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12. Teil: Überraschung nach der fünften Nacht

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Wie lange und wie fest ich geschlafen hatte, weiß ich nicht. Wie betäubt muss ich gelegen haben, fest mit dem Polster verwachsen, und nur so viel steht fest: Während die Sonne ihre ersten Pfeile über der erwachenden Stadt verschoss, nachdem sie mühsam über der östlichen Adria aufgegangen war, wurde ich mit dem Ruck des Sturzes in einen Abgrund aus dem tiefsten Schlaf gerissen. Volpe hatte mich geweckt und schnaubte:

»Stehe sofort auf, du stinkendes Faultier, und sieh zu, dass du dir den Schweiß vom Körper wäschst! Jeden Augenblick wird der Tenente bei uns aufkreuzen, um uns all das zu berichten, was ich ohnehin schon weiß. Willst du, dass er in deiner Gegenwart erstickt oder brechen muss?«

Im Halbschlaf grunzte ich, das sei mir gleichgültig und mir täten die Beine so weh, als wäre ich die 42 Kilometer von Marathon nach Athen gerannt, ohne eine Pause einzulegen, aber Volpe war unerbittlich und zog mir die Decke weg, die ich mir gestern noch besorgt hatte und kitzelte mich an den Füßen.

Ihn leise verfluchend, erhob ich mich also, um mich ins Bad zu schleppen. Unterwegs zitierte ich eine Stelle aus dem Satiricon des römischen Dichters Petronius, der weiland von Kaiser Nero, dem Ungeheuer, zum Selbstmord gezwungen worden war und moserte, »Wasser hat Zähne«, um dann weiter zu maulen:

»Und du Neunmalkluger weißt natürlich schon jetzt, was in der verbliebenen Nacht, die wir verschlafen haben, so alles geschehen ist, oder warst du wieder einmal heimlich unterwegs, statt zu pennen? Ich jedenfalls brauche meine Nachtruhe und sage dir als dein Arzt, dass man ohne hinreichenden Schlaf früher stirbt oder wahnsinnig wird. Du wirst schon sehen.«

»Beeile dich lieber! Wahnsinnig bin ich schon jetzt. Da gibt es nichts mehr zu verderben. Aber es wäre wirklich schön, wenn du dich frisch gemacht hättest, bevor Ambrosio antanzt, um sich mit seinen Neuigkeiten zu brüsten.

Ich jedenfalls bin vorhin eine halbe Ewigkeit unter der heißen und kalten Dusche gestanden und dadurch putzmunter geworden. So, und jetzt hinein mit dir ins heiß ersehnte Badezimmer! Du stinkst wie eine altrömische Latrina!«

Energisch schob er mich ins Bad und zog mir die im getrockneten Schweiß bretthart gewordenen Klamotten herunter, nahm sie mit, reichte mir den Rasierapparat und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Ich mähte die Stoppen herunter, stellte mich in die Duschwanne, drehte den Hahn auf und stellte mich fluchend unter das eisig herab stürzende Wasser, um dort auszuharren, solange es ging. Schließlich war ich rundum blau angelaufen und drehte ihn auf warm, schließlich auf heiß.

Danach war ich wie neu geboren, besonders, nachdem ich das blaue Frotteetuch vom Haken gefischt und mich damit gründlich abgerubbelt hatte. Wie verrückt schrie ich dann als reiner Nackedei nach frischer Kleidung, und Volpe persönlich bediente mich süffisant grinsend, um mich Schlaffsack dann über den schwankenden Estrich ins Arbeitszimmer zu führen, wo die Colazione schon auf mich wartete:

Unser Giovanni hatte geröstetes Brot, das er mit Käse überbacken hatte, samt einer Schüssel Oliven aufgetischt und eine Riesenkaraffe daneben gestellt. Sie war mit Wasser gefüllt, dem er einen Schuss Wein beigegeben hatte, damit es nicht so schal schmeckte. Dass mir zwei dick belegte Butterbrötchen mit einem Liter Kaffee lieber gewesen wären, wusste dieser verdammte Gesundheitsapostel ganz genau.

