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15. Teil: Ein Jahr später

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Volpe machte mit seiner obigen Androhung ernst, und wir siedelten für einige Zeit nach Rom über, wo ich Tenente Annibale persönlich kennen lernen konnte. Hier Näheres über ihn zu schreiben, hieße Eulen nach Athen tragen. Dafür ist er in der Ewigen Stadt viel zu bekannt.

Nachdem wir unserem Freund im Fall des Frauenmörders von Tivoli Beistand geleistet und ihn gemeinsam aufgeklärt hatten, blieben wir noch einige Zeit in der, wie Volpe sagte »nach Venedig schönsten Stadt der Welt«. Dann reisten wir in die Lagune zurück. Ein Jahr war seitdem vergangen, und der kochend heiße Augustus hatte Venedig fest im Griff.

Mein Freund brauchte seine Zeit, sich wieder an sein gewohntes Dasein zu gewöhnen und lümmelte tagelang untätig in seinem kleinen Palazzo herum. Er war wieder einmal einer grenzenlosen Lethargie verfallen und tat stundenlang nichts anderes als auf seiner Violine zu spielen, manchmal stundenlang nur Tonleitern im Doppelgriff.

Als drüber bereits fünf Tage vergangen waren, forderte ich ihn auf, mit mir einen Spaziergang durch Venedigs Gassen und zu den Schauplätzen des dort erlebten Dramas zu machen. Nach kurzem Nachdenken gab er gähnend seine Zustimmung. Wir schnürten die Sandalen, dann ging es los. Ein heißer Südwind machte uns zu schaffen. Kaum zu glauben, dass seit den Morden ein ganzes Jahr vergangen war.

Wir schlenderten zum nahe gelegenen ‚Rio di S. Marina‘. Dort nahmen wir ein Wassertaxi, um über den ‚Canal Grande‘ zum ‚Rio di San Felice‘ zu schippern und an der Brücke zur ‚Calle di Pistor‘ auszusteigen. Wir beabsichtigten, Marias Haus zu sehen und schlenderten in diese Richtung. Eine riesige Überraschung harrte unser, denn die Metzgerei hatte einer wunderschönen Wirtschaft Platz gemacht. Neugierig gingen wir hin.

Eine lange runde Theke, fein aus Marmorplatten gefügt, war samt einer Reihe von Barhockern an Stelle des Fleischertresens getreten. Hinter ihr war ein pechrabenschwarzer Koch damit beschäftigt, alles Mögliche über einem Kohlebecken zu garen oder zu grillen. Im Hintergrund stand eine Armee aus Weinflaschen. Am schlanken Hals war das Etikett mit der Bezeichnung der Sorte zu finden. Ganz vorne aber wuselte eine hübsche Frau hin und her, um die Gäste zu bedienen, die sich da versammelt hatten.

Als wir näher traten, erkannten wir unsere Maria Augusta wieder, aber in welch unerwartetem Maße hatte sie sich verändert: Als ehrenwerte Dame hatte sie mein Freund damals nach Hause gebracht, streng und vornehm gekleidet, doch jetzt?

Volpe kicherte und kicherte, als er sie gewahrte und wiedererkannte: Sie trug einen seidenen Fummel, der ihr wie eine zweite Haut auf den Leib geklebt war, ärmellos und kurz. Das Haar hatte sie sich blondieren und mit der Brennschere in Locken legen lassen. Im Ausschnitt, der tiefe Einblicke zuließ, baumelte eine Kette mit Glitzersteinchen. Gedrehte Spangen aus Silber umringelten ihre Unterarme. Das Gesicht war aufgeschminkt; Lippen knallrot; die Augen in einem blauen Feld schwimmend.

