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Weder die kausale Einwirkung des Gehirns noch die des Geistes erklären die intentionale Handlung

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Wenn wir von den Handlungen einer Person verwirrt sind, wenn wir erfahren wollen, wieso Person A einen Scheck über 200 Euro unterschrieb, wird uns wahrscheinlich ebenfalls keine Antwort zufriedenstellen, die auf Gehirnfunktionen zurückgreift. Wir wollen ja wissen, ob A eine Schuld beglich, etwas einkaufte, für einen wohltätigen Zweck spendete oder auf ein Pferd wettete – und wenn wir erst einmal wissen, welche dieser Möglichkeiten zutrifft, wollen wir möglicherweise auch in Erfahrung bringen, welche Gründe A hatte. Eine Beschreibung neuraler Ereignisse in A’s Gehirn könnte uns die gewünschte Erklärung wohl nicht liefern. Wenn wir wissen wollen, wieso A den Zug um 8.15 Uhr nach Paris nahm, kann eine Beschreibung neuraler Ereignisse unsere Bedürfnisse nach einer Erklärung grundsätzlich nicht befriedigen. Die Antwort jedoch, er hätte dort um 14 Uhr eine Ausschusssitzung, die über das und das Projekt, für das A verantwortlich ist, entscheiden soll, kann unsere Neugier stillen. Wenn A B ermordet hat, könnte es uns interessieren, warum. Vielleicht würde uns ein Grund genannt, der uns, weil wir mehr verstehen wollen, nicht zufriedenstellt – bei diesem ‚Mehr‘ aber handelt es sich höchstwahrscheinlich um A’s Motiv, und es hat nichts mit den neuralen Ereignissen zu tun, mit denen die Tat einherging. Wir wollen wissen, ob A B beispielsweise aus Rache oder aus Eifersucht umbrachte, und das macht eine ganz andere Darstellung erforderlich, als sie die neurowissenschaftliche Forschung je erbringen könnte. Die Erklärung einer Handlung durch (Wieder-)Beschreibung, durch Anführung von Gründen, die ein Handelnder hat, oder durch Benennung der Motive des Handelnden (und es gibt andere Erklärungsmöglichkeiten ähnlicher Art) lässt sich nicht von einer Erklärung durch neurale Gehirnereignisse ersetzen, auch nicht im Prinzip. Wir haben es hier keineswegs mit einer empirischen Angelegenheit zu tun, sondern mit einer logischen bzw. begrifflichen. Der Erklärungstyp ist ein kategorial anderer, und die auf einen Handelnden und dessen Motive, Ziele und Zwecke bezogene Erklärungen sind nicht reduzierbar auf Erklärungen im Hinblick auf Muskelkontraktionen, die von neuralen Ereignissen ausgelöst wurden (siehe Kapitel 13). ‚Lebensweltlich-alltagspraktische‘ Erklärungen handeln jedoch auch nicht vom Geist als einer unabhängigen Substanz mit einem eigenen Verursachungsvermögen. So gesehen ist Penfields Dilemma kein wirkliches Dilemma. Er lag völlig richtig mit der Annahme, dass man dem Verhalten des Menschen und seiner Erfahrung nicht allein unter Rückgriff auf das Gehirn Rechnung tragen kann, falsch lag er aber damit, dass es sich bei der Vorstellung, man könnte eine solche rein neurale Erklärung zuwege bringen, um eine sinnvolle empirische Hypothese handelt (statt um eine Begriffsverwirrung). Im Irrtum befand er sich auch mit der Annahme, die Alternative dazu bestehe darin, das Verhalten des Menschen und seine Erfahrung durch die Einwirkung des Geistes zu erklären, und indem er davon ausging, dass wir es auch in diesem Fall mit einer empirischen Hypothese zu tun haben, irrte er sich abermals. Nichts und niemand kann uns dazu zwingen, uns auf eines der beiden Hörner des Penfield’schen Dilemmas festzulegen.

Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften

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