Читать книгу Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen - Max Herrmann-Neisse - Страница 14

XI

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In diesen Julitagen herrschte eine drückende Schwüle, und Paula wurde bei ihrer Lebensweise, dem Faulenzen in den Federn, dem Herumliegen in der schlechtgelüfteten, nach Küche und Abort riechenden Kleinleutewohnung, merklich nervös. Nun wartete sie schon seit einigen Tagen auf die monatliche Belästigung, die längst fällig war. Es kam ja nicht immer gleich pünktlich, etwas Zeit konnte man schon zugeben, aber wenn sich dann immer noch nichts melden sollte . . . ihr wurde recht mulmig zumute. Noch zwei weitere Tage hielt sie die qualvolle Ungewißheit aus, dann redete sie offen mit Emil.

Sie war vor der Uhrmacherwerkstatt erschienen und hatte ihm durch Zeichen bedeutet, daß sie bald dringlich mit ihm sprechen müßte. Emil wußte sich frei zu machen, und nun gingen sie, an dem heißen Sommernachmittage, auf der Wallpromenade auf und ab.

Paula ist bitterlichste Angst, nichts als entsetzliche Angst.

Emil erschrak zutiefst, als er sie so vor dem Laden stehen sah, und als sie ihn dann hastig mit sich zog und zunächst noch nichts Rechtes aus ihr herauszukriegen war, da machte er sich auf das Schlimmste gefaßt.

Alle die einschlägigen Vorgänge, die sie früher in ihrer Gasse mitangesehen hatte, waren bedrückend vor Paulas Erinnerung wieder auferstanden, als sie sich in den letzten Tagen zu Hause allein mit ihren Befürchtungen herumgeschlagen hatte. Das folternde, unaufhörliche Schmerzensgeschrei der Lickert-Berta, die eine so schwere Geburt gehabt hatte, und das Gewimmer der Frau Scharwenlen, die bei der Entbindung verblutet war, glaubte sie noch immer deutlich zu vernehmen. Sie dachte an die niedliche, immer lustige Lieschen Pilz, die ganz verfallen ausgesehn hatte, nicht wiederzuerkennen, und die nun wegen Abtreibung im Gefängnis saß. Sie stellte sich vor, wie sie selbst, Paula Bernert, in dem verfluchten Zustand ausschaun würde, wenn zum krummen Rücken noch der widerlich dicke Bauch dazu käme –, sie erbrach sich fast vor Ekel und glaubte bestimmt zu wissen, daß es bei ihr, so oder so, nur tödlich enden könnte.

Noch nie hatte ein Mensch sie in solcher Verzweiflung getroffen.

Aber als sie ihre gräßliche Not eindringlich mitteilen will, versagen sich ihr die überzeugenden Worte. Sie spürt selbst, daß alles nur lau und halb herauskommt. Sie wird wütend über ihre eigene sprachliche Unbeholfenheit und verheddert sich erst recht. Statt zu erklären und zu beschwören, pulvert sie Beschimpfungen, Drohungen, Winseleien hemmungslos durcheinander und drückt sich so ungeschickt aus, daß Emil höchst erstaunt mutmaßt, sie fürchte, sich angesteckt zu haben, und sich eifrig gegen solche Verdächtigung verwahrt.

Dieses blödsinnige Mißverständnis erregt sie noch mehr. Sie ärgert sich, daß eine Sache, die für sie von höchster Tragik ist, so mit dem Fluch der Lächerlichkeit behaftet wird. Dies Unschuldslamm, das noch unberührt war, dieser allzu ordentliche und reinliche Emil könnte doch von seinem schlimmsten Feinde solchen Verstoßes nicht geziehen werden. »Dämlicher Hund«, brüllt Paula ihn an, »schwanger bin ich, schwanger!«

Ihm geht das Wort durch und durch. Er packt Paula so heftig am Arm, wie er sie noch nie wagte anzupacken. Hat er recht gehört? Er wird Vater werden! Ein riesiger, maßlos dummer Männerstolz bläht ihn plötzlich auf: er hat das Gefühl, auch in seiner äußren Figur massiver und ansehnlicher zu werden –, der übliche, grundlose Stolz auf eine wahrlich zufällige unrühmliche, nicht sehr schwierige Leistung, deren jeder idiotische Dorfjunge fähig ist. Er hört schon, wie sein Vater ihm schallend dazu gratuliert, daß er die revolutionären Reihen um einen zukünftigen Kämpfer bereichert hat. Es ist ihm außer jedem Zweifel, daß es ein männliches, gesundes Kind sein und später Weltanschauung und politische Meinung von Großvater und Vater vertreten wird. Da fällt ihm alles ein, was er über das Verhalten junger Ehemänner beim Geständnis so süßen Geheimnisses gelesen hat. Er lockert den schmerzhaften Griff um Paulas Arm, wird ganz schonend und betulich, küßt sie ab, plappert sinnlose Glückwünsche.

