Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 30
3. Teil: Drama beim Landhaus
ОглавлениеAls der Dolmetscher seinen Bericht beendet hatte, blieb Volpe eine Zeitlang wie erstarrt sitzen. Offenbar war er in tiefem Nachdenken versunken. Fragend blickte er dann Ambrosio an.
»Hast du schon was unternommen?«
Ambrosio wurstelte eine Zeitlang in seiner alten ledernen Tasche herum, von der er sich nur trennt, wenn er schlafen geht, um schließlich ein ziemlich zerfleddertes Blatt Papier zutage zu befördern. Es enthielt den Text einer Annonce, die er in der gestrigen Ausgabe des Corriere della Sera und sämtlicher Anzeigenblätter des Veneto publiziert hatte und las:
»Fünfhundert Euro Belohnung: Wer kann über den aus Bonna am Rhein stammenden Tedesco Armin Auskunft erteilen? Gleiche Belohnung, wer über eine aus selbiger Gegend stammende Marion informieren kann: Mitteilungen an das unter Capitano Marcello stehende Revier der Carabinieri unter ...«
»Gibt es schon eine Antwort?«, fragte Volpe und legte die Fingerspitzen aufeinander.
»Leider nicht«, sagte Ambrosio.
»... und was ist, wenn die Signori Farnese e Vitello die Anzeige gelesen haben?«
Ambrosio zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. Der Dolmetscher schaute irgendwie bedrückt aus der Wäsche. Offenbar war er sich der Gefahr bewusst, in der er schwebte, denn die genannten Kerle hatten ihn eindringlich vor solch unüberlegtem Handeln gewarnt.
Volpe erhob sich und sagte: »Gut, ich werde mich um die Angelegenheit kümmern und den Fall übernehmen. Dich, lieber Ambrosio, halte ich auf dem Laufenden. Ihnen aber, Maestro Schmidt, gebe ich den guten Rat, auf der Hut zu sein. Sollten die beiden Spitzbuben nämlich nicht nur auf den Busch geklopft haben, könnte es verdammt gefährlich für Sie werden, sobald sie die Annonce des Tenente gelesen haben. Es war ein unverzeihlicher Fehler, sie so voreilig zu schalten, und das auch schon deshalb, weil mir dadurch die Arbeit nicht leichter geworden ist.«
Kopfschüttelnd verließ Ambrosio unseren kleinen Palazzo am Campo dei Santi Paolo e Giovanni. Der Deutsche, der bei Volpes Worten sichtlich erbleicht war, so dass seine paar Sommersprossen nun umso deutlicher hervortraten, folgte ihm zögerlich.
Nachdem uns die beiden verlassen hatten, mimte Volpe ein zufriedenes Gesicht und sagte schmunzelnd: »Schon einige meiner spannendsten Fälle wurden mir durch Ambrosio vermittelt, so auch diesmal. Doch obwohl die Angelegenheit in groben Zügen bereits klar ist, bleiben noch einige Aspekte übrig, die es mit Geduld und Spucke zu untersuchen gilt, denn bekanntlich steckt der Teufel im Detail.«
»Aber du wirst das Rätsel zu lösen?«
»Wenn wir schon so viel wissen, wie wir wissen, wäre es doch verwunderlich, nicht auch noch den Rest zutage zu befördern. Wie ich dich kenne, Sergiu, hast du dir bereits deine eigenen Gedanken dazu gebildet.«
»Im Großen und Ganzen scheint die Sache wirklich klar zu sein.«
»Und was denkst du?«, fragte Volpe.
»Ich glaube, dass die bezaubernde Germanin von den beiden Schuften entführt wurde«, erwiderte ich
»Gut möglich; aber von wo aus und wozu?«
»Aus der Gegend am Rhein. Wurden nicht die römischen Feldlager Bonna (Bonn) und Colonia (Köln) genannt?«, sagte ich. »Und von dorther kam dieser Armin. Und er spricht kein einziges Wort Italienisch. Die sogenannte Marion hingegen kann sich in dieser unserer Sprache, wenn auch gebrochen, ganz gut verständigen, wenn man dem Dolmetscher glauben darf.