Volpe saß schon bei Tisch und kaute auf beiden Backen, während ich noch unschlüssig in der Gegend herum stand. Doch dann ließ ich mich in einen der zwei noch freien Korbsessel fallen, während der dritte immer noch leer war. Kaum hatte ich Patz genommen, da kam Giovanni auch schon mit Ambrosio im Schlepptau herein geschneit. Der Tenente ließ sich grußlos auf die dritte Sitzgelegenheit fallen und krähte:

»He, hallo, ihr zwei Faultiere! Gut geschlafen, nicht wahr? Aber während ihr hier bequem gerüsselt habt, musste ich geradezu Sensationelles erleben, hellwach und stramm auf dem Posten, wie immer. Gleich will ich euch berichten, was sich zugetragen hat. Ihr werdet staunen!«

»Gemach, gemach!«, sagte Volpe, »zuvor wollen wir frühstücken, denn ich weiß ja schon, was im Revier und der Stadt geschehen ist. Giovanni hat für drei gedeckt, weil ich dich erwartet habe. Also lasst uns essen! Das ist jetzt das Wichtigste. An all dem Übrigen lässt sich ohnehin nichts mehr ändern.«

»Da hast du ausnahmsweise einmal recht«, knurrte Ambrosio garstig, »und gewiss hast du in aller Herrgottsfrühe schon einen kleinen Gang durch die Stadt gemacht und alles erfahren.«

»Nein, wir beiden haben den Schlaf genossen. Meister Petrescu ist als Arzt der Meinung, dass man ohne genügend Schlaf vorzeitig stirbt oder dem Irrsinn anheim fällt. Und da hat er wahrscheinlich recht, wie man an mir sieht. Doch was in dieser Nacht so alles vorfallen würde, wusste ich schon gestern Abend, spätestens als ich das Revier verließ. Aber ich wollte dem Rad des Schicksals nicht in die Speichen greifen.«

»Bist du ein Hellseher? Und warum hast du uns dann nicht verraten, dass neues Unheil im Anmarsch wäre?«

»Ich gäbe einiges dafür, ein Hellseher zu sein«, sagte Volpe seufzend, »denn das wäre für meinem Beruf nützlich. Aber alles, was ich weiß, weiß ich aufgrund logischen Denkens. Ich wollte den Dingen ihren Lauf lassen, denn früher oder später wäre Dasselbe geschehen, unvermeidlich. Ich denke, dass es für alle so, wie es gelaufen ist, besser ist, oder hättest du etwa den Conte gerne auf der Anklagebank gesehen?«

»Nein, natürlich nicht, diesen im Grunde armen Hund«, sagte Ambrosio lahm und begann damit, die Platte zu putzen. Giovanni lugte kopfschüttelnd um die Ecke und besorgte Nachschub. Er staunte nicht schlecht, wie viel ein Tenente der städtischen Wache in den Schlund werfen kann. Schließlich war er gesättigt, rülpste theatralisch und sagte ein erwartungsfrohes »Und?«

Gewiss wollte er herausfinden, ob Volpe wirklich wusste, was er nicht wissen konnte. Mein Freund rieb sich vergnügt die Hände, kicherte eine Zeitlang, blickte auf die aneinander gelegten Fingerspitzen und hub an:

»Machen wir es kurz: Es gab den fünften Frauenmord in der Stadt, zu dem ich anschließend Details hören möchte, und außerdem hat sich Graf Raimondo aufgehängt, nicht wahr?«

»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen«, staunte Ambrosio kopfschüttelnd, »und willst du jetzt nicht mit mir an den Tatort gehen? Wir haben die Leiche so liegen lassen, wie man sie vorfand. Du kannst deine Schlüsse daraus ziehen. Zwei Carabinieri stehen Wache. Vielleicht interessieren dich die Details.«

»Wozu die Mühe machen?«, sagte Volpe und gähnte.

