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Zwischen Lille und Arras

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8. Juni 1915

s hilft ihnen nichts: sie kommen nicht durch! Der Frühsommer sollte die Befreiung bringen — er hat sie abermals genarrt. Gerade der Mai, den sie als Wonnemonat herbeisehnten, hat ihnen alle Hoffnungen in Scherben geschlagen.

Wenn der Deutsche im Osten mit seinem Bundesgenossen wie sausender Sturmwind vorbrach — sollte es da wirklich unmöglich sein, die halbe Macht, die er für den Westen zur Verfügung hat, zur selben Zeit zu zerreißen?

Sie wollten‘s nicht glauben. Bissen die Zähne aufeinander. Sammelten alle Machtmittel. Um wieder und wieder zu erkennen: es ist unmöglich. Wenn irgendein Zeitabschnitt seit Beginn des Krieges unsern Siegerglauben zur Gewissheit steigern durfte, so waren es die Wochen, die hinter uns liegen . . .

Die deutsche Front zieht sich auch da, wo sie Belgien verlässt und, unmittelbar östlich von Armentiéres, ins französische Gebiet einschneidet, in der Nord—Süd-Linie weiter, die, von allerlei Wellen und Ausbuchtungen unterbrochen, im Ganzen von Westende bis Noyon läuft — dem Punkte, wo sie Paris am nächsten ist —, um dann erst nach Südosten abzubiegen. Die erste Strecke der feindlichen Stellungen auf französischem Boden (von Norden gerechnet) ist die, die von Armentiéres über den Streifen östlich Béthune bis Arras läuft, und diese Strecke im Artois, namentlich die Gegend südwestlich von Lille und nördlich Arras, empfahl sich vor allen andern für den geplanten Durchbruch durch die deutschen Heeresmauern. Denn hier hatte der Feind ein Gelände von willkommener Übersichtlichkeit vor sich, das eine einheitliche Ansehung und Leitung des gewaltigen Angriffs begünstigte, den er unternehmen wollte. Hier kämpften Franzosen und Engländer gemeinsam. Wenn irgendwo ein Erfolg erhofft werden durfte, so war es hier.

Aus dem Armeebefehl Joffres, der inzwischen bekannt geworden, ging denn auch hervor, dass es diesmal aufs Ganze gehen sollte. Ebenso ist aus den Auszeichnungen gefangener und gefallener französischer Offiziere deutlich zu erkennen, dass die Truppe sich der Bedeutung der Aufgabe wohlbewusst war. In dem riesenhaften Kriegsschauspiel, das nun fast schon ein Jahr lang an unsern armen Augen vorüberzieht, reifte ein Augenblick höchster dramatischer Spannung heran. Gelang der feindliche Plan, so hätte eine Aufrollung der ganzen deutschen Front die Folge bilden, hätten sich Ergebnisse von unabsehbarer Tragweite einstellen können. Es ging hart auf hart. Eine Schlacht von ungeheurem Ernst begann — und endete mit einem völligen Scheitern der Absichten des Feindes. Das ist der Sinn der Kämpfe bei Arras; so sind sie zu würdigen.

Gleich südwestlich der Loretto-Höhe liegen die Orte Ablain und Carency. Hier setzte am 9. Mai der Hauptstoß des großartig geplanten, mit umfassender Sorgfalt vorbereiteten französisch-englischen Angriffs ein, der sich im Ganzen gegen eine Front von vierundzwanzig Kilometern richtete.

Schon vier Tage vorher begann die französische Artillerie ihre Einleitungsarbeit. Mit kaum glaublicher Munitionsverschwendung beschoss sie ohne Unterlass die deutschen Stellungen. Am 9. Mai selbst machte dann wildes Trommelfeuer das dröhnende Präludium. Aber unsere Leute hielten diesem Hagel der Geschosse unerschüttert stand, und als nun die französische Infanterie den Sturm begann, ward sie von ungebrochenem Kampfesmut empfangen. Gewaltige Mengen sollten den Durchbruch erzwingen. Zahlreiche Armeekorps rasten heran — und zersplitterten im Feuer der deutschen Maschinengewehre, für die gerade die gedrängten Massen des Feindes ein willkommenes Zielobjekt bildeten. So brach sich die Sturzwelle bald in dem von den Unsern besetzten Orte Neuville (zwischen Arras und Carency gelegen). Nur an wenigen Stellen gelangten die Franzosen wirklich bis in unsere Schützengräben, und an einer völlig zerschossenen Stellung, bei La Targette (südöstlich Carency), konnten sie festen Fuß fassen.

Man weiß aus den Berichten des Generalstabs, dass der Feind bei den Angriffen der nächsten Tage und Wochen noch einige weitere kleine Erfolge buchen konnte. An drei Stellen: bei Carency selbst, bei Ablain (nordwestlich davon) und auf der Loretto-Höhe konnte er sich festsetzen. Hiermit aber — „war Schluss“. Inzwischen war es der Organisationskraft unserer Heeresleitung gelungen, in kurzer Zeit so viel Verstärkungen heranzuziehen, dass jedem Versuch zu weiterem Vordringen eine eiserne Mauer entgegengesetzt war. Dennoch wollte der Gegner seinen Plan noch nicht ohne weiteres aufgeben. Man findet nicht so schnell den Entschluss, eine groß angelegte Aktion abzubrechen, ihre Hoffnungslosigkeit sich selbst und dem Feinde einzugestehen.

