Читать книгу Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen - Max Herrmann-Neisse - Страница 7

IV

Оглавление

Die Geschichte mit dem Schuhmachermeistersohn spielte auch schon in der Zeit, da Paula aus der Schule entlassen wurde. Dabei war man beiderseits, die Lehrerschaft und ihr Zögling, froh, einander loszuwerden. Was Paula nun gegen die Schule eintauschte, war freilich nicht die ganze Freiheit, sondern ein Handlangertum bei dem schäbigen, langweiligen Schneiderberufe der Mutter. Nun mußte sie von früh bis abends in fremden Wohnungen sitzen und an fremder Leute Kleidung basteln. Zuerst machte ihr das wenig Vergnügen, aber allmählich merkte sie, daß es hier allerlei zu lernen und zu entdecken gab, was ihrer Schadenfreude unterirdische Kräfte verlieh und nicht ohne Nutzen schien. Diese vornehmen Herrschaften breiteten nämlich unbedenklich mit ihren Kleiderintimitäten die mehr oder minder anrüchigen Geheimnisse ihrer Privatalkoven vor so untergeordneten Geistern, wie es eine Hausschneiderin war, aus. Da Paula im Gegensatz zur ergeben vegetierenden Mutter die Gabe hatte, scharf und gehässig Schwächen wahrzunehmen und für ihren Vorteil auszuschlachten, machte sie eine reiche Ernte. Aß man mittags mit dem Gesinde in der Küche, gab es bösartiges Gehechel in Hülle und Fülle. Woanders half beim Nähen eine Dienstmagd, ein Hausfaktotum, eine arme Verwandte, die von der Herrschaft auf Gnadenration gesetzt war. Während der stichligen Arbeit wurde fleißig geplaudert, und solche Plauderei handelte allemal, zum Ausgleich für die eigene untergeordnete und mühselige Existenz, von den Unzulänglichkeiten der jeweiligen Arbeitgeber. Manchmal ließ sogar die gnädige Frau selbst sich herab, die Arbeit zu überwachen und an führender Stelle mitzutun. Dann ging es anfangs einsilbig und ungemütlich zu, und nur, wenn sie fragte, wurde geantwortet. Aber allmählich kam man mit solchem Frage- und Antwort-Spiel durch das gemeinsame Nadeln in einen gewissen Kontakt, die Entgegnungen flossen reichlicher, unbefangener, machten sich langsam selbständig. Schließlich verwischten sich alle Standesunterschiede, es handelte sich nur noch um Frauen, die beim Hausfrauentum auf Frauenart ihre Frauensachen besprachen. Die Madame, die so lange sachkundige, wesensgleiche Beichtiger entbehrt hatte, fing an auszupacken, sich Eheschmerzen und enttäuschungen von der Seele zu reden, und hatte sie erst einmal begonnen, lief die Litanei unaufhaltsam gewöhnlich so weit, bis nichts mehr zu enthüllen übrig blieb.

Für Paula war es eine unschätzbare Bestätigung und Steigerung ihrer Selbständigkeit der Welt gegenüber und, rein für sich genommen, ein Genuß, dem kaum etwas gleichkam. Deutlicher und handgreiflicher schien ihr jetzt bewiesen, was sie frühzeitig am Vergleich der Wirklichkeit mit der bei Pickerts erschlichenen Bücherwelt gemerkt hatte: der Gegensatz zwischen der Lebensfassade und dem, was hinter ihr getrieben wird. Nicht, daß Paula sich moralisch entrüstete – sie glaubte vielmehr, den Unsinn jeder Art von moralischer Entrüstung zu entdecken. Das ganze Getu nach außen hin war Schwindel. Kam man auf den Kern der Dinge, kümmerte sich, wer konnte, den Teufel um das, was für ehrsam, anständig, reputierlich ausgegeben wurde. Nicht einmal in dieser Stadt, die als eine Hochburg frommen, sittsamen Wandels galt! Paula glühte vor innerer Genugtuung, wenn sie dahinterkam, daß die Fabrikbesitzerin unter den Orgien litt, die ihr Gatte angeblich nachts in den Büroräumen veranstaltete, daß der Bankdirektor eigentlich zwei Frauen hatte, der allgemein geachtete, pedantische Rat der Seinen Ungeheuerliches zumutete, bei Apothekers jeder Teil, Herr und Frau seine eigenen sexuellen Wege ging, und sogar die Amtsrichterehe irgendeinen perversen Knacks besaß. Paula merkte sich haarscharf die Einzelheiten jeder Enthüllung, man ahnte nie, wozu es einmal gut sein konnte, jedenfalls sammelte sie sich einen eigenen Fonds skandalöser Mitwisserschaft. Das blieb ihr besondrer Besitz, denn die Mutter hörte zwar genau das gleiche, aber sie hörte es eben nur an, ohne eine Folgerung daraus zu ziehen oder eine Möglichkeit fruchtbarer Verwendung darin zu vermuten. Für die alte Frau waren es alltägliche Geschichten, man vertrieb sich die Zeit damit, die Welt war nun einmal so, so war sie immer gewesen, den reichen Leuten geht es im Grund eben auch nicht viel besser als unsereinem, jeder hat sein Päckchen zu tragen, vor allem, was ein Weib ist! Von dem Herrn mit dem starken Brillantineduft am Scheitel war sie damals auch schlimm angeschmiert worden, nun saß sie da mit dem Bankert, der noch dazu ein undankbares, böswillig verschlossenes Geschöpf war, obendrein schiech, ihr, der ehemals als bildschön verschrieenen Ernestine Bernert, zum Trotz! Die Mutter sah Paula mißbilligend an und hatte ganz vergessen, daß das Mädchen seinen Körperfehler ihrer sehr unmütterlichen Jähzornigkeit verdankte. Und es kam zum größten Konflikt mit der Alten, als Paula ihre Erfahrungen das erste Mal rücksichtslos auszubeuten suchte.

