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Kapitel 3 - Heera

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Es war ein trauriger Rückweg – nichts war mehr wie zuvor. Da die Bäume nun keine Blätter mehr trugen, hätten sie das Schloss schon von Weitem sehen müssen, stattdessen säumten die Skelette von Tieren ihren Weg. Als sie aus dem Schloss geflohen waren, hatte Schnee den Boden bedeckt und ein eisiger Wind war ihnen entgegengeschlagen, doch nun stieg eine drückende Hitze auf, die den Weg noch viel beschwerlicher machte. Schweiß bildete sich auf ihren Häuptern, und Heeras Mund fühlte sich ganz trocken an.

Besonders Thelma und Kristópher mussten unter dem rasanten Temperaturwechsel leiden, denn es hieß, dass im Norden der Schnee nie schmolz und selbst im Sommer die Wege noch säumen würde.

Sie ließen die kahlen Bäume hinter sich zurück und traten auf das offene Feld hinaus, das den Wald von der Stadt trennte. Normalerweise sah man von hier aus direkt zu dem majestätischen Schloss hinauf, welches auf einer leichten Erhöhung thronte.

Doch weder ein Schloss noch eine Stadt waren zu erkennen, nicht einmal ein einziges Haus stand mehr. Lediglich die hohe Stadtmauer war zurückgeblieben.

Der Anblick erschütterte alle zutiefst.

Sie konnten ihren Augen nicht trauen und setzten einen Fuß vor den anderen, bis sie das große Tor erreichten, durch das jeden Tag die Wagen der Markthändler gefahren waren.

Keine Wache war da, um sie zu kontrollieren. Keine Menschenseele bewegte sich durch die Straßen der einst so schönen Stadt. Nicht einmal das Bellen eines Hundes war zu hören.

Trotzdem ging die kleine Gruppe weiter über die Pflastersteine, bis sie schließlich genau dort standen, wo sich zuvor der prächtige Thronsaal des Schlosses befunden haben musste.

Erst dann brachen Daphne und Medea in verzweifelte Tränen aus.

»Mein armer Vater«, klagte Daphne. »Was mag nur aus ihm geworden sein?« Er war genau wie alle anderen Familien der Erwählten zu den Feierlichkeiten im Schloss gewesen und nun samt diesen verschwunden.

»Oh, Heera, unsere lieben Eltern und die kleine Elena«, sagte Medea, während sie ihr Gesicht an der Schulter ihrer Schwester vergrub.

»Nicht einmal Prinz Lean ist uns geblieben«, bedauerten Silas und Yanis gleichzeitig. »Was soll nur aus Chóraleio werden, ohne Schloss und ohne König? Wer wird sich nun um das Land kümmern?«

Leilani trat erhobenen Hauptes vor die anderen. »Verzweifelt nicht! Es ist noch nicht die Zeit, um die Hoffnung aufzugeben. Dort, wo sich unsere Schlösser nun befinden, werden wir auch unsere geliebten Familien und Freunde wiederfinden.«

»Aber wo mag das nur sein?«, fragte Erina traurig.

Ehe die Prinzessin der südlichen Sommerinseln ihr antworten konnte, ließ ein Geräusch sie innehalten. Es war das Meckern einer Ziege. Für gewöhnlich ein Geräusch, welchem niemand weitere Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Doch in den verlassenen Stadtmauern hallte es wie ein Echo über die leere Ebene.

Alle begannen sich aufgeregt nach dem Tier umzusehen. Vielleicht gab es dort, wo die Ziege sich befand, noch mehr Überlebende, die es geschafft hatten, der schwarzen Wolke zu entkommen.

Heera entdeckte das Tier als Erste. Es befand sich ganz am Rand der nördlichen Mauer, wo es sich eng an die Steine gekauert hatte.

Sie rannte ihm entgegen und fiel vor dem Tier auf die Knie, als handle es sich dabei um einen alten Freund. »Liebe Ziege, bist du wirklich die Einzige, die zurückgeblieben ist?«

Erst jetzt bemerkte sie, dass das Tier nicht wie alle anderen war. Es hatte ein dunkles, beinahe schwarzes Fell, das seidig im Dämmerlicht der aufgehenden Sonne glänzte. Große, intelligente Augen aus einem warmen Braunton wie flüssige Schokolade blickten ihr entgegen. Doch am seltsamsten war die goldene, mit Edelsteinen besetzte Krone, die sich auf dem Haupt der Ziege befand.

»Ziege?«, wiederholte das Tier plötzlich in menschlicher Sprache. »Ich bin keine Geringere als deine Königin, du ungehobeltes Gör!«

Erschrocken wich Heera vor ihr zurück. Hatte die Ziege gerade wirklich mit ihr gesprochen?

Medea kniete sich nun ebenfalls neben ihr nieder. »Königin Niobe? Seid Ihr es wirklich?«

»Gewiss«, meckerte die Ziege empört. »Die Schwarze Hexe hat mich verzaubert, als sie das Schloss und all seine Bewohner gestohlen hat. Nur mich ließ sie zurück, um euch von ihrer Tat zu berichten. Ich bin ihre Zeugin.«

Heera erinnerte sich noch gut an die Worte der Schwarzen Hexe, die diese in Krähengestalt voller Zorn gekrächzt hatte, nachdem sie Prinz Lean von ihrem Fluch befreit hatte:

»Ich verfluche dich, Prinz Lean. Deine Schönheit wird dich nicht nur hindern, die wahre Liebe zu finden, sondern auch Hunger, Schmerz und Krankheit über ganz Chóraleio bringen. Erst ein Mädchen, das bereit ist, für dich sieben fremde Länder zu bereisen, sieben Berge und Täler zu durchqueren und sieben Aufgaben zu bestehen, wird den Fluch brechen und dich mit dem Herzen sehen lassen.«

Sie hätte sich denken können, dass auch die schwarze Wolke das Werk der bitterbösen Hexe war.