»Der Doktor und ich haben uns gestern die Haxen abgelaufen und sind immer noch hundemüde. Wozu also einen unnötigen Gang? Einzig und alleine den Namen der Ermordeten weiß ich nicht. Wie hieß die Ärmste?«

»Amanda Amati.«

»Nicht wahr, sie könnte weder als jung noch als besonders schlank gelten? Ferner gehörte sie zum ‚ältesten Gewerbe‘ und wurde durch eine Vielzahl von Stichen in den Rücken getötet, die mit einem Küchenmesser ausgeführt wurden. Der Mörder besaß kein Bowie Knife und musste sich behelfen.«

»Stimmt auffallend! Sie war Mitte vierzig und schon tüchtig abgehalftert. Höchsten noch etwas für betrunkene Matrosen. Die Verletzungen habe ich ganz nach deiner Methode untersucht. Es waren insgesamt sieben Stiche, alle mit einer verhältnismäßig kurzen und einschneidigen Klinge ausgeführt. Das giftgrüne Kleid hatte der Mörder diesmal nicht aufgeschlitzt. Immerhin war die Blutlache, in der sie lag, von beachtlichem Umfang.«

»Und es war eine sternenklare Nacht, wir hatten sogar Vollmond. Was hat dein Zeuge gesagt?«

»Zeugin! Eine Zeugin, mein Lieber, stadtbekannt als die Formica (Ameise). Sie war natürlich eine Kollegin dieser feisten Amanda, um die es nicht schade ist. Der Mord fand übrigens in der ‚Calle Zotti‘ statt, wie gehabt.

Beide hatten den Zeitungsleuten darin Glauben geschenkt, dass der Mörder einsitze und waren mal wieder auf Anschaffe gegangen. Die Formica war aber zu weit vom Tatort entfernt, um Details zu erkennen. Das grässliche Kreischen der Amanda hat sie freilich mit anhören müssen. Es soll fürchterlich von den Wänden der Häuser widergehallt haben, um dann zu verstummen. Sie will dann hin gerannt sein, um der Ärmsten beizustehen, aber sie verröchelte schon den Geist. Dann sah die Formica den Täter:

Sie spricht von einer auffällig großen Gestalt, welche sich, als sie näher kam, einen dunklen Umhang, wie ein Radmantel, über den Kopf zog und wie verrückt in die ‚Calle di Pistor‘ flüchtete, wo der Kerl sich unsichtbar machte. Ich denke, unser guter alter Conte hat sich das Leben voreilig genommen. Jetzt ist er postum entlastet. Nach dem neuerlichen Mord hätten wir ihn doch wohl laufen lassen müssen.«

»So ein Unfug! Das wäre einer Katastrophe gleich gekommen«, sagte Volpe, »denn wenn er wirklich zu Unrecht verhaftet worden wäre, hätte er wie ein Löwe um sein Recht gekämpft, schon der heiß und innig geliebten Mama zuliebe. Der Selbstmord gleicht daher einem Geständnis.«

Ambrosio murrte: »Zunächst einmal könntest du mir sagen, wieso du den Suizid vorherzusagen im Stande warst, ohne ihn aber verhindern zu wollen. Ferner musst du mir erklären, was der erneute Frauenmord für uns dann zu bedeuten hat und wie ich ihn einordnen muss.«

»Es wird keinen einzigen weiteren dieser Frauenmorde mehr geben, jedenfalls auf absehbare Zeit und im bisher üblichen Zusammenhang. Der Täter hätte das Morden gewiss unterlassen, wäre ihm der Selbstmord des Grafen bekannt gewesen.

Alle Indizien, Ambrosio, die du gesammelt hast, sprechen freilich eine eindeutige Sprache, nämlich, dass hier ein anderer Mörder am Werk war, ein Nachahmungstäter, einer mit ganz anderer Absicht als der Conte.«

»Und wer sollte das gewesen sein?«

Volpe zuckte mit den Achseln und sagte:

»Das heraus zu finden, ist Sache der Carabinieri. Für mich persönlich ist mit der Verhaftung und der glücklicherweise erfolgten Selbsttötung des Grafen der Fall erledigt. Ich habe jedes weitere Interesse daran verloren.

Woher ich wusste, dass sich Raimondo umbringen wollte, willst du noch wissen, nicht wahr? Lieber Herr Kollege, ich schätze deine Tatkraft und Zähigkeit beim Verfolgen von Verbrechern seit Jahren sehr. Aber du hast es immer noch nicht gelernt, dich in das Seelenleben des Täters einzuklinken. Sag an! Was hättest du an Raimondos Stelle getan?«

»Mich erhängt, das geht schnell«, seufzte di Fusco, »und das, um zu verhindern, dass man mich in langem Prozess vom Psychiater auseinander nehmen lässt, als schwulen Geistesgestörten hinstellt und am Ende noch ins Irrenhaus wegsperrt, mich, den edlen Conte d‘ Inceto. Ich Hornochse, ich blöder!«

»Bitte, jetzt kein geistiges Selbstschlagen, sonst kommt mir das Frühstück hoch«, sagte Volpe streng, »und bedenke doch einmal, was du dem Neurotiker erspart hast, als du darauf verzichtetest, ihn die gesamte Nacht unter Bewachung zu stellen?

