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6 - Die Bärentöterin
ОглавлениеNachdem die erste Freude darüber, dass sie Urelitas täuschen konnte, verflogen ist, überlegt sie was sie nun tun soll. Es ist bereits dunkel und die Carris ziehen sich in ihre Häuser zurück. Die Geräusche aus der Scheune werden immer leiser und sie weiß nicht wo hin sie soll. Bevor wirklich alle verschwunden sind, beschließt sie lieber schnell in der Scheune nachschauen zu gehen, um sich dort jemandem anzuschließen.
Als sie das große rote Scheunentor aufzieht, knarrt es laut. In der Scheune stapeln sich Heuballen, neben Leinensäcken und Tiergattern, in denen bestimmt 200 Schafe und Ziegen eng aneinander gepfercht stehen. Aber das Eigenartigste ist, dass von der Decke der Scheune eine Glühbirne baumelt, die elektrisches Licht spendet. Seit sechs Jahren hat sie kein elektrisches Licht mehr gesehen. Es ist wie ein kleines Wunder.
Nea war fest davon überzeugt, dass sie so etwas nur in Promise finden würde und nun ausgerechnet in einer Scheune bei den verrückten Carris baumelt eine Glühbirne von der Decke. Wie gebannt starrt sie auf die Lampe und bemerkt erst, dass sie ebenfalls beobachtet wird, als sie ein Räuspern wahrnimmt. Ertappt blickt sie in die beiden lächelnden Gesichter der Frauen, die heute mit bei den Hirten auf dem Feld waren.
Vor wenigen Stunden wirkten sie noch abweisend und verschlossen, doch jetzt schenken sie ihr ein liebevolles, wenn auch leicht skeptisches Lächeln.
„Gibt es bei euch im Süden keine Notstromversorgung?“
Nea schüttelt den Kopf „Nicht in den Ställen“, fügt sie dann aber noch schnell hinzu, um die Frauen nicht misstrauisch zu machen.
„Bei uns gibt es den Strom nur in den Ställen, weil sie für uns das Wichtigste sind. Es wäre wahnsinnig die Ställe mit Kerzen zu beleuchten bei all dem ganzen Heu und Stroh.“
Das bei den Carris absolut alles wahnsinnig für sie ist, verkneift sich Nea lieber auszusprechen.
„Du brauchst bestimmt ein Lager für die Nacht und etwas zu Essen, oder?“, fragt nun die andere der beiden gleich aussehenden Schwestern.
Ihre Frage bestätigt Nea mit einem Nicken.
„Manche von uns, vergessen gerne einmal ihre Höflichkeit. Du kannst gerne bei uns in der Scheune bleiben, wenn du willst. Dann brauchst du deinen Hund nicht alleine zu lassen.“
„Ihr schlaft in der Scheune?“
„Nicht jede Nacht, aber heute sind wir mit der Wache dran. Uns ist es aber ganz recht, da wir dich morgen nach Fortania begleiten sollen und da werden wir unsere Tiere schon vermissen.“
Nea schenkt ihnen ein mitfühlendes Lächeln. „Mir würde es mit meinem Hund nicht anders gehen“, behauptet sie. Im ersten Moment sagt sie es nur um Verständnis zu heucheln, aber sobald es ausgesprochen ist, fühlt sie, dass es stimmt. Ihr würde der Hund fehlen, obwohl er erst seit zwei Tagen offiziell zu ihr gehört.
„Aber es ist natürlich auch schön mal wieder nach Fortania zu kommen. Wir sind vor der Seuche oft mit unseren Eltern dorthin zum Einkaufen gefahren. Damals hieß die Stadt natürlich noch anders. Es war immer etwas ganz besonders für uns durch so eine große Stadt mit den ganzen tollen Läden zu laufen, die es bei uns in den Dörfern nicht gab. Manche Geschäfte gab es dort sogar fünfmal.“
Nea fällt direkt das Leuchten in den Augen der Beiden auf, als sie ihr von ihrer Vergangenheit berichten. Nea erkennt, dass die Zwillinge einmal ganz normale Mädchen waren, mit ganz normalen Freizeitbeschäftigungen und einer Vorliebe für Mode. Wenn sie nicht ihre roten Kutten anhätten, würde Nea sie niemals für Carris halten.