Das deutet darauf hin, dass sie sich bereits eine Zeitlang hier in der Gegend aufhält. Leider ist bisher kein einziger italienischer Politiker imstande, ein mit Deutschland verglichen wirkungsvolles Melderegister einzuführen. So kommt es, dass in unserer Region, wie der Römer Cicero sagen würde, aller Unrat der Welt wie in einer Jauchegrube zusammenströmt und die Behörde jeden Überblick verloren hat.«
»Ts, ts«, meinte Volpe, »sei nicht so vorlaut mit deiner Italienkritik, du Rumäne!«
Ich schmunzelte über seine gespielte Empörung und sagte, den alten Oberlehrer spielend: »Ambrosios Zuname Fusco ist auch Rumänisch. Als Italiener müsste unser guter Tenente nämlich Signore Fosco heißen, auf Tedesco: Herr Dunkel. Natürlich könnte die lange Blondine mit dem großen Schuh, warum auch immer, vom Rhein an die Lagune gekommen sein, und dieser Mann, der sich Vitello nannte, dürfte sie in seine Gewalt bekommen haben.«
»Allmählich kommen wir der Wirklichkeit näher, auch wenn dein Denken wie immer chaotisch ist. Aber ich meine, sie ist dem genannten Mann eher freiwillig gefolgt.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte ich.
»Signore Schmidt schilderte uns, dass die Bezaubernde plötzlich und unerwartet eintrat und etwas davon faselte, dass sie ihren Giulio vermisst habe. Das widerspricht deiner These von ihr als einer Gefangenen. Ich denke, sie könnte die Geliebte des von dir als stattlich geschilderten Signore Farnese sein. Vielleicht ist sie ja hörig. So was kommt bei manchen Weibern vor.«
»Du hast wahrscheinlich recht«, sagte ich, »und dann erscheint ihr Bruder auf der Bildfläche, um das durchgebrannte Mädchen wieder nach Hause zu holen.«
»Auch darin gebe ich dir recht«, sagte Volpe, »sie sind sich um den Hals gefallen, Marion und Armin, waren aber kein Liebespaar, sondern wahrscheinlich Geschwister.«
»Ja«, erwiderte ich, »und dass dieser Armin hier in unserer Gegend aufgekreuzt ist, passt den beiden Schuften nicht in den Kram. Sie wollen die junge Frau in ihrer Gewalt behalten. Also überlisten und kidnappen sie den Tedesco. Das lässt sich problemlos bewerkstelligen, da er kein Wort Italienisch spricht und ohne Dolmetscher hilflos ist.«
»Und dann hungern sie ihn aus, damit er irgendeinen Wisch unterzeichnet. Warum sollte er das tun?«, fragte Volpe.
