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In der Redaktion

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Es ist nicht so, dass sie am Morgen des nächsten Tages Reue empfindet. Im Gegenteil. Sie hat nur etwas in Gang gesetzt, was nicht zu ihren Zielen passt, nicht zu ihrem Denken. Noch immer kann sie sich nicht erklären, warum es ausgerechnet Nils Hegau sein musste, den sie nur verdammt schlecht einschätzen kann.

Schon ihr erster Blick in den Badezimmer-Spiegel sagt ihr, dass es keine Wiederholung geben wird. Das mag an seiner Stellung im Verlag liegen, immerhin ist sie ihm unterstellt. Viel wahrscheinlicher ist, dass es an seinem Frauenbild liegt, dem sie an diesem Morgen mal wieder so gar nicht entspricht.

Sie erinnert sich nicht ungern seiner ekstatischen Stimme, als er sie wissen ließ, was ihm an ihr so gefällt, an seine zärtlichen Bisse in all die Stellen ihres Körpers, die sie ihm viel zu lange vorenthalten habe. Aber das, was ihm angeblich gefällt, entspricht wiederum nicht dem Nils-Hegau-Bild, das Rita sich im Laufe der Zeit mühevoll aufgebaut hatte. Aber war es nicht schon einmal so? In gewissen Stunden heucheln alle Männer. Das gehört zweifelsohne zu dem Testosteron-Cocktail, mit dem sie ihren Jagdinstinkt füttern, bis sie zum Schuss kommen.

Komm her mein süßes Rehlein, komm raus aus dem finsteren Busch ….

Und dann: Peng!

Sie hört den Klang seiner Stimme und erlebt die Wirkung noch einmal, die das Neue auf sie ausübte. Sie war sprachlos und zugleich hätte sie einen Schwall von tausend Worten heraussprudeln wollen, wäre damit nicht ihr kleines Geheimnis gefährdet.

In den nächsten zwei Tagen bleibt Rita bewundernswert ruhig. Einmal, als sie von einer Recherche zurück in die Redaktion kommt und schon im Hausflur seine polternde Stimme durch die geschlossene Tür hört, huscht ihr ein kleines Liedchen über die Lippen, obwohl es um ihre musische Begabung nicht halb so gut steht, wie um ihre literarische.

Am Abend steht Nils Hegau vor ihr – dieses Mal ist er auf sehr leisen Sohlen gekommen. In der Hand einen Becher Kaffee, so steht er im Türrahmen. Jemand muss sich aus irgendeinem Grund zu später Stunde noch seiner erbarmt haben. Nils Hegau bedient niemals selbstständig den Kaffeeautomaten.

Ohne ein Wort steht er da und starrt auf die Häuserfront der anderen Straßenseite. Dort ist das Leben hinter erleuchteten Fenstern bereits angekommen, während sich unten auf der dunklen Straße kaum noch Leben regt. Auch Nils scheint leblos. Irgendetwas nagt an ihm. Das spürt Rita genau und sie riecht den Braten förmlich. Es braucht viel Erfahrung, wenn ein Mensch, der etwas sieht, auch gleicht etwas riecht. Männer ahnen nicht einmal, wie viel Verstand man braucht, um sich dumm zu stellen.

Dieses Mal ahnt Rita nicht, wie sehr sie sich irrt – wie sehr sie sich generell in Nils Hegau irrt und was ihr noch bevorsteht.

Obwohl sie ihn ignoriert, merkt sie, wie anders die Situation ist, welchem Unbehagen er zu trotzen scheint, wenn er sogar an seinen Fingernägeln kaut. Sie muss sich überlegen, was sie mit ihm bereden will, wenn er zu sprechen beginnt. Auf keinen Fall will sie hören, das alles nicht so gemeint war – und diese ganze Grütze … Sie kann ihm nicht zuvorkommen, ist innerlich von einem Fieber gefangen, das sie nicht deuten kann. Schon die Absicht ist ein kleiner Selbstbetrug.