Als alle Tiere versorgt sind breiten sie ihre Schlafsäcke aus. Neas Begleiter bekommt etwas von dem Trockenfutter ab, das die Carris ihren Hunden zu fressen geben. Begeistert sieht er nicht aus, doch trotzdem frisst er seinen Napf leer. Selbst Dosenfutter ist besser, als gar keine Essen.
Für die Menschen gibt es kalte Konserven. Nea hat die Wahl zwischen einem Gemüseeintopf und Hackbraten mit Reis. Der Gemüseeintopf macht das Rennen. Die Zwillinge erinnern sie wieder daran, dass sie Carris sind, als sie Ereb für ihre Nahrung und ihre Gesundheit danken, bevor sie den ersten Bissen nehmen. Nur gut, dass sie nicht als erstes angefangen hat, denn sie wäre nie auf die Idee gekommen Ereb zu danken, warum auch?!
Das Essen schmeckt Nea genauso wenig wie dem Hund sein Futter, aber wenigstens lässt das unangenehme Knurren in ihrem Bauch nach.
Der eisige Wind ließ Neas Locken wild durch die Luft fliegen, während der Regen ihr unbarmherzig ins Gesicht schlug. Warum hatte Miro sie auch ausgerechnet jetzt Wasser holen schicken müssen? Hätte er sich nicht bis zum nächsten Morgen gedulden können oder das Wasser besser einteilen? Er hatte doch gesehen wie schlecht das Wetter war.
Bestimmt war es nur wieder eine Rache für einen gemeinen Spruch ihrerseits. Ständig kränkten und beleidigten sie sich gegenseitig. Jeder Fremde, der ihnen dabei zuschauen würde, würde niemals auf die Idee kommen, dass sie beste Freunde waren.
In den Momenten, in denen sie sich stritten, hasste Nea Miro aus tiefstem Herzen. Sie wollte ihn grün und blau schlagen. Doch sobald er nicht in ihrer Nähe war, sehnte sie sich auch schon wieder nach ihm. Egal wie gemein er manchmal war, sie wollte niemals ohne ihn sein.
Mit einem heftigen Stoß öffnete sie die knarrende Holztür des alten Lagerhauses, indem sie seit einigen Tagen Unterschlupf gefunden hatten. Nea hielt staunend inne. Sie spürte weder den kalten Wind noch den Regen, sondern konnte nur fasziniert auf den schmutzigen Boden starren. Dort standen mehrere brennende Teelichter im Kreis, während in deren Mitte aus einer alten Holzkiste eine Art Tisch aufgebaut war. Miro hatte ein Stück Stoff wie eine Tischdecke darüber ausgebreitet. Darauf standen eine breite Stumpfkerze sowie eine Flasche Wein und zwei Teller.
„Es ist kalt, mach die Tür zu. Oder bist du festgefroren?“, rief Miro aus einer anderen Ecke des Raum, wo ein Feuer in einer Tonne brannte.
Irritiert trat Nea in das Zimmer, wobei die Tür von einem Windstoß mit einem lauten Knall zugestoßen wurde. Erschrocken zuckte sie zusammen.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Miro war selten auf offene Weise nett zu ihr. Es waren immer mehr die kleinen versteckten Gesten und Blicke, die ihr zeigten, wie sehr er sie mochte. Das hier war neu. Oder war es vielleicht gar nicht für sie? Hatte er das alles für irgendeines seiner dahergelaufenen Mädchen gemacht?
„Seit wann bist du unter die Romantiker gegangen?“, neckte ihn Nea, ohne dabei zu zeigen wie sehr sie das Bild berührte.
„Gefällt es dir?“
Nea biss sich auf die Unterlippe. Von draußen bließ der Wind gegen das Haus und der Regen war auf dem Blechdach zu hören. Trotzdem spürte sie wie ihre Wangen zu glühen begannen.
„Für wen hast du das gemacht?“
„Was denkst du denn?“
„Habe ich irgendetwas vergessen?“
Miro begann zu lachen. Nea liebte sein Lachen, denn es kam aus dem Bauch heraus und zwang sie jedes Mal zu einem Lächeln. „Hören wir auf damit, setz dich einfach hin.“
Er hatte es für sie gemacht. Unglaublich! Neas Herz begann wie wild zu klopfen als sie den nassen Mantel von ihren Schultern streifte und sich vor die gedeckte Holzkiste kniete. Jetzt nahm sie auch den schwachen Duft nach warmer Hühnersuppe war und ihr Magen knurrte gierig.
