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Augen, die das Grauen gesehen

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Im Januar 1916

aran erkennt man sie, die nun seit Jahr und Tag in der vordersten Linie stehen: an den Augen. An diesem Blick, der so viel Ungeheures, Grässliches gesehen, in so viel Abgründe getaucht ist, dass ein Widerschein davon unverwischbar in ihm haften blieb.

An der Front selbst merkt man das nicht. Da ist die Anspannung zu groß. Jede Stunde stellt ihre Forderungen, die erfüllt sein wollen. Jede Minute verlangt wache Aufmerksamkeit. Es ist wie ein dauerndes Fieber, das die Temperatur des Blutes erhöht, Geist und Körper in einen übernormalen Zustand versetzt. Je ernster es wird, umso mehr steigert jeder sich selbst. Steigert sich zu einer absoluten Selbstbeherrschung, die sich nach außen dadurch kundgibt, dass alle, Offiziere wie Mannschaften, was auch geschehen mag, scheinbar unberührt bleiben und aussehen wie in früherer Zeit.

Aber wenn sie dann einmal aus der Kampflinie herauskommen, wenn die Entspannung eintritt, merkt man's mit Schrecken und Ehrfurcht. Dann sinken ihre Augen tiefer in die Höhlen zurück, und um sie schwebt ein Flor. Schatten des Todes, die hundertmal, tausendmal darüber huschten, haben sie getrübt. Etwas wie steinerne Trauer starrt heraus, ein Fernsein, Gelöstsein, etwas Fremdes, das vom andern Ufer stammt. Der ganze Ausdruck des Gesichts ändert sich.

So kam es, dass ich den Major im ersten Augenblick gar nicht erkannte, als ich ihm auf der Straße 5ö begegnete. Damals, im Sommer, da ich in Souchez an der Loretto-Höhe mit ihm zusammentraf, war er in schwerster, ernstester Kriegsarbeit. Es waren die blutigen Wochen der ersten Arras-Schlacht. Das Bild, das ich seitdem von ihm in der Erinnerung trug, stimmte nicht mehr. Er sah nun ganz anders aus. Aber er war weder verwundet worden noch krank gewesen. Nur eine lästige Halsaffektion hatte er sich zugezogen, die er jetzt im Lazarett der kleinen französischen Stadt behandeln ließ. Vierzehn Tage war er hier. Und diese Entfernung von der Front, dieser Aufenthalt in der Etappe war es, der die schlummernde Veränderung hervortreten ließ.

Wir gingen in ein Restaurant und tranken ein Glas Bier. Als wir anstießen und ich ihm in die Augen sah, überschauerte es mich. Ein Wissen von unendlichem Grauen blickte mich an. Furchtbare seelische Erschütterungen und Erregungen, unübersehbar an Zahl, hatten sich da zusammengeballt und zu ergreifender Ruhe abgeklärt. Das Antlitz schien das Lachen verlernt zu haben. Ich fühlte: dieser Mensch befand sich jenseits aller kleinen Lebensdinge, weil er in endlosen Monaten vor der größte n und einfachsten Schicksals- Alternative gestanden hatte. Die fest aufeinandergepressten Lippen blieben eine Weile stumm. Doch mir war, als sagten sie: Bis jetzt lebe ich noch — wunderbar genug; aber wie lange werde ich noch weiter leben?

Dann aber fing er doch an zu sprechen und zu erzählen. . . . . . . .

„Ich bin jetzt zu einem andern Regiment kommandiert und liege bei Tahure in der Champagne. Vorher war ich kurze Zeit vor Auberive. Auch eine schöne Gegend. Ich kam gerade Anfang Oktober hin, als die Offensive der Franzosen noch in vollem Gange war. Früh um sieben Uhr rückten wir in Stellung und bis zum Mittag hatten wir vier Angriffe auszuhalten.

„Na, ich war ja an solche Scherze gewöhnt. Von Loretto her. Damals, als Sie dort waren und ich das Bataillon führte, war es ja schauderhaft genug. Eine tolle Zeit war das. Zwei Kompagnien hatte ich immer oben und zwei in Souchez in Reserve. In Souchez gab es ja damals noch hier und dort ein Haus mit einem Dach. Sogar ein Bett hatte ich da. Und sogar zwei Kanarienvögel in meinem Zimmer. Die werden wohl auch nicht mehr trillern.

„Nein, wenn ich an diesen Weg hinauf und hinunter denke, den ich wohl fünfhundertmal gemacht habe! Jedes Mal durch gräulichstes Feuer. Jedes Mal in unaufhörlicher Lebensgefahr. Man merkt es ja schließlich kaum mehr. Es ist dann alles Wurst. Man bückt sich überhaupt nicht mehr, wenn die eisernen Vögelchen zwitschern. Man hat ja auch bald heraus, dass sie, wenn man sie zwitschern hört, schon längst vorbei sind. Aber man muss doch harte Nerven haben, das kann ich Ihnen sagen, um da so lange auszuhaken.

