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7. Teil: Neues auf dem Revier

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Bevor ich zu dem übergehe, was sich gegen Mittag auf dem Revier, welches der Capitano Marcello kommandierte, ereignete, will ich Dir, lieber Leser (m/w/d), sein Reich beschreiben:

Denke Dir ein großes Gebäude im römischen Atriumstil. Vier Säulen stützen das Dach, das in der Mitte eine quadratische Lücke aufweist, damit durch die Verglasung Licht in den Innenhof fallen kann. Durch den Eingang vorn am Gehsteig und den dahinter liegenden Korridor waren die Besucher nur bis an eine Absperrung gelangt. Davor waren Sitzbänke aufgestellt worden, auf denen sie murrend Platz nahmen.

Gekommen waren Vertreter der Tageszeitungen, allen voran Alberto Scimmia vom Corriere della Sera. Jeder einzelne hatte sich seinen Kameramann mitgebracht, der in Windeseile alles, was er sah, im Kasten unterbrachte, um es später seiner Zeitung zur Verfügung zu stellen.

Erwartungsfrohe Ruhe herrschte, als Tenente di Fusco endlich beschloss, aus dem hinteren Eingang hervor zu treten, um die eigens dafür hierher zitierten Journalisten zu informieren. Mein Freund Volpe war, wenn ich das so sagen darf, Regisseur der Inszenierung. Er hatte die nun folgende Komödie vorbereitet und hielt sich jetzt verborgen. Alles verlief wie am Schnürchen:

Schleppenden Schrittes und eine mehr als besorgte Miene mimend, trat di Fusco vor die Zeitungsfritzen, und schon, so schien es, wollte er eine Ansprache halten, als zwei seiner Carabinieri polternd den Raum betraten. In ihrer Mitte führten sie einen Mann, der sich unter ihrem festen Griff wand und aufbäumte. Er trug einen langen Mantel und hatte sich die Kapuze über das Gesicht gezogen. Meister Scimmia vom Corriere sprang auf und rief voller Erregung:

»Signore Tenente, wer ist das?«

Welch überflüssige Frage! Wenn nämlich zwei von Ambrosios Carabinieri einen Mann aufs Revier schleppten, war die Botschaft doch wohl eindeutig.

»Ist er verhaftet? Hat er etwas mit den Morden zu tun? Wird er zu Marcello gebracht?«

Ambrosio antwortete nicht, ging zu Marcellos Türe und klopfte respektvoll an. Auf ein markantes »herein« verschwanden er, seine beiden Polizisten und der Vermummte im Arbeitszimmer des Polizeichefs. Die Tür schloss sich hinter ihnen.

»Hast du ihn abgelichtet?«, fragten Signore Scimmia und seine Kollegen den jeweiligen Kameramann.

»Das schon«, antworteten sie unisono, »aber sein Gesicht war unter der Kapuze verborgen. Im Mantel steckend, sieht einer wie der andere aus. Wir hätten uns die Mühe sparen können.«

Und schon kam der Tenente wieder zum Vorschein.

»Wer war dieser Mann da eben?«, fragte Scimmia, »ein Verdächtiger? der Täter? Der Würger von Venedig.«

Ambrosio tat verlegen und schien sich zu winden.

»Darüber darf ich euch leider gar nichts sagen. Dienst ist Dienst. Fragt doch den Capitano!«

»Wenn es der gesuchte Mörder war, warum trug er die Hände nicht auf den Rücken gefesselt?«

»Auch darüber zu sprechen, bin ich nicht befugt.«

Ambrosio ging wieder zum Chef hinein. Die Zeitungsmänner murmelten während dessen ihre vagen Berichte ins Aufnahmegerät und schickten sie per Mail zur Redaktion. Dort würde man die Reportage reißerisch aufbereiten, um sie noch am Abend unter das Volk zu bringen, während die Männer der schreibenden Zunft geduldig der Dinge harrten, welche sich bei Marcello noch abspielen sollten. Darüber war einiges Wasser den Po hinunter geströmt und die Sonne weit nach Westen gewandert.

Immer häufiger sahen sie nun aufgeregte Carabinieri durch das Atrium hetzen, um bei Marcello vorzusprechen. Kurz darauf verließen sie wieder das Haus, ohne sich auch nur ein Wort entlocken zu lassen, während schon andere vorsprachen. Drinnen aber schien das Verhör des Festgenommenen weiter zu gehen. Laute Stimmen drangen durch das Holz der Tür, gelegentlich sogar wüstes Fluchen.

Inzwischen brachte ein Angestellter den schwitzenden Journalisten etwas zu Trinken, samt ein paar Häppchen. Eine glühende Hitze lag nämlich weiterhin über der Stadt und benahm den Bewohnern den Atem. Dankbar schlürften die Zeitungsleute das Getränk, um dann weiterhin Maulaffen feil zu halten.

Als die Sonne schließlich blutrot im grauen Dunst des Westens hing, weit weg über dem Festland, öffnete Ambrosio wieder die Tür. Einen Augenblick lang schien es so, als wollte er auf die Journalisten zugehen, doch dann besann er sich eines Anderen und machte wieder kehrt. Die Tür schloss sich wieder hinter ihm.

Dann begann das Dämmerlich herein zu sickern. Die Reporter lechzten nach dem Einschalten des elektrischen Lichtes, und jetzt hörte man ein rumpelndes Stühle-Rücken.

Ambrosio verließ das Zimmer als erster. Ihm folgte der Unbekannte, der wiederum die Kapuze fest um das Gesicht herum gezurrt hatte. Neben ihm schritten, grimmig drein blickend, zwei Carabinieri. Marcello beschloss den Zug.

