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8. Teil: Der Tote im Pfarrhaus


Ruggiero Lupo hatte seine Wohnung unzusammenhängend im Erdgeschoss und ersten Stock des Pfarrhauses. Sie bestand aus einem Wohnzimmer, einer Schlafkammer sowie einem schmalen Bad mit WC. Das Wohnzimmer und die Nasszelle lagen ebenerdig, das erstere mit einem großen und das zweite mit einem winzigen Fenster zur Gartenseite hin, ebenda, wo eine Wiese bis ans Haus heran gewachsen war. Zum Schlafgemach musste Ruggiero die gezimmerte Haustreppe hinauf steigen.

Wie von Signore Grana versprochen, war noch niemand am Ort des unvergleichlichen Schreckens eingetroffen, den ich nun, wie folgt, beschreiben möchte:

Obwohl der linke Fensterflügel des Wohnzimmers ein Spaltbreit geöffnet war, durch den frische Luft hereinwehte, empfand ich die Atmosphäre als dumpf, schwül und beklemmend, ganz so, als hätten wir einen nebelverhangenen Novembertag inmitten des Häusermeers von Bukarest vor uns, an dem Rauch und Ausdünstungen auf den feuchten Boden niedergedrückt werden.

Auf einem kleinen Tisch mit drei ehernen Beinen stand eine erloschene Partyleuchte, dessen kleiner grüner Blecheimer, wie es mir vorkommen wollte, auch noch in kaltem Zustand einen abscheulichen Gestank absonderte. Überhaupt war das Ding ungepflegt und wies um die Innenwände herum und am Boden, wo der Docht inmitten eines schwärzlichen Klumpens erloschen war, hässlich verkohlte Verkrustungen auf.

Daneben hockte in einem Sessel mit rund gebogener Rücklehne der Verblichene. Sein Kopf war ihm dergestalt in den Nacken gesunken, dass mir das Kinn als der höchste Punkt der Gestalt vorkommen wollte, obwohl der Unterkiefer herunterhing und eine schwärzliche Zunge aus dem Maul hervor stach.

Der Tote blickte blicklos aus verdrehten Augen auf das Fenster seines Wohnzimmers, ganz so, als ob ihm ebenda das unbekannte Gespenst oder Satan persönlich erschienen wäre. Seine Züge spiegelten denselben Schrecken wider, den ich bei seinen Geschwistern hatte sehen müssen. Arme und Beine waren im Starrkrampf verdreht; die Finger gespreizt. Er war in sein Nachthemd gehüllt und hatte die Füße in karierte Hausschlappen gesteckt.

Ich schloss daraus, dass ihn der unheimliche Tod ereilt hatte, kurz bevor er sich zu Bett hatte begeben wollen. Meine rasch angestellten Untersuchungen zeigten, dass keinerlei Gewaltanwendung nachzuweisen war. Er war unverletzt. Offenbar hatte ihn das Grauen überwältigt. Er sollte wohl am Herzschlag gestorben sein, dachte ich und sagte: »Er ist noch vor Mitternacht umgekommen. Jetzt ist er starr und steif wie ein Stein. Jede Hilfe kommt zu spät.«

»Der gute Gott möge sich seiner armen Seele erbarmen«, flüsterte der Priester mit Grabesstimme, »und ich will noch heute mit den Gebeten für ihn beginnen. Sobald die Obduktion zu Belluno die Leichen freigibt, werde ich ein gemeinsames Requiem für die drei Geschwister anordnen und mit der Gemeinde feiern.«

Noch sagte der Priester diese Worte, als Volpe nichts in der Welt mehr zurückhielt. Vorbei war es mit seiner bisherigen Gelassenheit. Er barst geradezu vor Lust aufs Handeln und war mit einem Satz im Korridor und dann draußen auf der blühenden Wiese, wo er auf allen Vieren über das saftige Grün kroch, ja, sich einige Male flach auf dem Boden fallen ließ, um im Nu wieder im Zimmer zu sein, wo er, auf den Boden starrend, hin und her rannte, dann ans Fenster sprang, beide Flügel öffnete und wieder schloss, um zuletzt für einen kurzen Augenblick hinauf in des Toten Schlafraum zu hechten.