„Guten Abend, die Dame. Haben sie gut den Weg in unser bescheidenes Sternerestaurant gefunden?“, scherzte Miro und verbeugte sich vor ihr wie ein Kellner.
Nea prustete laut los, aber spielte begeistert mit. Schon als Kinder hatten sie es geliebt Restaurant zu spielen. „Verzeihung, der Herr, aber es liegt Dreck auf dem Boden.“
„Aber Madame, das ist doch kein Dreck, das ist Sternenstaub. Es betrübt mich, dass Sie das nicht erkennen konnten. Darf ich Sie mit dem ersten Gang erheitern?“
„Versuchen Sie es, werter Herr.“
„Zu Beginn darf ich Ihnen eine köstliche Hühnersuppe aus der Dose servieren, die Spezialität unseres Hauses.“
Miro reichte ihr einen Teller dampfender Suppe. Er hatte sie über dem Feuer erwärmt.
Da sie kein Besteck besaßen, setze Nea den Teller an die Lippen und nahm schlürfend einen ersten Schluck.
„Was sagen sie, meine Liebe? Konnte ich Ihren hohen Ansprüchen genügen?“
„Sie sagten, das sei eine Dosensuppe…“
„So ist es, Madame. Ist etwas nicht in Ordnung?“
„Sie schmeckt irgendwie anders als sonst.“
Miro lächelte ihr entgegen. Ein Lächeln, das ihr Herz erwärmte. „Das liegt daran, dass sie mit Liebe verfeinert wurde.“
Plötzlich schlägt sich eine der Zwillinge mit der flachen Hand gegen die Stirn.
„Oh man, du musst uns für sehr unhöflich halten, dass wir uns nicht mal bei dir vorstellen. Ich bin Hope und meine Schwester nennt sich Faith. Wie du sicher schon gesehen hast, sind wir Zwillinge, aber wenn du genau hinschaust, kannst du uns trotzdem auseinanderhalten“, fügte sie grinsend hinzu, während mir Faith zuzwinkert. Die Beiden hatten etwas ungewöhnliche Namen. Aber es war in dieser Welt nichts Besonderes, wenn sich Menschen neue Namen gaben. Es hilft ihnen dabei mit ihrem alten Leben abzuschließen, doch für Nea kam das nie in Frage
„Ich bin Nea.“ So hatte sie schon immer geheißen. Ihre Eltern hatten eine Vorliebe für Finnland gehabt und ihrem einzigen Kind deshalb auch einen finnischen Vornamen gegeben.
Nun betrachtet Nea etwas neugieriger die beiden Gesichter, denn etwas anderes ist durch die Kutten von ihren Körpern nicht zu sehen. Sie grinsen beide über das ganze Gesicht. Das Spiel scheint ihnen Freude zu bereiten. In ihren Wangen bilden sich kleine Grübchen und Nea kann sie fast vor sich sehen, wie sie vor der Krankheit so manchen Jungen oder Lehrer veralbert haben, indem sie sich grundsätzlich als die andere ausgegeben haben.
Beide haben auffallend grasgrüne Augen, leicht rötliche Augenbrauen, schneeweiße Haut, kleine Stupsnasen und schmale rosafarbene Lippen. In ihren Ohren baumeln kleine Anhänger mit demselben Abbild von Ereb, wie Urelitas am Finger getragen hat. Die Carris scheinen eine ganze Schmuckkollektion entworfen zu haben, nur um ihren Wahnsinn um Ereb noch weiter zu treiben. Doch einen Unterschied erkennt Nea in den beiden Gesichtern nicht. Da kichern die Beiden auf und Hope zieht an ihrem rechten Ohrläppchen. „Guck hier, da habe ich ein kleines Muttermal, Faith hat keins.“
Tatsächlich, dabei hatte sie gerade noch ihre Ohrringe bewundert. „Hast du auch Geschwister?“
Sie verneint die Frage.
„Oh wie schade…aber eigentlich ist es nicht so schlimm, im Grunde sind die Carris ja so etwas Ähnliches wie eine Familie.“ Faith lächelt dabei selig und scheint wirklich zu glauben, was sie sagt.
Nea kann sich viele Beweggründe erklären, warum jemand bei den Carris sein wollen könnte. Doch diese Sekte als Familie zu betiteln, hält sie für maßlos übertrieben.