Nils zieht den Ärmel seiner Jacke hoch und schaut auf die Uhr. Rita beobachtet indessen die Sekundenanzeige in der rechten Ecke ihres Rechners. Gab es je einen Moment, wo sie das nötig hatte? Unerträglich, wie er es wortlos schafft, sie von ihrer großen Leidenschaft abzuhalten. Wie oft schon hat er früher bei Tage so dagestanden, sie auf subtile Art angeschaut, um im Handumdrehen mit seinen Schimpftiraden einen ihrer Artikel zu kritisieren. Bisweilen hat er ihn bis zur Unkenntlichkeit gekürzt und ihn wütend auf den Tisch geschleudert. Manchmal ist seine Stimme geradezu so heftig geworden, dass jeder im Haus in aller Deutlichkeit spüren konnte, was der Herr Redaktionsleiter von der Leistung seiner Mitarbeiterin hält.

Freilich hatte sie ihre Strategie. Wenn sie in ihrer unangreifbaren Art zu lächeln anfing, war der Wind aus seinen Segeln und die tagelange Flaute zog bei Rita ein inneres Hoch nach sich, das sie in allen Fassetten ausgekostet hat. Woher sollte sie die Achtung vor ihm nehmen? Woher jetzt? Sie will das Schweigen brechen, will ihm zuvorkommen, will sagen, dass sie weiß, was er sagen will.

»Ich muss für eine Zeit nach Wuppertal«, gewinnt er mit kehliger Stimme den Wettlauf gegen das Unbehagen.

»Schön für dich«, sagt sie spöttisch, aber innerlich erstaunt. Perplex geradezu.

»Und für dich «

»Für mich ändert sich nichts. Du musst mir jetzt nicht sagen, dass ich unselbstständig bin. Ich kenne deine Meinung …«

Mit ein paar Schritten ist er bei ihr und schaut sie mit einer Ratlosigkeit an, die nur ein Jammerlappen haben kann.

»Du bist nicht unselbstständig. Ich meine das mit uns Rita, das darf nicht …«

»Schon gut«, winkt sie ab. Was sollten jetzt Worte über ihr sexuelle Verfehlung, die er ihr auf subtile Art klarmachen will. Ihre Hand winkt ab…

»Das darf nicht alles gewesen sein«, stottert er, als habe ihn etwas ganz Schreckliches erfasst.

So erschrocken sie auch ist, jetzt erst fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Einen solchen Satz hat Nils Hegau in der Tat noch niemals über seine Lippen gelassen. Also hat sie sich nicht getäuscht. Erst jetzt, wo sie Sex miteinander hatten, nimmt er sie und ihre Fähigkeiten wahr. Für einen Moment verfällt sie in gewisse Panik. Was zum Teufel bedeutet: Es kann nicht alles gewesen sein?

»Wirst du mir treu sein, solange ich weg bin?«

Rita lacht, ein wenig hysterisch vielleicht, ein wenig aber auch als Abwehr gegen den blöden Jux, den er sich erdreistet. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung überkommt sie und zugleich schämt sie sich dafür, dass sie auch nur einen winzigen Augenblick an die Wahrhaftigkeit seines Begehrens nach ihr geglaubt hat. Sie beißt sich auf die Lippen und ist versucht, ihn einfach wieder zu ignorieren. Doch das gelingt ihr nicht. Dafür ist Nils Hegau zu stark und ihre Gegenwehr allzu sehr überrumpelt. Er ist ein Mann mit sehr starkem Willen, der immer aufs Ganze geht. Leider scheint das Ganze an diesem Abend ausschließlich ihre untere Hälfte zu sein.

Während Nils Hegau mit Siegesgewissheit von Rita Besitz ergreift und ohne jede Zärtlichkeit mit wildem Schnaufen in sie eindringt, schaut Rita über seine Schulter vorbei zur Wand, wo ein Stillleben hängt, das sie längst durch ein anderes Bild ersetzen wollte, wozu sie aber noch keine Zeit gefunden hat.