»Es kann sich nur um das Vermögen der Familie handeln, das er auf die Schwester übertragen soll. Colonia ist eine aufstrebende Stadt mit einer Million Einwohnern. Dort wird viel Geld verdient. Sie wurde schon zur Zeit des Augustus gegründet und ist jetzt 2.000 Jahre alt.«
»Hihihi«, kicherte Volpe und legte die Fingerspitzen aufeinander, »ich hatte keine Ahnung, dass du ein so guter Deutschlandexperte bist. Jedenfalls wissen wir jetzt dank deines Genies, dass es hier um Erpressung geht, in welcher die schöne Athletin eine zwielichtige Rolle spielt, und wieder einmal hat Monsieur Bertillon recht: cherchez la femme!«
»Schön und gut«, erwiderte ich, »aber welche Rolle spielt der ekelhafte Kerl, dieser Giftzwerg, der sich Vitello nennt?«
»Ich denke, er ist der Kopf des Unternehmens, wenn wir dem Dolmetscher glauben dürfen. Indem Signore Schmidt betont, keinen Chauffeur gesehen zu haben, können wir annehmen, dass Farnese am Steuer der seltsamen Kiste saß, in der er zum Landhaus gekarrt wurde.«
»Aber wie sollen wir dieses Haus finden? Davon, dass wir es entdecken, hängt doch alles andere ab.«
»Auch dazu braucht es Geduld und Spucke«, erwiderte mein Freund, »immerhin wissen wir, dass es hinter einem Rasen und zwischen Bäumen steht. Doch über kurz oder lang werden sich die Dinge zuspitzen, unweigerlich. Ja, ich denke, es könnte zu einem bösen Erwachen, wenn nicht zur Katastrophe kommen.«
»Was wirst du als nächstes unternehmen?«
»Wir kennen nur die Vornamen der Frau und ihres vermeintlichen Bruders. Da unser Armin offenbar erst kurze Zeit hier ist, sollten wir vor allem nach einer Deutschen namens Marion fahnden. Hier vor allem baue ich auf Ambrosios Annonce, denn da Farnese und Vitello samt dem Geschwisterpaar vermutlich seit einiger Zeit im selben Haus wohnen oder wohnten, sollte eine Antwort nicht lange auf sich warten lassen.«
Kaum hatten wir das Gespräch bis zu diesem Punkt hin geführt, als wir lautes Pochen an unserer Haustür vernahmen; und schon führte Giovanni unseren Freund Ambrosio herein. Freudestrahlend fuchtelte er mit einen Papierfetzen in der Luft herum.
»Was gibt‘s Neues?«, fragte Volpe.
»Ich habe eine Antwort auf die Anzeige.«
»Ist ja nicht die Möglichkeit; gratuliere!«
»Sie war in Form einer Mail eingetroffen, als ich aufs Revier zurückkam. Marcello hatte sie in Empfang genommen, gespeichert und ausgedruckt. Dazu hat er sich die Adresse des Absenders notiert, falls ihm die versprochene Belohnung zusteht; und das, Signori, ist der Text, den ich euch vorlesen darf:
Sehr geehrte Herren Carabinieri, auf Ihre Annonce Bezug nehmend, erlaube ich mir die freundliche Mitteilung, dass ich besagte Donna kenne. Bis vor wenigen Tagen lebte sie in Gesellschaft zweier Männer, deren einem, einem recht großen sportlichen, sie freundschaftlich zugetan war, hier in Venezia auf dem Lido im Grand Hotel Des Bains, in dem ich immer noch hause.
Vor ein paar Tagen aber sind sie aufs Festland gezogen und leben nun, wenn sie mir die Wahrheit gesagt haben, in einem Landhaus in der Nähe der mir nicht bekannten Dörfer Oriano, Fusina oder Marano. Es führt, so glaube ich mich zu erinnern, den Namen Villa delle Quattro Querce (Villa der vier Eichen) und liegt eingerahmt von vier riesigen alten Eichen unfern der Landstraße, welche die genannten Dörfer verbindet.
Ich verbleibe mit den besten Wünschen betreffs Ihrer Gesundheit, Ihr Ihnen sehr ergebener Lucio Alessandro Agricola.«
»Wir sollten sofort zu Signore Agricola (Bauer) fahren, um mit ihm persönlich zu sprechen«, sagte ich, während Ambrosio eifrig dazu nickte.
