Читать книгу Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 16

10. Teil: Eine bezaubernde Frau

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Schon standen wir vor dem Haus der Luxusklasse, das in den Strahlen der Nachmittagssonne gleißte. Dass es eine Heimstatt der Reichen war, bezeugte schon die Gestaltung der Fassade, welche mit Marmorplatten belegt und durch korinthische Halbsäulen, welche scheinbar die einzelnen Stockwerke trugen, künstlerisch gegliedert war.

Das Erdgeschoss beherbergte offenbar zwei großzügige Wohnungen, das Obergeschoss, dessen Giebel zur Straßenseite hin in Form eines griechischen Tempels gestaltet war, bildete ein Haus auf dem Haus, ein Penthaus. Ein einziger Blick genügte, um über so viel feinen Geschmack in Begeisterung auszubrechen. Ein freundlicher Passant zeigte nach oben und sagte:

»Das ist der Ansitz des Conte d‘ Inceto, eines uralten Adelsgeschlechtes, das sogar einen Doge, einen Erzbischof und einen obersten General der Republik Venedig hervorgebracht hat. Der jetzige Conte freilich ist ein Taugenichts und lebt vom Geld seiner Frau und vom Ruhm der Vorfahren.«

Volpe nickte. Ich dankte ihm. Wir schritten die fünf Stufen zum ehernen Portal hinauf und betätigten den ringförmigen Türklopfer. Der Portier bemerkte uns, blickte aus seiner Kammer heraus, durch die entsprechende Luke, auf uns und fragte nach dem Begehr, nach dem Woher und Wohin, denn ohne Weiteres, so er wichtigtuerisch, komme man hier nicht an ihm vorbei und in dieses Haus hinein. Dieses Gehabe ärgerte Volpe, und er zischte durch das geöffnet Fensterlein:

»Ich bin Giuseppe Tartini, bekannt als Volpe, und das da ist mein Freund und Kollege, Dottore Sergiu Petrescu. Wir müssen Signore Raimondo, Conte d‘ Inceto sprechen, und zwar sofort.«

»Oh, du guter Gott«, schrie der Hausdiener verblüfft und begeistert zugleich. Augenblicklich öffnet er die Tür.

»Der große Detektiv persönlich! Nie werde ich mir das verzeihen, Sie nicht erkannt zu haben. Und Dottore Petrescu haben Sie gleich mitgebracht; meine sehr verehrten Herrschaften …«

Er riss die Türflügel auf, verbeugte sich vor uns fast bis zum Estrich und zeigte dann auf die marmorne Treppe, welche gemächlich gewunden nach oben führte.

»Der Conte ist im Obergeschoss zu Hause, aber ich fürchte, er schläft noch. Er ist in letzter Zeit ein, äh, Nachtarbeiter.«

»Wir müssen ihn dennoch sehen, Signore, äh …«, sagte Volpe.

»Man nennt mich Giovanni, nur Giovanni, ohne Zunamen«, sagte der Mann in seiner fein gestreiften Hausdieneruniform.

»Oh, wie mein eigener Butler! Es ist ein guter Name bei Ihrer Stellung. In London, wo ich kürzlich aus beruflichen Gründen weilte, hießen Sie gewiss ‚James‘.«

Der brave Kerl strahlte. Volpe hatte ihm eine riesige Freude gemacht. Etwas traurig sagte er dann:

»Meine Großeltern lebten noch in dieser Stadt. Bevor ich aber geboren wurde, wanderten sie nach Italien aus. Ich war noch nie in London. Ich wollte, ich käme hier einmal weg. Tag für Tag immer nur Dasselbe, diese Langeweile, der ewige Sisyphus, und das für einen Hungerlohn.«

Volpe unterbrach den Redeschwall des Portiers und sagte:

»Ist dein Herr, der Conte d‘ Inceto, auch letzte Nacht wieder spät nach Hause gekommen?«

»Keine Ahnung! Wirklich nicht! Tut mir leid. Mein Dienst endet stets um 18. 00 Uhr. Anschließend muss sich ein jeder Bewohner mit dem Schlüssel abquälen. Jedenfalls war der Conte noch zu Hause, als ich meinen Feierabend nahm. Er geht gewöhnlich erst später aus, viel später.«

»Vielen, vielen Dank, lieber Giovanni. Der Dottore wird dich in seinem Bericht gebührend würdigen, denn du hast uns sehr geholfen; auf Wiedersehen!«

Ehe es sich der verdutzte Herr versah, blinkten drei große funkelnagelneue Zwei-Euro-Münzen in seiner Hand. Er brachte vor Glückseligkeit keinen Ton mehr heraus. Dann stapften wir die Stiege hinauf.

Oben angekommen, standen wir vor einem Portal aus rötlichem Holz mit silbernen Beschlägen. Darüber war bogenförmig in goldenen Buchstaben vor weißen Hintergrund der Name des Wohnungsinhabers aufgezeichnet:

»Conte Raimondo II. d‘ Inceto – artista (Künstler)«

Ein eherner Löwenkopf fauchte uns entgegen. In seinem Maul hing ein vergoldeter Ring zum Anklopfen. Rufus nahm ihn und ließ ihn gegen die Türe des vorgeblichen Künstlers poltern; und dann noch einmal.

