht, eine heilige Handlung zu stören, und schließlich sei ein Begräbnis, wenn es auch bloß evangelisch wäre, doch eine heilige Handlung!

Paula hatte bisher zu Hause nichts von den näheren Begleitumständen des Todesfalles und von den Vorgängen damals bei Elfriede Kausch erzählt. Nun konnte sie nicht mehr an sich halten und platzte mit dem ganzen Tumult ihres Geheimnisses heraus.

Die alte Bernert meint, sie habe nicht richtig gehört. Aber ihre Tochter wiederholt das Ungeheuerliche mit noch drastischeren Ausdrücken und so herausfordernd siegesgewiß, als berichte sie etwas über die Maßen Löbliches. Die alte Bernert benimmt sich nun in der Weise, die Paula einst der heimgekehrten Frau Kausch zugetraut hatte. Sie geht mit geballten Fäusten auf ihre Tochter los, schreit wie nicht recht gescheit, macht das ganze Haus rebellisch. Aber was die Nachbarsleute sich von der Treppe her erlauschen, das scheint ihnen recht unverständliches, unnützes, dummes Zeug zu sein. Denn immer wieder kommt in dem Gekreisch der Alten die Behauptung vor, das müsse ihr passieren, daß ihre Tochter zur Kupplerin geworden sei. An dem noblen Ausdruck »Kupplerin« tut sie sich gütlich, wer weiß, wo sie ihn bei der Aushilfsschneiderei aufgeschnappt hatte! Aber das war doch garnicht möglich, daß die noch junge Paula ein so schwieriges, riskantes Geschäft, das allerlei Takt und Verschlagenheit erforderte, ausüben könnte wie etwa Mutter Dettlef oder Tante Marta mit ihrer Mangelstube! Man kam zu dem Schluß, daß die Bernerten ausnahmsweise einen über den Durst getrunken hätte, wartete noch etwas auf das anregende Geräusch, das Schläge auf nacktes Fleisch ausgeteilt verursachen, und als es ausblieb, sich der Mutter sinnloses Gebelfer und der schnippische Protest der Tochter nur immerzu wiederholte, kroch der Chor der Horcher enttäuscht und gelangweilt in seine verschiedenen Wohnhöhlen zurück. Noch eine ganze Weile zeterte die Alte ihre abgegriffenen Sprüche, entgegnete Paula schroff und sicher. Natürlich schrieen sie aneinander vorbei und keins von beiden hörte eigentlich auf des Partners Logik oder Unlogik. Schließlich konnten sie nicht mehr, setzten sich erbost zum Abendbrot, kauten wütend, die Mutter unter leichtem Tränengewinsel und Schluckauf, die Tochter mit höhnischer Miene. Als man zu Bett ging, versuchte die Alte während des Ausziehens noch einmal anzufangen, nun aber mit biederem Vorwurf, zum Gewissen Reden, Lamento. Paula erwiderte kein Wort, schlüpfte unter die Decke, drehte sich auf die andere Seite. Nein, mit dieser Frau war kein Geschäft zu machen, sie stand nur im Wege und begriff nichts. Man mußte sehen, so rasch es ging, selbständig zu werden, das lästige Übel dieser unmöglichen Mutter auf das erträgliche Maß an zuverlässig funktionierender Logis- und Kostgeberin zu reduzieren. Und sie in Zustand seliger Ahnungslosigkeit bis zu ihrem sicherlich leichten Ende zu erhalten! Paula warf sich, als sie im Dunkel mäuschenstill wachlag und alles bedachte, nur vor, daß sie heut ihrem Herzen so hemmungslos Luft gemacht hatte. Das sollte ihr nie mehr passieren, morgen früh würde sie übrigens mit dem törichten Weibe den alten Zustand leidlichen Einvernehmens wiederherstellen. Das dürfte kaum schwer fallen, und die Jahre gemeinsamen Mitschaffens, die ihnen dann noch beschieden wären, würden wohl in der bewährten Weise entfremdeten, weltenfernen Nebeneinanders verlebt werden. Draußen polterte, wie stets um diese Zeit, der Kellner Paschke betrunken die Holzstiegen empor, ein kleines Kind schrie ununterbrochen, Katzen jaulten, dann orgelte das Klosett, unten auf der Straße hallte, wie üblich, der holprige Marsch des Wächters Schwanke. Paula schlief beruhigt ein. Ihre Mutter, todmüde von der Tagesrackerei und dem abendlichen Krach, war gleich, nachdem sie die Lampe gelöscht hatte, mitten in einem Klagesatz eingeschlafen und sägte nun ein solides Schnarchen durch die Kammer.

Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen

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