Was er vor hatte, war doch für jeden aufmerksamen Betrachter klar! Während ihn deine zwei Polizisten in die Zelle verschleppten, um ihn für den Rest der Nacht dort einzusperren, habe wenigstens ich ihn ganz genau beobachtet.

Zunächst war er wahnsinnig vor Angst und Verzweiflung und wehrte sich nach Kräften. Dann begriff er, dass nichts zu machen sei und erschlaffte am ganzen Körper. Ohne die Ehrengarde, die du ihm beigegeben hast, wäre er zu Boden gegangen.

Indem er den Kopf nun hängen ließ, fielen seine Blicke auf die seidene Schnur, mit der er seinen seidenen Morgenrock in der Taille gegürtet hatte und seine Augen leuchteten jetzt wie im Fieber. So etwas wie ein überirdisches Glück strahlte aus ihnen, und da wusste ich, was er zu tun beabsichtigte, nickte ihm aufmunternd zu und billigte sein Vorhaben.«

»Ja, wirklich«, sagte Ambrosio überheblich lächelnd, »wenn ich es so betrachte, dann war es wirklich keine Hexerei und sogar die reinste Lappalie, das zu begreifen. Rein zufällig war ich aber noch mit dem Capitano ins Gespräch vertieft, so dass mir diese Kleinigkeiten leider entgangen sind.«

»Siehst du, mein lieber Doktor«, sagte Volpe schmunzelnd, »wohin es kommt, wenn man offen und ehrlich ist. Wie sagt doch der alte Römer schon: ‚Arcana tantum sunt mirifica ac stupenda‘ (nur Geheimnisvolles ist wunderbar und staunenswert).«

Der Tenente erhob sich, um zu gehen. Volpe wünschte ihm noch viel Glück bei der Fahndung nach dem neuerlichen Täter, und Ambrosio machte sich auf den Weg zum Tatort, um die Leiche entfernen zu lassen.

Wir blieben zurück, zu Tische sitzend und genossen die besten Häppchen, die sich der voreilige Kollege hatte entgehen lassen, tranken dazu süßen Wein, naturgemäß stark mit Wasser vermischt und ließen Gott einen guten Mann sein.

Als wir damit fertig waren, sagte Volpe, zur Cena um 20. 00 Uhr kämen zwei Gäste, auf die er sich tierisch freue. Da sie noch nichts von ihrem Glück wüssten, müsse er jetzt sofort die entsprechenden Einladungen schreiben, von Hand natürlich, auf Büttenpapier, und sie durch den guten alten Giovanni persönlich zustellen lassen.

»Warum keine Mail? Warum nicht telefonisch?«, fragte ich.

»Nur auf diese altmodische Einladung werden sie reagieren. Nur derart persönlich eingeladen, werden sie kommen. Ich habe übrigens hinzugefügt, dass auch du dabei sein wirst.«

Mit diesen Worten erhob er sich, während ich faul hocken blieb, um zum Schreibtisch zu eilen, wo er auf kostbarem Büttenpapier zwei Briefe schrieb, die er in je einen bezaubernd schönen Umschlag steckte, versiegelte und dem Butler anvertraute, der sich eilig auf die Socken machte.

Mit den Adressaten tat Volpe geheimnisvoll und antwortete, als ich ihn danach fragte, ausweichend. Nur so viel verriet er mir, dass ich heute Abend zwischen den beiden Gästen sitzen müsse, damit es nicht zu unangenehmen Zwischenfällen käme.

Das war alles, was ich aus ihm herausbekam. Eine Zeitlang geigte er virtuos auf seiner Stradivari herum, um auf andere Gedanken zu kommen und führte mir ein paar der Kapricen von Paganini vor. Er hatte das Talent zum Virtuosen, aber es fehlte ihm an Ausdauer. Ja, es war bereits beachtlich, wenn er nach einem gelösten Fall wie diesem nicht in völlige Lethargie verfiel.