Aber es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich die Tür auftat, einen kleinen Spalt breit nur. Darin sozusagen eingeklemmt steckte eine mollige Schwarze, um die fünfundzwanzig Jahre alt, hübsch hässlich, an der fleckigen Küchenschürze als Hausmädchen und Köchin erkennbar. Ein scharfer Hauch von Pfeffer wehte uns entgegen, während sie uns schweigend musterte und aus weißen Kulleraugen ansah. Dann sagte sie spitz:

»Mit wem habe ich die Ehre?«

»Privatdetektiv Tartini samt Dottore Petrescu.«

»Ach, du lieber Himmel, auch das noch! Haben wir etwas ausgefressen?«, rief sie geschockt und schlug die grübchenreichen Hände über dem Kopf zusammen, als ob sie Unheil auf ihren Herrschaften lasten sähe.

»Ist der Conte zu Hause?«, fragte mein Freund.

»Ja. Aber um diese Zeit pflegt er noch zu schlafen.«

»Dann wecke ihn!«

»Er wird mich halb tot schlagen.«

»Ist wenigstens seine Frau zu sprechen?«

»Wohl kaum! Sie ist gerade im Bad verschwunden. Auch sie wird wütend sein, wenn ich sie störe. Das Baden ist ihr heilig. Kinder hat sie keine zustande gebracht. Soll ich sie rufen?«

»Gewiss doch, es ist bitter ernst.«

»Gut, dann gehe ich«, sagte sie und trippelte davon.

Wir sahen ihr durch die offen stehende Tür hinterher und begaben uns dann frech in den Korridor hinein, während sie kopfschüttelnd in den hinteren Gefilden verschwand. Uns ließ sie in der durch zwei Bogenfenster erleuchteten Halle stehen.

Von dort aus hörten wir sanftes Plätschern sowie das melodische Klingen einer glasglockenreinen Stimm. Das versetzte nicht nur mich in Begeisterung. Still und voller Wonne lauschten wir dem Gesang der Unbekannten, die da gerade ihr Bad genoss. Dann brach das Singen ab. Ein Dialog zorniger Stimmen drang an unsere Ohren, darunter daher gekeifte Worte wie »fristlos entlassen«. Volpe kicherte vergnügt. Ich hingegen schaute verärgert zu Boden und dann nach links und rechts.

Neben uns, an den freien Flächen der Wand, hingen Gemälde, die ich mir jetzt gründlicher ansah, um sie als höchst mittelmäßig einzustufen.

Noch schüttelte ich den Kopf über die Arbeit dieses Stümpers, da kam die Gräfin auch schon aus dem Badezimmer heraus geschritten. Das tat sie, wie es mir schien, auffällig rasch und sogar ein klein Wenig atemlos, jedenfalls früher als erhofft, denn wir hatten uns auf längere Wartezeit eingestellt. Man kennt ja die Damen und ihre Badegewohnheiten.

Doch als sie aus dem Gemach hervor trat, verschlug es uns die Sprache. Wie gebannt sahen wir dieses langbeinige Wesen von einer anderen Welt auf uns zu schweben, die göttliche Anmut in Person, eine Grazie wie aus dem Bilderbuch. Ihre kaum verhüllte Haut leuchtete weiß wie Schnee.

In aller Eile hatte sie sich nichts anderes als ein blaues Handtuch aus Frottee um die schmalen Hüften geschlungen und war in schwarze Flipflops geschlüpft, deren grüner Riemen als Schlange gestaltet war. Oben drauf war er mit je zwei roten Perlen besetzt, welche die Augen des Reptils bildeten.

Während sie sich näherte, hob sie die Arme und kreuzte sie über der nackten Brust. Die Hände hatte sie dabei in dem jeweils gegenüber liegenden Oberarm verkrallt. Am rechten Ringfinger blinkte ein goldener Ehering. Die Nägel an Händen und Füßen waren hell rosarot lackiert und schimmerten wie Perlmutt. Selten hatte ich eine so schöne Frau gesehen und verliebte mich auf der Stelle in sie. Ungefähr 1, 80 Meter maß sie.

So stand sie nun in voller Größe vor uns und lächelte uns verlegen an. Sie hatte nicht einmal die Zeit gefunden, sich abzutrocknen. Eine Pfütze breitete sich unter ihr aus. Warum nur war sie so hektisch aus der Badewanne geklettert?

Fast so groß wie Rufus war sie und schlank wie die afrikanische Gazelle, keine einziges Gramm Fett am Leib: sportlich gestählte weiblich geschwungene Schenkel; breite, männlich anmutende Schultern und muskulöse Arme.

Das Bezauberndste an ihr war freilich der Kopf, der über einem filigran modellierten Hals thronte: ovales Gesicht von nassem, an Hals und Schultern klebenden dunkel- bis rotblondem Haar umsäumt, das sich nach dem Trocknen weiter aufhellen dürfte; hohe Stirn; harmonisch gebogene Augenbrauen; große hellgrüne Augen, welche mich an die einer Schlange erinnerten; fein modellierte Nase, die unmittelbar aus der Stirn heraus wuchs; üppiger roter Mund mit dermaßen spöttisch gekräuselten Lippen, dass ich das Brennen der eigenen Lippen verspürte; darunter ein feines straffes Kinn, kurz: ein Antlitz, so ausdrucksvoll, wie ich selten eines sah, wenn auch mit ersten Ansätzen feiner Linien. Aber das tat ihrer Schönheit eher gut als dass es schadete. Vor mir stand eine Frau, so schätzte ich, von Ende Dreißig.