Zurückgekommen, brauste er wieder zum Fenster, lehnte sich weit hinaus und gab grunzende Geräusche von sich, die ich als Ausdruck seiner unbändigen Freude kannte, denn immer, wenn er der Lösung eines Falles nahe gekommen war, verhielt er sich so und erinnerte mich jedes Mal an einen rassigen Jagdhund, der auf der Pirsch an der Leine zerrt.

Schließlich ging er gemessenen Schrittes auf den dreibeinigen Tisch zu, um das herunter gebrannte Partylämpchen zu untersuchen. Dazu holte er aus der leinenen Tasche, die er mitgebracht hatte, eine große Lupe hervor.

Er führte sie sich vors Gesicht, kniff das linke Auge zu und sah nur mit dem rechten durch das Glas hindurch auf die von mir bereits erwähnte hässliche Kruste am inneren Rand des erloschenen Lämpchens, und ein wissendes Grinsen zierte nun sein fuchsiges Gesicht, während er mit einem winzigen Löffel ein wenig vom Schmutz herunterkratzte und in einer schmalen feinen Schachtel verschwinden ließ.

In diesem Augenblick kamen der uns bereits bekannte Commissario des Reviers von Chiesa d‘Alpago samt Assistent sowie dem ortsansässigen Arzt daher gefahren. Volpe hörte sie kommen, ging mit dem Priester und mir auf die hintere Terrasse und sagte, nicht ohne einen gewissen Triumph verhehlen zu können:

»Wie froh bin ich, meine Untersuchungen abgeschlossen zu haben, ohne dass mir die Staatsmacht dabei über die Schultern schaute. Ansonsten habe ich alles unverändert gelassen. Mein Kollege hat die gleiche Chance, wie ich sie hatte. Soll er doch sehen, denn ich habe keinen weiteren Augenblick Zeit, mich mit ihm zu unterhalten.

Verehrter Signore Prete Grana, grüßen Sie die Commissari Michele Ferrano und Tito Antonini von mir. Richten Sie ihnen aus, sie mögen sowohl die Partyleuchte wie auch das Fenster im Auge haben. Jeder Aspekt ist als einziger bereits aufschlussreich. Zusammengenommen zeigen sie den Tathergang lückenlos auf. Sollten meine geschätzten Signori College dennoch nicht weiter kommen, so mögen sie mich drüben im Gasthof aufsuchen.

Doch jetzt, mein lieber Sergiu, wollen wir uns entfernen. Wir sind keine Staatsangestellten. Es wartet Wichtigeres auf uns. Lass uns gehen! Die Altertümer der Region harren unser. Es gibt noch Unendliches zu entdecken. Ich werde darüber eine Monographie verfassen, gleichgültig, ob es außer dir noch jemand liest, denn im Unterschied zu dir mit deinen Volp-eRomanen schreibe ich nur für mich. Ich mache den Protokollanten. Du bist mit dem Fotografieren der Antiquitäten betraut.«

Nach solchen Worten machten wir uns aus dem Staub und kehrten in den Albergo zurück, von wo aus wir nach einem kleinen Imbiss zu den geschichtlichen Relikten des Alpago aufbrachen. Die Pferde waren brav. Das Reiten ward mir allmählich immer vertrauter, und der Muskelkater ließ nach. Die niedliche Stute und ich liebten einander. Bald wurden wir fündig. Lieber Leser, es lohnte sich. Sieh zu, dass auch Du demnächst diesen verwunschenen Platz in den Alpen aufsuchst!

Ich bin kein ungeschickter Fotograf und begleitete den Freund von Fundstelle zu Fundstelle. Unser Werk ist jetzt als großformatiger Bildband im Bozener Verlagshaus Athesia erschienen und wird von der Fachwelt mit lebhaftem Beifall begrüßt; sein Titel lautet: »Die Altertümer des Alpago – entdeckt und beschrieben von Giuseppe Tartini; fotografiert von Sergiu Petrescu.«

Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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