So blieben die mörderischen Kämpfe ununterbrochen weiter im Gange. Man zählt bis heute nicht weniger als achtundvierzig Angriffe, in denen die Franzosen seit dem Beginn der Operationen vorzubrechen suchten. Achtmal ging es dabei gegen größere Frontstrecken; sonst wurden Einzelziele ins Auge gefasst, um, wenn nicht durchzubrechen, wenigstens durchzubohren. Keine Möglichkeit wurde außer Acht gelassen. Auch die Methoden wurden gewechselt. Während sonst heftige Artillerievorspiele den nahenden Sturm ankündigten, wurde am 12. Mai der Angriff ohne solche brüllenden Prologklänge unternommen. Aber die Unseren waren auf dem Posten und ließen sich nicht überraschen.

Ein besonders heftiger neuer Schlag war dann zum Pfingstsonntag ins Auge gefasst. Vielleicht dachte man wieder, der deutschen Sentimentalität am hohen Feiertage ein Schnippchen schlagen zu können. Aber just am Pfingstsonnabend hatten die deutschen Truppen ebendort, bei Ecurie (südlich von Neuville), einen Gegenstoß gemacht, ein paar Gräben genommen und ihre Stellung verbessern können. So war die französische Artillerie, die einen Tag früher zum Kampfe herausgelockt war, als sie wollte, im entscheidenden Augenblick am Sonntag geschwächt. Wieder half es nichts. Es ward ihnen ein rotes Pfingsten beschieden. Mit blutigen Köpfen wurden sie heimgeschickt und da, wo sie ein wenig weiter vorgedrungen waren, mit Handgranaten wieder vertrieben.

So geht es nun schon Wochen hindurch. An vielen Stellen setzten die neuen verzweifelten Versuche des Feindes an. An der Straße von Bethune nach Lens. Weiter südlich bei Aix Roulette. Dann immer aufs Neue in der heißumstrittenen Ecke um Main und auf der Loretto-Höhe, vor Souchez und bei Neuville. Schließlich bei Ecurie und, noch südlicher, an einer Stelle zwischen Roclincourt und Arras. Und der Erfolg? Bis auf unbedeutende Kleinigkeiten nichts als — enorme Verluste. Wofür? Für nichts! Denn von der Denkbarkeit eines wirklichen Durchbruchs kann jetzt erst recht keine Rede mehr sein.

Aber vielleicht haben die Engländer mehr Aussichten? Sie haben den Angriff vom 9. Mai durch eine gleichzeitige Aktion zu unterstützen versucht. Weiter nördlich, bei La Quinque Rue (nahe bei Neuve Chapelle und Richebourg), brachen sie um fünf Uhr morgens vor. In drei Linien wollten sie den Deutschen zu Leibe gehen. Aber als die erste zurückgeschlagen war und die zweite sich nicht recht an das schwierige Geschäft traute, musste gleich die dritte heran — es waren schottische Elitetruppen —, um eine schwere Niederlage zu erleiden! Namentlich das ausgezeichnete Blackwatch-Regiment wurde fast aufgerieben; es soll achthundert Tote gehabt haben, von den Verwundeten zu schweigen.

„Immer müssen die Schotten dran!“ sagte ein Gefangener mit verhaltenem Ingrimm, „die Schotten und die Iren!“ Die Engländer selbst scheinen sich gern zurückzuhalten, solange es geht. Sie schonen sich.

So endete nach einer Stunde, um sechs Uhr früh am 9. Mai dieser britische Parallel-Durchbruchsversuch, der den Franzosen allerdings nicht viel nützen konnte. Die Herren Vettern sind seitdem noch weniger erfolgreich gewesen. Sie überlassen es offenbar ihren Alliierten, die blutigen Lorbeeren — nicht zu pflücken.

Das ist der Stand der Dinge „zwischen Arras und Lille“. Die deutsche Front ist festgefügt wie nur zuvor. Die Stoßkraft des Feindes ist gebrochen. Auch seine Flieger wagen sich nicht mehr so weit vor wie in den letzten Wochen, nachdem es den Unseren gelang, mehrere der kecken Vögel herab zu holen. Hinter der deutschen Feuerlinie aber steht ein so bedeutendes Aufgebot von Truppen bereit, dass jede Aussicht der Franzosen, unsere Front doch noch aufzurollen, geschwunden ist.

Man stelle sich etwa vor, die Ostpreußen führten gegen die Westpreußen, die Pommern und die Brandenburger Krieg, und wären dabei so weit vorgerückt, dass sie mitten in der Mark ständen und in Berlin die ganze Friedrichstraße hielten. Was wäre nun gewonnen, wenn man sie im Zuge der Jäger- und Zimmerstraße bis zur Charlottenstraße nach Osten zurückgedrängt hätte? Genau so hat man sich die Teilerfolge der Franzosen bei Ablain, bei Carency und der Loretto-Höhe zu denken. Sie mindern nicht unsere Position in Feindesland. Sie haben vielleicht dem Gegner ein paar Quadratkilometer Geländegewinn gebracht, was nicht einmal gegen die Quadratmeilen in Betracht kommt, die wir zu gleicher Zeit bei Ypern vorwärts kamen. Weiter nichts. Gewiss, auch wir haben schwere Verluste an braven Kämpfern gehabt. Aber die Frühjahrsoffensive der Feinde, so tapfer und zähe sie begonnen und geführt wurde, ist gescheitert. Eisenfest und undurchdringlich steht die deutsche Vorhut bei Arras und verteidigt Deutschland — in Frankreich. Wer gegen sie anstürmt, stößt sich den Schädel ein.

Drei Straßen des Krieges

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