Bewundernd glitten nun meine Blicke über ihre Blöße hinauf und hinunter, wo ich doch als fein erzogener Mensch beiseite hätte sehen sollen, während Volpe, der sich lebenslang von Frauen fern hielt, ja, ihnen sogar bewusst aus dem Weg ging, so feuerrot anlief, dass ich schon fürchtete, er könnte vor ihr die Flucht ergreifen. Doch da riss er sich zusammen und sagte, übertrieben kurz angebunden und seltsam trocken, ganz so, als trüge sie ein strenges Schneiderkostüm:

»Buon giorno, signora, das da ist Doktor Sergiu Petrescu. Ich bin Giovanni Tartini, der Detektiv. Wir müssen Ihren Mann sprechen, und das unbedingt. Es ist keine Zeit zu verlieren. Doch zuvor könnten Sie uns die Ehre erweisen zu sagen, mit welchem Namen wir Sie anzureden haben, donna.«

»Contessa Cornelia heiße ich«, flötete sie atemlos, »und stamme aus einer Nebenlinie des alten Adelshauses der Malatesta aus Rimini, aber ich bin nicht das, was ihr euch vorstellt. Ich will gar nicht erst um den heißen Brei herum reden und euch nichts vormachen. Einem Volpe etwas vorzumachen, ist sinnlos:

Ich bin neununddreißig Jahre alt und war einst zu eitel, zu wählerisch. In besseren Jahren sind mir daher die Heiratskandidaten abhanden gekommen, einer nach dem anderen. In einige von ihnen war ich verliebt, aber sobald sie mich das erste Mal nackend gesehen hatten, nannten sie mich eine Androgyne (‚Mannweib‘) und suchten das Weite.

Dies trieb mich an den Rand des Wahnsinns. Ich wollte mich bereits umbringen. Doch dann habe ich Raimondo kennen gelernt und geheiratet, einen Mann, dem das, was andere abstößt, gar nichts ausmacht. Es war vor nunmehr fünf Jahren, und damit ihr endlich begreift, dass es bei mir nichts, wirklich nichts zu sehen gibt und ihr endlich das Gaffen bleiben lasst …«

Scheinbar wütend blitzte uns Cornelia an, ließ die Arme sinken, eine Weile baumeln, stemmte sie dann lässig in die Hüften und sah uns herausfordern an.

Den unter tausend glitzernden Wassertröpfchen schimmernden Körper bog sie dabei wie eine geschmeidige Schlange, so dass die rechte Hüfte höher als die linke und im Gegentakt die linke Schulter höher als die rechte empor ragte. Währenddessen kam sie auf dem linken Fuß zum Stehen. Den rechten setzte sie nur mit den Zehenspitzen auf. In dieser Haltung sah sie uns trotzig aus ihren hellgrünen Augen an und zeigte dabei zwischen aufgeworfenen Lippen eine Reihe makelloser Zähne:

Welch ein göttlicher Anblick! Gerade weil es in gewisser Hinsicht bei ihr überhaupt nichts zu sehen gab, war Himmlisches zu sehen. Ich war hingerissen von so viel Schönheit. Vor mir stand nämlich, das Gesicht inzwischen purpurrot überflutet, eine Frau mit dem Oberkörper eines männlichen Athleten.

Wir schwiegen betroffen. Wir staunten. War das wirklich eine Frau oder doch nur ein Mann mit weiblichen Zügen? Unwillkürlich dachte ich an die Sagengestalt des ‚Hermaphroditos‘, der im Oberkörper wie eine Frau aussieht, aber den Unterleib eines Mannes vorweist. Contessa Cornelia, genau umgekehrt gestaltet, erriet meine Gedanken, lächelte giftig und fauchte:

»Muss ich erst das Handtuch fallen lassen, damit ihr mir endlich glaubt, dass ich eine Frau bin?«

»Da sei Gott vor!«, sagte ich, während mein Volpe erschrocken schwieg. Er versteht sich eben nicht auf das Weib. Im Versuch, charmant zu sein, sagte ich an seiner Stelle:

»Dennoch sei mir die Bemerkung gestattet, dass Sie eine unvergleichlich schöne Gestalt besitzen. Doch wir sind nicht gekommen, Ihnen die Bewunderung, welche Sie mit Fug und Recht verdienen, zu schenken, sondern um einen Kriminalfall aufzuklären. Darum wollten wir eigentlich den Conte sprechen, aber der schläft ja noch. Vielleicht könnten Sie uns an seiner Stelle einige Fragen beantworten?«

Sie nickte und sagte, »am besten gehen wir dazu nach drüben ins Arbeitszimmer«, schlenkerte die Flipflops beiseite und tänzelte auf den Zehenspitzen und mit winzigem, wiegendem Gesäß vor uns her, hinein in ein freundliches Zimmer, in dem sich einige mit Kissen gepolsterte Korbsessel um einen runden dreibeinigen Tisch aus dunkel gebeiztem Pinienholz gruppierten.