Erst jetzt begreift sie, dass alles in diesem Zimmer anders sein muss, wenn Nils Hegau von seiner Reise aus Wuppertal zurückkehrt. Alles, einschließlich Rita Georgi.

Rita kommt nicht dazu, ihr Leben umzukrempeln. Endlich hat sie einmal genug zu tun. Mehr als genug. Ihr Roman ist vom Verlag angenommen, und in kurzen Abständen kommt ein Andruck-Kapitel nach dem anderen zur Korrekturbestätigung bei ihr an.

Und schließlich bleibt seit Wochen die ganze Redaktionsarbeit an ihr hängen...

Volker Heidenreich hüllt sich über den Grund von Nils Hegaus langer Abwesenheit in Schweigen. Die anderen wissen ohnehin selten etwas über die Radaktions-Etage des Verlages, und doch lebt Rita Georgi irgendwie auf. Seit kurzem gelingt es stets, ihre Artikel so in das Blatt zu bekommen, wie sie selbst sie geschrieben hat, auch wenn es nur um so lapidare Themen wie Trauer geht. Heidenreich hat sie gelobt für ihren Beitrag zum Totensonntag und inzwischen gibt es auch schon Lesermeinungen, die ihr mitteilten, wie sehr ihnen der Artikel aus der Seele spricht. Freilich sieht es aus ihrer Sicht ganz anders aus, weil rund um den halbseitigen Beitrag die Anzeigen und die als Textpassagen verkappte Werbung der Bestattungsinstitute den hintergründigen Kommerz erkennen lassen. Nun, denkt sie, das hat Gott sei Dank bald ein Ende. Der Vertrag über ihre freie Mitarbeit bei der regionalen Tageszeitung «Spree-Rundschau» ist so gut wie in Sack und Tüten und dann können ihr alle hier den Buckel runterrutschen. Bald kann sie ihre Zeit einteilen, wie es ihr gefällt, und sie kann ihre Beiträge formulieren, wie sie es gelernt hat.

Rita bläst heißen Atem aus ihren Lungen und kichert in sich hinein. Nein, den Buckel runterrutschen würde sie niemandem gestatten, und

Nils Hegau am allerwenigsten. Dem würde sie nicht einmal gestatten, ihr zum Abschied die Hand zu geben. Den kann man ihr inzwischen nackend auf den Bauch binden und sie würde steif bleiben wie ein Brett.

Genau genommen hat sie in der letzten Zeit gar keine Zeit gefunden, an Nils zu denken und an den verdammten Abend schon gar nicht. Das mit ihm ist Geschichte und wird keine Wiederholung erfahren.

Aber dann geschieht doch etwas, was sie nicht vermuten konnte.

Er ruft in der Redaktion an. Seine Stimme klingt, als hätte er zehn Pfund Kreide gefressen. Rita sieht keinen Anlass, ihn im Regen stehen zu lassen. Bis zu einem gewissen Moment. Sie ist in ihren Antworten kurz und bündig, geht ihm nicht um den Bart, ist aber auch nicht so abweisend, wie Nils es plötzlich versteht.

»Ich bin dir ja nicht böse, dass du keine Zeit für mich hast. Aber ich werde dich bestrafen müssen, wenn ich wieder da bin. Deine Liebe ist nicht groß genug. Nicht so groß, wie es meine Liebe verdient. «

Im ersten Moment ist sie entsetzt und donnert den Hörer wütend auf die Station. Ihre Wut hält solange an, bis sie ein gewisses Gespräch mit Heidenreich führt.

Schon oft in stillen Nächten war ihr das Bild von Nils erschienen, das Bild des wilden Teufels mit eingefrorenem Gesicht, aber mit triumphalem Schwanz. Es kann doch kein Triumph für Nils Hegau gewesen sein, über eine Frau herzufallen, die nicht so genau wusste, ob sie bereit war, mit ihm zu tun, was er beabsichtigte. Ein Triumph konnte allenfalls das erste Mal gewesen sein, damals, als sie einhellig und in Zärtlichkeit verschmolzen.