Als sie uns sah, klatschte sie vor Freude in die Hände und rief:

»Lieber Giuseppe Volpe, lieber Dottore Petrescu, kommt zu mir an die Theke. Mein Mann wird euch ein prächtiges Mahl auftischen, dazu den besten Wein, alles umsonst, so oft ihr auch kommt. Oh, diese Freude!«

Mit solchen Worten eilte sie zum Seitenpförtchen und hinaus auf die Gasse, um meinem Freund um den Hals zu fallen und ihn ausgiebig abzuküssen:

»Ab sofort darfst du Giuseppe zu mir sagen«, sagte Volpe errötend und wischte sich verlegen die Wangen ab, an welchen die Spuren der Schminke hafteten, »denn ich freue mich, dass du wieder ins Leben zurück gefunden hast. Doch wer ist der freundliche schwarze Mann da?«

»Mein Koch und Liebster zugleich. Ich habe ihn im Senegal aufgegabelt. Er liebt mich und ich liebe ihn. Wir sind seit Kurzem verheiratet. Es gibt keinen besseren Koch auf der Welt.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte ich, »denn du kennst doch auch schon unseren Giovanni, oder?«

»Nun ja, einmal konnte ich mich von seiner Kunst überzeugen lassen. Soll das heißen, dass ich eingeladen bin?«, schrie sie, vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen.

»Gute Idee! Warum auch nicht?«, sagte Volpe vergnügt, »könntest du morgen Abend zur Cena erscheinen. Ich freue mich schon darauf. Aber wundere dich nicht, wenn es zu einer faustdicken Überraschung kommt.«

»Ich lasse mich gerne überraschen«, sagte sie, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie meinen Freund durchschaut hatte.

Nachdem wir fröhlich gegessen und gezecht hatten, schlenderten wir die ‚Calle di Pistor‘ hinauf, denn unser nächster Besuch galt einem bei den Touristen kaum bekannten Palazzo. Aber auch hier war nichts, wie es einmal gewesen war, denn quer über der Fassade buchstabierte ich folgende Aufschrift:

MARCO CORNELIO SCIPIONE – LIBRAIO

Das gesamte Erdgeschoss war in einen großen Buchladen umgebaut worden. Vorne eine marmorne Theke; dahinter ein auffällig großer und schlanker Verkäufer, das leicht angegraute Haar sehr kurz gehalten. Er steckte in einer wertvollen Kluft aus Seide und hantierte gerade mit einem Buch. Ein Käufer starrte misstrauisch auf das Werk. Ich las den Titel und musste lachen:

»S. Petrescu: Volpe und der Frauenmörder von Venedig«

Etwas weiter hinten erblickte ich eine mollige Blondine an einem Stehpult, die gerade damit beschäftigt war, Video-CDs zu sortieren, ganz hinten an der Wand stand ein Regal voller Bücher; darunter die schönsten Bildbände zu Venedig.

Als uns der Mann hinter der Theke erblickte, ließ er den Kunden stehen, stieß einen hellen Schrei der Freude aus, verließ seinen Platz durch das seitliche Törchen und fiel mir um den Hals, um mich gründlich abzuküssen.

Volpe kicherte vergnügt, als mir der Buchhändler zurief:

»Das ist aber süß, Dottore, dich und Giuseppe Tartini endlich einmal wiederzusehen. Da schau! Ich habe all deine Werke im Programm und sie verkaufen sich bestens. Durch dein Genie gehören die Venedig-Krimis zu den Bestsellern.«

Ja, mein herzallerliebster Leser, der Mann, der mir um den Hals fiel, war … meine Cornelia!

»Und wer ist die Frau da am Stehpult?«, fragte Volpe neugierig, nachdem sie mich aus ihren Pranken entlassen hatte.

»Das ist meine Assistentin und Frau«, sagte sie errötend, »und nennt sich ‚Fiammetta’ (Fünkchen). Ich habe sie gesehen, mich in sie verliebt und sie … äh … nach den aktuellen Gesetzten geheiratet. Nur der katholische Priester hat nicht mitgemacht.«

Jetzt gab es kein Halten mehr: Aus Volpe und mir platzte ein homerisches Gelächter hervor. Wir lachten so lange, bis Signore Cornelio Scipione und seine Frau glucksend mit lachten. Sogar der Kunde lachte jetzt. Volpe nahm schließlich, als er wieder zu Atem gekommen war, das Wort:

»Du darfst mich ab sofort Giuseppe nennen, und ich lade dich für morgen Abend zur Cena ein. Es wird allerdinge eine kleine Überraschung geben.«

»Ach ja«, kicherte der ‚Herr‘ Buchhändler vergnügt, »dann werde ich ja der lieben Maria Augusta wieder begegnen.«

So verblüfft wie dieses Mal habe ich Volpe selten aus der Wäsche gucken sehen. Er wird die Frauen eben nie verstehen.

ENDE

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis

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