Читать книгу Märchenhaft-Trilogie (Band 2): Märchenhaft erlöst - Maya Shepherd - Страница 18
Kapitel 11 - Heera
ОглавлениеSie setzten ihren Weg fort, und nachdem sie lange gegangen waren, kamen sie endlich an einem kleinen Dorf vorüber, das von der schwarzen Wolke noch nicht heimgesucht worden war. Die Bauern arbeiteten geschäftig auf den Feldern, Rauch stieg aus den Schornsteinen, in denen köstlich duftendes Brot gebacken wurde, und Kinder jagten gackernden Hühnern hinterher.
Als die Dorfbewohner die Gruppe erblickten, schlugen sie erschrocken Alarm und flohen in ihre Häuser. Sie sahen in ihnen nicht drei Prinzessinnen und eine Königin mit ihrem Gefolge, sondern eine Horde wilder Landstreicher mit Wölfen und einer riesigen Bestie.
»Ihr lieben Menschen, fürchtet euch nicht! Ich bin Königin Niobe aus dem schönen Chóraleio und erbitte eure Hilfe«, meckerte die Ziege mit der Krone auf den Hörnern vor dem Haus des Dorfältesten. »Wir sind bereits viele Tage gereist und sind hungrig und durstig.«
Erst regte sich nichts, dann bekamen sie doch noch eine Antwort: »Eine sprechende Ziege ist Teufelswerk!«
Hinter ihnen hatten sich die Bauern mit erhobenen Mistgabeln angeschlichen, bereit, ihr Dorf vor den fremden Eindringlingen zu verteidigen.
»Ich bin keine Ziege, sondern eine verzauberte Königin! Das ist das Werk der Schwarzen Hexe«, behauptete Niobe verzweifelt. »Seht ihr nicht meine Krone?«
»Eine Krone kann sich jeder Räuber aufs Haupt setzen«, entgegnete einer der Bauern, ohne seine Mistgabel sinken zu lassen. »Als Nächstes erzählt ihr uns noch, dass euer hässliches Biest in Wahrheit ein verwunschener Prinz ist.«
Damit hatte er, ohne es zu wissen, den Nagel beinahe auf den Kopf getroffen. Aber es war aussichtslos, zu versuchen, die Bauern davon zu überzeugen.
Das Biest stieß ein bedrohliches Knurren aus. »Ich bin ein schreckliches Biest durch und durch. Wenn euch euer Leben lieb ist, so gebt uns, worum die Ziege euch gebeten hat, und wir werden weiterziehen, ohne dass einem von euch auch nur ein Haar gekrümmt wird.«
»Nein«, rief Niobe entschieden. »Wir sind keine Räuber und deshalb verhalten wir uns auch nicht wie solche.«
»Grausame Zeiten erfordern harte Methoden, verehrte Königin«, konterte Silas. »Daphne wurde bereits in einen Schwan verwandelt, weil ihr Durst zu groß gewesen ist. Wollt Ihr dabei zusehen, wie der Nächste von uns der Hexe zum Opfer fällt und womöglich zum Stier wird, der uns mit seinen Hörnern aufspießt?«
»Nicht ein Stück Brot bekommt ihr von uns«, rief einer der Bauern laut und stieß seine Mistgabel bedrohlich in die Richtung der Gruppe, sodass Medea und Erina erschrocken aufschrien, während Fjodoras Wölfe zu knurren begannen.
»Zieht weiter zum nächsten Dorf und versucht dort euer Glück«, verlangte der Dorfälteste.
In dem Moment erfasste ein heftiger Windstoß die Siedlung. Er war so stark, dass das Stroh von den Dächern geweht und Hühner durch die Luft gewirbelt wurden.
»Welch Hexenwerk ist das?«, riefen die Bauern furchtsam.
Heera wandte ihren Blick dem Horizont zu und sah eine gewaltige schwarze Wolke in ihre Richtung ziehen. Der Anblick war ihr auf schreckliche Weise vertraut und so wusste sie, womit sie als Nächstes zu rechnen hatten.
»Schnell, versteckt euch in den Häusern«, rief sie alarmiert den Bauern zu.
Obwohl der starke Wind die Bauern ängstigte, schienen sie den Worten der Fremden noch nicht zu trauen und schauten einander ratlos an.
»Ich flehe euch an, gebt uns Obdach, bis diese schreckliche Wolke vorübergezogen ist. Sie bringt nichts als Hunger, Schmerz und Krankheit«, klagte Thelma.
Die Wolke war nun nicht mehr weit entfernt, und so gaben die Bauern schließlich nach und flohen in ihre Häuser. Den Fremden überließen sie eine Scheune, wo sie sogleich unter die Kutschen kletterten, um sich dort zu verstecken.