„Und was waren das für Wege! Die Gräben voll Wasser. Die Straßen von Tausenden von Granattrichtern aufgewühlt. In jedem hatte sich eine zähe Schlammmasse angesammelt. Wie viel Stiefel darin stecken geblieben sind, weiß der Himmel. Die armen Kerls, die da fortwährend hinauf und herunter mussten! Jeder Balken und jeder Sandsack, jedes einzelne Stück zum Bau der Unterstände musste so herangeschleppt werden. Auch das Essen musste geholt werden, morgens und abends; denn die Feldküchen konnten nicht sehr nahe an die Stellungen heranfahren. Dass wir das alles ausgehalten haben, dass ich dabei immer ungerupft davonkam — es ist ein Wunder Gottes.

„Oben war dann der Steilhang. Da war man einigermaßen in Sicherheit, weil die feindlichen Geschosse darüber wegflogen. Da hatte ich mir dann unter unsäglichen Mühen einen Unterstand gebaut. Herr des Himmels, war das eine Arbeit! Aber es ging doch. Und wurde ganz gemütlich. Ich hatte sogar einen Garten vor der Tür! Ja, da staunen Sie! Er war ja nicht groß, der Garten. Wenn man‘s recht besah, war es eigentlich nur eine Kiste. Aber wissen Sie, was darin war? Blühende Schneeglöckchen! Im Winter! Nein, das war eine rührende Geschichte. Ich hatte einmal den Wunsch ausgesprochen, Blumen vor dem Unterstand zu haben. Und da kommt am Morgen von Kaisers Geburtstag im vorigen Jahre ein Motorradler und bringt mir ein ganzes Bündel Schneeglöckchen. Zwanzig Kilometer weit hatte der Bursche herumgesucht. Und bringt mir‘s nun. Gerade an Kaisers Geburtstag.

„Man musste freilich ein Auge auf die Sache haben. Jedes Mal, wenn eine dicke Granate angereist kam, habe ich den Garten — in den Unterstand getragen. Wenn das Wetter dann wieder schön war, habe ich ihn wieder hinausgesetzt. Aber ich sage immer zu meine n Leuten: Mit Lust und Liebe und Zähigkeit kann man sich auch in den schwierigsten Verhältnissen zurechtfinden und sich sogar ein Stück Heimat schaffen.

„Weiter westlich war es weniger gemütlich. Da ist der arme kleine Leutnant L. von einer Granate zerrissen worden. Kannten Sie ihn nicht? Ein so lieber Junge! Mit einer Laune, die uns in ekligen Situationen oft eine Erlösung war. Einmal hatten wir grässliches Trommelfeuer auszuhalten. Alle Kaliber durcheinander, auch von der Flanke herein. Dazu die verfluchten ‚Konservenbüchsen‘ der kleinen Minen. Es war unmenschlich und unsere Stimmung nicht sehr rosig. Auf einmal, als ein schweres Vieh gleich neben uns mit scheußlichem Gebrüll krepierte, sagt L.: Meine Herren, Frankreich verliert an Reiz‘ — und wir mussten lachen und hatten im Nu unsere Nerven wieder beisammen. Solch einen Jungen musste ich verlieren! Das war ein großer Schmerz. Aber ich sage Ihnen, die Granate hatte ihn so entsetzlich gefasst, dass überhaupt nichts mehr von ihm übrig blieb.

„Oh — man muss schon die Zähne zusammenbeißen. Bilder habe ich gesehen — damals, als das dicke Schiffsgeschütz von Bethune her auf uns schoss und unsern kleinen Friedhof traf aber ich will Ihnen nicht das Glas Bier ganz verderben, das ohnehin schlecht genug schmeckt.“

Wie um sich die Erinnerung fortzuspülen, nahm er einen tiefen Schluck.

„Hier in der Stadt kann ich‘s aber gar nicht aushalten. Wissen Sie, was ich hier habe? Richtige Sehnsucht nach meinen Kerls. Heimweh könnte ich es nennen. Klingt blödsinnig, was: Heimweh nach Tahure! — — Na, in drei Tagen geht es wieder 'raus. Prosit also! Wollen anstoßen darauf, dass wir uns noch einmal wiedersehen. Ist ja immerhin möglich. . .“

Und korrekt hoben wir das Glas, tranken aus und sahen uns an. Da war er wieder — der ferne, dunkle, rätselhafte Blick in seinem Auge. Es kroch mir über den Rücken: dieser Mann hat die Fratze der Medusa gesehen.

Drei Straßen des Krieges

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