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10. Teil: Eine Lösung des Knotens – keine Lösung des Knotens

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Rasch begaben wir uns in unser privates Speisezimmer und setzten uns zu Tisch, als wäre nichts geschehen. Volpe war innerlich und äußerlich gelassen, während ich vor Erwartung nur so vibrierte, denn bei einigem Nachdenken hatte ich herausgefunden, wer der Mann war, der Ruggiero auf solch grausame Weise getötet hatte; doch nun zu unserem Besucher:

Der Mond verströmte bereits sein bleiches Licht übers Land. Ich vernahm, wie das metallene Törchen des Gartens klirrend ins Schloss geworfen wurde. Dann knirschende Schritte über den Kies des Pfades, der sich zwischen den Blumenbeeten hindurch schlängelte, und schon füllte die majestätische Gestalt des Doktor Anselmu Tigurinu den Türrahmen. Grußlos ließ er seinen dröhnenden Bassbariton ertönen.

»Ich habe Ihre Nachricht erhalten, Signore Tartini, vor einer Stunde, und obwohl ich nicht einsehe, was ich hier noch soll, bin ich der Aufforderung gefolgt, aus reiner Höflichkeit nur.«

»Setzen Sie sich zu uns und genießen Sie einen guten Tropfen, großer Forscher! Das tut der Seele ebenso wie der Zunge gut.«

Aufseufzend ließ sich der bärtige Riese in den bereitstehenden Sessel fallen, und ich staunte, dass er unter seinem Gewicht nicht zusammenklappte und alle vier Beine von sich streckte. Unser Kellner füllte ihm einen großen gläsernen Pokal. Er leerte ihn durstig in einem Zug.

»Ich denke«, sagte Volpe jetzt und legte die Fingerspitzen fest aufeinander, »wir sollten den Fall der drei Morde im wunderschönen Alpago zum Abschluss bringen, bevor wir uns wieder trennen. Haben Sie vielen Dank, caro dottore medico Tigurinu, dafür, dass Sie aus freien Stücken gekommen sind, denn das erspart mir den Weg zu den Carabinieri von Chiesa d‘Alpago. Was dies Ihnen persönlich erspart, werden wir noch sehen.

Mein Freund Sergiu und ich haben gerade ein Experiment zu dem Fall durchgeführt, welchen unser geschwätziger Freund Alberto Scimmia, Journalist des geschwätzigen Corriere della Sera, gewiss morgen unter der Überschrift ,Das Grauen im Alpago‘ publizieren wird. Und da Sie, lieber Gast, in den Fall verwickelt sind, halte ich es für das Beste, wir sprechen hier ungestört über alle noch offenen Fragen. Das Wesentliche freilich darf ich als geklärt betrachten.«

Der berühmte Amazonasforscher blickte wenig freundlich auf mich und meinen Freund und runzelte die Brauen. Dann grummelte er unwirsch: »Ich kann mir, bei Gott, nichts, nicht das Geringste vorstellen, was wir miteinander zu besprechen hätten.«

»Vielleicht doch«, erwiderte Volpe überaus freundlich, »zum Beispiel, wenn ich das einflicken darf, die Art und Weise wie der gute alte Ruggiero Lupo mitten im Pfarrhaus von San Martino ums Leben kam, oder sollte ich sagen: wie er ermordet wurde?«

Kaum hatte Doktor Tigurinu dies vernommen, da sprang er, dieser unser ungeschlachter Besucher, auch schon auf die Füße. Er schäumte. Er war außer sich vor Wut. Sein Gesicht lief blutrot an. Die Zornesadern traten darin dick hervor und schwollen an. Er ballte seine mächtigen Fäuste und schien sich im nächsten Augenblick auf uns stürzen zu wollen.