Einzig Heera blieb, wo sie war, und sah dem schwarzen Nebel herausfordernd entgegen. Leilani bemerkte ihr Fehlen als Erste und verließ ebenfalls den Schutz der Scheune.
»Was machst du denn? Du wirst sterben, wenn du hier draußen bleibst«, prophezeite sie Heera besorgt.
»Es liegt mir nicht, vor dem zu flüchten, wovor ich mich fürchte. Lieber stelle ich mich meiner Angst«, entgegnete Heera und rannte geradewegs der gewaltigen Wolke entgegen.
Leilani folgte ihr tapfer.
Der Wind war so stark, dass sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnten. Bald waren sie von dem schwarzen Nebel umgeben und erkannten die Hand vor den eigenen Augen nicht mehr. Der Geruch von Rauch hing in der Luft und brannte in ihren Hälsen. Sie husteten beide, als müssten sie ersticken.
Plötzlich hörten sie das Geräusch von Pferden, die über eine Wiese galoppierten. Es wurde immer lauter, so als kämen sie direkt auf sie zu. Heera und Leilani sahen sich zu allen Seiten um und erblickten schließlich drei schwarz gekleidete Reiter, die sich aus dem Nebel lösten.
Entschlossen nahm Heera den Bogen in die Hand, den sie im ersten Dorf, in dem sie Rast gemacht hatten, mitgenommen hatte. Sie schoss einen Pfeil direkt auf den mittleren der Reiter ab. Sie traf ihr Ziel, doch der Pfeil flog durch ihn hindurch, als wäre er Luft. Auch ihr zweiter und dritter Pfeil glitten durch die Reiter wie durch Nebel.
»Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, Euch uns in den Weg zu stellen?«, rief der linke Reiter mit hohler Stimme, als sie vor den Mädchen zum Stehen kamen. Unter seinem schwarzen Umhang war ein bleiches Gesicht zu erkennen, das nur aus Knochen zu bestehen schien.
»Ich bin Heera Furchtlos und werde Euch das Fürchten lehren!«
»Ich bin Prinzessin Leilani von den südlichen Sommerinseln und werde Euch meine Rache spüren lassen!«
Die drei Reiter begannen laut zu lachen. Dabei bebte die Erde unter ihnen bedrohlich, sodass die beiden Mädchen sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. »Tatsächlich? Und wie wollt Ihr uns besiegen?«
Leilani griff nach einem Stein zu ihren Füßen und schleuderte ihn dem mittleren Reiter, der komplett in graue Bandagen gewickelt war, an den Kopf. Doch der Stein rauschte, wie zuvor auch Heeras Pfeile, einfach durch ihn hindurch.
»Jetzt ist Schluss«, rief der rechte Reiter aus. Seine bleiche Haut war von eitrigen Pockennarben gezeichnet, aus denen eine schwarze Flüssigkeit tropfte. »Wir sind Hunger, Schmerz und Krankheit! Wenn Ihr uns besiegen wollt, müsst Ihr jene finden, die uns erschaffen hat. Findet jene, die uns so grausam gemacht hat. Geht dorthin, wo die Wurzel alles Bösen liegt. Nur dann werden wir aufhören zu sein.«
»Ich habe die Schwarze Hexe schon einmal besiegt und fürchte sie nicht«, rief Heera herausfordernd. »Sagt mir, wo ich sie finden kann, und ich werde mich ihr entgegenstellen!«
»Die Augen sind der Spiegel der Seele und doch machen sie uns blind für die Wahrheit«, sagte der schwarze Reiter, der auf den Namen Hunger hörte. »Seid gewarnt! Oft bedeutet Gewinnen auch Verlieren. Der Anfang des Erkennens kann auch das Ende des Wissens sein.«
»Ist das ein Rätsel?«, fragte Leilani verständnislos.
Anstatt ihnen zu antworten, wendeten die drei schwarzen Reiter ihre Pferde und traten den Rückzug an. »Dankt uns nicht, dass wir Euch das Leben schenken, denn von diesem Moment an wird das Leben schlimmer sein als das Sterben.«
Sie galoppierten in dieselbe Richtung davon, aus der sie zuvor gekommen waren. »Niemand kann uns folgen, weil wir der Anfang vom Nichts sind, und wer es trotzdem tut, trifft auf sein eigenes Ende.«
Mit den Reitern löste sich der Nebel auf, und kurze Zeit später befanden sich die beiden Mädchen wieder allein auf der Wiese, deren Gras nun verdorrt war. Sie blickten sich ratlos an.
»Hast du irgendetwas verstanden?«, fragte Leilani.
»Nein, nur so viel, dass die Schwarze Hexe wohl gefunden werden möchte. Sonst hätten ihre drei Reiter uns niemals am Leben gelassen.«
Du wirst mich erst finden,
wenn du ein Paar eiserne Schuhe durchlaufen und
einen steinernen Wanderstab durchbrochen hast.