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Es ist schon Abend, als die Soldaten zurückkommen. Sie haben einen Jungen dabei. Einen von den dreien, die Anselmo bei der Machamba gesehen hat. Er sieht jetzt ganz anders aus. Das Angespannte und Bedrohliche in seinem Gesicht ist verschwunden.

Er hat Angst, denkt Anselmo. Genau solche Angst, wie ich hatte. Die Leute versammeln sich um sie. Einige Frauen bespucken den Jungen.

»Lasst das! Er ist doch noch ein Kind!«, hört Anselmo seinen Vater sagen.

»Das sind die Allerschlimmsten«, ruft jemand aus der Menge, die ständig größer wird . . . alle wollen den Gefangenen sehen.

»Er könnte genauso gut einer von uns sein«, sagt der Vater. »Sie entführen und trainieren sie, dann werden sie auf Drogen gesetzt und gezwungen, die abscheulichsten Grausamkeiten zu begehen. Wenn einer von ihnen es auch nur wagt zu widersprechen, wird er getötet.«

Einige der Frauen schnauben verächtlich über seine Worte. Die meisten hören ihm gar nicht zu. Als die Soldaten den verängstigten Jungen mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf die Ladefläche des Wagens werfen, jubeln sie. Das Auto startet und verschwindet in einer Wolke aus Staub.

Einige der Soldaten bleiben im Dorf. Die Banditen hatten ja keine Gelegenheit gehabt, etwas zum Essen zu rauben, vielleicht kommen sie wieder. Es gibt zurzeit viel Hirse und Mandioka im Dorf.

Auf dem Markt hatte der Vater gehört, dass mehrere Dörfer in der Nähe überfallen worden seien. Er erzählt darüber, als sie am Abend um das Feuer sitzen.

»Ich kann nicht mehr warten«, sagt er schließlich und schaut sie ernst an. »Ich schließe mich den Soldaten an, wenn sie wegfahren.«

Lucinda und Rosa schauen ihn erschrocken an. Die Mutter steht auf, wendet ihnen den Rücken zu und trifft die Vorbereitungen für die Nacht.

»Und wenn sie wieder kommen«, sagt Anselmo erregt. »Was könnte ich denn machen?«, fragt der Vater. »Sie sind bewaffnet. Das hast du selbst gesehen. Was glaubt ihr, wäre passiert, wenn nicht zufällig die Soldaten in der Nähe gewesen wären? Sie hätten das ganze Dorf niedergebrannt!«

Die Mutter schweigt noch immer. Der Vater spricht weiter, als ob er sich selbst überzeugen müsste.

»Es werden Soldaten gebraucht. Ich weiß es! Ich werde keine Ruhe mehr haben, wenn ich da unten in der Machamba arbeite. Was hätte ich heute machen können? Mich zusammen mit Anselmo hinter einem Busch verstecken? Nein, so geht es nicht weiter. Ich werde in der Armee gebraucht. Ich habe mich entschieden. Und habe gehört, dass auch andere Männer so denken.«

Am nächsten Morgen sagt der Vater zu Anselmo, dass er nicht in die Machamba gehen soll. Er wolle mit ihm reden.

Sie setzen sich unter den Mangobaum vor der Hütte. Der Vater ist sehr ernst. Es muss etwas sehr Wichtiges sein. »Du bist zwar noch nicht ganz zehn Jahre alt«, beginnt er, »aber du bist stark und du bist klug für dein Alter, außerdem bist du mein ältester Sohn. Deshalb möchte ich, dass du mir dein Ehrenwort gibst, alles in deiner Macht Stehende zu tun, um die Familie zusammenzuhalten. Wenn ihr aus irgendeinem Grund nicht im Dorf bleiben könnt, dann will ich, dass ihr alle zusammen zu Onkel Miguel in die Stadt geht. Er wird euch helfen.«

Anselmo fühlt sich im Moment wahrlich weder sehr stark noch besonders klug. Am liebsten wäre ihm, wenn der Vater bei ihnen bliebe. Aber er ist auch stolz, dass er ihm eine solche Verantwortung überträgt, und mit größtem Ernst gibt er dem Vater sein Ehrenwort.