Um Paula dreht sich die Welt. Eine solche Verständnislosigkeit hatte sie nicht vorausgesehen; sie fürchtet, im nächsten Augenblick, irre zu werden. Und als würde nun wirklich die Hölle losgelassen, kommt aus den Kasematten ein Kanonier gerannt, der sich noch während seines rasenden Laufs den Säbel umschnallt und sich überstürzend herausbelfert: »Mobilmachung! Es geht los!« und wie ein Verrückter weiter jagt.

Für die beiden ist der seltsame Mann nichts andres als eine unerwünschte Störung. Sie haben ganz mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun; da ist noch ein Kampf auf Leben oder Tod auszutragen, vor dem alles andere unwichtig bleibt. Und auch als einige Zeit nachher die Glocken läuten, die ganze Stadt in Aufregung gerät, die Wogen wahnwitziger Begeisterung hochgehn, existiert für Paula und Emil nur ihr eigener, verzwickter Fall, findet der sogenannte weltgeschichtliche Augenblick wenigstens bei diesen zwei Menschenkindern nicht die nötige Wirkung.

Paula macht dem jungen Manne wütende Vorwürfe, daß seine Unvorsichtigkeit oder Ungeschicklichkeit sie in diese Gefahr gebracht hat. Emil feiert das Mädchen überschwenglich, weil sie ihm den Erben schenken wird.

»Einen Dreck werd’ ich dir schenken!« fährt sie den Schwärmer an. »Ich will nicht krepieren. Denkst du denn, wie ich gebaut bin, ich könnte das überstehen?«

Da ist Emil gezwungen, sie anzusehen, und aus seiner Phantasterei herausgerissen, die ernüchternde, häßliche Wirklichkeit zu sehen, der kein beschönigender Selbstbetrug stichhält. Hat er Paula überhaupt je so gründlich in der ganzen Kläglichkeit ihres Körpers erkannt? Nein! Nicht einmal auf der Bank der Zerbonipromenade, als er sich aus dem ersten richtigen Erfassen ihrer verzeichneten Figur sofort in die Übertreibung eines heroisch schauspielernden Gefühls geflüchtet hatte. Jetzt sieht er sie genauso, wie sie ist, und haßt sie abgründig. Aber er beharrt bei dem wahnwitzigen Gedanken, daß dieser mißwachsene Leib ihm den stattlichen Stammhalter gebären könnte. Der grausame Wunsch steigt in Emil auf, dies widerliche Weib möge bei der Geburt sterben, wenn nur der Sohn bleibt, den dann ganz und gar als seines Geistes Kind aufzuziehen, ohne daß eine zweifelhaft gesinnte Mutter diese zielbewußte Erziehung zu stören versucht. Er kann die unmenschliche Vorstellung nicht einmal bei sich behalten, sondern verrät sich mit der Entgegnung: »Warum soll das Kind nicht lebensfähig sein?«

Instinktiv weiß Paula Bescheid.

»Ach! Du willst mich los sein! Das kannst du haben! Aber anders, als du denkst! Ich habe euch sowieso satt. Alle miteinander! Verlogene Bagage! Scheinheilig wie die Kirchenmäuse. Rote Gebetbuchbrüder! Deine Mutter ist noch die Reellste, die hat wenigstens aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und rundheraus gezeigt, daß sie mich nicht ausstehen kann. Ha, nun soll sie wieder ihre Ruhe haben. Von euch Narren hab’ ich endlich die Nase voll! Ich mache mich aus dem Staube!«

»Und das Kind?« schreit Emil.

»Was geht’s dich an!«

»Mein Sohn!« schreit er noch hysterischer.

Da äfft sie ihn mit der üblichen Frage, die in oberschlesischem Radebrechen vorgebracht wird:

»Woheres weißt du?«

Und weil er sie zu verständnislos blöd anglotzt, macht sie ihm eindeutig die Eröffnung:

»Es dürfte sich wohl eher um dein Brüderchen handeln!«

Schlug sich ihr Tuch um die Schultern und rannte schon, einer angeschossenen Krähe gleich, davon.