Wie bedauerte ich es jetzt, dass wir keinerlei Waffen zur Hand hatten. Doch dann überwand er den Tobsuchtsanfall und setzte sich auf die Kante seines Sessels und sprach:

»Jahrelang habe ich mich unter den Indios im Inneren des Amazonasbeckens herumgetrieben, einem Land noch ohne Gesetze. So habe ich mich daran gewöhnt, mir meine eigenen Gesetze zu machen. Verehrter Signore Tartini, es wäre gut, Sie dächten daran, ehe Ihnen ein Unglück zustößt, denn im Grunde meines Herzens habe ich keinen Anlass, Sie zu hassen.«

»Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, lieber Doktor, und mein Freund, Ihr Kollege, weiß Ihre Arbeiten zur Medizin der Indios zu würdigen. Hinzu mögen Sie zählen, dass ich Sie hierher gebeten habe, statt den Fall aus den Händen zu legen, um ihn den Carabinieri zu überlassen, obwohl ich weiß, was ich weiß.

Nicht zuletzt, guter Doktor, wäre es voreilig gewesen, gleich bei meiner ersten Äußerung über den Tod des Ruggiero Lupo aus der Haut zu fahren und mit der blanken Faust über mich herzufallen. Zum Ersten erhöht das den Verdacht gegen Sie. Zum zweiten sollten Sie wissen, dass ich ein ausgebildeter Meisterkämpfer im asiatischen Kampfsport bin, und dass auch die Schlagkraft meines Freundes durchaus nicht zu verachten ist.«

Volpe hatte ihm den Schneid abgekauft. Seinen Argumenten konnte er nichts entgegensetzen. Erregt blieb er auf der Kante des Sessels sitzen, schlug sich die Hände, groß wie Schaufeln, vor das Gesicht und murmelte mit ersterbender Stimme: »Was meinen Sie mit diesen Andeutungen, Signore Tartini? Wenn Sie nur auf den Busch geklopft haben, sind Sie auf dem Holzweg; mit mir nicht; nicht mit mir! Sagen Sie bitte offen und schonungslos, was Sache ist!«

»Das will ich gerne tun«, entgegnete Volpe, »und ich mache es in Erwartung einer ebenso großen Offenheit Ihrerseits, denn alles, was ich anschließend ins Werk zu setzen beabsichtige, hängt einzig und alleine davon ab, was Sie zu Ihrer Rechtfertigung zu sagen haben.«

»Ich soll mich rechtfertigen? Und das vor Ihnen beiden?«

»Gewiss! Genau so ist es, mein Bester.«

»Und was, wobei oder wogegen soll ich mich rechtfertigen?«

»Gegen den schlichten und ergreifenden Vorwurf, der Mörder des Ruggiero Lupo zu sein.«

Doktor Tigurinu nahm eine Serviette vom Tisch und wischte sich Stirn und Gesicht trocken; dann grummelte er leise: »Ein starkes Stück, das da, was Sie sagen. Wenn Sie glauben, Sie könnten mich auf die billige Tour überrumpeln, so irren Sie sich. Ich denke, ich werde mich jetzt auf die Socken machen.«

»Besser wäre es, mein Lieber, Sie blieben noch ein wenig, und die billige Tour gebe ich Ihnen mit Vergnügen zurück. Ehe Sie sich aus dem Staub machen, will ich Ihnen mit diesem und jenem Aspekt auf den Leib rücken, auf denen meine Folgerung basiert, dass Sie den guten alten Lupo schlichtweg umgebracht und zur Hölle geschickt haben, wo er seinesgleichen angetroffen hat.

Zunächst einmal Ihre Umkehr zu Milano, obwohl das Gepäck unwiederbringlich auf dem Flugzeug nach Rio verstaut war. Das besagte nämlich, dass Sie ...«

»Wo ich mein verdammtes Gepäck lasse, geht niemanden etwas an. Ich kam nur zurück, weil ich ...«

»Die von Ihnen vorgeschützten Gründe sind altbekannt und allmählich dabei, einen falschen Bart anzusetzen. Nicht einmal ein Hutmacher würde sie Ihnen abnehmen; es war doch so:

