Читать книгу Zwei merkwürdige Todesfälle - Maxi Hill - Страница 6

Ein Jahr zuvor

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Die Tage sind jetzt kurz, die Nächte lang, aber Rita Georgi hat es wie immer nicht eilig, nach Hause zu kommen. Es ist, als ob es die pure Zeitverschwendung wäre, zu Hause bei den Eltern das Abendbrot einzunehmen – seit Jahren stur zur selben Zeit. Schon als Kind predigte Mutter immer: Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss sehen was übrig bleibt. Und in der Tat machte sie bei einer Verspätung keine Anstalten, sich um das leibliche Wohl ihrer undisziplinierten Tochter zu sorgen.

Jetzt ist Rita fünfundzwanzig Jahre alt und hat nicht die Nerven, sich mit diesem spießigen Kram abzugeben. Vor Jahren hatte ihr Vater die Mutter überreden können, das Essen wenigstens aufzuheben, damit das Kind nicht «vom Fleische kommt». Sie sei von Natur aus kein Wonneproppen und mit Schönheit sei sie auch nicht gesegnet, was bei schlechter Ernährung nur noch zu steigern ginge.

Jetzt interessiert es den Vater nicht mehr, was sie treibt, was und wo sie isst, und manchmal glaubt Rita, ein wenig Neid in seinem Blick zu erkennen. Neid auf ihre Freiheit, die sie sich ungeniert nimmt? Mutter Helga aber lässt manchmal erkennen, was Rita mit einem Wort beschreiben könnte, wäre es nicht ihre eigene Mutter: Verachtung. Zumindest spricht sie das Wort Freiheit ganz anders aus, als Vater Rainer. Bei ihr klingt es wie: Frechheit.

Vielleicht ist das der Gang der Zeit? Mutter hat sich tatsächlich einmal sehr viele Mühe gegeben, damit aus dem Kind etwas Ordentliches wird.

Aber nun, wo etwas Ordentliches aus ihr geworden ist, ist es auch nicht recht.

Vielleicht verachtet sie lediglich ihre Nestflucht, mit der Mütter selten zurechtkommen. Dabei wohnt sie ja noch zu Hause, was schließlich die trübe Seite ihres Lebens ausmacht. Was kann sie dafür, dass es abends oft sehr spät wird. Was kann sie dafür, dass niemand Anteil hat an ihrem zweiten Leben, dem heimlichen. Sehr schnell war ihr klar, dass dieses ihre Rettung bedeutet.

Nach dem Studium war kein Reinkommen in einen guten Verlag. Also ging sie als Volontärin zu einem kleinen Wurstblatt, wo ihr Selbstvertrauen nicht eben wuchs.

Inzwischen wächst es. Inzwischen hat sie ein zweites Leben, auch wenn niemand davon weiß – noch nicht. Das erste Leben ist lästig genug. Freilich würde Mutter Helga niemals zugeben, dass sie ihre Tochter verachtet. Sie kann einfach nicht anders, muss immer etwas auszusetzen haben. Ihr Vater schert sich nicht mehr um das dominante Gehabe - was bei einem so stoischen Typ wie ihm lebensrettend sein kann. Es könnte doch sein, dass sich Mutters Enttäuschung über ihren gleichgültigen Ehemann gegen die Tochter äußert. Freilich kann Rita die kleinen Stiche aus Mutters Augen lesen, die offensichtlich einmal in einem schönen Gesicht gefunkelt haben. Das muss Rita zugeben. Natürlich hat sie ihre Mutter geliebt. Natürlich ist die Mutter der wichtigste Mensch im Leben eines Kindes. Aber sie ist eben kein Kind mehr, und es wäre höchste Zeit, ein eigenes Leben zu führen – wären da nicht die vielen unliebsamen Umstände, die mit der Selbstständigkeit einhergehen.