Volpe aber schüttelte den Kopf und entgegnete: »Zum Lido hinaus ist es zu weit. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Armins Leben ist in Gefahr. Ambrosio sollte uns mit einigen seiner Carabinieri begleiten, denn die Sache stinkt zum Himmel. Das Landhaus der Quattro Querce kenne ich flüchtig. Kürzlich bin ich in einem kleineren Fall dort vorbeigekommen, aber es stand schon damals leer und wird, wie ich vernahm, inzwischen zum Ramschpreis angeboten, da niemand in diese Gegend ziehen möchte, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
So, jetzt wissen wir, wo ein Mensch zu Tode gefoltert wird. Sergiu, nimm auf jeden Fall deinen Arztkoffer mit, denn wir könnten, nein, wir werden ihn gebrauchen. Ambrosio, habt ihr eine Nummer für Fax oder Fon des Signore Schmidt? Er könnte uns von Nutzen sein.«
Ambrosio sagte, er besitze nur seine E-Mail-Adresse, aber Signore Schmidt melde sich leider nicht mehr, weshalb man mit dem Schlimmsten rechnen müsse.
Dann brüllte er, er werde in Nu mit vier bewaffneten Männern zur Stelle sein und uns mit dem Polizeiboot nach Mestre bringen, wo ein Streifenwagen unser harrte. Sagte es und polterte zum Vorderausgang davon. Ich rief ihm hinterher: »Wir sollten auf jeden Fall Signore Schmidt mitnehmen. Wer weiß, ob wir seine Dienste nicht benötigen.«
»Geniale Idee«, grummelte Ambrosio, »wenn ihr ihn noch lebend antrefft; und du, guter Volpe, vergiss nicht, deine kugelsichere Weste überzustreifen. Es könnte verdammt erst werden. Sieh zu, dass du beim Schmidt vorbeikommst, bevor du dich zur Anlegestelle am Bahnhof begibst, wo wir dich erwarten.«
Volpe schlüpfte in sein festes Hemd und gürtete sich mit seiner kleinen feinen Pistole, Zeichen dafür, wie ernst die Lage war; und schon rannten wir den Calle di Cavallo hinunter zu unserem kleinen Motorboot, welches am unfernen Rio di San Marina vertäut war, um mit ihm den Canal Grande zu gewinnen und einen Umweg über den Rio di San Felice zu machen, an dessen Gestade wir den Dolmetscher auflesen wollten. Die Dämmerung brach schon herein, und in Venedigs Calli erwachte das wilde Leben, für das die Stadt berühmt ist.
Als wir an der Wohnung des Dolmetschers vorbei kamen, fanden wir ihn nicht vor. Wir fragten einen Jungen, der in eben diesem vierstöckigen Gebäude zuhause war, nach ihm, und er sagte, Signore Schmidt sei vor ungefähr zwei Stunden mit einem Mann aus dem Haus gegangen und dann spurlos verschwunden.
»Nannte der Besucher seinen Namen?«, fragte Volpe.
»Nein; und ich hatte ihn auch nie zuvor gesehen.«
»War es ein athletisch aussehender großer junger Kerl?«
»Nein! Im Gegenteil! Er war eher klein und gedrungen gebaut; feistes Kinn von spärlichem Bartwuchs kaschiert; Haar grau meliert; er zuckte fortwährend an allen Gliedern und kicherte unentwegt. Speichel tropfte ihm aus dem gelbzahnigen Maul, als er mich nach Schmidts Wohnung fragte.«
»Ausgezeichnet! Das haben Sie hervorragend beobachtet, junger Mann«, sagte Volpe und ließ dem verdutzten Jungen fünf Euro in die Hand fallen. Während sich dieser geradezu überschwänglich bedankte, schrie Volpe: »Auf und davon! Jetzt geht es um Sein oder Nicht-Sein.«
»Ja«, brüllte ich, »sie haben Schmidt schon wieder in ihren Fängen. Dass er nicht im Stande ist, sich zu wehren, wissen sie ja schon seit dem ersten Mal. Ich denke, sie haben die Annonce gelesen und wollen sich jetzt rächen. Zunächst, denke ich, werden sie seine Kenntnisse verwenden und ihn dann nach getaner Arbeit umbringen, zur Strafe für seinen, äh, Verrat.«
Bald darauf setze uns das Polizeiboot in Mestre ab. Wir stiegen samt Ambrosio und einem jungen Carabiniere in einen Streifenwagen, und los ging‘s mit Tatü-tata. Bald darauf hatten wir die schnurgerade Staatsstraße nach Süden gewonnen. Ein Regenschauer fetzte durch. Dann klarte es wieder auf, und schon gesellte sich Capitano Marcello zu uns. Er hatte zwei zusätzliche Carabinieri mitgebracht. Nun durften wir uns ob unserer Übermacht keine Gedanken machen, denn den zwei Schuften blieb jetzt doch wohl nur die sofortige Kapitulation übrig, wollten sie nicht zusammengeschossen werden.