Nach Ihrer wundersamen Kehrtwende zu Milano sind Sie bei mir eingeschneit, um mich auszuhorchen. Sie wollten wissen, wer meiner Meinung nach die Lupo-Geschwister umgebracht hat. Ich konnte oder wollte keine Antwort geben, worauf Sie uns ziemlich unfreundlich verließen, um zur Kirche sowie dem Haus des Priesters hinüber zu stampfen. Dort liefen Sie eine Weile unschlüssig auf und ab und kehrten dann in Ihr Quartier zurück.«

»Und woher wollen Sie das alles wissen?«

»Ich ging Ihnen hinterher.«

»Mir ist niemand aufgefallen.«

»Typisch für mich! Sie hätten von mir nichts anderes erwarten dürfen. Ferner waren Sie für solche Feinheiten viel zu erregt. Sie führten halblaute Selbstgespräche, in denen, wenn ich mich nicht irre, wiederholt das Wörtchen Vendetta (Rache) vorkam.

Dann sind Sie in Riesenschritten nach Hause gestiefelt, mich im unauffälligen Schlepptau, um eine mehr oder weniger schlaflose Nacht zu verbringen. Ungefähr eine Stunde vor Mitternacht haben Sie Ihre Hütte verlassen. Mit der linken Hand schlenkerten Sie eine grün lackierte Partyleuchte; mit der rechten griffen Sie ein paar Mal in den gelben Kies des Pfades, der durch den Vorgarten führt, um einige dieser zackigen Steinchen in einer Seitentasche Ihrer Jacke zu verstauen, und haben nun endlich ...«

Doktor Tigurinu zuckte merklich zusammen. Alle Farbe war aus seinem eben noch eindrucksvoll feurig roten Gesicht verschwunden und hatte einem gelblichen Ton Platz gemacht.

»... um nun eilig die Strecke zum Pfarrhaus hinter sich zu bringen. Dazu spendete der Mond sein anerkannt bleiches Licht. Sie trugen übrigens dieselben genagelten Stiefel, wie sie zurzeit noch an Ihren Füßen zu sehen sind.

Vor dem Pfarrhaus angekommen, umrundeten Sie das genannte Gebäude, indem Sie zerstörerisch durch den Kräutergarten trampelten, bis Sie vor dem großen Erdgeschossfenster ankamen. Es gehört zum unteren Teil der Wohnung des kürzlich verblichenen Ruggiero Lupo. Jetzt nahmen Sie einige der Körnchen aus der Tasche, um sie gegen die insgesamt acht kleinen Glasscheiben des oberen Fensters zu schleudern, hinter dem bekanntlich das Schlafzimmer des Abgeschiedenen liegt.«

Der Doktor war aufgesprungen und versuchte, etwas zu sagen. Aber es hatte ihm die Sprache verschlagen. Volpe fuhr ungerührt und in aller Gelassenheit fort.

»Einige Male also knisterten die Körnchen gegen das Fenster, bis sich der Bewohner zeigte. Es war kein anderer als unser guter alter Ruggiero Lupo, bereits im Nachthemd steckend, der gewiss schon ahnte, was ihm bevorstand.

Sie gaben ihm ein Zeichen, er möge ins Wohnzimmer herunter kommen. Das tat er denn auch und öffnete das Fenster auf Ihren Wink hin. Sie sind hineingeklettert, um mit ihm eine Unterhaltung zu führen, während der Sie erregt auf und ab liefen, um auf den Dielen des Fußbodens einigen Schmutz zu verbreiten.

Dann stiegen Sie wieder hinaus, zwangen Ruggiero mit gezogener Pistole, das Fenster zu schließen und warteten gespannt darauf, wie drinnen die Angelegenheit ausgehen würde. Als sie auf eben die Weise, welche Sie erwartet hatten, vollendet und der Tod eingetreten war, sind Sie in Ihren eigenen Fußstapfen nach Hause gegangen, um sich aufs Ohr zu hauen.

