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a) Der sachlich relevante Markt
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Der sachlich relevante Markt bezieht sich auf Waren und gewerbliche Leistungen, die sich aufgrund ihrer Eigenschaften, ihres Verwendungszwecks sowie ihres Preises zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Waren bzw. Dienstleistungen nur in einem geringen Maße austauschbar sind.[11] Maßgeblich für die Austauschbarkeit ist, ob die Produkte aus Sicht der verständigen Marktgegenseite als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet angesehen werden. Abweichende Präferenzen einiger Nachfragegruppen sind dabei unbeachtlich, entscheidend ist vielmehr die Sicht des überwiegenden Teils der Marktgegenseite. Mögliche Nachfragegruppen, auf deren Sichtweise es für die Bestimmung des zu befriedigenden Bedarfs ankommt, können beispielsweise private Verbraucher, gewerbliche Endkunden, Einzelhändler oder Großkunden sein.[12]
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Diese Form der Marktabgrenzung mit Hilfe des sog. Bedarfsmarktkonzepts ist nach Auffassung des BGH lediglich ein Hilfsmittel für die Feststellung, ob ein Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen marktbeherrschend, also keinem oder einem nur unwesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist. Ziel der Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Marktes müsse laut BGH die Ermittlung der Wettbewerbskräfte sein, denen sich die beteiligten Unternehmen zu stellen hätten. Die Marktabgrenzung ermögliche es, die missbräuchliche Ausnutzung nicht hinreichend vom Wettbewerb kontrollierter Handlungsspielräume zulasten Dritter zu unterbinden.[13] Das Bedarfsmarktkonzept ist daher nur als ein Modell zur Abbildung von Märkten anzusehen, welches im Einzelfall stets auf seine Plausibilität hin überprüft werden muss. Vorzunehmen ist eine zweckgebundene Anwendung, die im konkreten Einzelfall die relevanten Wettbewerbskräfte zu ermitteln hat.[14] Insbesondere bedarf das Bedarfsmarktkonzept dann einer Korrektur, wenn das Modell im Einzelfall nicht dazu geeignet ist, die Wettbewerbskräfte, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist, genügend darzustellen, beispielsweise wenn der Warenstrom im Rahmen des Konzepts nicht zutreffend dargestellt wird.[15]
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Zur Feststellung der funktionalen Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen haben sich in Rechtsprechung und Literatur eine Vielzahl von Kriterien entwickelt. Dazu zählen unter anderem die Eigenschaft und Qualität, der Verwendungszweck, die Verfügbarkeit und der Preis.
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Besonderer Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Kreuzpreiselastizität zu. Danach wird eine geringe Preiserhöhung, die zur Wahl eines anderen Produktes führt, als Indiz dafür angesehen, dass beide Produkte dem gleichen Markt zuzuordnen sind. Dabei wird häufig der sog. SSNIP-Test („small but significant non-transitory increase in price“ – Test)[16] angewandt, wonach in die Betrachtung einbezogen wird, was bei einer dauerhaft kleinen, aber unwesentlichen Preiserhöhung bezüglich eines Produkts geschieht. Sofern die Nachfrage auf andere ähnliche Produkte ausweicht und der dadurch eintretende Absatzrückgang beim Ausgangsprodukt nicht mehr erträglich sein würde, werden die Ersatzprodukte in dem Maße in den relevanten Markt einbezogen, bis kleine dauerhafte Erhöhungen der Preise noch Gewinne für das Ausgangsprodukt versprächen.[17]
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In Rechtsprechung und Praxis ist anerkannt, dass es neben Produkt- auch besondere Handelsmärkte gibt, die durch Sortimente gekennzeichnet sind. So wird beispielsweise im Lebensmittelhandel der sachliche Markt als ein „Markt des Sortimentseinzelhandels mit Nahrungs- und Genussmitteln“ („Food“) begriffen, einschließlich der für diesen Bereich typischen Sortimentsteile an Wasch-, Putz-, Reinigungs- und Körperpflegemitteln („Non Food I“), während die nur gelegentlich vertriebenen Produkte des Randsortiments („Non Food II“) nicht hinzugerechnet werden.[18]
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Zusätzlich zur Abgrenzung allein aus Sicht der Nachfrager (sog. „Nachfragersubstitution“) berücksichtigen Kommission und EuGH bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes teilweise auch den potenziellen Wettbewerb auf der Angebotsseite (sog. „Angebotssubstitution“). Dies ist insbesondere in Fällen relevant, in denen potenzielle Wettbewerber in Reaktion auf kleine, dauerhafte Preisänderungen in der Lage sind, ohne großen Aufwand ihre Produktion auf die relevanten Produkte umzustellen und sie ohne spürbare Zusatzkosten kurzfristig auf den Markt zu bringen.[19]