Die Stadt ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Über die kleine Nebenstraße, deren Kopfsteinpflaster mindestens zwei Jahrhundertwenden miterlebt hat, holpern die letzten Autos des Tages. Geschäftsleute, die in der Passage und in den umliegenden Häusern aus der Gründerzeit ihren Arbeitstag verbracht haben. Hin und wieder schweift ein Lichtschein hinauf bis zum Fenster im ersten Stock, wo Rita sitzt und auf den Bildschirm starrt. Vom Rechner fällt bläuliches Licht auf das junge Gesicht unter kurzem, sehr sportlich geschnittenem hellbraunen Haar. Dieses Licht macht sie blass und es nimmt die jugendliche Frische, derer sie sich durchaus bewusst ist, auch wenn sie morgens zuweilen ganz anderer Meinung ist. Ihr Blick in den Spiegel ist an manchen Tagen alles andere als Eitelkeit. Manchmal grenzt er direkt an Mut.

An gewissen Tagen, wenn sie sich abends zuvor nicht lösen konnte von ihrer großen Leidenschaft, dann denkt auch sie bisweilen wehmütig an die mit Make-up bespachtelten Modepüppchen, an blondierte Haare und zwölf verschiedene Töne von Lidschatten. Aber dann gibt es die netten

Momente, wo man ihre Natürlichkeit lobt, ihre Bescheidenheit und ihre Offenherzigkeit. Im Nu ist ihre ungeschminkte Welt wieder in Ordnung.

Die Leidenschaft ihres zweiten Lebens packt sie an diesem Herbstabend schon seit einiger Zeit. Der Kopf ist bereit, nur die Umstände sind es noch nicht. Ein Code schützt aus gutem Grund den wertvollen Text vor unliebsamen Konsequenzen.

Wissen darf ihr Redaktionsleiter nicht, was sie so lange im Büro treibt. Er hätte längst die Dateien ausspähen lassen und wer weiß, was schon passiert wäre.

Nils Hegau schreibt sehr gute Kolumnen. Stets hält er sich kurz und präzise, wenn auch verdammt ketzerisch, wie es seine Lebensart ist. Irgendwann einmal hat er zu Rita gesagt: Wer mehr als zehn Sätze zu einer einzigen Begebenheit formuliert, ist zwanghaft mitteilungsbedürftig und gehört nicht in diese Redaktion.

Genaugenommen ist es ja auch keine Zeitung, für die sie arbeitet. Genaugenommen ist es ein widerliches, mit schlecht gemachten Inseraten vollgestopftes Anzeigenblatt in einer Stadt, in der scheinbar gar nichts passiert. Ausnahmen bilden offenbar nur die zahlenden Werbekunden. Daran ist Nils Hegau nicht schuld. Das ist Heidenreichs Konzept. Verleger Heidenreich ist besser als Hegau. Er kann fein geschliffen austeilen, was seine Anzeigenkunden zweifelsfrei bei der Stange hält. Wer möchte schon Seitenhiebe gegen sich oder gegen seine Firma in Heidenreichs «Wochen Bote» lesen?

Die Macht hat immer der, dem es gelingt, die Kleinen auch klein zu halten. Die Großen meiden das Käseblättchen.

Warum soll sie lamentieren? Auch sie lebt von den Werbekunden, aber glücklich macht sie diese Arbeit nicht.

Ihre Themen sind profane Ereignisse rund um die Kleinunternehmen. Nichts Aufregendes: Geschäftseröffnungen, Firmenjubiläen, Tage der offenen Türen …

Rita hatte sich nach ihrem Volontariat von Heidenreichs Begeisterung anstecken lassen, und heute wechselt sie flugs das Thema, wenn der Chef verächtlich über das führende Blatt der Region redet, das nur deshalb noch am Leben sei, weil ein westdeutscher Konzern dahinterstehe. Wäre sie gleich dorthin gegangen, sähe es mit ihrem Berufsenthusiasmus ganz anders aus.

Noch hält sie still. Sie lässt Heidenreich seinen großen Feind. Jeder Mensch braucht seinen Feind, den er in seinen Träumen umbringen kann. Ohne Feindbild verliert man das heimliche Ziel, es eines Tages allen zu zeigen.

Rita ist tolerant, bleibt gelassen und wartet auf den Moment, wo ein Platz im großen Verlagshaus der «Spree-Rundschau» frei wird. Dafür sorgt gerade ihr guter Freund Mark Hellmann. Wozu hat man Freunde.

Bis dahin stutzt sie ihre Beiträge buchstabengenau auf den im Satzspiegel vorgegebenen Platz und sie ordnet sich ein im weiten Feld des Anzeigenfriedhofs.

