Читать книгу Märchenhaft-Trilogie (Band 2): Märchenhaft erlöst - Maya Shepherd - Страница 17
Kapitel 10 - Silas
ОглавлениеSie gingen den ganzen Tag über kahle Wiesen, vertrocknete Felder und Steine, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel.
Bereits am Mittag war Daphne so erschöpft, dass sie sich verzweifelt an einem Baum zu Boden sinken ließ.
»Silas, gib mir bitte etwas von dem Wein, den wir mitgenommen haben, oder ich werde hier sofort verdursten«, bat sie den treuen Freund des Prinzen.
Gemeinsam hatten alle zuvor entschieden, dass sie sich die wenigen Reserven, die sie hatten, gut einteilen müssten, um viele Tage damit überleben zu können.
Doch nun, da Silas in die müden und durstigen Gesichter der anderen blickte, öffnete er seinen Beutel und zog einen der gefüllten Weinschläuche hervor. Bereits am Gewicht des Schlauches merkte er, dass etwas nicht stimmte.
Als er ihn in der Hand hielt, erkannte er, dass dieser leer war. Erschrocken griff er nach dem zweiten Schlauch, doch auch dieser enthielt keinen Tropfen mehr. So wie auch der dritte.
»Yanis«, rief er besorgt. »Hast du noch Wein?«
Auch dieser öffnete seinen Beutel und überprüfte die Vorräte. Sowohl der Wein als auch die Milch waren verbraucht. Sie hatten nicht mehr einen Tropfen zu trinken, als wäre all die Flüssigkeit von der Hitze verdampft.
»Wie kann das sein?«, meckerte Niobe. »Seid ihr sicher, dass ihr die Schläuche richtig verschlossen habt?«
»Ich könnte mir nicht sicherer sein!«, stieß Silas überzeugt aus. »Erst gestern Abend habe ich den Inhalt selbst noch überprüft. Wir hatten sechs prall gefüllte Schläuche!«
»Was ist mit dem Brot und dem Schinken?«, wollte Fjodora wissen.
Als Silas und Yanis ihre Beutel leerten, fielen nur Steine heraus und kullerten über den staubtrockenen Boden.
»Da muss ein Zauber am Werk sein«, rief Niobe entsetzt. »Das sieht ganz nach dem Werk der Schwarzen Hexe aus.«
»Aber die Schwarze Hexe ist nicht unter uns«, warf Heera verständnislos ein.
Daraufhin richtete sich Daphnes Blick zornig auf Medea. Sie hob ihre Hand und deutete mit dem Zeigefinger drohend auf sie. »Du!«, schrie sie anklagend. »Dafür bist du allein verantwortlich!«
Medea wich ängstlich vor ihr zurück. »Warum sollte ich so etwas tun? Ich bin genauso durstig wie du!«
»Mich täuschst du nicht! Ich nehme dir deine scheinheilige Art nicht ab. Was hat die Schwarze Hexe dir für deine Hilfe versprochen? Etwa die Hand des Prinzen?«
In Medeas Augen traten Tränen und sie schüttelte mit bebenden Lippen den Kopf. »Ich habe nichts getan!«
Daphne wollte sie weiter beschuldigen, doch Heera stellte sich schützend vor ihre Schwester. »Lass sie in Ruhe, Daphne«, forderte sie wütend. »Vielleicht hast du selbst einen Pakt mit der Schwarzen Hexe geschlossen und versuchst nur von dir abzulenken, indem du immer wieder Medea beschuldigst.«
Daphne schnappte empört nach Luft und sah aus, als wollte sie auf Heera losgehen, doch in dem Augenblick erklang das leise Plätschern eines Baches.
Erstaunt hielten alle den Atem an. Der Streit war schlagartig vergessen, stattdessen folgten sie wie hypnotisiert dem verlockenden Plätschern durch den kahlen Wald.
Als sie schließlich ein Bächlein fanden, dass so glitzrig im Sonnenschein über die Steine sprang, wollte Daphne als Erste daraus trinken.
Aber Silas hörte, wie es im Rauschen flüsterte: »Wer aus mir trinkt, wird ein Tiger. Wer aus mir trinkt, wird ein Tiger.« Silas hielt das blonde Mädchen zurück: »Ich bitte dich, meine Schöne, trink nicht aus diesem Bach, sonst wirst du ein wildes Tier und wirst uns alle zerreißen!«
Daphne hörte nun selbst das geheimnisvolle Flüstern und wich schockiert vor dem Gewässer zurück. »Vielleicht finden wir noch eine andere Quelle.«
Sie setzten ihren Weg fort, aber jeder Schritt wurde umso beschwerlicher. Die Hitze schien noch zuzunehmen und ihre Körper auszutrocknen wie die Gewässer, an denen sie vorüberkamen.
Es vergingen Stunden, bis sie an einen weiteren plätschernden Bach gelangten.
Silas hörte abermals, wie dieser im Rauschen flüsterte: »Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf. Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf.«
Wieder rief er: »Trinkt nicht aus dieser Quelle oder ihr werdet zu Wölfen und werdet uns alle fressen!«
Daphne kamen vor lauter Verzweiflung die Tränen. Sie strich mit ihren Fingern über ihre trockenen und aufgesprungenen Lippen. »Ich werde aus diesem Bach nicht trinken, aber wenn wir noch eine Quelle erreichen, dann muss ich trinken, ganz gleich, was du sagst, mein Durst ist einfach zu groß.«
Selbst als die Sonne sank, ließ die Hitze nicht nach. Ganz im Gegenteil: Die goldenen Strahlen schienen ihre Haut zu verbrennen und es unmöglich zu machen, je ihr Ziel zu erreichen.
Schon bald war das Rauschen des nächsten Baches zu vernehmen. Daphne löste sich aus der Gruppe und rannte ihm entgegen, dicht gefolgt von Silas.
»Wer aus mir trinkt, wird ein Schwan. Wer aus mir trinkt, wird ein Schwan.«
Das blonde Mädchen ließ sich am Ufer auf die Knie fallen, nicht einmal die Warnung schien sie davon abhalten zu können.
Silas packte sie bei den Armen und flehte sie an: »Ich bitte dich, meine Schöne, trink nicht, sonst wirst du ein Schwan und fliegst mir hinfort.«
»Ich kann nicht länger warten«, widersprach Daphne und riss sich von ihm los, beugte sich zu dem plätschernden Gewässer hinab und trank davon.
Vielleicht handelte es sich nur um eine leere Drohung, die sie davon abhalten sollte, zu trinken, und zu einem bitteren Tod durch Verdursten führen sollte.
Aber kaum, dass der erste Tropfen ihre Lippen berührte, verwandelte sie sich in einen silberweißen Schwan.
Als Daphne sah, was aus ihr geworden war, begann sie bitterlich zu weinen. Auch die anderen sahen betrübt auf sie hinab. Sie waren genauso durstig wie zuvor, doch Daphnes Schicksal hielt sie davon ab, es ihr nachzutun.
Silas kniete sich zu ihr nieder und schloss sie in ihrer Schwanengestalt in die Arme. »Weine nicht, schöner Schwan, ich will nicht von deiner Seite weichen und werde einen Weg finden, dich zu erlösen.«
Er zog das seidene Band von seinem Hemdkragen und band es Daphne um den Hals. »So werde ich dich immer wiedererkennen können.«