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Das Museum der Pioniere

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Im Juni 1915

ie deutsche Ordnung zählt zu den Eigenschaften, die unsere Feinde am wenigsten an uns leiden mögen. Dieser Sinn für das Korrekte, Pünktliche und Saubere ist ihnen unheimlich. Sie könnten ihn bewundern. Aber es ist bequemer, ihn zu hassen, ihn als Zeichen der „Versklavung“ hinzustellen.

Auch wir lächeln wohl mitunter, wenn der fanatische Ordnungstrieb sich in sonderbaren und fast drollige n Einzelzügen offenbart. Aber wir wissen schon, wie das zu deuten ist. Als ich zum ersten Male sah, wie auf einer Eisenbahnstrecke in Feindesland, die von den Unseren neu in Betrieb gesetzt wurde, ein Bahnbeamter eifrig damit beschäftigt war, das Unkraut zwischen den Gleisen auszujäten und den Wiesenrand zur Seite mit dem Spaten abzustechen, fragte ich mich: „Hätte der Mann nicht vielleicht doch Wichtigeres zu tun?“ Aber dann erwog ich: wenn die Leute nicht so erzogen wären, würde wahrscheinlich auch der Zug nicht so peinlich auf die Minute abgehen, würden die Räder des Verkehrs nicht so erstaunlich ineinandergreifen. Als ich zuerst in Schützengräben unmittelbar vorm Feinde, wo es jede Sekunde um Hals und Kopf geht, — Papierkörbe entdeckte, schüttelte ich den Kopf; um alsbald zu begreifen, dass erst derartige Überspitzungen des Ordnungsgedankens den Aufenthalt in der Erdhöhle möglich und menschenwürdig machen, ihr einen Anflug von Wohnlichkeit sichern.

Zu den merkwürdigsten Kindern dieses deutschen Triebes gehört ein Pioniermuseum, das man im Artois finden kann. Ganz nahe am Feinde, im Bereich der französischen Artillerie, in einem Orte, um und in den täglich die Granaten heulen. Nicht von ungefähr trägt es seinen Namen: es ist wirklich ein Museum. Im Zeichensaal und in mehreren Klassenzimmern einer Schule ist es aufgebaut. An den Wänden und auf Tischen in der Mitte der Räume sind seine „Sammlungen“ übersichtlich angeordnet, sinnvoll gruppiert, mit sauberen, deutlich und schön in Rundschrift geschriebenen Etiketts versehen, die Nam' und Art des „Museumsstücks“ verraten und seine Verwendung knapp erklären. Alles blitzt von Akkuratesse. Die meisten Dinge sind in Originalgröße aufgestellt. War das unmöglich, so wurden verkleinerte Modelle und Nachbildungen hergerichtet, natürlich mit genauer Angabe des Größenverhältnisses zum Original.:

Es ist eine Art Schreckenskammer. Was der Erfindungsgeist des Menschen ersonnen, um andere Menschen, einzeln oder in größerer Zahl — in möglichst großer Zahl — um die Ecke zu bringen, wird sachlich, freundlich und propper vorgeführt. Abgesehen natürlich vom rein Artilleristischen. Willst du Kenner in Handgranaten werden? Bitte sich hierher in die Ecke zu bemühen. Da liegen die verschiedenen Sorten appetitlich aufgereiht, die Stielgranaten, die der Soldat wie Thor den Hammer schleudert, und die Diskusarten, die ähnlich wie bei „Sauball“-Spiel geworfen werden. Willst du die verschiedenen Arten von Wurfminen studieren? Hier sind sie. Dazu die Maschinen zum Losschnellen aller dieser furchtbaren Nahkampfwaffen? Bitte gleich nebenan. Wobei du zugleich lernst, dass einige davon in direkter Linie von den römischen Katapulten abstammen.

Empfehlenswert ist auch ein Anschauungsunterricht in Fliegergranaten. Dort drüben sind sie in langen Serien zur Stelle: die beinahe „niedlichen“, kleinen mit dem beschwerten Schürzchen, das die Zielrichtung sichert und dabei fast kokett aussieht; die größeren mit ihre n Eisenflossen; die ganz dicken in ihrer kunstvoll geflochtenen Korbhülle. Sie stehen, mit sämtlichen Varianten, so unschuldig und einladend da, wie die Figürchen und Gruppen aus Meißener, Berliner, Frankentaler Porzellan in einem Kunstgewerbe-Museum. Willst du aber Spezialist für Zündschnüre und Schießbaumwolle werden, so kannst du auch das leicht erreichen. Dann folgen andere „Museums-Abteilungen“. Die für Hindernisse, als da sind Spanische Reiter — man denkt an die Folterkammer von Regensburg mit ihrem „Spanischen Esel“ —, Stacheldrahtzäune, Verhaue aller Art. Die für den Bau von Unterständen — wobei Modelle und Zeichnungen die mannigfachen Systeme angeben. Die für Sandsäcke und Holzlagen, für Schützengräben und Hochstände, für Wolfsgruben und Brustwehren.