Da all das, was ich soeben sagte, klipp und klar bewiesen ist, wäre es nun an der Zeit, mein lieber Doktor, dass Sie mir die Argumente vorbrächten, die Ihr Handeln rechtfertigen könnten. Sollten Sie allerdings nicht bereit sein, mit Sergiu und mir zusammen zu arbeiten, sähe ich mich gezwungen, den Fall an die Carabinieri in der schönen Gemeinde Chiesa d‘Alpago zu übergeben.«

Dr. Anselmu Tigurinu, der seinem Ankläger aufmerksam zugehört hatte, begann nun, am gesamten Körper zu zittern. Eine Zeitlang saß er noch da, ganz das berühmte Häufchen Elend, sein Gesicht in Händen vergraben, bis er sich aufraffte, ein kleines Fotoalbum aus der Innentasche seiner Jacke hervorzauberte und Volpe reichte. Darin eingeklebt waren sorgsam fotografierte Bilder einer zauberhaft schönen Frau.

Es zeigte eine Donna, schöner als Venus, vom Portrait bis zur Ganzkörperaufnahme, teils in kostbaren Gewändern, teils im aktuellen Bikini am Ufer des Lago di Santa Croce bei Belluno. Ich konnte mich kaum sattsehen an dieser Herrlichkeit.

Volpe blätterte eine Weile nachdenklich und keineswegs überrascht im Album, während ich ihm neugierig über die Schulter blickte, um leise, in brüderlich vertraulichem Ton sowie mit feuchten Augen zu murmeln:

»Ja, caro Anselmu, das war deine süße Cecilia. Welch eine wunderschöne Frau! Und so ein liebes, gütiges Gesicht! Oh, mein Gott, was für eine Tragödie!«

Volpe legte das Album auf den Tisch und ergriff die Serviette, um sich hinein zu schnäuzen. Auch mir waren die Tränen gekommen. Dr. Tigurinu nahm das Album zurück, schluchzte wie ein Kind und sagte, um Fassung ringend:

»Ja, es ist Cecilia, meine Cecilia, mein Ein und Alles, seit zwei Jahren schon meine heimliche Frau. Ich liebte sie, und sie liebte mich. Ihr zuliebe sollte die geplante Expedition meine letzte sein. Ihr zuliebe wollte ich mich hier in der Gegend als Landarzt niederlassen. An die zehn Jahre hat sie darauf gewartet, und nächstes Jahr wäre es soweit gewesen. Wir haben umsonst gewartet. Dieser Schuft hat unser beider Leben vernichtet.«

Der Doktor schwieg und griff sich an die Kehle, als befürchtete er zu ersticken. Volpe schob ihm einen frisch gefüllten Becher hinüber, gefüllt mit viel Wasser und wenig Wein. Er trank ihn in einem Zug leer und lehnte sich dann seufzend zurück.

»Ja, so war es, Signori, und nun kennt ihr mein Geheimnis. Der gute Priester war im Bilde. Er könnte euch sagen, welch wunderbare Frau die Verstorbene war; ein selten guter Mensch.

Als sie tot war, hat er mir eine Mail aufs Mobilphon geschickt, die mich keine Stunde zu früh antraf. Als ich erfuhr, dass Cecilia tot war, bedeutete mir das Innere des Amazonasurwaldes, bedeutete mir meine Habe im Flugzeug nichts mehr, und als ich erkannte, auf welche Weise meine Frau umgekommen war, und dass ich nicht einmal unschuldig an ihrem Tod war, gab es kein Halten mehr. So, caro Giuseppe, jetzt weißt du, warum ich den Schurken umbringen musste.«

Volpe sah ihn fragend an. Tigurinu griff in die Tasche und holte eine kleine feine Dose heraus. Oben drauf stand handschriftlich in roten Blockbuchstaben:

»Flos mortis americanus australis« (südamerikanische Todesblume). Er öffnete die Büchse und schob sie mir über den Tisch zu. Neugierig blickte ich hinein. Drinnen lagen zahlreiche getrocknete Blüten; gelblich und unauffällig.

»Lieber Kollege und Landsmann Sergiu, vielleicht kennst du die Substanz ja. Wir Ärzte sagen bekanntlich Pharmakon zu dergleichen pflanzlichen Produkten, was gleichzeitig Gift wie Heilmittel bedeutet. Alles hängt von der Dosis ab.«

»Leider kenne ich diese Pflanze noch nicht«, sagte ich.