In der Wohnung befand sich nur Frau Klose. Paula begann sofort, ihre paar Sachen zusammenzupacken und sich zum Auszug bereit zu machen. Frau Klose sah ihr eine Weile zu und erstaunte immer mehr. Plötzlich fragte sie so zärtlich, wie sie noch nie zu ihr gesprochen hatte, und gebrauchte zum erstenmal die Koseform des Namens: »Aber Paulachen, was ist denn mit Ihnen los? Hat Ihnen jemand was getan? Wo wolln Se denn nu so plutze hin?«

Paula möchte patzig antworten, sie hat in ihrer Stimmung jetzt nicht viel Sinn für freundliche Töne der andren, findet es aber, wie die Dinge liegen, nicht mehr der Mühe wert, sich noch über die Alte besonders zu ereifern. So begnügt sie sich schließlich mit der zweideutigen Antwort: »Krieg is. Und ich mach wieder zu Muttern zurück.«

Als dann Paula wirklich bei ihrer Mutter eintrat, hatte das große historische Ereignis alle Welt bereits so auf den Kopf gestellt, waren die Menschen bereits so sehr vom Taumel der Kriegswut besessen, daß Paulas unerwartete Heimkehr weder auf die Anwohner der Gasse, noch auf ihre Mutter als sensationelle Überraschung wirkte.

Auch der Konflikt zwischen Sohn und Vater Klose kam bei der größeren Wichtigkeit des politischen Erlebnisses nicht in seiner ganzen Schärfe zum Austrag. Als Vater Klose gegen Abend nach Hause kam, erheblich betrunken von all den kriegerischen Phrasen, die er im Gewerkschaftshause zusammen mit den nötigen Begeisterungsrunden Bier und Korn zu sich genommen hatte, zeigte er für die privaten Schmerzen seines Sohnes wenig Verständnis. »Sollst froh sein, Emil, daß du das Föhschen zur rechten Zeit loswurdest! Kannst dich jetzt ganz deinen Staatsbürgerpflichten widmen, unabgelenkt von Nebendingen und Weiberkram. Deutschland braucht jetzt, in der Stunde höchster Gefahr, ganze Männer. Grade wir Sozialisten können jetzt beweisen, wie unrecht man uns mit der gehässigen Bezeichnung vaterlandslose Gesellen tat. Grade wir werden jetzt die deutsche Sache zum Siege führen und dafür nachher auch gleichberechtigt teilhaben an der Lenkung der politischen Geschichte!« Der Kolporteur dampfte vor Begeisterung, und, als er sich selber so dröhnen hörte, bewunderte er den eigenen Redeschwung. »Da man jetzt mein Vaterland angreift, werde ich selbst noch die Knarre auf den alten Buckel nehmen, wenn Not am Mann sein sollte! Willst du in solcher Stunde einem Mädel nachflennen, Emil?« Und er schlug seinem Sohne so derb auf die Schulter und trompetete ihm das Pathos so mächtig in die Ohren, daß wirklich Paula, ihre noch nicht bewiesene Schwangerschaft, und vor allem ihre boshafte Verdächtigung Papas glatt erledigt waren. Ohnehin war heut in so kurzer Zeit zuviel Unvorhergesehenes auf Emil eingedrungen, er fühlte sich von alledem todmüde, kroch in seine Klappe, schlief traumlos.

Indes die Schankwirtschaften bei so außergewöhnlicher Situation sich an die Polizeistunde nicht gebunden erachteten, die ganze Nacht hindurch die Orchestrions spielten, besoffne Stimmen patriotische Lieder grölten, sich vor Benommenheit schneidig Lallende verbrüderten und den Kellnerinnen zur Bekräftigung deutscher Schwüre, sozusagen als erste martialische Betätigung, mit Gott für König und Vaterland, auf den Arsch geklatscht wurde.

Papa Klose aber, der alkoholisch sein Quantum schon weghatte, nahm sich im Ehebett seit Jahren wieder einmal seiner Alten an, die auf so etwas gar nicht mehr vorbereitet war.

Vielleicht gehörte es auch zu den Wundern, die der Ausnahmezustand dieser Irrsinnszeit stiftete, daß Paula bald feststellen konnte: ihre Schwangerschaftsängste waren grundlos ausgestanden worden, die Natur hatte noch einmal ein Einsehen und die lästige, aber beruhigende Schweinerei fand sich mit einiger Verspätung doch noch ein. Aber der Riesenschreck hatte ihr genügt, sie würde sich mit den Männern nur noch auf garantiert ungefährliche Touren einlassen. Im übrigen fand sie sich reumütig wieder zu ihrer Freundin Elfriede Goller.

Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen

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