„Naja als Familie würde ich sie nicht unbedingt beschreiben…“, rutscht Nea es heraus. Auch wenn sie so tut als wäre sie eine von ihnen, muss sie nicht allem zustimmen. Zudem mag sie die beiden Mädchen irgendwie und da will sie ihnen wenigstens etwas Ehrlichkeit entgegenbringen. Faith und Hope starren sie mit großen, ungläubigen Augen an.
„Bist du denn nicht glücklich bei uns?“
„Doch, aber es ist kein Ersatz für eine Familie. In einer Familie spielt… ich meine ist niemand allmächtig und es gibt auch keine Priester, die mehr zu sagen haben als alle anderen.“
„Doch natürlich. War dein Papa nicht das Oberhaupt deiner Familie? Und stell dir mal vor du hättest ältere Geschwister gehabt, die glauben grundsätzlich schlauer und besser als man selbst zu sein. Das Wichtigste an einer Familie ist doch das man für einander da ist und an dasselbe glaubt.“
„Und was ist mit den Sklaven? Ist es nicht irgendwie unfair, dass sie bei uns bleiben müssen und nicht frei entscheiden können?“
Die beiden sehen sich ratlos an und zögern mit ihrer Antwort. „Ja, du hast schon Recht. Aber wir sind eben auf ihre Hilfe angewiesen. Außerdem behandeln wir sie auch gut. Sie haben immer etwas zu essen und müssen nie frieren. Wir schlagen sie nicht“, übereinstimmend nicken Beide mit dem Kopf.
Nea glaubt ihnen nicht so ganz. Ihrer Ansicht nach wissen auch sie, dass es falsch ist, aber versuchen sich die Sache schön zu reden. Sie wollen nicht darüber nachdenken und erst recht nicht darüber reden.
Deshalb löscht Faith das Licht und die Mädchen kuscheln sich in die warmen Schlafsäcke. Neas Hund rollt sich an ihren Füßen zusammen und legt seinen Kopf auf den Schlafsack. Das Stroh knistert bei jeder noch so kleinen Bewegung, dafür ist es aber herrlich weich, sogar weicher als der Schlafplatz, den Nea im Zelt von Luica hatte. Nur das leise Schnauben und Trappeln der Tiere ist zu hören. Bei den vielen ungewohnten Geräuschen fällt es ihr schwer einzuschlafen, obwohl sie eigentlich sehr müde ist.
Hope und Faith sind beide nett zu ihr und im Gegensatz zu Luica, Harold und Zippi scheinen sie wirklich ehrlich zu sein. Sie haben keinen Grund ihr etwas vorzuspielen oder sie zu belügen. Ganz im Gegenteil, jetzt ist Nea es, die ein falsches Spiel treibt. Sie hat zwar nicht vor den beiden in irgendeiner Weise zu schaden, aber sie ist sich sicher, dass die Mädchen sich trotzdem verraten fühlen werden, wenn sie irgendwann erfahren, dass Nea nie zu ihnen gehört hat. Sie weiß nur zu gut, wie sich das anfühlt und es tut ihr jetzt schon leid, dass sie das nun selbst jemandem antun muss. Das schlechte Gewissen plagt sie bereits jetzt, obwohl noch einige Tage vor ihnen liegen, doch ihr bleibt nichts anderes übrig, wenn sie nach Promise kommen will. Wie soll das dann erst werden? Sie hält sich immer für wahnsinnig clever und stark, aber tief in ihren Inneren ist sie eben doch ein Sensibelchen, wie Miro immer gesagt hat.
Am nächsten Morgen wird Nea erst wach, als Faith sie sanft an der Schulter rüttelt. Es hatte lange gedauert, bis sie überhaupt einschlafen konnte.