»Nun«, erwiderte Tigurinu, »das ist kein Wunder. Es gibt in der gesamten Europäischen Union keinen Arzt außer mir, der damit umgehen kann. Als allerallerwinzigste Gabe hilft es gegen die Folgen der Epilepsie, wenn man den Patienten die hauchfeinen Dämpfe einatmen lässt. Schon in mittlerer Dosis ist es tödlich.

Alles Übrige ist exakt so abgelaufen, wie du, caro Giuseppe, es ermittelt hast. Vielleicht darf ich ergänzen, dass ich Ruggiero mit gezogenem Revolver zwang, das Fenster zu schließen, nachdem ich nach draußen geklettert war. Andernfalls war ich entschlossen, ihm eine Kugel in den Kopf zu schießen. Nun zum Motiv, welches er für seine scheußliche Tat besaß.

Nur scheinbar hatte er sich mit den Geschwistern versöhnt. In Wirklichkeit hasste er sie und wartete auf die Gelegenheit, sie ungestraft umzubringen.

Weil der alte Streit beigelegt schien, konnte er auch bei mir nach Belieben aus- und eingehen, ja, er heuchelte Freundschaft, war mir aber in jeder Hinsicht unangenehm und gab sich wie ein widerlicher Schnüffler. Wie gerne hätte ich ihn ausgesperrt, aber Cecilia zuliebe musste ich ihn einlassen, wann immer er kam.

Kurz vor meiner geplanten Reise nach Rio besuchte er mich noch einmal und tat überaus freundlich. Auf seine Bitten hin zeigte ich ihm all die besonderen Dinge, die ich als Beute meiner Expeditionen dabei hatte. Unter anderem – oh, das werde ich mir nie verzeihen – ließ ich ihn auch die Blüten des Todes anschauen, und er stellte verdächtig viele Fragen dazu, insbesondere über Dosis, Zeitraum und Art der Wirkung. Ich berichtete ihm vom bislang noch nicht entdeckten Amazonas-Stamm, der dieses Mittel im Guten wie im Bösen verwende.

Während ich für kurze Zeit das Zimmer verließ, um auf die Toilette zu gehen, hat er sich zweifellos einige der getrockneten Blüten angeeignet. Dann hielt er still, bis er mich zu Milano und auf dem Sprung nach Rio wähnte. Es war sein Fehler, dass er mit dem Verbrechen nicht eine Nacht länger warten konnte, denn im Inneren des Kontinents hätte ich wahrscheinlich monatelang lang nichts davon erfahren. Doch kaum hatte ich die Schreckensbotschaft vernommen, da machte ich auch schon kehrt und eilte zu Adolfo Grana, dem Priester.

Als ich von ihm erfuhr, wie es beim Tod der Geschwister zugegangen war, war ich mir sofort darüber im Klaren, dass man das soeben genannte Gift verwendet hatte, von dem außer mir und Ruggiero niemand etwas wusste. Wer der Täter war, lag auf der Hand. Ruggiero ist der Mörder seiner Schwester und seines Bruders. Er hat es um des Geldes willen getan, denn wenn seine Geschwister tot sind, erbt er ihr gesamtes Vermögen. Das steht im amtlichen Testament.

So streute er im Weggehen eine Prise zerbröselter Blütenblätter der Todesblume auf den Rand der Partyleuchte, welche das Feuer binnen einer Stunde erreichen müsste und entfernte sich in aller Ruhe, sah dem beginnenden Todeskampf der Geschwister noch eine Weile von draußen zu, um sich dann mit Hilfe des Priesters ein Alibi zu verschaffen. Dieses grausige Verbrechen lud er auf seine Seele. Aber wie sollte er dafür zahlen?, fragte ich mich.