Dann endlich verließen wir das Haus, winkten am ‚Rio di Mendicanti‘ einem Gondoliere, um uns durch das Labyrinth der kleinen Kanäle zum Kai vor der Seufzerbrücke rudern zu lassen. Dort ergatterten wir an einem Zeitungsstand das Morgenblatt und durften die erste Seite genießen, die ich hier wiedergebe:

»NEUER FRAUENMORD

Obwohl die Carabinieri gestern einen Tatverdächtigen verhaftet haben, kam es in der vergangenen Nacht zum fünften Frauenmord in Serie. Wir Journalisten hätten die Entlassung des offensichtlich zu Unrecht Inhaftierten Conte d‘ Iceto verlangt, doch die Herren di Fusco und Marcello hatten ihn dergestalt in die Enge getrieben, dass er keinen anderen Ausweg wusste, als sich zu erhängen. Dass es dazu kommen musste, halten wir für einen Skandal. Da auch Privatdetektiv Giuseppe Tartini an diesem Fehler mitgewirkt hat, sollte man ihn ebenfalls zur Rechenschaft ziehen. In Venedig geht ein Mörder um, und nichts geschieht! Wie lange noch? Wozu haben wir unsere Stadtwache? Wofür besolden wir sie noch, wenn nichts geschieht?«

Volpe kicherte und sagte weiter nichts dazu. Wir schlenderten schließlich über den von Touristen überfluteten Markuspatz und weiter westwärts bis zum ‚Teatro la Fenice‘:

»Sie geben König Ödipus von Sophokles«, rief Volpe schwärmerisch verzückt, »einen echten Sophokles! Ich habe für uns Karten besorgt. Verlassen wir doch einmal die Niederungen der Barbarei! Hinein in die Gefilde der Kultur!«

Ich folgte ihm missmutig. Ein leckeres Mahl an der Theke der unfernen, Bratenduft verströmenden Trattoria wäre mir lieber gewesen. Knurrend und murrend folgte ich dem Freund, bis uns ein unfreundlicher Platzanweiser zu den Sitzen geleitete.

Die Leistung der Schauspielertruppe war mittelmäßig, der Zuschauerraum halb leer geblieben, der Beifall verhalten und von Bu-Rufen unterbrochen. Ich war einer von ihnen.

»‚Vita brevis, ars longa‘ (Leben kurz; Kunst lang), wie wir Römer sagen«, murmelte Volpe, »und beim nächsten Mal verschleppe ich dich zu einem Gegenabend mit Itzhak Perlmann, das schwöre ich, alle Violinsonaten solo von Bach.«

»Um Gottes willen, nur das nicht!«, stöhnte ich, während wir das Gebäude hinter uns ließen, »dafür fehlt es mir an Sitzfleisch.«

Tief in Gedanken versunken liefen wir ostwärts und kamen wieder zur brodelnden Innenstadt zurück. Jetzt endlich durfte ich mich am Tresen der zuvor außer acht gelassenen Trattoria laben und von den Schrecken des Sophokles erholen.

Wir aßen unter den Kolonaden des Markusplatzes. Volpe bestellte sich ‚minestrone con pane‘, typisch für diesen Gesundheitsapostel. Ich hatte Kohldampf und verspachtelte lieber frisch gegrillten Aal mit Gnocchi und Salat. Beim Putzen der Platte muss ich allzu heftig gewesen sein, denn Volpe sagte lachend:

»Essen ist ein Bedürfnis, Speisen eine Kunst; Goethe.«

»Wie immer, mein Freund, hast du recht. Schon der alte Professor Grzimek sagte, Menschen fräßen, Tiere äßen, hihihi.«

Zum obigen Speisen tranken wir immerhin einträchtig eine Mischung aus Wasser und Wein. Er aber wählte einen herben grünlich schimmernden Tropfen aus, ich bevorzugte einen bernsteinfarbenen süßen Sizilianer.

»‚Suum cuique‘ (jedem das Seine), wie schon die alten Römer sagten«, versetzte Volpe, indem er meine Blicke deutete.


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