Die Tiere stehen immer noch in ihren Gattern, was bedeutet, dass es noch früh am Morgen sein muss. Hope drückt ihr eine Schüssel mit kühlem Wasser in die Hand, damit sie sich das Gesicht waschen kann. Gerade als sie sich die erste Ladung ins Gesicht spritzt, öffnet sich knarrend das Scheunentor, gefolgt von lautem Hundebellen. Urelitas tritt in seiner strahlend gelben Robe herein. Faith und Hope fallend direkt vor ihm auf die Knie und auch Nea hält ihren Kopf gesenkt, da sie ohnehin schon sitzt „Seid gegrüßt, hoher Priester!“
Urelitas lässt wieder einige Zeit vergehen, bevor er sagt: „Guten Morgen, Anhänger des einzigen wahren Glaubens!“
Er scheint es zu lieben seine Macht zu demonstrieren. Nea ist nur froh, dass sie nicht wieder den dämlichen Ring küssen muss. Faith und Hope richten sich auf, doch ihre Blicke wandern stumm in der Scheune herum, aber nie wagen sie es Urelitas direkt anzusehen. Sie haben große Angst vor ihm und Urelitas weiß das, denn er genießt es um sie herum zu marschieren und sie damit noch mehr einzuschüchtern.
„Es ist eine große Ehre für euch von mir ausgewählt zu werden, um nach Fortania zu reisen. Seid euch im Klaren darüber, dass sie euch nur zu Teil wird, weil ihr nun schon so lange zu den Carris gehört. Wenn irgendetwas schief läuft, wird es das erste und letzte Mal gewesen sein. Habt ihr mich verstanden?“
Die Beiden nicken eilig, während Nea schwer ums Herz wird. Sie wollte niemandem schaden und nun schadet sie ausgerechnet den Zwillingen, die sie so herzlich in ihrer Mitte aufgenommen haben. Insgeheim wünscht sie sich, sie wären abweisend und verschlossen ihr gegenüber geblieben. Dann müsste sie jetzt auch kein schlechtes Gewissen haben.
Urelitas wendet sich nun ihr zu. „Verbreitet auf eurem Weg die Botschaft von Chaos und straft die Ungläubigen. Wer weiß vielleicht schickt Ereb euch ja zurück zu mir.“
Neas Magen krampft sich zusammen, als sie sein selbstgefälliges Grinsen sieht.
„Es war mir eine Ehre euch kennen zu lernen“, entgegnet sie höflich und senkt in gespielter Demut ihren Kopf. Sie fühlt sich in ihrer Haltung, auf dem Boden, ihm unterlegen, was ihr definitiv nicht passt.
Wieder verharrt er kurz vor ihr. Doch dann verlässt er endlich mit den Worten „Ereb ist Chaos, Chaos ist Ereb“ die Scheune. Kaum, dass sich die Tür hinter ihm schließt, atmen Hope und Faith erleichtert auf.
„Ich dachte ich mach mir gleich in die Kutte, als er so um uns herumgelaufen ist. Wir kennen ihn nun schon Jahre, aber trotzdem wird er nicht weniger furchteinflößend“, plaudert Hope direkt aufgeregt los.
„War dein Oberbefehlshaber auch so?“, will ihre Schwester von Nea wissen.
„Nein, er war ein Teil von unserer Einheit und hat sich nie als etwas Besseres gesehen. Der einzige Unterschied war seine gelbe Robe“, behauptet Nea.
„Du Glückliche, da kann man dir nur wünschen, dass du nicht mit uns zurückkehren musst, obwohl wir uns freuen würden.“ Die Beiden grinsen Nea verschwörerisch an und sie möchte am liebsten davonrennen, um sie nicht weiter belügen zu müssen.
Wenige Minuten später verlassen sie mit Ruck- und Schlafsäcken bepackt das Dorf. Kaum das es hinter ihnen liegt, drückt Hope Nea einen noch warmen kleinen Brotlaib und eine Flasche Milch in die Hand. „Wenn man eine lange Reise vor sich hat, sollte man wenigstens etwas gefrühstückt haben. Urelitas sagt, wer genug zu Ereb betet, braucht keine Nahrung und wir sollen uns frei von irdischen Bedürfnissen machen, doch unsere Bäuche wollen das nicht so ganz verstehen.“ Ganz so gläubig sind sie also zum Glück doch nicht, das macht sie gleich viel sympathischer.
Das Brot ist köstlich. Erst scheut sich Nea noch davor ihrem Hund etwas abzugeben, wenn er sie auch mit noch so treuen Augen anstarrt. Sie möchte nicht respektlos und undankbar wirken, doch dann ist Hope die Erste die ihm ein Stück zuwirft. „Wer könnte diesen Augen schon widerstehen?!“, kichert sie und es folgt das nächste Stück von Faith. Sie machen sich einen Spaß daraus die Krümel hoch in die Luft zu werfen, um dann zu beobachten wie der Hund sie noch in der Luft fängt. Nicht ein einziges Stück lässt er den Boden berühren. Am Ende hat er bestimmt genauso viel Brot gegessen wie sie selbst.