Wir nahmen Platz. Sie wickelte sich jetzt bis auf die Höhe der Achselhöhlen in ein Badetuch, das ihr die schwarze Zofe gebracht hatte, setzte sich, wischte sich die feuchten Haare aus dem Gesicht und sah grünlich schillernd zu uns herüber. Volpe hatte sich wieder im Griff und nahm das Wort:

»Ihr Mann schläft also noch, Contessa. Hat er die Gewohnheit, immer um diese Zeit zu schlafen?«

Sie errötete ein wenig. Ihre Lippen bebten:

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Nun, gewiss ist er spät in der Nacht oder erst am frühesten Morgen nach Hause gekommen, oder?«

Sie lächelte versonnen, kuschelte sich in das Badetuch und räkelte sich wie das berühmte Kätzchen, die aus Marmor gemeißelten Arme in die Höhe streckend und herzhaft gähnend, ohne sich eine Hand vor den Mund zu halten, einfach süß:

»Er ist Künstler und arbeitet am liebsten nachts. Die Stille der Nacht inspiriere ihn, sagt er, und wenn er schöpferisch tätig ist, pflege ich zu schlafen. Er mag es nicht, wenn ihm jemand über die Schulter blickt, wenn er arbeitet.«

»War er letzte Nacht zu Hause? Oder war er im Getriebe der Stadt untergetaucht, um dem Vergnügen nachzugehen?«

»Signore, ich habe nicht die geringste Ahnung. Wir besitzen getrennte Schlafzimmer. Aber wenn es so wichtig ist, will ich gerne gehen, ihn zu wecken.«

Sie erhob sich, schlängelte sich aus dem Badetuch, faltete es sorgsam auf der Sessellehne zusammen und begab sich hinüber in eine Art von Atrium. Durch eine Flügeltür fielen unsere Blicke in diese prächtige Halle hinein:

Vier korinthische Säulen trugen das Dach, das aus einer gläsernen Pyramide bestand, durch die das Tageslicht herein flutete. Ringsumher an den vier Wänden waren marmorne Statuen aufgestellt. In der Mitte erblickten wir ein mit goldfarbenen Mosaiksteinchen ausgelegtes quadratisches Becken, in das aus übereinander geschichteten Schalen Wasser rieselte. Nur die überall an den Wänden hängenden Bilder, doch wohl vom Conte selber gemalt, fanden unseren Beifall weniger; kurz: Dies war ein Haus, in dem es sich leben lässt.

Wir erhoben uns, blieben wie eine Schildwache vor der Tür zum Atrium stehen und dachten, »sicher ist sicher«. Doch unsere Vorsicht sollte sich als übertrieben heraus stellen, weil Tenente di Fusco mit seinen Carabinieri bereits die Haustür besetzt hatte.

Kurze Zeit später erschien die Contessa wieder. Sie hatte sich einen Hauch von transparenter Seide übergestreift, schulterfrei, ärmellos und bis über die Mitte der Oberschenkel reichend; das Haar zur Krone aufgetürmt; ein Geflecht feinster Sandalen an den Füßen. Spangen aus Gold ringelten sich in Spiralen um ihre Unterarme und endeten in je einem Schlangenkopf, die Augen aus funkelnden Rubinen:

»Mein Mann kommt gleich und bittet um etwas Geduld. Er ist in gewisser Hinsicht das genaue Gegenteil von mir und zeigt sich höchst ungern, wenn er nicht in seinem Maßanzug steckt. Ja, er hasst es, sich nicht in Schale sehen zu lassen und ist gerade dabei, sich die Zähne zu putzen.«

»Sie sagten doch«, entgegnete Volpe, »Sie hätten getrennte Schlafzimmer, nicht wahr?«

Er wollte durch diese Frage herausfinden, ob sie mit ihrem Mann, wenn man das so sagen darf, unter einer Decke steckte und über das vielfache Morden unterrichtet, oder von seinem mörderischen Treiben keine Ahnung hatte. Doch sie wusste entweder nichts davon oder war intelligent genug, das Vorhaben meines Freundes zu durchschauen. Lässig zuckte sie mit den Achseln und sagte, wie es mir schien, irgendwie verbittert:

»Getrennt, wie die meisten Eheleute, oder? Wir haben keine Kinder. Von nichts kommt nichts. So ist das. Aber vielleicht wollen Sie sich ja die Zeit ein Wenig vertreiben?«

Sie öffnete die Seitentür zu einem geräumigen Studio mit Zeichenbrettern, Papierrollen und allerlei aus Gips gefertigten Modellen. Daneben lagen zugehörig Pinsel und Farbstoffe; ferner jede Menge angefangener Gemälde. Der Conte arbeitete an mehreren Projekten auf einmal.

