Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!" - Meinhard Saremba - Страница 13

In der Fremde

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Als Johannes Brahms und Eduard Reményi am 19. April 1853 aufbrachen, um »auf die Wanderschaft« zu gehen, wie es damals hieß,31 war ihnen keineswegs klar, wo und vor wem sie musizieren könnten, ja, wohin sie der Weg letzten Endes überhaupt führen würde. Ein organisiertes Konzertwesen gab es Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht. Sofern es sich nicht um Starvirtuosen à la Paganini oder Liszt handelte, sahen sich die Interpreten selbst genötigt, Kontakte zu knüpfen, geeignete Räumlichkeiten zu organisieren, ihre Auftritte anzukündigen und mitunter sogar die Karten selbst zu verkaufen. Auch für die 20 Jahre junge Clara Wieck wurden diese Prozeduren ein wichtiger Teil ihres Abnabelungsprozesses von der väterlichen Fürsorge. »Alle Briefchen (was so zum Concert gehört) muß ich selbst schreiben, Freibillette herumschicken, Stimmer, Instrumententräger besorgen und dabei studiren? Das ist ja ein wenig viel«, klagte Clara ihrem Robert; zudem nervten sie die zur Kontaktpflege unerlässlichen »vielen uninteressanten Besuche«.32 Doch auch wenn ihr Vater hoffte, sie würde mit der Selbstorganisation ihrer Auftritte scheitern und kleinlaut an die Pleiße zurückkehren, biss sich Clara durch und fand bei ihren Auftritten in Paris zuletzt Unterstützung bei ihrer Jugendfreundin Emilie List und der Sängerin Pauline Viardot-García, die sie von Gastspielen in Leipzig kannte. »Ich sehe jetzt, daß ich ohne meinen Vater auch in der Welt dastehen kann«, erkannte sie.33

Johannes ging im gleichen Alter mit dem Segen seiner Familie in die Fremde. Sein Ehrgeiz dürfte zunächst einmal darin bestanden haben, mit handfesten Ergebnissen in den Kreis der Seinen zurückzukehren. Er hatte mit Reményi vor dieser Konzerttournee nur in Hamburg und Winsen auf der Bühne gestanden. Durch gelegentliche Auftritte in der Region weckten die beiden Musiker die Aufmerksamkeit eines gut situierten Beamten namens Blume, der als Verwalter über Kontakte in einige Bezirke nördlich der damals preußischen Provinzhauptstadt Hannover verfügte. Auf seinen Rat hin steuerten sie zunächst Lüneburg, Hildesheim und Celle an. Durchaus realistisch erscheint eine Überlieferung, derzufolge Brahms es seinem Kollegen bei einer der Darbietungen ersparen wollte, seine Geige wegen des miserablen Klaviers um einen halben Ton hinabzustimmen. Stattdessen transponierte er im Konzert selbst Beethovens Violinsonate op. 30, Nr. 2 von c nach cis-Moll. Noch als reifer Künstler ließ Johannes in einem Brief an Clara die Bemerkung fallen, das »Transponieren-Lernen« halte er für eine »Übungs- und Gewohnheitssache«, denn »wer alle Tage Sänger zu begleiten hat, wird es bald lernen«.34 Bereits sein Lehrmeister Marxsen hatte ihn stets ermutigt, bedeutende Musikstücke vom Blatt in alle möglichen Tonarten zu transponieren, um dadurch technische Flexibilität zu erlangen. Allerdings dürfte dieses Improvisationstalent den wenigsten aufgefallen sein. Was hingegen ins Auge stach, waren die unterschiedlichen Temperamente. Reményi besaß das, was dem introvertierten Brahms abging: Draufgängertum und ein Talent zur Selbstdarstellung. Der Hanseat begeisterte sich dennoch sein Leben lang für die sogenannte »Zigeunermusik« und schrieb später selbst »Ungarische Tänze« und »Zigeunerlieder«. Die für Norddeutsche exotisch anmutenden Rhythmen und der Elan dieser Musik besaßen den Hauch von Freiheit – sie schien die Musik der mutigen Außenseiter zu sein. Brahms’ eigene Musik indes, die in jener Zeit entstand, erzählte von inneren Kämpfen, wie etwa die ersten Klaviersonaten oder die frühen vom Pianoforte begleiteten Gesänge für Tenor- bzw. Sopranstimme.

Für die Reiseorganisation blieb vorerst Reményi die treibende Kraft. Große Hoffnungen setzte der Magyar in ein Wiedersehen mit seinem früheren Schulfreund Joseph Joachim, der seit Jahresbeginn Konzertmeister beim Hoforchester in Hannover war. Er ahnte nicht, dass sein Begleiter Johannes Brahms ein viel interessanterer Gesprächspartner für Joachim werden würde.



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