Gegen Mittag kommen sie an einem der Felder vorbei, auf denen Sklaven arbeiten. Als die Zwillinge sehen, dass sie Erdbeeren anpflanzen, sehen sie das als perfekte Zeit für eine kleine Pause an und laufen zu den Aufsehern auf das Feld. Es ist Nea unangenehm, als sie die verachtenden Blicke der Sklaven auf sich spürt. Ein kleiner Junge fällt ihr dabei besonders auf, da er sie an Zippi erinnert. Schweiß steht auf seiner Kinderstirn und seine Arme sind bis zu den Ellbogen voller Schlamm. Ein Kind, was diese Arbeit zum Spaß machen würde, würden die dreckigen Hände nicht stören, doch der Kleine sieht ganz unglücklich aus. Verstohlen blickt er umher und stopft sich dann eine der Erdbeeren in den Mund. Nea lächelt und denkt, dass der Junge sich eigentlich den ganzen Eimer, der vor ihm steht, verdient hätte. Doch andere scheinen das nicht so zu sehen. Denn in diesem Moment kommt einer der Aufseher laut schreiend auf ihn zu gerannt.
„Du wagst es Ereb zu bestehlen?!“, donnert er mit seiner kräftigen Stimme. Schnell schüttelt der Junge den Kopf, woraufhin der Aufseher mit seiner großen Hand ausholt und dem Jungen eine scheuert, sodass sein kleiner Kopf zur Seite fliegt. Der Anblick zerreißt Nea das Herz und ohne das sie darüber nachdenken kann, schreit sie bereits: „Lass das!“ Der Aufseher fährt irritiert zu ihr herum. Wieder kleben die Blicke aller unangenehm auf ihr.
„Er ist doch noch ein Kind!“, verteidigt sie sich nun etwas kleinlaut.
„Trotzdem darf er Ereb nicht bestehlen. So etwas müssen Kinder schon früh lernen, sonst lernen sie es nie.“
„Wenn du ihn verletzt, kann er aber auch nicht mehr für Ereb arbeiten!“, erwidert sie rebellisch und reckt ihm ihr Kinn provozierend entgegen. Der Aufseher wirft ihr einen letzten bösen Blick zu, bevor er sich wieder zu dem Jungen umdreht. „Mach das ja nicht noch mal!“, zischt er ihn an, bevor er zurück auf seinen Posten geht.
Langsam nimmt alles wieder seinen gewohnten Lauf, als Nea zu Hope und Faith blickt, sieht sie, dass sie ihr ein zaghaftes Lächeln schenken. Auch wenn Nea keine richtige Carris ist, scheinen sie auf ihrer Seite zu stehen und gut zu finden, dass sie sich für den Kleinen eingesetzt hat. Nea erinnert sich daran, dass sie sagten, dass die Sklaven nicht geschlagen werden würden. Vielleicht sind sie deshalb selbst erschrocken über die Brutalität des Aufsehers. Obwohl die Beiden nun schon so lange bei den Carris zu sein scheinen, gibt es wohl noch vieles wovon sie gar nichts wissen und es vielleicht auch nicht wissen wollen. Ein winziger Funke Hoffnung keimt in Nea auf, dass sie sich vielleicht dazu überreden kann die Carris mit ihr zu verlassen, denn sie sind weder verrückt, noch schlechte Menschen oder dumm.
Als sie zu ihrer Reise aufbrach, wollte sie niemanden um sich haben, sondern alles alleine regeln. Und jetzt, nach nicht einmal einer Woche und bereits dem ersten Verrat, sehnt sie sich schon nach dauerhafter Gesellschaft. Ob es Nea nun gefällt oder nicht, muss sie einsehen, dass sie bei weitem nicht so stark ist, wie sie gedacht hatte. Miro sagte immer, sie sei ein Widerspruch an sich. Natürlich hat sie es jedes Mal lauthals abgestritten, doch trotzdem hallen seine Worte nun immer wieder durch ihren Kopf. Sie würde alles dafür geben es ihn noch einmal sagen zu hören und dieses Mal würde sie ihm sogar zustimmen, worüber er vermutlich enttäuscht wäre.