Bei diesen Schutzwehren aber hat der „Herr Direktor“ sich nicht damit begnügt, die eingeführten und vorgeschlagenen Sorten in Proben vollzählig zu versammeln: die einzelnen Exemplare weisen vielmehr durch Schießlöcher und exakte Mitteilungen über die Umstände, unter denen die praktischen Versuche stattfanden, Proben ihrer Leistungsfähigkeit auf. Auch feindliche Instrumente sind zur Hand und zeigen ihre Kraft. So kannst du vergleichende Forschungen anstellen und dich dann entscheiden, was du wählen willst.

Denn das Institut ist nicht nur ein Museum, sondern auch ein Engroslager, eine Ausstellung für Reflektanten sozusagen. Es hat einen doppelten Zweck. Einmal einen instruktiven. Für Offiziersaspiranten und für die Mannschaften, die „approbierte Pioniere“ werden wollen, werden hier Kurse veranstaltet. Und anderseits erscheinen hier Kommandeure von Truppenteilen oder von ihnen Abgesandte, die sich die wohlassortierte Auswahl ansehen und danach ihre „Aufträge“ geben, ihre Bestellungen, die unverzüglich „geliefert“ werden müssen. Wer mit solcher Absicht kommt, den werden auch die graphischen Darstellungen interessieren, die sich in einem Nebenraum befinden und, mit klar gezogenen Kurven und Linien, über die bisher erfolgten Lieferungen von Sandsäcken, Handgranaten, Lattenrosten und dergleichen Auskunft geben. Es bedarf keines besonderen Hinweises, wie sehr diese Übersicht die Arbeit der Besteller erleichtert. Das Ganze beweist an einem bezeichnenden originellen Einzelbeispiel wieder die alles bis ins letzte durchdenkende Sorgfalt der deutschen Heeresorganisation.

Zu dem „Museum“ im französischen Schulhause gehört auch ein Übungsplatz — gleichsam ein „Freilichtmuseum“ als Ergänzung. Da sind Gräben gezogen, Unterstände angelegt, und die Wurftechnik der Schleuderwaffen für den Nahkampf wird hier erprobt. Sachverständige zeigen die Kunstgriffe, die Art der Handhabung, die Vorsichtsmaßregeln, die anzuwenden sind, damit die Geschosse nicht nach rückwärts wirken, oder damit bei unmittelbarer Nähe der feindlichen Gräben keiner der weittragenden Splitter den Schützen selber trifft. Bei der stimmungsvollen Begleitung von Kanonendonner und Fliegerbeschießung wohnte ich einer solchen Vorführung bei. Es war sehr anschaulich. Man sah die Handgranaten sausen und zerplatzen, ihren tausendfachen zerstörenden Inhalt herumspritzen, sah die Minen als dunkle Bälle in hohem Bogen fliegen, niederrasen, explodieren, konnte genau die Wirkung experimentell beobachten. Und man bekam von fern her einen Begriff vom grauenvollen Wüten des Kampfes in den vordersten Reihen beim Nahangriff. Auch in die nahegelegenen Werkstätten konnte ich einen Blick werfen, wo in Mengen hergestellt wird, was das Museum in Mustern darbietet.

Das Pionierhandwerk hat in diesem Kriege eine ganz neue Bedeutung erlangt. Nicht nur der Stellungskampf hob es zu hervorragender Wichtigkeit empor. Auch bei Angriff und Abwehr kam es zu einer Geltung, die es früher nie besaß. So sehr, dass, wie wir eben sahen, die Vertrautheit mit seiner Maschinerie und seinem Betrieb weit über den Kreis seiner zünftigen Bekenner hinaus wünschenswert und notwendig wurde. Die Waffe hat dadurch an Ansehen in hohem Maße noch gewonnen. Man verrät kein Geheimnis, wenn man sagt, dass der Pionier sich früher leicht ein wenig zurückgesetzt fühlte. Das hat gründlich aufgehört. Wie oft haben mich Offiziere gefragt: „Wird nun, wenn einmal Frieden ist, das alles noch in Erinnerung sein? Oder wird es wieder werden wie vorher: dass das Publikum glaubt, wir seien ‚Brückenbauer‘, und dass damit das Interesse für unsere Waffengattung erschöpft ist?“ Ich meinte, ihnen immer aus ehrlicher Überzeugung antworten zu können, dass dies erheblich anders werden, dass das Verständnis für die unentbehrliche, große Arbeit, die hier geleistet wird, wachsen und dass man zu Hause so wenig wie in der Armee jemals wieder vergessen wird, was wir in diesem Kriege der Tüchtigkeit und der Tapferkeit, der Geschicklichkeit, Anpassungsfähigkeit und dem praktischen Erfindungssinne der Pioniere zu danken haben.

Das „Museum“ aus dem Artois aber sollte man nach dem Kriege erhalten und später einmal, zu gegebener Zeit, wenn es keine Geheimnisse mehr auszuplaudern hat, in einer neuen Abteilung des Zeughauses aufbauen. ES würde ein Dokument von geschichtlichem Belang darstellen.

Drei Straßen des Krieges

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