»Aber das Schloss der Schwarzen Hexe ist zerstört. Wo sollen wir nun nach ihr suchen?«, fragte Heera die Ziege.

Nun, als sie sich sicher war, dass es sich bei dem Tier tatsächlich um die stolze Königin handelte, konnte sie sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

»Genau das wollte ich euch gerade erzählen«, meldete Leilani sich erneut zu Wort. »Es heißt, die schwarze Wolke habe ihren Ursprung in den sonnigen Ostlanden. Von dort soll sie ihren Weg begonnen haben, aber dabei verschonte sie das Schloss des Königs Tian. Dafür muss es einen bestimmten Grund geben!«

»Auch seine Tochter, die Prinzessin Mae, war eingeladen, sich für meinen Sohn zu bewerben«, meckerte Niobe. »Sie scheint sich nicht einmal auf den Weg zu uns gemacht zu haben, so als hätte sie bereits gewusst, welch grausames Schicksal uns ereilen würde.«

»König Tian galt schon immer als herrschsüchtig und machthungrig. Vielleicht hat er sich mit der Schwarzen Hexe verbündet«, meinte Fjodora. »Sollte sich herausstellen, dass er mit alldem etwas zu tun hat, werde ich ihn meinen Wölfen zum Fraß vorwerfen!«

»Immer mit der Ruhe«, versuchte Thelma sie zu beschwichtigen. »Lasst uns keine voreiligen Schlüsse ziehen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als in den Osten zu reisen und dort nach Antworten zu suchen.«

»Meine Prinzessin, ich bewundere Euren Mut, doch der Weg ist lang und beschwerlich. Weder Ihr noch eines der anderen Mädchen ist für so eine Reise passend ausgestattet«, wendete Kristópher besorgt ein und ließ seinen Blick über die dünnen Seidenkleider der Damen gleiten. Bereits jetzt waren die edlen Stoffe an den Säumen zerrissen und von dem Dreck der Höhle völlig beschmutzt. Aber wenigstens mussten sie bei der Hitze nicht frieren. »Wir haben nicht einmal mehr etwas zu essen oder zu trinken.«

»Es geht nicht nur um das Schloss, sondern auch um meinen Sohn«, meckerte Niobe. »Der zukünftige König von Chóraleio und der Mann, um dessen Herz zu kämpfen ihr alle gekommen seid. Seine Braut wird nur jenes Mädchen, dessen Liebe so groß ist, dass ihr kein Weg zu weit, kein Fluss zu tief und kein Berg zu hoch ist, um ihn zu erlösen. Wer bereits jetzt zögert, dem steht es frei zu gehen.« Sie sah die Mädchen nacheinander scharf an, was bei einer Ziege recht ulkig aussah. »Ist jemand unter euch, der die Flucht ergreifen möchte?«

Keines der Mädchen wagte auch nur ein Wort zu sagen. Demütig ließen sie ihre Köpfe hängen.

Einzig Heera erwiderte den strengen Blick der Ziege belustigt. »Sorgt Euch nicht um das Essen. Sollten wir in allzu große Hungersnot geraten, so bleibt uns immer noch das zarte Fleisch einer Ziege, welches wir uns braten können.«

Heera hörte, wie ihre Schwester entsetzt keuchte und Niobe fassungslos blökte, aber die anderen brachen in lautes Gelächter aus. Niemand würde es je wagen, über eine Königin zu lachen, aber eine Königin in der Gestalt einer Ziege war etwas völlig anderes.

»Sagt, werte Königin, gebt Ihr nun auch Milch?«, zog Silas übermütig seine Herrin auf, woraufhin diese den Kopf senkte und ihm mit den Hörnern nachjagte, was ihr nur noch mehr Gelächter einbrachte.

Leilani stellte sich ihrer Tante schmunzelnd in den Weg. »Verzeiht ihnen den kleinen Spaß auf deine Kosten«, bat sie versöhnlich. »Aber seht es doch einmal so: Solange wir noch lachen können, gibt es weiterhin Hoffnung.«

Niobe schien das nur wenig zu beruhigen. Bockig meckerte sie weiter vor sich hin, aber unterließ es zumindest, Silas nachzujagen. »Ich habe ein gutes Gedächtnis, also überlegt euch genau, wie weit ihr eure Späße treibt, oder ihr werdet es später bereuen, sobald ich meinen Körper wiederhabe.«

Obwohl ihre Worte bedrohlich waren, fiel es den anderen schwer, sie ernst zu nehmen. Zudem war Niobe eine gute Königin, die niemanden für einen kleinen Streich köpfen lassen würde. Sollte sie ihren Körper zurückbekommen, wäre sie darüber vermutlich so froh, dass ein paar kleine Sticheleien schnell wieder vergessen wären.

Dunkle Zeiten bringen

die Schattenseiten des Menschen hervor.


Neid, Misstrauen und Habsucht

treten nie deutlicher zutage

als in Zeiten der größten Not.

Märchenhaft-Trilogie (Band 2): Märchenhaft erlöst

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