Die Wände des quadratischen Raumes gingen in etwa 2, 50 Meter Höhe in ein Achteck über, über welchem sich eine kreisrunde Kuppel erhob, deren gemauertes Gerippe mit durchsichtig weißlichem Glas gefüllt war:

»Das spendet jedem Künstler ein wirklich ideales Licht«, flüsterte ich Volpe ins Ohr. Er nickte und fragte die Gräfin:

»Signora, arbeitet Ihr Mann viel?«

»Viel zu viel! Es überkommt ihn wie ein Rausch. Aber der Markt für seine Werke ist beschränkt. Reich werden kann man damit nicht. Zum Glück sind wir auf die Einnahmen nicht angewiesen. Er hat das Haus samt einer halben Millionen Euro geerbt, und ich habe noch einmal das Vierfache zu unseren Unterhalt beigesteuert. Wir haben es nicht nötig zu arbeiten.

Raimondo ist nie besonders kräftig gewesen. Jetzt im August sollten wir eigentlich in Davos sein, um uns zu erholen, aber leider hat er einen Auftrag angenommen und wir müssen hier im venezianischen Backofen ausharren.«

Wir blickten einander an, Volpe und ich, und verstanden uns auch ohne Worte: Selten hatten wir eine so selbstsichere Frau gesehen. Hätte sie nicht völlig verwirrt sein müssen, als wir bei ihr vorsprachen, nachdem die Klatschblätter der Stadt voll von Berichten über die Mord-Serie waren? Wusste sie nicht, dass mein Freund zu den Ermittlungen hinzugezogen worden war?

Und diese bezaubernde Schlange, an die ich bis heute voller Sehnsucht zurückdenke, beobachtete uns jetzt so, als ob sie es spannend oder spaßig fände, den berühmten Detektiv einmal aus nächster Nähe mustern zu können, ganz abgesehen von ihrem frivolen ersten Auftritt, durch den sie uns gleich zu Beginn das Heft aus der Hand genommen hatte.

»Ich gehen jetzt einmal hinüber«, platzte sie in unsere Gedanken hinein, »und sehe nach, ob er fertig ist.«

Während sie sich schlangengleich hinaus begab, sahen wir ihr bewundernd hinterher und folgten ihr ein paar Schritte. Dann schlenderten wir wieder ins Atrium zurück und schlossen die Tür, um unter uns zu sein:

Die im überkuppelten Atelier aufgestellten Werke des Meisters fanden wir abstoßend: immer nur grausige Szenen der griechischen Sage, darunter, wie Eteokles und Polyneikes sich gegenseitig das Schwert in die Brust stoßen oder Apollo die Kinder der Niobe tötet. All dies war stümperhaft gestaltet, nichts von Geschmack. Volpe sagte in meine Gedanken hinein:

»Ein ganz schön berechnendes Luder, unsere Cornelia, aber eines muss man ihr lassen. Die vierzig Jahre, die sie auf dem Buckel hat, haben ihrer Schönheit keinen Abbruch getan. Und wenn du mich fragst: Ich kann die blöden Hunde nicht verstehen, die sie sitzen haben lassen, nur weil sie keinen Busen hat. Als ob das das Wichtigste wäre. Heutzutage rennen die Weiber zu Tausenden mit Silikoneuter herum, und das will unsere Göttin nicht, obwohl sie im Gelde schwimmt. Sie will sie bleiben, und das ist bewundernswert. Ich jedenfalls hätte sie vom Fleck weg geheiratet, wenn ich … bin ich aber nicht«, sagte er.

»Auch wenn ich dir Recht gebe und ihr textilfreies Auftreten ebenfalls für berechnend halte, so ist ihr Verhalten dennoch verzeihlich. Überlege einmal, was ihr die Kerle, in die sie einst verliebt war, angetan haben, nur weil sie … und sie ist doch eine richtige Elfe. Ich bin gespannt, wie der Conte aussieht, der sich ihrer erbarmt hat.«

»…oder umgekehrt«, sagte Volpe seufzend, während sich die Tür öffnete. Leider war es nicht die Süße, sondern einzig und alleine ihr Mann, der nun zu uns herein kam.

Es war ein blässlicher schmallippiger junger Spund, so an die dreißig und nicht älter; dünn und groß; leicht gebeugt. Er trug, in der Taille mit einer Kordel gegürtet, einen bernsteinfarbenen Morgenrock aus reiner Seide, die das schüttere Blond seiner nackenlangen Haare, das Weichliche seiner Gesichtszüge und das wässrige Blau der Augen noch betonte.

Schlurfenden Schrittes trat er vor uns, die Füße in Latschen dieser Art, die nur einen einzigen Riemen kennt und verbeugte sich förmlich. Während wir uns erhoben, um ihn zu begrüßen, sagte er mit sanfter Stimme und einer fahrigen Handbewegung durchs Haar, wobei ein flüchtiges, fast kindliches Lächeln über sein Gesicht huschte, in dem Schweißperlen glitzerten:

»Entschuldigt bitte, Signori, dass ich Sie so lange habe warten lassen. Meine Frau hat mich aus tiefstem Schlaf gerissen und mir gesagt, wer gekommen sei. Ich musste noch unter die Dusche.

