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Eine Totenfeier

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11. Juni 1915

eute sah ich in Douai die Bestattung eines Majors. Er war bei den Kämpfen vor Arras schwer verwundet worden und im Lazarett gestorben.

Das höre ich, als der Zug die schmale Hauptstraße der Stadt kreuzt, aus dem Gespräch zweier Soldaten. In langsamem Schritt marschiert die Regimentskapelle voran. Der Trauermarsch Chopins, der schon so viele Helden ins Grab gesungen, klagt durch die Gassen. Der offene schwarze Wagen folgt, silbergeschmückt, und trägt den Sarg. Auf dem Kutschbock ein Alter von waschecht französischem Typus, mit martialischem Gallifet-Schnauzbart. Die Pferde nicken; sie kennen den Weg von so manchem Tage, da sie einen der Honoratioren von Douai hinauszogen in den reichbestandenen Garten, aus dessen Bezirk keiner je wiederkehrte. Hinter dem Wagen zwei Feldprediger mit der violetten Binde und dem Schutztruppenhut, und zwischen ihnen ein schlank aufgeschossener Knabe von knapp sechzehn Jahren etwa, im Zivilanzug, der junge Sohn des Abgeschiedenen. Eine Schar Offiziere folgt, zwei Generale an der Spitze. Und schließlich, langsam fahrend, ein Automobil, darin neben dem Obersten eine Frau in Trauerkleidung. Mit starren, erloschenen Augen sitzt sie da und blickt wie in schwerem Traume in die fremde Umgebung. Dieser leere, über alles Leid des Individuums hinweggetragene, zu fernen Ufern der Ewigkeit schweifende Blick greift mir ins Herz. Unwillkürlich folge ich dem Zuge.

Ich habe den Toten nicht gekannt. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt. „Ein Major“ — mehr weiß ich nicht. Aber mir ist, als ziehe hier im greifbaren Symbol das Schicksal vorüber, dass unser Volk jetzt seine Grausamkeit fühlen lässt. Als sei in diesem Knaben, in dieser unglücklichen Frau, die nicht klagen, der Schmerz von Hunderttausenden körperhaft geworden.

Die Bevölkerung von Douai tritt an Fenster und Türen und sieht dem ernsten Schauspiel zu. Vor einem Bürgerhause steht eine ältere Frau mit ihrer Tochter. Als der Leichenwagen vorbeirollt, zieht sich eine böse Falte über ihre Stirn. Das ist kein guter Gedanke, kein frommer Wunsch, der ihr jetzt durch den Kopf spukt. Aber als sie der Witwe im langsam fahrenden Auto ansichtig wird, greift sie den Arm der Tochter, schüttelt ergriffen das Haupt, die böse Falte auf der Stirn ist verschwunden, und Tränen steigen ihr in die Augen.

Am schweren alten Festungsgemäuer der Porte de Valenciennes vorüber geht der Zug. über den Kanal, der, ganz flandrisch-holländisch, Douai an ein großes Netz künstlicher Wasserstraßen anschließt und sich zwischen ulmenbestandenen Böschungen schnurgerade durchs Land zieht. Dann biegen die Musiker in das Friedhofsportal ein und lassen, tief erschütternd, das Lied vom guten Kameraden in langsam gedehnten Trauermarsch-Rhythmen erklingen. Zwischen den Grabsteinen der französischen Familien erhebt sich ein Denkmal der Männer von Douai, die 1870 fielen. Gleich daneben ist ein Grabhügel aufgewühlt, sein eisernes Gitter zersprengt, seine Steintafel zertrümmert: eine Fliegerbombe hat hier kürzlich eingeschlagen. Ob der französische Bombenwerfer weiß, dass er damit nur das Skelett eines toten Landsmannes getroffen hat?

Nicht weit davon wird haltgemacht. Der Prediger spricht ein paar Worte und betet das Vaterunser. Der Wind verschluckt seine Stimme; nur den einen Satz weht er zu mir herüber: „Und erlöse uns von dem Übel!“ Blumen aber haben das Schlusswort. Eine Ordonnanz trägt einen großen Korb mit herrlichsten Rosen heran, und statt der Handvoll Erde werfen nun alle dem Vollendeten die dunkelglühenden, blassen und gelben Blüten ins Grab auf fremder Erde. Alles bleibt in gehaltenem Ernst, die Offiziere, die sich wohl fragen: Wer von uns wird der nächste sein? — und die Frau in dunklem Trauerkleide, die als einziges weibliches Wesen in der Männergesellschaft steht, und deren Augen nicht mehr weinen können. Denn in jeden Menschen geht nur ein bestimmtes Maß von Tränen hinein. Mir aber stehen die Augen voll Wasser. Hinter dieser Grube, über die hin jetzt die Ehrensalven in die Luft knattern, breitet sich das Leid eines ganzen Landes, einer ganzen Nation aus. Aus diesen Gesichtern, die innere Bewegung zu beherrschen gewöhnt sind, glüht die todverachtende Entschlossenheit der deutschen Heere. Alles geht knapp und korrekt, soldatisch vor sich. Man macht keine unnützen Worte.

Die Ehrenkompagnie zieht ab. Die Musik setzt sich an ihre Spitze, und nach alter Preußensitte ertönt ein frischer Marsch. Der Hohenfriedberger schmettert siegesfroh in die französische Landschaft hinaus, während vom Schlachtfelde bei Arras ferner Kanonendonner herüberpoltert. Auf der Grand‘ Place in Douai wird hakigemacht und die deutsche Hymne gespielt, als wenn sie sagen wollte: Alles Einzelschicksal ist gleichgültig — auf Deutschland kommt es an.

Mir aber will der Satz nicht aus dem Kopfe, den der Wind mir vom Grabe herüberwehte:

„Und erlöse uns von dem Übel. . .“

Drei Straßen des Krieges

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