Читать книгу Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen - Max Herrmann-Neisse - Страница 9

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Inzwischen hatte Paula in Erfahrung gebracht, daß Frau Kausch damals nicht geflunkert hatte: Elfriede war, was erotische Erlebnisse oder auch nur Kenntnisse anlangte, tatsächlich das reine Schaf. Diese höheren Töchter pflegten natürlich von allerlei Dingen zu munkeln, die eine oder andre wollte das und jenes gehört haben, manche hatte einen älteren Bruder, einen Vetter, etwas Bestimmtes war jedenfalls nicht passiert, oder wer wirklich mehr wußte, der verschwieg wohlweislich seine fortgeschrittnere Erfahrung. Kurzum, Elfriede Kausch hatte keinen blassen Dunst, war aber nervös begierig, in das Geheimnis eingeweiht zu werden, und naiv lüstern wie eine Gefangene, die sich mit ausschweifenden Vorstellungen überhitzte. Ihre Phantasie wurde von Paula weiter aufgepeitscht und der Pfefferküchlerstochter das Geständnis entlockt, wie sehr sie für René Casati, den Charakterdarsteller des Stadttheaters, schwärme.

Paula versprach, die persönliche Bekanntschaft zu vermitteln. Zu diesem Zwecke kam sie noch einmal auf den Militärmusiker Kusche zurück. In der Theaterspielzeit, von Oktober bis Ostern, stellte die Infanteriekapelle allabendlich das Bühnenorchester. Ein paar geschickt vorgebrachte Drohungen machten den Musiker nicht nur gefügig, sondern überaus diensteifrig und gradezu erfinderisch. Zuerst einmal erfuhr Paula durch ihn, was an Klatschereien und Garderobengerüchten über René Casati im Umlauf war, und da blieb, zog sie auch die nötige Übertreibungsquote ab, noch genug, ihre Schadenfreude in Schwung zu setzen.

René Casati, den Elfriede sich als gefährlichen Don Juan, Frauenverbraucher, Liebeskünstler vorstellte, vor dessen rücksichtslosem Draufgängertum sie teils begehrlich, teils ängstlich erschauerte, war – wenn die Beobachtung seines Kollegen stimmte – ein phlegmatischer, abgenutzter, impotenter Lebenspensionär, der überhaupt für nichts Erotisches mehr, sondern nur noch für Sauf- und Freß-Orgien Interesse hatte. Paula frohlockte: besser hätte sie es garnicht treffen können. Die geizige Alte und der eitle Backfisch würden dort verwundet, wo es ihnen am schmerzlichsten wehtat.

Eines Mittags, nach der Probe einer Posse mit Gesang und Tanz, sprach Kusche den Mimen an. »Ich wollte dem großen Künstler schon immer mal danken, für den Genuß, den ich von ihm habe, wenn ich auch bloß unten im Orchester sitze, wo ich nicht viel mehr als die Köpfe sehn kann. Und weil ich nun endlich den Mut dazu finde, möchte ich auch gleich wagen, ein privates Anliegen vorzubringen, das freilich nicht so sehr mich selbst betrifft. Eigentlich schäme ich mich ja, es zu sagen, weiß ich doch, wie Künstler von Herrn Casatis Beliebtheit unter der gutgemeinten Zudringlichkeit ihrer Verehrer und Verehrerinnen zu leiden haben.« Als der Schauspieler geschmeichelt beteuerte, wie sehr, »im Gegenteil«, solches Interesse ihm wohltue, und den Musiker, indem er eine leutselige Exzellenz oder einen jovialen Monarchen spielte, ohne Scheu sprechen hieß, wußte Kusche ihm den Mund ordentlich wäßrig zu machen. Es existiere in dieser Stadt, die leider so klein sei, daß der Nachbar wisse, was man tue, und Vorsicht geboten bliebe, eine junge Dame aus den besten Kreisen, wo man auf die Pflege alter Eß- und Trink-Kultur noch Wert lege. Diese junge Dame, eifrige Theaterbesucherin (Elfriede hatte nur »Preziosa«, »Maria Stuart« und das Weihnachtsmärchen »König Drosselbart« sehen dürfen) möchte ihn gerne persönlich kennenlemen. Das hätte jedoch seine Schwierigkeiten, denn das Fräulein, Erbin eines kürzlich verstorbenen Großindustriellen, würde von einer habgierigen Tante bewacht. Doch gäbe es einen Umweg über eine treu ergebene Kammerzofe, die des Musikers entfernte Verwandte und, der Herr Casati sollte nicht erschrecken, ein etwas verbautes, windschiefes Möbel wäre. Unwillkürlich hatte mit alldem der Hoboist das Komödiantische in René Casati gereizt. Der sah sich in tolle Intrigen verwickelt, Held eines zeitgemäßen Abenteuerstückes, darin er die goldene Jungfrau von ihrem tantenhaften Drachen befreite und schließlich als Sieger an der reichbeladenen Tafel saß, deren Leckerbissen er jetzt schon greifbar vor sich zu haben träumte.

Es begann ein geheimer Briefwechsel, der über Kusche und Paula zu der Pfefferküchlerstochter und wieder zurück ging. Elfriede las aus der Schwärmerei, die dem erhofften Wein und Braten galt, inbrünstiges Verlangen nach ihrer Person, und nahm alle Flüche gegen den Cerberus, der sie so grausam bewache und um ihr Jugendglück bringe, für Mißbilligung des Verhaltens ihrer Mutter. Kurz: man mißverstand sich aufs beste. Und Paula vergnügte sich lange damit, als Drahtzieherin das briefliche Theater des kasperlehaften Hinüber und Herüber funktionieren zu lassen. Endlich mußte einmal etwas Handgreifliches geschehen. Paula litt es nicht mehr in ihrer anonymen Rolle der unsichtbaren Lenkerin der Geschehnisse. Sie wollte richtig mitwirken.