Wisst ihr, ich habe in letzter Zeit ziemlich viel mit der Ausmalung einer im Bau befindlichen Villa zu tun. Ich habe den Auftrag erhalten, die Wände des Speiseraumes mit Szenen aus der griechischen Sage zu gestalten. In meinem Studio leiste ich die Vorarbeit, indem ich die Motive vorzeichne, auf Karton. Das braucht Zeit und Geduld.«

Er wischte sich mit einem Tuch über die Stirn und dann über den Mund. Wir schwiegen und musterten den schlaksigen Jungen, der auf ersten Blick die Harmlosigkeit in Person zu sein schien und den Eindruck erweckte oder erwecken wollte, er könne weder ein Wässerchen trüben noch irgendeiner Fliege etwas zuleide tun. Nervös redete er weiter:

»Man könnte glauben, es wäre heute noch heißer und stickiger als gestern. Das macht mich wahnsinnig. Hoffentlich zieht bald ein Gewitter herauf. Ich muss alle Fenster geschlossen halten, denn es kommt nur Hitze herein.«

»Entschuldigen Sie bitte«, unterbrach ihn Volpe, »wir sind nicht hergekommen, um über die Hitzewelle zu lamentieren. Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie gestern an hatten. Könnten Sie es mir einmal zeigen?«

»Warum auch nicht?«, sagte der junge Mann, »es war mein blauer Anzug aus Seide. Ich trage bei diesen Temperaturen grundsätzlich nur Seide. Das bekommt der Haut am besten; einen Augenblick bitte!«

Er schlenderte schlaff wie eine Schlenkerpuppe hinaus, um kurze Zeit später mit einem frisch gewaschenen und frisch geplätteten nachtblauen Anzug wieder zu erscheinen. Dazu lächelte er ein Wenig schief und war rot angelaufen:

»Darin steckte ich bis zur Cena (Abendessen). Danach habe ich einen leinenen Kittel angezogen, um zu arbeiten. Ich arbeite am liebsten nachts, wisst ihr.«

»…und gegen Mitternacht sind Sie nicht zufällig noch einmal ausgegangen, beispielsweise, um frische Luft zu schöpfen?«

»Nein, ich habe durchgearbeitet, bis zum Morgengrauen, wie das meine Gewohnheit ist. Dann habe ich mich aufs Ohr gehauen. Ich bin ein ziemlich nervöser Mensch und brauche meinen Schlaf. Darum schlief ich auch noch, als Sie kamen, Signori.«

Aus seinen großen wässrigen Augenteichen, die feinen Händen leicht ineinander verkrampft, sah er uns an, als wartete er Beifall heischend auf zustimmende Worte, aber wir schwiegen und musterten ihn wenig freundlich:

Auch aus der Nähe betrachtet wirkte Conte Raimondo eher wie ein dummer Junge denn ein erwachsener Mann. Wenn man aber genauer hinsah, was wir jetzt taten, dann erkannte man zweifellos, dass dieser vorzeitig verbrauchte Zeitgenosse seine besten Jahre längst hinter sich hatte.

Die Haut wirkte gelblich wie Pergament und war welk. Feine Fältchen durchzogen sein Mienenspiel, wenn er versonnen lächelte; das weißblonde Haar fade und glanzlos. Er war, wie er war, ganz der Typ, dachte ich, auf den das Mauerblümchen seine letzten Hoffnungen setzt. Arme und Beine freilich, die er aus dem Morgenrock streckte, waren vor Muskeln berstend. Darüber konnte die gespielte Schläffe nicht hinweg täuschen.

»Dürfen wir Sie nun darum bitten, uns Ihren Garderobeschrank zu öffnen und Ihre Kleider zu zeigen?«

Der Conte zuckte zusammen. Für einen winzigen Augenblick verfinsterte sich sein Gesicht. Ein Wutanfall drohte auszubrechen, aber schon hatte er sich wieder in der Gewalt und sagte mit verstellt freundlichem Tonfall:

»Signore Tartini, Sie sind nur Privatdetektiv und haben dazu kein Recht. Doch wenn es denn sein muss … ich habe nichts zu verbergen … folgen Sie mir bitte … hier entlang!«

Er öffnete die Tür zum Korridor, und ich sah eine biegsame Gestalt barfuß in das zur rechten Seite hin gelegene Badezimmer huschen, um lautlos darin zu verschwinden. Das kostbare Seidentuch umwehte ihren Körper wie ein Schleier, glitt ihr aber beim hektischen Laufen vom Leib und flatterte zu Boden.

Sie hatte gelauscht. Ein Blick in Volpes Gesicht genügte, um zu erkennen, dass auch ihm die Szene nicht entgangen war. Dennoch taten wir so, als wäre nichts geschehen.

Raimondo stieß die Tür auf, welche in sein Schlafzimmer führte. Seine Wände waren mit stilisierten bunten Blumen vor grünem Hintergrund bemalt. In der Mitte stand ein zerwühltes Bett, die Laken und Decken wahrlos zusammengeknüllt; an der hinteren Wand ein fünftüriger Schrank aus Kastanienholz. Er war so groß, dass er fast die gesamte Wand einnahm.

