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2. Teil: Ankunft im Feriendomizil


An diesem frühsommerlichen Tage fuhren wir also von Mestre aus die Staatsstraße nordwärts, immer geradeaus bis nach Belluno am Fuße der Alpen und von dort aus auf dem wunderbar angepassten Hin und Her der schmalen Landstraße ins Herz des mit seinen Bergen über 2.000 Meter aufragenden Alpago, wo wir in der Nähe des Dorfes San Martino d‘Alpago auf einem sanften Hügel unser Quartier der Cinque Querce (5 Eichen) entdeckten: Fünf mächtige, auf einem sanften Hügel in Reih und Glied stehende, in den Himmel ragende Bäume wiesen uns den Weg.

Während ich die bezaubernde Landschaft, von welcher der Frühling Besitz ergriffen hatte, in vollen Zügen genoss, starrte Volpe stumm und aus erloschenen Augen auf seine sehnigen Hände hinab, die da wie große Spinnen über seine Oberschenkel krochen und murrte und knurrte schließlich wunderbar doppeldeutig, »una rondine non fa primavera (eine Schwalbe macht noch keinen Frühling).«

Der Albergo, der sich vor die mächtigen Bäume duckte, auf denen das grelle Licht der Mittagssonne lag, war in freundlichem Weiß gekalkt und gewährte uns den schönsten Blick über Felder und Fluren der lieblichen Landschaft bis hin zu den schroff empor ragenden schneebedeckten Zacken des Alpago, dieser dünn besiedelten und kaum bekannten Gegend Norditaliens.

Ansonsten hatten sich dort Einsamkeit und Melancholie breit gemacht. Hin und wieder reckte sich ein vom Wetter der Jahrhunderte gegerbter Campanile in die Höhe. Abgesehen davon fiel die scheinbar freundliche Gegend in tiefste Stille, und das passte zum Seelenzustand meines Freundes. Wortlos ließ er sich aufs Bett fallen und vergrub das Gesicht in Händen. Die kurze Reise hatte seine Kräfte strapaziert. Er sah bleich und erschöpft aus.

Am nächsten Morgen, als ich erwachte und nach ihm sah, war er verschwunden. Was sollte ich tun? Etwa Däumchen drehen? Nein! Es galt, die Gegend zu erkunden.

Ziellos irrte ich durch Feld und Fluren und gewahrte überall Reste vergangener Zeiten. Der Zauber der Landschaft mit seiner spukhaften Atmosphäre regte meine Phantasie an. Ich versuchte, mir die Personen vorzustellen, die hier vor Jahrtausenden gehaust hatten, Kelten, Griechen, Römer, Germanen, bis der Alpago Teil Italiens wurde.

Volpe verbrachte seine Stunden in den nächsten Tagen in der Einsamkeit der rauen Bergpfade, oft zu Pferde. Die Altertümer der Region hatten es ihm angetan, und er begann damit, eine Schrift über sie zu verfassen. Um die Bahnen des Wissenschaftlichen nicht zu verlassen, ließ er sich aus Belluno Bücher herüberschicken, die er emsig studierte, um dann wieder zu seinen Expeditionen aufzubrechen. Mich mochte er nicht an seiner Seite dulden. Zu Pferde bin ich leider Gottes eine Niete.

(An dieser Stelle sollte ich betonen, dass mein Freund ein geübter Reiter ist. Weil er in der Stadt, in der er zuhause ist, keine Gelegenheit dazu hätte, ließ er es sich nicht nehmen, einmal pro Woche den Vaporetto nach Punta Sabbioni zu nehmen, um von dort aus den Reitstall in Cavallino aufzusuchen und sich daselbst einem harten Training zu unterwerfen.)

So ging das ein paar Tage, bis ich ihn nach geraumer Zeit sogar begleiten durfte. Er hatte mir eine zahme Stute ausgesucht, die ich bald lieben und schätzen lernte, auch wenn mir das Aufsteigen noch einige Mühe machte, während Volpe sich jedes Mal mit einem lässigen Satz auf den Pferderücken schwang. Breit grinsend sah er mir zu, wie ich einen Hocker zu Hilfe nahm.

Doch dann kam der Tag, an welchem wir mit einem Schlag aus dem beschaulichen Landleben herausgerissen wurden. Unser Tagesablauf erfuhr durch ein grausiges Geschehen eine Unterbrechung, das unheimlicher und abscheulicher war als all die Fälle, die Volpe vor seinem Zusammenbruch gelöst hatte.

Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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