Mutter und Tochter schneiderten damals im Haushalt der Witwe Kausch, die in der ganzen Stadt als mürrischer Geizkragen bekannt war. Sie entstammte niedrigen Verhältnissen, der bettelarmen, mit unzähligen Kindern gestraften Häuslerfamilie eines Fabrikdorfes, war Dienstmagd hier in der Stadt gewesen und hatte den Pfefferküchlergesellen Kausch kennengelernt, als sie schon einen großen Teil ihres Lebens hinter sich gebracht, aber im Laufe ihrer Dienstjahre eine beträchtliche Summe gespart hatte. Mit dem Gelde der Frau machte Kausch sich bald nach der Hochzeit in einem kleinen Laden der Pilzgasse selbständig. Da beide sich nichts gönnten, emsige und karge Menschen waren, die so gut wie gar keine Ansprüche ans Leben stellten, auf keinerlei Vergnügen Wert legten, nur die Arbeit kannten, beständig Angst hatten, in das Elend zurückzuverfallen, das sie bei ihren Eltern gesehen hatten, wurden sie langsam, aber sicher wohlhabend. Nach einigen Jahren konnten sie das Geschäft vergrößern, der kleine Laden in der Pilzgasse wurde zur Filiale degradiert, an der Hauptverkehrsader, in der Breslauerstraße, zwischen Bahnhof und Ring, Pfarrkirche und Stadtcafé, prangte mit zwei großen Schaufenstern »Bruno Kausch, Pfefferkuchenfabrik«, schließlich gehörte ihnen das ganze weitläufige Haus.

Aber grade als der Mann, endlich reich und angesehen, schüchtern anfangen will, auch einmal an sich selbst zu denken und in bescheidener Weise etwas vom Leben zu haben, fällt ihn gleich der erste, harmlose Versuch eines Privatvergnügens. Schon immer hatte ihn das nahe Gebirge gelockt, denn er stammte aus einer hoffnungslos ebenen Gegend, war noch nie auf einem Berge gewesen. Endlich kam es so weit, daß er sich einen Ruck gab, sich zu einer viertägigen Hochtour Zeit nahm. Am zweiten Tage sollte der Altvater bestiegen werden, kein erschreckend steiler Gipfel, 1490 m, aber die Sonne brannte, Papa Kausch war schon lange unterwegs, glühte am ganzen Leibe, hatte einen unbändigen Durst. Bei einer der vielen, unablässig rieselnden Gebirgsquellen legte er sich auf die Erde und schlürfte gierig das eiskalte Wasser. Gleich danach hatte er wahrhaftig an eine lehrhafte Geschichte aus seiner Schulfibel denken müssen, die warnend von einem Knaben erzählte, der mit ähnlich unverständiger Gier sich den Tod holte. Auf den Altvater war Kausch nicht mehr gekommen, fiebernd machte er auf halber Höhe kehrt, fuhr vorzeitig nach Haus, legte sich ins Bett und starb zwei Tage später.

Seine Witwe wurde nun bis zur Wunderlichkeit sparsam, besser gesagt: knausrig. Die Art, wie ihr Mann ums Leben gekommen war, bewies ihr, daß für Menschen ihres Schlages jeder Versuch, die ihnen angemessene Kargheit zu unterbrechen, eine Überheblichkeit war, die vom Schicksal tödlich geahndet wurde. Bald galt es für eine Strafe des Himmels, bei der Haus- und Fabrikbesitzerin Kausch angestellt zu sein oder in irgendeiner Form mit ihr geschäftlich zu tun zu haben. Kein Dienstmädchen hielt es länger als einen Monat aus, schließlich mochte niemand zu Frau Kausch in Stellung gehen. Nun erledigte die Gnädige selber die peinlichen und schmutzigen Dienstleistungen, schlampte in abgewetztem, beflecktem Habit herum, lag im Hofe auf allen Vieren und besserte, den Klempner zu sparen, eigenhändig den Gulli aus. Lebte in ständigem Kleinkrieg mit den Mietern, weil immerzu der Zins gesteigerter und nichts im Hause erneuert wurde, ehe nicht der Fall unhaltbar war und die Baupolizei ein Machtwort sprach. Und sie genierte sich nicht, bei Tageslicht mitten auf dem Wege eine weggeworfene Zigarettenschachtel oder ein Stück Packpapier aufzuheben, war doch alles irgendwie zu verwerten und durfte nicht umkommen.

Ihre Tochter Elfriede aber schämte sich der Mutter und wurde in allem ihr entschiedner Widerpart.

Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen

Подняться наверх