Eine Tür nach der anderen öffnete er nun, um uns seine Garderobe vorzuführen: Eine Vielzahl von unterschiedlichsten Anzügen, Hosen und Hemden, samt zahllosen Schuhen jedweder Art, prangte darin, alles von wertvollster Machart; die Kleidung eines reichen Mannes. Ein Kapuzenponcho war aber nicht darunter. Volpe fragte ziemlich barsch:

»Vor einem Monat haben Sie einen Mantel mit Kapuze erworben, nachweislich. Er wurde aus schwarzer Seide gefertigt, in welche ein grauer Faden eingewebt war. Was ist aus ihm geworden?«

Der Conte kratzte sich am Kopf und schien angestrengt nachzudenken. Unruhig trippelte er von einem Fuß auf den anderen. Schließlich murmelte er:

»Ach, jetzt weiß ich es wieder. Ich bin kürzlich, als ich ihn das letzte Mal trug, in ein Unwetter geraten. Danach war das kostbare Stück nicht mehr zu gebrauchen.«

»Und was haben Sie damit gemacht?«

»Ich habe den Poncho einem Obdachlosen geschenkt.«

»Haben Sie ihn persönlich überreicht oder durch die Schwarze geben lassen?«

»Persönlich; niemand war dabei.«

»Wo war es?«

»Unmittelbar hinter der Rialtobrücke.«

»Können Sie den Empfänger beschreiben?«

»Nein, ich habe nicht darauf geachtet.«

»Wann war das?«

»Vorgestern.«

»Zeugen?«

»Nicht dass ich wüsste. Es war schon dämmerig.«

»Gut, das genügt fürs Erste. Geleiten Sie uns jetzt bitte wieder ins Arbeitszimmer und rufen Sie das Mädchen!«

»Susie! He, Susie!«, rief er, »komm her! Signore Tartini will dir ein paar Fragen stellen.«

Die pummelige Schwarze kam eilig auf ihren dicken kurzen Beinen herein getrippelt, im allerliebsten blauen Kleidchen mit weißer Schürze darüber und brachte den Geruch der Küche mit sich, einen Hauch von Bratendunst und Gewürzen. Sie sah so arglos und harmlos aus, als hätte sie gerade erst ihre Stelle irgendwo auf dem Lande verlassen, um in die venezianische Pracht zu wechseln. Fragend sah sie auf ihren Herrn. Der Conte warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Sie sagte:

»Ich bin schon mit dem Zubereiten der Mahlzeit beschäftigt und kann die Küche nicht alleine lassen.«

»Es wird rasch gehen«, antwortete Volpe, »liebe Susie, übernachtest du in der Wohnung deiner Herrschaften?«

»Wie sollte das gehen? Ich bin nur Köchin, und für uns Diener des Hauses ist im Untergeschoss ein Schlafraum eingerichtet. Jeder hat seine Koje, und wir haben ein Gelass zum Waschen und für die unvermeidlichen Verrichtungen.«

Ich blickte Volpe an, und er sah mir ins Gesicht. Beide dachten wir gleichzeitig, dass man mit Menschen so nicht umgehen sollte, auch wenn es sich nur um Dienstboten handelte.

»Bist du letzte Nacht erst spät in diesen, äh, Verschlag hinunter gegangen?«

»Es war kurz nach Sonnenuntergang, nachdem ich Geschirr gespült und die Küche aufgeräumt hatte.«

»Wo war dein Herr zu dieser Zeit?«

»Natürlich ist er nach dem Essen in seinem Studio untergetaucht, um zu arbeiten.«

»Welche Kleidung trug er?«

»Diese da, glaube ich; so ähnlich wie jetzt.«

»Und seit wann ist der, äh, Kapuzenponcho deines Herrn, äh, abhanden gekommen?«

Susie warf einen ängstlichen Blick auf Graf Raimondo und flüsterte dann ganz außer Atem:

»Damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Ich bin nur die Küchenmagd, und um seine Sachen kümmert er sich selber oder lässt es seine Frau besorgen. Ich weiß nichts, gar nichts. Gelegentlich, glaube ich, trug er ein solches Ding, aber das ist schon länger her, vielleicht ein halbes Jahr.«

»War es ein schwarzes Gewand mit grauen Streifen?«

»Ich weiß nicht. Ich habe es vergessen. Ich glaube nicht, aber mir ist es auch gleichgültig, was die Herrschaften tragen. Darauf achte ich nicht. Ja, vielleicht war es dunkelgrau.«

»Danke, meine Liebe, du kannst gehen. Du hast uns sehr geholfen; vielen Dank!«

Dann zu mir im Flüsterton:

»Gehe rasch hinunter und hole den Tenente mit seinen Carabinieri herauf!«

Ich eilte rasch zum Ausgang. Bereits im Gehen, sah ich den Grafen zittern und puterrot anlaufen:

»Was … was … hat das zu bedeuten?«, fragte er.