Es macht ihr momentan auch nicht so wahnsinnig viel aus, genaugenommen könnte sie es als Glücksumstand betrachten. Nirgendwo sonst hätte sie die Gelegenheit, nebenbei an einem Roman zu schreiben. Jetzt hat sie Spaß daran, über ihre Themen so nuanciert zu schreiben, wie die Dinge wirklich sind – nicht reduziert auf eine nüchterne Kernaussage, nicht lobhudelnd auf die Steigeisenhalter der Seilschaften und noch weniger mit verklemmter Zunge.

Inzwischen, seit ihr Erstlingswerk dem Ende zustrebt, ist sie geradezu versessen auf das heimliche Schreiben, auch wenn ihre Mutter hinter ihrer nächtlichen Abwesenheit nichts als Herumtreiberei vermutet.

Der Zugangs-Code ist gesetzt, die Datei öffnet sich und auf dem kleinen Button in der Taskleiste sieht sie, wie der Stift über die Buchseiten flitzt und wie er sich Seite für Seite bis zur Nr. 341 vorarbeitet.

Noch ehe Rita einen Finger auf die erste Taste setzen kann, noch ehe sie den ersten Satz in ihrem Kopf ausformuliert hat, hört sie ein Geräusch. Rita lauscht angestrengt. Heute scheint das Haus noch nicht leer zu sein, wie gewöhnlich zu dieser Zeit. Gut ist das nicht.

In der letzten Nacht war ihr eine Formulierung eingefallen, die wie ein Hammerschlag das beschämende Geschehen in ihrem Roman in jene dunklen Farben färbt, die dem Geschehen zustehen. Sie darf diesen Satz nicht vergessen.

Jemand kommt die Holztreppe herauf gespurtet und reißt die Tür zum Redaktionszimmer auf. Nils Hegau, der Redaktionsleiter.

»Ich dachte, du bist schon weg …«, stammelt er.

Er habe noch Licht gesehen und geglaubt, sie hätte vergessen, es auszuschalten.

»Ich bin noch nicht senil, Nils Hegau«, sagt sie ebenso irritiert, wie Hegau zu sein scheint. Und weil er nichts erwidert, schiebt sie schnell noch ein paar Worte nach, nur um ihn davon abzuhalten, einen Schritt näher zu kommen. Er würde entsetzt auf ihren Bildschirm glotzen. »Warum sollte ich schon weg sein? Ich hab weder Kind noch Kegel wie du, und wenn ich Hunger habe, dann geh ich runter zu Beppo und hol mir passend zu meinem Arbeitsplatz `ne Bratwurst oder ein Käsebrot.«

Sie ist nicht die Einzige, die manchmal Wurstblatt sagt oder Käseblättchen. Es gibt auch andere Stimmen ohne böse Absicht. Eigentlich meint es niemand böse. Eigentlich sind sie alle sogar eine verschworene Gemeinschaft, die Anrainer in dieser Straße, zu der die kleine Passage gehört, wo auch Beppo sein Bistro «Oberdeck» betreibt. Freilich liegt dieser scheinbare Zusammenhalt an Heidenreich. Wer sonst könnte diesen Sog erzeugen – indirekt, aber wirkungsvoll – sich vereint zu zeigen gegen alle Kritiker.

Wie Nils Hegau so im Halbdunkel des Raumes im Türrahmen steht, fast verlegen und dennoch in lässiger Pose, muss sie ihn nicht mehr anschauen. Sie kennt jede Geste an ihm, jeden Blick und sogar den Takt seines Wimpernschlages könnte sie blind vorhersagen. Das verräterische Spiel seiner Spiegelneuronen hat sie ausgiebig studiert. Rita weiß längst, dass Nils Hegau kein Weiberheld ist, aber mit den Augen zieht er die Frauen komplett aus. Es gab durchaus schon Momente, da fand sie ihn verlockend. Doch einmal war das Wort gefallen, das sie angewidert hat: Kopulationsrückstau. Seinen zu verringern, will sie nicht mithelfen. Und heute schon gar nicht. Sie sitzt ja nicht von ungefähr noch in der Redaktion. Zu Hause ist nicht der rechte Ort für nächtliches Arbeiten. Außerdem hätte Mutter Helga keinen Grund mehr, ihre Tochter als Herumtreiberin zu bezeichnen. Rita grinst in sich hinein.