Für einen kurzen Augenblick dachte ich daran, mein Wissen den Carabinieri von Chiesa d‘Alpago mitzuteilen, damit man ihn unter Anklage stelle. Doch diesen Plan verwarf ich wieder. Konnte ich denn ausreichend Beweise vorbringen, welche das Gericht zu einer Verurteilung zu bewegen vermochte?

Möglicherweise würden die einfachen Leute aus dieser Gegend lieber an die Version der bösen Geister glauben.

Oder konnte ich beweisen, dass ausgerechnet er der Täter war? Würde er nicht mangels Beweisen mit einem Freispruch davon kommen? Aber auch eine jahrelange Haft in unseren Luxusgefängnissen dünkte mir nicht angemessen zu sein, wenn ich an das Verwerfliche seiner Tat dachte.

So nahm ich den Vollzug der Gerechtigkeit denn in die eigenen Hände. Lieber Giuseppe, lieber Sergiu, ich sagte euch schon, dass ich in den Jahren der Amazonas-Expeditionen Herr meiner eigenen Gesetze geworden war. So beschloss ich, meine entzückende Cecilia auf eigene Faust zu rächen.

Ich bildete Ankläger, Verteidiger, Richter und Henker in einer Person. Nach Vorbringen aller Argumente verurteilte ich den geständigen, aber keineswegs reuigen Mörder dazu, auf gleiche Weise wie seine Opfer zu sterben und vollstreckte die Strafe. Wie ich dabei vorgegangen bin, hast du, verehrter Giuseppe, schon eindrucksvoll geschildert. Ich verneige mich vor dir als dem unübertrefflichen Meisterdetektiv.

Weil ich mir dachte, dass der Schuft bereits schliefe, wenn ich gegen Mitternacht zu ihm käme, nahm ich mir einige Körnchen des genannten Kieses mit, um sie gegen das obere Fenster zu schleudern. Er war noch nicht zu Bett gegangen, kam, sah mich und stieg auf meine Zeichen hin in sein Wohnzimmer hinab.

Ich kletterte durch das untere Fenster hinein und stellte die mitgebrachte Partylampe ab. Er wusste, dass ich als sein Henker gekommen war und versuchte erst gar nicht, Widerstand zu leisten. Als ich mein scharf geschliffenes Bowie-Knife auf ihn richtete, ließ er sich willenlos in seinen Sessel fallen.

Aus der mitgebrachten Dose krümelte ich dann einiges an Granulat der Todesblume auf den Rand des Lämpchens, rund um die auflodernde Flamme, hielt die Luft an und stieg aus dem Fenster, die Pistole in der Hand.

Ruggiero schloss nun, wie verlangt, das Fenster und ließ sich in den Sessel fallen. Dann ging es schnell. Oh, du gnädiger Gott, wie grauenhaft er starb! Ja, er starb ebenso entsetzlich, wie mein liebes Mädchen hatte sterben müssen, und in mir regte sich nichts, gar nichts! Ich war die Ruhe in Person.

So, caro mio Giuseppe, das ist schon alles, und wenn du jemals ein Mädchen liebtest, wirst du mich und mein Handeln verstehen, vielleicht sogar billigen. Ansonsten ist es mir gleichgültig, was aus mir wird.«

Volpe lief feuerrot an, während er sich die Hände vor das Gesicht schlug. Er dachte an seine Debora, deren Schicksal kürzlich am seidenen Faden hing.

»Mehrfach habe ich das Buch gelesen, das Sergiu über deine Freundin verfasst hat. Meine Süße liebte es und konnte sich gar nicht davon trennen«, sagte Dr. Tigurinu und schwieg. Volpe war wieder zu sich gekommen. Heiser nahm er das Wort: »Du wolltest doch nach Rio fliegen?«

»Gewiss; mein Werk am Amazonas ist noch nicht vollendet.«

»Dann vollende es«, sagte Volpe, »weder ich noch Sergiu werden dir einen Stein in den Weg legen.«

Ich nickte zustimmend und lächelte wehmütig. Unser Gast erhob sich zu seiner vollen riesenhaften Größe, verbeugte sich tief und verließ schweigend das Haus. Wir haben ihn nie wieder gesehen.

Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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