Die Inszenierung dieser Komödie entsprach völlig sowohl ihrer eignen Lust an koboldhaftem Mummenschanz, als auch dem kitschigen Bedürfnis des Mimen nach romantischer Situationspointe. Herrn Casati wurde mitgeteilt, des Fräuleins Vertraute, die in einem besonders heiklen Verwandtschaftsverhältnis zu der jungen Dame stehe und deren Name nicht genannt werden könne, hätte dem Schauspieler eine geheime Botschaft zu überbringen. Von dieser Zusammenkunft hänge zuguterletzt alles ab. Casati bestach den Theaterkastellan. Es war ein sonniger Frühlingsnachmittag, als die stark vermummte Paula durch den Bühneneingang ins Theater gelassen wurde. Der jähe Übergang von der deutlichen Klarheit des frühlingshaften Draußen in die panoptikumhafte Muffigkeit des verstaubten, ungelüfteten Theaterdunkels war ein aparter Genuß für ihre Nerven. Es ging eine enge Wendeltreppe empor, dann schlug eine Eisentür hinter ihr zu, sie befand sich auf der Bühne, die jetzt sonderbar genug aussah, unbeleuchtet, unaufgeräumt, durch den eisernen Vorhang vom Zuschauerraum abgesperrt. Zwischen den Resten von Kulissen, die einen Königspalast darstellen sollten, saß auf der Bank von Stein aus »Wilhelm Teil« René Casati. Als nun die vermummte Paula auf ihn zukam, zögernd, sich wie blind vorwärts tastend, weil sie sich ja in dieser Umgebung nicht auskannte, war er von dem ersten Eindruck vollkommen befriedigt. Die Vermummung unterstrich und vergröberte ihren Körperfehler noch. In der staubigen Dämmerung hatte die Mißgestalt, die da schlotternd einherwankte, etwas Gespenstisches. Casati mußte gleich an die Hexen in »Macbeth« denken, »Großartige Maske!« anerkannte er, wider seinen Willen, laut und setzte sich sofort selbst der theatralischen Situation entsprechend in Positur. Man erkannte sich im Grunde als seinesgleichen und respektierte gegenseitig seine Lüge. Kurz: man verstand sich gut und beschloß, auf Kosten jener blöden Bürgerpute sich noch besser zu verstehen. Und obwohl beide ihre Rollen bis zuletzt durchhielten, fand ihre Verhandlung, die nur noch um die möglichst ertragreiche Ausschlachtung ihres Opfers ging, bald in einem Rotwelsch statt, das sich von selbst ergeben und den Kulissenjargon mit der Gaunersprache des Gassenmädels zwanglos geeint hatte. In der Folgezeit wurde Elfriede angestiftet, ihre Mutter bei jeder Gelegenheit zu bestehlen und von dem erbeuteten Gelde Geschenke zu kaufen, die dem Schauspieler ihre Zuneigung sinnfällig beweisen sollten. Obwohl für Paula die nötigen Provisionen dabei abfielen, war auch dies auf die Dauer langweilig.

Die Geschichte drängte zum Knalleffekt. Die Hauptpersonen des nicht sehr sauberen Handels mußten endlich zusammengebracht werden. Der Witwe Kausch wurde durch den Hoboisten Kusche ein günstiger Gelegenheitskauf angetragen. Drüben im Österreichischen, in Sandhübel, sei spottbillig eine Garnitur zu haben, die Besitzer ahnten von dem wirklichen Wert nichts, aber man müsse sich bald schlüssig werden, ehe die Händler etwas erführen. Also reiste Frau Kausch am 23. März nach Sandhübel. Kaffee, Tee, Brot, Butter, Wurst wurden vorher für Vesper und Abendmahlzeit genau eingeteilt, mit dem letzten Zuge würde sie wieder zurückkommen, aber Elfriede brauche sie nicht abzuholen, nicht ratsam sei es, die Wohnung nach Einbruch der Dunkelheit allein zu lassen, auch öffnen sollte die Tochter keinesfalls, wenn es klingle, denn man könne nie wissen!

Sobald die Mutter aus dem Haus war, kaufte Elfriede Blumen, Kuchen, Likör ein. Dann kam. Paula, man erbrach Kästen und Schübe, nahm, was an Geld sich fand, und Paula besorgte das Teuerste und Beste für ein Liebesmahl, das verwöhnten Ansprüchen genugtun konnte. Die ganze Wohnung wurde umgekrempelt, am lichten Tage jedes Fenster dicht verhängt, mit vielen Kerzen eine verschwenderische Festillumination geschaffen. Aus dem Theaterfundus hatte Paula für sich ein Kammerzofenkostüm besorgt, für Elfriede eine historische Staatsrobe mit weitgehendem Dekolleté, auch Schminke und Puder, womit sie die Bürgertochter zu einer billigen Karikatur ordinären Dirnentums verunstaltete. Dem Schauspieler hatte sie eingeredet, Elfriede erwarte sich von ihm bei dieser ersten Zusammenkunft einen besonderen Aufwand an theatralischer Pracht. Nun harrte sie in schadenfroher Spannung des Ergebnisses und war, wenn auch aus anderen Gründen, genau so aufgeregt wie Elfriede.

Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen

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