»He, bist du noch anwesend?«, hört sie Nils fragen.

Tatsächlich, sie hat ihn mental ignoriert, und sie ist ziemlich sicher, körperlich auch. Wenn sie ihn einmal nicht ignorieren sollte, dann, um seiner aufgebrezelten Madam zu beweisen, dass es bei einer Frau weder auf Make-up ankommt, noch auf Blondierungsmittel und Styling, wenn man einen Mann um den Verstand bringen will.

Warum ist sie in Anwesenheit eines solchen Mannes mental anderswo? Sie ist oft anderswo als ihr Körper. In letzter Zeit mehr als jemals zuvor.

Warum ist der Blödmann auch verheiratet? Warum sind Fred und Ralf und Lisa verheiratet. Die glauben doch nicht im Ernst, dass man heiratet, weil man sich liebt? Lieben kann man auch ohne Trauschein, aber umgekehrt ist es einfach saublöd. Ihr Herz ist viel zu empfindsam, um sich noch einmal richtig zu verlieben und irgendwann ernüchtert aus dem Traum zu erwachen: Schade … wir hätten es beide wissen müssen …nichts fürs Leben…- All diese saublöden Erklärungen gehen ihr durch den Kopf. Nie wieder will sie das hören.

Rita lächelt Nils an, schließt endlich die Datei und fährt den Rechner herunter, weil sie weiß, dieses Computer-Licht macht ihr Gesicht schrecklich fad. Sie gibt ihrer Stimme einen Hauch von Erotik und grinst ihn an:

»Was man sehen kann und anfassen - das hab ich jedenfalls in der Schule so gelernt - das ist auch anwesend.«

Warum soll sie sich nicht räkeln? Warum nicht lächeln? Er sieht gut aus, er hat Konnexion und der Abend ist für ihren ersten Roman ohnehin verdorben.

»Anfassen also …?«, sagt Nils Hegau gedehnt. Aus irgendeinem Grund hat sie sogar eine solche Reaktion erwartet. Vorsichtig und mit großer Zärtlichkeit greift er in ihren Nacken, massiert ihn für einen Moment und lässt seine Hände wie ungefähr nach vorn in ihren Ausschnitt gleiten. Rita hat keine Skrupel. Sie ist ja nicht verheiratet, wie er. Sie ist frei und ihre Libido braucht weder Schwüre noch Versprechen. Eher mal etwas Verrücktes und wenn schon, dann mit ganzem Einsatz.

Sie lässt Nils eine Weile gewähren, bis sie selbst dieses Verlangen spürt, tief in ihr. Sie reizt ihn zum Äußersten – nicht aus Hingabe, nicht aus Liebe. Sie tut es aus Angst vor der Liebe, aus Angst, sich noch einmal beinahe zerstören zu lassen. Ein beringter Vogel, wie er einer ist, fliegt wieder heim in sein Nest.

Sie lässt sich ein in sein verrücktes Spiel mit sämtlichen Teilen des Körpers, in dem gerade tierische Triebe erwachen. Es stört sie nicht. Einen allzu menschlichen Nils könnte sie nicht ertragen. Sollte sie jemals heiraten, dann müsste der Entschluss wie ein Blitz in sie fahren. Nüchtern betrachtet ist es eher amüsant als ermutigend, wenn zwei Menschen per Gesetz verpflichtet sind, miteinander Sex zu haben. Im Tierreich ist das auch nicht so. Seit sie einmal einen Artikel über das Liebesleben der Schmetterlinge schreiben musste, sieht sie sogar den Sex von einer ganz anderen Seite. Von wegen Gene vererben. Es ist nichts als männlicher Trieb, der den Hirsch auf die Kuh springen lässt. Anderenfalls würde er einem Samenschock erliegen. Wenn es immer um die Gene ginge, müsste die ganze maskuline Welt sich viel mehr an der Brutpflege beteiligen. Nicht einmal beim Menschen funktioniert das reibungslos. Bisher kennt sie keinen einzigen Menschen, der bereut hätte, einen ganz bestimmten Sexpartner nicht geheiratet zu haben. Gegenteilige Fälle gibt es wie Sand am Meer

