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3.3 Soziale Integration

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Der Begriff der Sozialen Integration ist historisch verknüpft mit dem Konzept der Aussonderung, der separaten Bildung und der institutionellen Gestaltung der Lebensbereiche Arbeit, Freizeit, Wohnen sowie der medizinischen und pflegerischen Versorgung und Begleitung. Als Gegenbegriff wurde um 1980 der Begriff der Nichtaussonderung in die Debatte eingebracht (Schildmann, 1996). Man unterscheidet dabei physische Integration (gleichberechtigte Teilhabe/Teilnahme von Menschen mit Behinderung in der Mitte und geographischer Nähe von nichtbehinderten Menschen), funktionale Integration (gleichberechtigte Teilhabe/Teilnahme an allen Institutionen und Organisationen des öffentlichen Lebens) und soziale Integration (Akzeptanz des behinderten Menschen als vollwertiger Bürger der Gesellschaft).

Der Begriff der Integration hat heutzutage mit dem Begriff der Inklusion vieles gemeinsam. »Von vornherein (sollte) verhindert werden, dass Integration notwendig wird, denn der Begriff setzt ja eine vorangegangene Isolation voraus« (Schöler, 1983, in Schildmann, 1996, S. 22).

Nach Speck (1999) hat der Begriff der Integration zwei Seiten: sowohl benötigte Kompetenzen des Individuums als auch Motivation bzw. positives Bemühen der Gesellschaft. Diese Auffassung schließt sich an das Normalisierungskonzept von Nirje an (siehe oben), wobei dieser Integration als »die Beziehung zwischen Menschen auf der gegenseitigen Anerkennung der Integrität des anderen und auf gemeinsamen Grundwerten und Rechten« versteht (Nirje, 1994, S. 200). Die Gleichstellung aller Menschen mit oder ohne Behinderung, und die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist dabei unbedingte Voraussetzung für ein funktionierendes, gleichberechtigtes Leben in der Gesellschaft (vgl. Stöppler, 2002, S. 29).

Seifert (1997) bezieht die Integrationsebenen auf den Wohnalltag von Menschen mit geistiger Behinderung. Sie unterscheidet:

»Räumliche Integration: Wohneinrichtungen sind in normalen Wohngegenden angesiedelt.

• Funktionale Integration: Allgemeine Dienstleistungen werden auch von Menschen mit geistiger Behinderung in Anspruch genommen (z. B. öffentliche Verkehrsmittel, Restaurants, Schwimmbäder).

• Soziale Integration: Die sozialen Beziehungen in der Nachbarschaft sind durch gegenseitige Achtung und Respekt gekennzeichnet.

• Personale Integration: Das Privatleben wird durch das jeweilige Lebensalter entsprechende persönliche Beziehungen zu nahestehenden Menschen als emotional befriedigend erlebt. Im Erwachsenenalter beinhaltet dies ein möglichst selbstbestimmtes Leben außerhalb des Elternhauses.

• Gesellschaftliche Integration: Menschen mit geistiger Behinderung werden in Bezug auf gesetzliche Ansprüche als Mitbürger akzeptiert. Sie können bei Entscheidungen, die ihr Leben und ihren Alltag betreffen, mitbestimmen – sowohl als Einzelperson als auch als Mitglied von Selbsthilfegruppen.

• Organisatorische Integration: Die organisatorischen Strukturen einer Gemeinde fördern und unterstützen die Integration von Menschen mit geistiger Behinderung« (ebd., S. 27).

Wirkliche Integration ist nur möglich, wenn Individuen einerseits die Normen, Werte und Regeln einer Gesellschaft internalisieren können und in partizipatorisches Handeln umsetzen können, die Gesellschaft aber andererseits alles dafür tut, eine gleichberechtigte Teilnahme zu ermöglichen. Für eine gelungene Sozialisation und das Ermöglichen einer Teilnahme braucht auch der Mensch mit geistiger Behinderung Anleitung und Unterstützung, um:

• »Kommunikationsfertigkeiten und -möglichkeiten zu entwickeln und zu erschließen,

• soziale Verhaltensweisen auszubilden und soziale Interaktionen zu unterstützen und zu erweitern,

• die Übernahme, das Erlernen sozialer Rollen zu ermöglichen,

• die Teilhabe an Gruppenerfahrungen und -aktivitäten auszubauen und das Zugehörigkeitsgefühl zu verstärken,

• die konkrete Eingliederung in Spielgruppen, Lerngruppen, Arbeitsgruppen und Freizeitgruppen zu begleiten und zu stabilisieren,

• die berufliche Eingliederung in eine Werkstatt sicherzustellen und lebensdienlich zu gestalten« (Speck, 1999, S. 183).

Die Position und Funktion der Werkstufen der Schulen zur Vorbereitung z. B. auf Arbeit und Wohnen, aber auch der Werkstätten und Wohnformen als Vermittler von Information und Bildung für erwachsene Menschen wird innerhalb des Integrationskonzepts zunehmend kritisch diskutiert.

Hinze (2007) formuliert dies so:

»Schon lange bildet ›Integration‹ für die Sonderpädagogik einen Leitbegriff. Bereits die Teilhabe an Bildung wird als wichtiger Schritt zur gesellschaftlichen Integration gesehen. Es geht primär darum, Menschen mit Beeinträchtigungen ein Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen – realisiert über den Weg separierter Bildungswege. Zu einer Kontroverse kommt es, seit eine Elternbewegung Integration nicht nur als Ziel, sondern auch als Weg proklamiert; alle Kinder und Jugendlichen haben demnach einen Anspruch auf den gemeinsamen Besuch von allgemeinen Kindergärten, Schulen und Freizeitgruppen sowie eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und auf das Wohnen innerhalb der Gemeinschaft« (ebd., S. 173).

Seit einigen Jahren vollzieht sich ein langsamer Paradigmenwechsel – von der Normalisierung und Integration hin zur Selbstbestimmung, Inklusion und Teilhabe. Professionelle Begleiter, Familie und Bekannte stützen dabei die Selbstverantwortung des Menschen mit geistiger Behinderung, geben Informationen, helfen beim Lernen und unterstützen bei oder führen in Stellvertretung Tätigkeiten aus, bei denen Hilfe angefordert wird. Ein wesentlicher Ansatz dabei ist die Entwicklung flexibler und menschengerechter Lebens- und Wohnmodelle, die in der Lebensumgebung der Menschen ohne und mit Behinderungen angesiedelt sind. Der Umgang mit vertrauten Menschen, die Einbeziehung in das kulturelle und soziale Umfeld sind zentrale Gedanken des sogenannten »community based living«, das in ganz Europa zunehmend Eingang in die Planungen und Gestaltungen des Lebens von Menschen mit Behinderungen findet.

Altern mit geistiger Behinderung

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