»Conte, wir beschuldigen Sie des vierfachen Frauenmordes, geschehen in den vergangenen vier Nächten, stets kurz nach Mitternacht. Der Mörder trug jedes Mal einen schwarzen Poncho mit hellgrauen Streifen und benutzte zum Morden ein solches Gerät wie dieses da …«

Ich verharrte im Eingang und sah Volpe sich mit einem Riesensatz auf Raimondo stürzen und ihm mit einem gezielten Faustschlag ein Bowie Knife aus der Hand zu schlagen. Während es klirrend aufschlug, rannte ich wie verrückt hinunter, um die Carabinieri zu Hilfe zu rufen, denn oben im Penthaus war die Hölle los, eine wüste Rauferei, untermalt vom lästerlichen Fluchen des Hausherrn. Sie war freilich nur von kurzer Dauer, denn im Nu hatten die herein stürmenden Polizisten dem Wüterich Handschellen angelegt und führten ihn ab.

Volpe rappelte sich vom Boden auf, den erbeuteten Doch in der rechten Hand, rieb sich die gerötete linke Wange mit der linken Hand, wandte sich noch einmal an den Conte und sagte:

»Tut mir leid, Signore, aber so stehen die Dinge nun einmal. Fürs Erste genügen Ihnen Tenente di Fusco und seine Männer als Begleitung. Ich werde mich noch einmal mit Ihrer Frau unterhalten. Sie mag alles zusammenstellen, was ein Häftling so braucht, und wenn ich mir noch eine kleine Bemerkung gestatten darf:

Sie sind ein verdammt kräftiger und geschmeidiger Bursche. Ich habe Sie ein klein Wenig unterschätzt. Dafür gelang es uns, die Tatwaffe zu erbeuten; ein echt amerikanisches Bowie Knife, die rasiermesserscharfe Schneide, wie ich vorhergesagt habe, mit einer kleinen Scharte.«

Volpe reichte Ambrosio den Dolch, der ihn sorgsam einwickelte und in der speckigen ledernen Tasche, von der er unzertrennlich ist, verschwinden ließ:

»Ihr Idioten! Ihr habt den Falschen verhaftet«, knirschte der Graf wütend, »und damit werdet ihr euch vor den Zeitungsleuten lächerlich machen.«

Weder wir noch Ambrosio reagierten darauf. Ein Stein war uns vom Herzen gefallen, den Mörder so rasch überwältigt zu haben. Der Tenente rief laut nach Cornelia. Sie öffnete verstört die Tür zum Badezimmer, ein Handtuch um die Hüfte gewickelt, hob das seidene Fähnchen auf, um hinein zu schlüpfen und sah schreckensbleich auf die Szene, die sich ihr bot:

»Verehrte, liebe, liebe Contessa Cornelia«, sagte Ambrosio, sie anzüglich musternd, »Sie sind von vornehmer Herkunft, eine Derer von Malatesta und könnten uns kleinen Staatsdienern gram sein. Bedenken Sie aber bitte, dass wir nur unsere Pflicht tun. Sollte sich die Unschuld deines Mannes herausstellen, wird er in Ehren aus der Haft entlassen. Bis dahin sollten Sie ihn fürstlich versorgen. Desweiteren erwarte ich Sie morgen früh zu einer Besprechung auf dem Revier; eine Frage aber schon jetzt:

Besitzt Ihr Mann einen seidenen Poncho mit Kapuze?«

»Nicht mehr. Das Unwetter, in das er geriet, hat ihn verdorben. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat er ihn vor einigen Tagen einem Bettler an der Rialtobrücke geschenkt.«

»Danke! Wir werden das nachprüfen. Ich will gleich einige meiner Männer losschicken, um der Sache nachzugehen.«

Ich sah Cornelia erbleichen und ihrem in Handschellen liegenden Mann seltsame Blicke zuwerfen. Sie sagte jetzt nichts mehr. Volpe murmelt sich etwas Unverständliches in den Stoppelbart. Mir war klar, was er dabei dachte.

Ambrosio nickte ihr zu und ging hinaus. Die Polizisten folgten ihm und führten den in ihrem Griff sich windenden Gefangenen die Stiege hinunter und hinaus auf die Gasse, wo im roten Licht der späten Sonne weitere Carabinieri auf ihn warteten.

Volpe und ich blieben noch einen Augenblick, um die schluchzende Frau zu trösten. Ich ließ es mir jetzt nicht mehr nehmen, sie in die Arme zu schließen, um ihren glühenden Leib durch den hauchfeinen Umhang hindurch zu genießen, doch da geschah etwas Überraschendes und Erschreckendes:

Die Contessa schlang mir beide Hände um den Nacken, drückte sich fest an mich, beugte sich ein Wenig zu mir herunter und drückte ihre Lippen auf meine Lippen. Ein heißer Schauer durchraste mich. Ich liebte sie. Volpe hingegen hatte seine Schlüsse aus dem Verhalten der Frau gezogen, schmunzelte hörbar und blickte dezent zur Seite. Er kannte mich.

Dann schlüpfte die Gräfin aus meinen Armen, und wir verließen sie kichernd. Wie gerne wäre ich da geblieben, denn sie blickte mich sehnsüchtig aus ihre großen hellgrünen Augen an, aber Ambrosio hatte um unser beider Anwesenheit beim Verhör des Grafen gebeten. So schied ich schweren Herzens von dieser seltsam berückenden Frau, die möglicherweise Komplizin eines vierfachen Mörders war. Sie hatte meine Sympathien im Sturm erobert. Ich nahm mir vor, ihr zu helfen, komme da, was da wolle.

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis

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