Als sie spät in der Nacht mit wackeligen Knien aus Nils Hegaus Auto steigt und die 152 Stufen zur elterlichen Wohnung im Zentrum der Stadt zu Fuß nach oben stapft – sehr langsam und sehr nachdenklich – geht ihr nicht nur durch den Kopf, wie gut es doch war, an verbotenem Ort zu verbotener Zeit etwas Verbotenes zu tun. Es war genau das Gefühl, das sie an einer Stelle ihres unfertigen Romans nicht zufriedenstellend hatte beschreiben können. In diesem Moment gelingt es ihr und sie reiht Wort an Wort – im Takt der Stufen, die sie unter ihren Füßen spürt – und sie wiederholt Zeile für Zeile, immer wenn sie einen Treppenabsatz erreicht. Sie wird alles bewahren, bis sie den Stift zur Hand nehmen kann. Nicht ein Wort wird sie vergessen.

Wenn sie doch bloß all die Momente unbändiger Lust nicht wieder aus ihrem Kopf verbannen würde, wie es bei Rita Georgi zu erwarten ist. Und doch war es nur der Trieb.

Vom nächsten Treppenabsatz an stellt sie sich vor, wie Nils vor seiner Frau Alice eine Entschuldigung stammelt. Wie er von der unmenschlichen Schinderei in der Redaktion sprechen wird, von der Last, die auf ihm liege, und von den Erwartungen an den Redaktionsleiter, die Heidenreich immer höher schraube. Und er wird vorwarnen, in nächster Zeit könnte es an noch vielen Abenden spät werden. Wahrscheinlich wird er es tun müssen, weil sich sein Herzchen im Negligé auf der Couch räkelt, er aber keinen mehr hoch bekommt. Heute wird er keinen mehr hoch bekommen. Rita kichert bei einem ganz besonderen Gedanken in sich hinein. Diese aufgedonnerte Alice glaubt, das graue Mäuschen Rita sei für die Männerwelt völlig ungefährlich.

Wieso sagt man, man habe mit jemand geschlafen? Alles andere als das.

Der Herr Redaktionsleiter hatte unerhört wachen Sex mit einer Frau, von der noch viel zu hören sein wird!

Abrupt bleibt sie stehen. Es war verdammt gut! Aber etwas war neu an Nils, sehr neu. Wie er seine Worte flüsterte, wie er ihren Namen immer wieder in ihr Ohr raunte, und das mit ungeahnter Zärtlichkeit. Sie kann sich nicht erinnern, solche Worte je von einem Mann gehört zu haben, auch wenn er sich dabei bis zum ekstatischen Jauchzen steigerte.

Ihre Kraft versiegt, sie bleibt stehen und denkt an den nächsten Morgen im Verlag. Als ihr klar wird, dass er sie vielleicht erst jetzt wirklich wahrnehmen wird, weil sie mit ihm Sex hatte, ist ihr, als müsse sie zum Telefon greifen, ihn anrufen und ihn für die ganze verdammte Zeit, wo sie unter seinen Launen hat leiden müssen, zur Rede stellen, ganz egal, was danach passiert.

Sie tut es nicht, aber sie denkt noch die halbe Nacht darüber nach und sie weiß genau, es wird sich etwas ändern in der Redaktion. Praktisch sieht es so aus, als könne ab jetzt ein anderer Ton am Redaktionstisch herrschen. Besser wird er nicht. Keinem Vorgesetzten ist es angenehm, wenn er durch die bloße Anwesenheit eines Menschen an eine Stunde erinnert wird, wo er vor einem Mitarbeiter die Hosen heruntergelassen hat.

Rita ist immer noch nicht völlig sicher, ob sie den Zustand zwischen Nils und ihr auch wirklich so gewollt hat. Für den Moment denkt sie, beim Sex herrscht Damenwahl, auch wenn die Männer anderer Meinung sind. Wenn es nicht so ist, ist es gefährlich. Ein guter Mann glaubt ohnehin, er habe mit seinem Sexappeal die Erwartung der Frau geweckt. Irrtum, Herr Hegau. So richtig geschlafen hat die Erwartung nie.

Zwei merkwürdige Todesfälle

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