Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!" - Meinhard Saremba - Страница 15

Zwischen Effekt und Sinngebung

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Erst schemenhaft deutete sich eine Entwicklung an, die sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte durch die immer stärkere Bedeutung des Musikjournalismus und die vermehrte Professionalisierung des Konzertwesens zu aggressiv geführten Lagerkämpfen auswachsen sollte. Was zunächst vornehmlich Fragen der Interpretation betraf, berührte im weiteren Verlauf auch zunehmend Facetten des Komponierens. Der Liszt-Bewunderer Eduard Reményi gehörte zu einem Typus von Instrumentalisten, die nicht vor effektheischenden Übertreibungen zurückscheuten wie etwa der Uraufführungssolist des Beethovenschen Violinkonzerts, Franz Clement. Dieser hatte seinerzeit das Opus 61 lässig vom Blatt gespielt und bereits auf dem Anschlagzettel der Uraufführung im Theater an der Wien zusätzlich ankündigen lassen, er werde in diesem Konzert »auf der Violine phantasiren und auch eine Sonate auf einer einzigen Saite mit umgekehrter Violin spielen«. Was bei den einen die »Horre fliegen« ließ, ließ sie den anderen zu Berge stehen. Es muss nicht verwundern, wenn es in Berichten von der Premiere des Beethoven-Konzerts hieß, dass »der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten«.44 Erst Joseph Joachim verstand es, dem Rhapsodischen des Werks einen Sinn zu verleihen. Er hatte Beethovens Violinkonzert zunächst als Dreizehnjähriger unter Mendelssohns Leitung in London gespielt und konnte mit Hilfe des Stardirigenten und Komponisten sowie zunehmender Erfahrung sich das schwer in allen Facetten auszulotende Opus immer mehr zu eigen machen. Liszt hegte großen Respekt vor Joachim, während er Reményis Auftreten eher »possenhaft« fand. In seiner Publikation Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn charakterisierte er Reményi als einen »gegen alle Monotonie sich auflehnenden« Künstler. »Reményis Ideal ist das des Zigeuners mit seinem ganzen Stolz, seiner tiefen Bitterkeit, seiner vielfarbigen und vielgestaltigen Träumerei, seinem lebhaften, zierdereichen Schwung«, meinte Liszt,45 wobei zwischen den Zeilen auch die Haltung mitschwang: Ganz anders als die steife und staubtrockene Clara Schumann mit ihren Traditionalistenfreunden.

Der junge Brahms musste zwischen den beiden Polen erst noch seinen Weg suchen. Sollte er als unabhängiges ›gottbegnadetes Genie‹ auftreten oder die Rolle des in der Tradition verwurzelten ›Meisters‹ geben? Konnte man als reisender Virtuose sein Auskommen finden, oder war es nicht doch sicherer, wie Joachim eine feste Anstellung anzustreben? Steht Unterhaltungsmusik im Widerspruch zu tragisch-dramatischen Kompositionen? Wo durfte man sich positionieren zwischen Äußerlichkeiten und unergründlicher Tiefe, zwischen Selbstdarstellung und einem von Herzen empfundenen expressiven Ausdruck? Johannes Brahms sollte bald herausfinden, wie er Joachim und Liszt einzuordnen hatte.



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