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Weder der epileptische Automatismus noch die Elektrodenstimulation des Gehirns stützen den Dualismus

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Folglich irrte sich Penfield, indem er das, was ihn so beeindruckte – nämlich die Phänomene des epileptischen Automatismus und die unterschiedlichen Tatsachen, die die Elektrodenstimulation des Gehirns charakterisieren –, als einen empirischen Beleg für die dualistische Hypothese dachte. Der epileptische Automatismus zeigt nicht, dass der Geist sich vom ‚höchsten Gehirnmechanismus‘, mit dem er normalerweise in Kontakt steht und von dem er auf eine bislang nicht bekannte Weise mit Energie versorgt wird, abgekoppelt hat.110 Er zeigt vielmehr, dass die Person im Laufe eines epileptischen Anfalls infolge der anormalen Erregung von Teilen des Kortex einiger ihrer normalen Fähigkeiten (einschließlich des Gedächtnisses, des Vermögens, Entscheidungen zu treffen, der emotionalen Empfänglichkeit und des Sinns für Humor) beraubt ist, während andere Fähigkeiten bewahrt werden, insbesondere solche, die bei Routinehandlungen zur Anwendung gelangen. Gewiss sind die Phänomene bemerkenswert, wir haben es hier jedoch mit einer Dissoziation von normalerweise miteinander verknüpften Fähigkeiten zu tun und nicht mit einer Trennung von Substanzen, die normalerweise miteinander verknüpft sind. Sie zeigen nicht, dass das Gehirn ein Computer oder dass der Geist sein Programmierer ist. Das Gehirn ist weder ein Computer noch eine Telefonzentrale (die früher favorisierte Analogie), und der Geist ist weder ein Computerprogrammierer noch ein Telefonist. Es ist vollkommen richtig, dass die Fähigkeit, unreflektiert mit der Ausführung von Routinearbeiten fortzufahren, nützlich ist (und der Ausdruck ‚Kurzzeitprogrammierung‘ stellt in diesem Zusammenhang eine geeignete Metapher dar). Es stimmt auch, dass die von einer Person verfolgten Zwecke nicht die des Gehirns der Person sind. Daraus folgt jedoch nicht, dass sie die Zwecke des Geistes der Person sind. Sie sind die Zwecke der Person – und die werden vor dem Hintergrund lebensweltlicher Tatsachen, gesellschaftlicher Lebensformen, zurückliegender Ereignisse, gerade herrschender Umstände, des akteurialen Glaubens- und Wertekanons etc. verständlich, nicht dadurch, dass man neurale Ereignisse und Mechanismen heranzieht. Aber es stimmt selbstverständlich auch, dass ein menschliches Wesen, wenn das Gehirn nicht normal funktionieren würde, die von uns für gewöhnlich verfolgten Zwecke nicht weiterverfolgen müsste bzw. könnte.

Die verschiedenen mit der Elektrodenstimulation des Gehirns einhergehenden Phänomene wurden von Penfield in ähnlicher Weise missdeutet. Der Fall der Beeinträchtigung des ‚Sprach-Kortex‘ offenbart nicht, dass es so etwas wie einen ‚Begriffsmechanismus‘ im Gehirn gibt, der nonverbale Begriffe speichert, die vom Geist ausgewählt und dann dem Sprachmechanismus vorgelegt werden können, um mit dem Wort, das den Begriff repräsentiert, abgeglichen zu werden. Das ist pittoreske Mythologie, keine empirische Theorie. Worte sind keine Begriffsnamen, und sie stehen nicht für Begriffe, sondern drücken sie vielmehr aus. Begriffe sind Abstraktionen aus dem Wortgebrauch. Der Begriff einer Katze ist das Gemeinsame des Gebrauchs von ‚Katze‘, ‚cat‘, ‚chat‘ etc. Die gemeinsamen Merkmale des Gebrauchs dieser Worte können nicht unabhängig von dem Wort (oder Symbol), das den Begriff ausdrückt, im Gehirn oder sonst irgendwo gespeichert werden. Der von Penfield beschriebene Patient konnte nicht an das Wort ‚Schmetterling‘ denken, mit dem das Objekt in dem ihm vorgelegten Bild zu identifizieren war. Er wusste, dass das Objekt zu einer Klasse gehörte, die einer anderen Klasse von Insekten (und zwar Faltern) ähnelt, und versuchte, gleichfalls erfolglos, an das Wort für Mitglieder dieser zweiten Klasse zu denken. Es ist jedoch nicht so, wie behauptet wird, dass derjenige, den ein solches Unvermögen vorübergehend trifft, den Begriff kennt und sich nur nicht an das Wort dafür erinnern kann. Die Annahme, der Geist werde mit nonverbalen Begriffen ‚versorgt‘, aus denen er auszuwählen habe, setzt voraus, dass nonverbale Begriffe unabhängig von irgendwelchen Worten oder Symbolen, die sie ausdrücken, identifiziert und voneinander unterschieden werden können. Das aber ergibt keinen Sinn.

Penfields Entdeckung, dass die Elektrodenstimulation weder einen Glauben bewirken noch eine Entscheidung auslösen konnte, ist allemal interessant. Sie zeigt jedoch nicht, dass Glauben und Entscheiden Handlungen des Geistes sind, aber genauso wenig, dass wir es dabei mit Handlungen des Gehirns zu tun haben. Es stimmt zwar, dass sie keine Handlungen des Gehirns sind – das ist jedoch keine empirische Tatsache, von der man in einem Experiment nachweisen könnte, dass sie der Fall ist. So etwas wie das Glauben oder Entscheiden des Gehirns gibt es vielmehr nicht (genauso wenig wie ein Schachmatt im Damespiel). Es stimmt aber ebenso, dass wir es bei ihnen nicht mit Handlungen des Geistes zu tun haben. Mein Geist glaubt nicht irgendwas oder zweifelt daran – das tue ich (obgleich beides selbstverständlich keine Handlung ist). Und er entscheidet auch nicht – Menschen entscheiden und handeln ihrer Entscheidung entsprechend, keine ‚Geister‘.

Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften

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