Es war schon gegen 23. 00 Uhr, als wir unter Volpes Anleitung das Landhaus der vier Eichen erreichten. Ein gnädiger Mond spendete sein weißes Licht. Ungefähr 150 Meter abseits der einspurigen Landstraße erhob sich das alte Gemäuer trutzig.
Ein Privatweg führte dorthin und war mit im Mondschein glitzerndem Kies bestreut, ging dann aber in einen ungepflegten Rasen über. Um die düstere Burg herum mit ihren finsteren Fensterhöhlen standen, wie erwartet, vier majestätische Eichen, deren zwei ihren gewaltigen Schatten über das Gebäude warfen. Als wir näher kamen, sahen wir, dass die morschen Klappläden sämtlicher Fenster offen standen, durch die jedoch kein Lichtschimmer nach draußen drang.
»Verdammter Mist! Wir kommen zu spät. Die Schlacht ist schon geschlagen«, rief Volpe mit vibrierender Stimme, und ich merkte ihm seine grenzenlose Enttäuschung an, »die Schurken haben die Fliege gebildet und sind abgeschwirrt.«
»Woher willst du das denn wissen?«, fragte Ambrosio, »vielleicht schlafen sie ja nur. Schließlich ist es tief in der Nacht.«
»Man sieht es an den Spuren?«
»Welche Spuren?«
»Radspuren.«
»Gut; sehe ich; aber sie sagen mir nichts.«
»Ein schwer beladener Wagen ist vor Kurzem hinaus gefahren.«
Ambrosio stierte auf die deutlich sichtbaren Rillen im regennassen Rasen und fragte: »Wieso schwerbeladen?«
»Die von mir genannten Spuren laufen uns entgegen, also hinaus zur Landstraße. Man erkennt es daran, dass sie über die älteren Spuren hinweg gehen; und da diese, wie man sieht, tiefer im Rasen eingegraben sind als alle früheren, über welche sie hinweg führen, ist doch wohl der Schluss erlaubt, dass die fahrbare Kiste diesmal schwerer war, weil die Schurken mit Sack und Pack das Weite suchten.«
Ambrosio war mittlerweile achselzuckend aus dem Streifenwagen ausgestiegen und stand vor dem mächtigen Portal des im Palladio-Stil erbauten Landhauses. Ein bronzener Löwenkopf mit einem Ring im Maul war davor angebracht. Di Fusco ließ den Ring mehrfach gegen das Holz poltern. Nichts rührte sich. Er sagte voller Ingrimm:
»Wenn ich das geahnt hätte, wären Äxte in unserem Gepäck, um das verdammt massive Tor aufzubrechen. Wie ich nämlich sehe, ist es mit zwei Schlössern gesichert. Was sollen wir tun?«
»Das lass nur meine Sorge sein«, sagte Volpe und entschwand unseren Blicken. Kurz darauf wurde die seitliche Gartenpforte geöffnet und Volpe stand zwischen Tür und Angel.