Am Morgen, nachdem sie lange grübelnd im Bett gelegen hat, ist sie sich sicher, dass sie Nils Hegau schon immer gehasst hat. Schon immer war etwas an ihm, was sie nicht durchschaute. Nur ihre verflixte Neugierde war schuld daran, was letztlich passiert ist.

Inzwischen hat sie Heidenreich über ihren Weggang informiert. Das musste sein, denn es gibt eine Klausel in ihrem Arbeitsvertrag, die eine Kündigungszeit von zwei Wochen vorsieht. Damals vermutete sie einen arglistigen Arbeitgeber-Schachzug hinter der verdammt kurzen Frist. Heute ist sie gerade darüber sehr froh.

Von dem Gespräch mit Heidenreich bleibt kaum etwas Wesentliches in ihrem Gedächtnis. Das liegt weder an ihr noch an Heidenreich, das liegt an Nils Hegau. Heidenreich hat sich gleichgültig gegeben. Er tat so, als habe er mehr gute Leute in petto, als er brauchen kann. Er hat sich gewunden, wie ein getretener Wurm, und hat dann jenen Satz gesagt, der ihre Alarmglocken hat schrillen lassen.

Ihr Weggang sei eben nur ein denkbar schlechtes Timing, weil doch der Hegau zur Therapie sei und weil man neue Leute erst einarbeiten müsse. Aber er akzeptiere ihre Entscheidung und er weine schließlich niemandem eine einzige Träne nach.

Freilich war in Heidenreichs Worten die Absicht versteckt, an ihr Einsehen zu appellieren, freiwillig abzuwarten, bis Nils Hegau wieder gesund ist. Aber dazu hätte er wenigstens ein Zeitfenster umreißen müssen. Das hat Heidenreich nicht gemacht.

Leise Wut kocht in Rita hoch, weil sie diesem Hegau in die Falle gegangen ist. Angst hat sie vor ihm nicht. Es besteht auch kein Anlass mehr, denn in zwei Wochen ist sie weg - wenn auch nicht aus der Welt. Immerhin ist die Stadt überschaubar und die Verhältnisse im Spree-Rundschau-Verlag kennt sie nicht so gut, um sich vor ihm absolut sicher zu fühlen.

Wenn sie nur wüsste, was das für eine Therapie ist und warum Nils sie grundlos angelogen hat? Er müsse nach Wuppertal. Wieso sollten ihn seine Schwiegereltern so lange brauchen? Und dann fällt es ihr ein. Sie hatte doch tatsächlich schon vor einiger Zeit Nils Hegaus Frau Alice beim Frisör gesehen. Warum sollte er in Wuppertal bei ihren Eltern sein und sie ist hier?

Rita beißt die Lippen zusammen. Warum, verdammt, bin ich nicht aufmerksamer? Eine gute Journalistin wäre längst auf schlechte Ideen gekommen.

Das sagt ihre Freundin Janina immer. Rita weiß, Jani wäre unter diesen Umständen in Rachegelüste verfallen. Aber Rita weiß auch mit unerschütterlicher Sicherheit, dass sie mit ihrer Konsequenz am Ende gewinnen wird, weil das Leben bisher gerecht mit ihr gewesen ist. Im Moment sieht alles danach aus, dass ihr Leben gerade auf die Überholspur lenkt. Sie wird einen Teufel tun, wegen eines menschlichen Fehlers den Kopf in den Sand zu stecken. Sie wird auch den Teufel tun, wegen Nils Hegaus Krankheit weiterhin beim «Wochen-Boten» so dahin zu zuckeln. Für sie bringt auch niemand ein Opfer.

Bis Rita Georgi ihren letzten Arbeitstag in Heidenreichs Verlag absolviert, ruft Nils Hegau noch dreimal an, aber Rita hat sich die Nummer notiert, vermutlich eine von der Heilanstalt. Jetzt erkennt sie sofort, als sein Anruf kommt. Sie täuscht eine Störung vor. Beim dritten Mal nimmt sie den Hörer gar nicht mehr von der Station.

Zwei merkwürdige Todesfälle

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