Wortlos gingen sie hinüber zu der mit Eisen beschlagenen Türe, die ins kleine Gefängnis des Reviers führte. Dort stießen sie den Mann hinein. Ambrosio wuchtete die Pforte geradezu theatralisch ins Schloss und schob einen Riegel zu. Ein Wachmann stellte sich davor. Dann drehte sich Ambrosio zu den Männern um, die ihre Fragen nur so auf ihm niederprasseln ließen:

»War das ein Zeuge oder ein Tatverdächtiger?«

»Ich bin nicht befugt, darauf zu antworten.«

»Signore Tenente, ist das eine heiße Spur?«

»Vielleicht. Fürs Erste tut es mir leid, dass ich euch nichts sagen kann, wirklich, ich habe nichts zu berichten.«

»Gehen Sie noch heute zum Oberstaatsanwalt, um einen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken?«

»Vielleicht morgen. Heute ist es zu spät. Der Mann da ist hinter Schloss und Riegel und entwischt uns nicht.«

»Beenden Sie für heute Ihre Arbeit?«

Ambrosio richtete seine Blicke hinauf in die quadratische Öffnung des Daches. Grau rieselte das Licht des endenden Tages durch das trübe Glas herein. Die Vögel waren bereits mit dem Abendkonzert beschäftigt. Er sagte seufzend:

»Es ist spät geworden, verdammt spät. Der Tag war lang, und ich habe bei dieser Hitze alles durchgeschwitzt. Gegenüber hat eine Trattoria noch geöffnet. Ich gehe hinüber, um eine Kleinigkeit zu trinken und zu essen. Ich habe es bitter nötig. Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Morgen ist wieder ein Tag.«

Die Zeitungsfritzen sagte jetzt nichts mehr: Man sah di Fusco und Marcello gemeinsam fort gehen. Die Journalisten schlossen sich ihnen an. Der Tag ging zur Neige. Dann standen sie einträchtig um die Theke herum und prosteten einander zu. Ambrosio und Marcello bemühten sich, sorgenvoll drein zu blicken, während sie ihre Bestellung aufgaben.

Noch aßen sie und kauten auf beiden Backen, da verabschiedeten sich die Zeitungsleute, einer nach dem anderen. Sie hatten begriffen, dass es heute nichts Neues mehr gab und strebten zur jeweiligen Redaktion, um noch rasch einen Bericht zu digitalisieren. Als der letzte von ihnen verschwunden war, brach Marcello in ein homerisches Gelächter aus. Glucksend vor Lachen sagte er:

»So, das hätten wir! Gott sei Dank, es ist ausgestanden. Kaum zu glauben, dass sie uns die Komödie abgenommen haben, welche die Leute vom Theater inszeniert haben. Wenn mich Vater Staat eines Tages bei den Carabinieri rausschmeißt, weil ich silberne Löffel geklaut habe, werde ich Schauspieler und trete postwendend im ‚Teatro Malibran‘ auf. Ihr werdet schon sehen!«

»Und ich bin dein Kollege«, sagte Ambrosio grinsend, »aber was ist, wenn sie uns auf die Schliche kommen, wenn sie feststellen, dass wir sie verarscht haben?«

»Sollte der Volpe-Plan so ablaufen, wie gedacht, werden sie gar nichts davon erfahren; wenn nicht, lassen wir uns etwas einfallen, irgendeine Ausrede oder Lüge. Wie heißt es doch schon im Alten Rom? Mundus vult decipi – die Welt will betrogen sein.«

Es begann zu dunkeln, als sie sich trennten, um unabhängig von einander nach Hause zu gehen. Sie hätten eine Gondel oder ein Wassertaxi nehmen können, das wäre bequemer gewesen, gingen aber aus ganz bestimmten Gründen lieber zu Fuß.

Häufig begegneten ihnen Frauen, die bei ihrem Anblick das Weite suchten, bereit, beim geringsten Verdacht um Hilfe zu rufen. Wie sollten sie es ihnen erklären, dass sie das Gegenteil des Vermuteten waren? In den vergangenen drei Nächten waren drei Ihresgleichen hingeschlachtet worden, und dass der Täter womöglich immer noch frei herum lief, schrie zum Himmel.

Doch überall in Venedig war das Gerücht wie ein Lauffeuer umgegangen, dass der Tenente und Marcello einen Verdächtigen festgenommen hätten. Die Schlagzeilen lauteten:

»Haben die Carabinieri den Frauenmörder verhaftet?«

»Ist der Verhaftete der Frauenmörder von Venedig?«

Di Fusco und Marcello lasen es mit heimlichem Vergnügen. Die Einzelheiten, welche unter der Blockschrift zum Besten gegeben wurden, interessierten sie weniger. Sie wussten, was da geschrieben stand und stapften in die allmählich im Dunklen versinkenden Gassen der Stadt hinein, der Dinge harrend, die da kommen würden, denn sie alle waren davon überzeugt, dass der Mörder dem obigen Berichteten jetzt mit aller Macht entgegen treten müsse. Das werde er durch seinen vierten Mord unter Beweis stellen, falls er sein Gesicht nicht verlieren wolle.

Diesmal aber war seine Ausgangslage eine andere. Diesmal war er der Reagierende, und diesmal hatte er keine Zeit mehr zu verlieren, um zu morden. Volpe baute fest darauf, dass er versuchen würde, die erstbeste Frau niederzustechen, und das war unsere Chance. Dabei könnte man ihn vielleicht überrumpeln. Würde er uns in die Falle gehen? Alle Hoffnungen der Carabinieri lagen darauf, dass der zweite Teil des Planes, den ihnen mein Freund vorgelegt hatte, ebenso erfolgreich wie der erste verlaufen würde.


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