»Ich habe mir erlaubt, durch ein rückwärtiges Fenster einzusteigen, obwohl das ganz und gar ungesetzlich ist, hihihi.«
Er machte eine einladende Bewegung. Ambrosio mit mir im Schlepptau betrat das Haus und gewann die Halle, während Marcello und seine Carabinieri mit entsicherter Waffe draußen warteten. Von dort aus gelangten wir in ein geräumiges Wohnzimmer, das in allen Einzelheiten der Beschreibung des Dolmetschers entsprach. Es war menschenleer. Auf dem Esstisch standen Pokale, eine zu zwei Dritteln leere Karaffe und Reste eines Mahles.
Verärgert drehte sich Ambrosio um und wollte das leere Haus schon verlassen, als Volpe den Zeigefinger vor den Mund hielt. Wir lauschten und gewahrten ein leises Stöhnen, das offenbar vom Obergeschoss kommend in unsere Ohren drang.
Volpe rannte wie entfesselt aus dem Wohnzimmer hinaus und stürmte eine hölzerne Treppe hinauf. Wir folgten ihm und kamen in den oberen Korridor. Die Jammerlaute waren jetzt deutlich vernehmbar und quollen hinter einer bestimmten Tür hervor; ein dumpfes Röcheln; Laute wie aus dem Grab. Die Tür war zugesperrt und verschlossen; kein Schlüssel zu sehen.
Volpe nahm Anlauf und rammte dann seinen rechten Fuß genau gegen die Stelle, an der man die Türklinke erkennen konnte. Das Holz splitterte krachend. Die Tür öffnete sich knarrend einen Spalt breit. Volpe schob sie beiseite und drang in den Raum ein, nur um nach Luft schnappend, die Hände an der Kehle, wieder heraus zu taumeln.
»Kohlevergiftung«, murmelte er atemlos, während uns der giftige Dunst entgege waberte, »der Raum ist mit dem Qualm glimmender Kohlen erfüllt, zum Ersticken. Aber das werde ich im Nu in Ordnung bringen!«
Durch den klaffenden Türspalt sahen wir jetzt, dass eine einzige Lichtquelle das Zimmer schwach erhellte. Es war ein bläulicher Schimmer, der aus einem ehernen Kohlebecken heraustrat. Zugleich quoll ein abscheulicher Geruch in unsere Nasen. Mitten im Zimmer lagen zwei gefesselte Gestalten am Boden, die eine reglos, die andere leise stöhnend.
Volpe holte mehrfach pfeifend Luft. Dann sprang er wie der Tiger ins ominöse Zimmer. Krachend schlugen die beiden Fensterflügel gegen die innere Wand, so heftig, dass am einen das Glas splitterte. Ich sah, wie er die Wanne an den Henkeln ergriff und hinaus in den rückwärtigen Garten schleuderte.
Der leise wimmernde Wind stand auf dem Fenster und trieb die widerlichen Rauchschwaden an uns vorbei. Wir warteten noch eine Weile. Erst dann wagten wir es, den nunmehr gut gelüfteten Raum zu betreten.
Beide Männer waren bewusstlos; ihre Gesichter grässlich aufgedunsen; die Augen aus den Höhlen getreten; der eine atmete noch schwach; der andere regte sich nicht mehr. Er war fast zum Skelett abgemagert; ein blonder Mann, ein Deutscher augenscheinlich. Mir als Arzt war auf der Stelle klar, dass er nicht mehr lebte. Der andere war zweifellos unser Dolmetscher. Über dem linken Auge leuchtete eine blutige Stelle auf, ganz so, als hätte man ihm mit einer Keule gegen die Stirn geschlagen.
»Auf los, Sergiu!«, rief Ambrosio, »worauf wartest du noch? Du bist doch der Arzt. Hole ihn ins Leben zurück!«
Es dauerte seine Zeit, bis Signore Schmidt dank der entsprechenden Maßnahmen wieder ins Diesseits fand, während Ambrosio bereits den Notarztwagen alarmierte. Noch einmal war Sebastian Schmidt vom düsteren Pfad zurückgekehrt, den wir eines Tages alle zu gehen haben, und ich war stolz auf mich.