Schon am gleichen Nachmittag werden die Dorfbewohner zur Versammlung am Brunnen gerufen. Einer der Soldaten spricht zu ihnen und sagt, viele der Männer aus dem Dorf würden mit den Soldaten zum Stützpunkt kommen, wo sie eine Ausbildung erhielten. Er ermahnt die Zurückbleibenden, und das sind fast nur Frauen, Kinder und Ältere, ganz besonders vorsichtig zu sein. Sie müssen sich nachts im Busch verstecken, sagt er. Das machen sie auch in anderen Dörfern. Man arbeitet tagsüber auf seiner Machamba und schläft nachts im Busch, wenn die Gefahr eines Überfalls besonders groß ist.

Einige Stunden später fahren sie ab. Anselmo bleibt noch lange stehen und schaut der Wolke nach, die die Autos auf der trockenen Schotterstraße hinterlassen.

Wird er seinen Vater je wieder sehen?

In der ersten Zeit nach dem Überfall gehorchen viele dem Rat der Soldaten und halten sich nur tagsüber im Dorf auf. Anselmos Familie macht es auch so, sie nehmen jede Nacht auch die Großeltern mit zum Schlafen in den Busch. Aber als die Zeit vergeht und nichts passiert, kehrt man wieder zu den alten Gewohnheiten zurück und versucht, so normal wie möglich zu leben.

Vom Vater hören sie nichts. Sie wissen nicht, wo er ist und ob er überhaupt noch lebt.

Onkel Miguel kommt jedoch ab und zu auf Besuch, was Anselmo ganz besonders freut, weil er von ihm Portugiesisch lernt. Er bringt auch den älteren Geschwistern bei, ihren Namen zu schreiben. Keiner von ihnen ist besonders oft in die Schule gegangen, als es sie noch gab, sie wurden zu Hause und auf der Machamba gebraucht. Einmal kommt eine größere Regierungspatrouille ins Dorf. Die Frauen geben den Soldaten zu essen und überschütten sie mit Fragen nach ihren Männern, aber die Soldaten kommen aus weit entfernten Dörfern und können nichts berichten. Sie gehen lieber zu Senhor Fernando, der sie zu selbst gebrautem Bier einlädt. Nach vielen Stunden, in denen laut gelacht und geredet wurde, kehren sie zu den Hütten der Frauen zurück. Als die Soldaten, die bei Anselmos Familie gegessen hatten, durch die Türöffnung getorkelt kommen, sagt die Mutter, Anselmo solle mit den Geschwistern in den Busch gehen und dort schlafen.

Einer der Männer grinst Rosa schmeichelnd an, sie ist schon eine junge Frau.

»So ein hübsches Mädchen braucht doch nicht im Busch zu schlafen, wenn es hier genug Männer gibt, die sie beschützen können«, lallt er.

Rosa schaut schüchtern zu Boden und sagt mit leiser Stimme: »Julio schläft nicht, wenn ich nicht bei ihm bin. Ich komme zurück, wenn er eingeschlafen ist.«

»Ich warte auf dich«, sagt der Fremde.

Dann wendet er sich der Mutter zu und fängt mit ihr zu schmusen an. Anselmo will protestieren, aber der Mann ist groß und stark, und er versteht, dass die Mutter um jeden Preis Rosa schützen will. Deshalb schweigt er, beißt die Zähne zusammen und geht mit seinen Geschwistern in den Busch. Sie kommen erst zurück, als sie die Autos der Patrouille in der Feme verschwinden hören. Da ist schon wieder Tag, und die Sonne steht hoch am Himmel.

Die Mutter stößt Mais, als sie zurückkommen. Sie schaut sie nicht an, und sie stellen keine Fragen. Aber es schmerzt Anselmo, als er einen neuen Zug von Müdigkeit und Resignation in ihrem Gesicht bemerkt.

Das Dorf ist wieder seinem Schicksal überlassen worden. Auf Gedeih und Verderb.

Anselmo - ein Kindersoldat in Mosambik

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