»Bis er das Gift aus den Adern hat und wieder gesund ist«, sagte ich, »wird noch viel Wasser den Po hinunter rauschen, aber ich denke, er wird die Sache überleben.«
Wir schleppten ihn hinunter ins Wohnzimmer und setzten ihn in einen der bereitstehenden Sessel. Volpe füllte ihm einen Becher mit dem starken Wein, den die Schufte zurückgelassen hatten. Er sah mit glasigen Augen zu uns auf, trank in gierigen Zügen und konnte uns dann stotternd und stammelnd das berichten, was wir ohnehin schon wussten.
Der ewig kichernde Mann, der sich Vitello nannte, habe seine Wohnung betreten, ihn mit einem metallenen Ring halb bewusstlos geschlagen und dann in seinem Motorboot und anschließend im schon oben beschriebenen Auto entführt.
Im Haus bei den Eichen habe er sich dann erneut als Dolmetscher betätigen müssen, aber diese zweite Unterredung mit dem Armin sich nennenden Deutschen verlief erheblich dramatischer als die erste.
Die beiden Männer hätten ihm nämlich den sofortigen Tod angedroht, wenn er den Kontrakt nicht unterschreibe. Als sie schließlich erkannten, dass er durch nichts in der Welt dazu gebracht werden konnte, zerrten sie ihn unter lästerlichen Flüchen aus dem Wohnzimmer hinaus.
Dann hätten sie ihm, Signore Schmidt, den Verrat vorgeworfen, der durch die Annonce in der Zeitung offensichtlich sei und ihn mit einer Keule zu Boden geschlagen. An das, was dann mit ihm geschehen sei, sagte er, könne er sich nicht erinnern. Erst als Sergiu sich über ihn beugte, sei er wieder zu sich gekommen.
Soweit sein dramatischer Bericht, der uns aber keinen einzigen Schritt von der Stelle brachte. Kaum war Signore Schmidt damit zu Ende gekommen, als auch schon der Krankenwagen mit dem entsprechenden Getöse zur Stelle war, um den Dolmetscher in die Klinik nach Padua zu bringen.
Mit dem scheußlichen Gefühl, auf ganzer Linie gescheitert zu sein, fuhren wir nach Venedig zurück, und Volpe widmete sich verbissen einem anderen Fall.
Die folgende Untersuchung, welche er in vollem Umfang den Carabinieri überließ, ergab nichts Neues. Keiner kannte den Toten. Niemand konnte über die beiden mörderischen Männer Auskunft geben, in deren Gesellschaft sich die auffällig schöne Frau befinden musste. Auch die aufs Feinste ausgeheckten und ausgeklügelten Anzeigen brachten nichts.
Aus Köln am Rhein kam schließlich endlich die Nachricht, dass man weder dort noch im benachbarten Städtchen Bonn einen Mann namens Armin vermisse. Ferner fahnde man auch nach keiner Marion.
Zu guter Letzt suchten wir noch den Mann auf, der uns die Adresse des mörderischen Hauses mitgeteilt hatte, aber er konnte seinem damaligen Brief an das Revier der Stadtwache, welchen ich oben eingefügt habe, nichts hinzufügen und betonte, dass es ihm so vorgekommen sei, als ob das deutsch anmutende Mädchen und der athletisch wirkende Mann ein Liebespaar gewesen seien, wie auch immer.
Nach ungefähr vierzehn Tagen des vergeblichen Wartens ließ Capitano Marcello die Leiche des blonden Unbekannten aus den Kühlräumen der Leichenhalle von Padua herausbringen, einäschern und auf dem Feld der anonymen Gräber beisetzen.
Der Fall wurde zu den Akten gelegt und schien dazu bestimmt zu sein, dem ewigen Vergessen anheim zu fallen. Selbst ein Volpe sah sich diesmal außer Stande, Licht ins Dunkel zu bringen; doch es kam anders ...