Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 38

4. Teil: Ein dramatisches Nachwort

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In der nächsten Zeit hatte ich in meiner Praxis zu tun und musste Volpe sich selbst überlassen. Doch eines Freitags rief er mich an und lud mich für Samstag zur Cena ein, Punkt 19.00 Uhr. Giovanni werde sich alle Mühe geben, uns einen wahren Gaumenkitzel aufzutischen. Danach dürfte es Überraschendes und Neues geben. Ich sollte jedenfalls auf meine Kosten kommen und könnte einiges an Material für mein nächstes Buch sammeln.

Gerne sagte ich ihm zu und begab mich auf dem üblichen Weg von der Punta Sabbioni mit dem Vaporetto hinüber nach Venedig. Die Fahrt nach dieser Zwangspause war ein Genuss. Wie ich die Serenissima doch liebte! Wie sehr ich mich nach neuen Abenteuern an der Seite meines Freundes sehnte!

Statt den kürzesten Weg über die Anlegestelle Ospedale zu wählen, genoss ich die Tour durch den Canal Grande, um mich vom Haltepunkt vor der Cá d‘Oro per Gondola über den Rio di Santa Marina zum Calle di Cavallo rudern zu lassen, an dessen Ende sich Volpes kleiner Palazzo befindet, mit freiem Blick über den Campo dei Santi Giovanni e Paolo und auf Verocchios grandioses Reitermonument.

Nachdem ich die Straßenschuhe mit den bereitstehenden Hausschlappen vertauscht hatte, geleitete mich Giovanni feierlich ins Wohnzimmer, aus dem mir eine der Sonaten für Violine Solo von Johann Sebastian Bach entgegen hallte. Ich nahm die Pantoffeln in die Hand und ging auf Zehenspitzen hinein, um nicht zu stören, denn ich hatte mich verspätet.

Die Vorhänge waren zugezogen. Einige Kerzen spendeten angenehmes Licht. Verzückt ließ ich mich im einzig freien Sessel nieder und lauschte dem meisterhaften Spiel. Einen Notenständer suchte ich vergebens.

Unmittelbar unter dem Virtuosen hockte die niedliche Debora im Schneidersitz auf dem Teppich und blickte wie verzückt zu unserem Freund empor, mit dem sie eine selten innige und seltsam schüchterne Freundschaft verbindet, seit sie sich im mörderischen Drama näher gekommen waren, das ich unter dem Titel Commissaria Debora, Volpe und der Strandmörder zu Papier gebracht habe. Die übrigen Gäste hatten in Sesseln um den runden Tisch herum Platz genommen.

Links neben mir saß der junge Mann, den ich oben als Tito Cornelio Dolabella vorgestellt habe und genoss die Kantilenen. Seinen sich dazu geschmeidig bewegenden Fingern entnahm ich, dass er des Violinespielens mächtig war und Volpes virtuoses Spiel zu schätzen wusste.

Zu meiner rechten Seite gewahrte ich Renata Claudia, seine Mutter. Sie war in einen blütenweißen Hauch von seidenem Sommerkleid gehüllt, unter dem sich ihre Figur abzeichnete.

Groß und schön war die Donna, das Haar platinblond gefärbt, mit gewissen Rundungen und langen Beinen, die sie keck übereinander geschlagen hatte und in fast voller Länge zur Schau stellte. Schuhe trug sie keine und ließ ihre Füße mit den rot lackierten Nägeln sehen. Schmuck suchte ich an ihr vergebens. Sie hatte solchen Tand nicht nötig und sah kaum älter als Vierzig aus.

Uns gegenüber hatte Giovanni drei Sessel platziert. Zwei von ihnen warteten auf Debora und meinen Freund. Im dritten saß und lauschte den herrlichen Klängen mit versteinertem Gesicht und zu Boden gerichteten Blicken ... Signore Gaio Urbano.

Über einem weißen Hemd samt stahlblauer Seidenkrawatte trug er einen metallisch schimmernden Maßanzug. Dass ihm die Lackschuhe der Marke Balli gehörten, über die ich im Korridor gestolpert war, ward mir jetzt erst klar.

Mit einem glasglockenreinen Doppelgriff beendete Volpe seine Vorführung. Wunderbar hallten die Töne nach und schwebten noch sekundenlang im Raum, bevor wir applaudierten.

Giovanni gab uns ein Zeichen, und während Volpe die Stradivari im Kasten verstaute, lustwandelten wir hinüber ins Speisezimmer. Ich gab meiner Dame Arm und Geleit und sie schmiegte sich an meine Seite. Debora hing inzwischen unserem Volpe am Hals, und Urbano folgte uns misstrauisch.

Über das großartige Mahl, das uns Giovanni nun auftischte, bevor er sich selbstverständlich zu uns setzte, will ich mich nicht näher auslassen. Es war bewusst kärglich, was die Menge anbetrifft, aber absolute Spitze in allen übrigen Belangen. Stillschweigend ließen wir es uns schmecken.

Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, gingen wir ins Wohnzimmer zurück und nahmen wieder in der Couchecke Platz, während Giovanni die geschliffenen Kristallgläser mit funkendem Wein füllte.

Debora hockte sich neben Volpe, himmelte ihn an und spielte solange mit seiner roten Mähne, bis diese sich zu zwei Zöpfchen geflochten wiederfanden.

Renata hingegen setzte sich ohne Weiteres auf meinen Schoß und schlang mir die Arme um den Hals, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Dabei rutschte ihr linksseitig der Träger des Kleidchens (aus Versehen?) herunter und ließ ihre makellose Schulter aufleuchten, während sie elegant mit dem Arm aus der lästigen Öse herausschlüpfte.

Signore Urbano sah man an, dass er vor Neugier platzte, weil er nicht wusste, warum man ihn eingeladen hatte.

Volpe räusperte sich nun energisch, legte Debora die Hand auf die linke Schulter (das Mädchen steckte in einem langen schlichten grünen Sackkleid und war ungeschminkt) und sagte: »Meine Freunde! So lasst uns fürs Erste einander zuprosten!«

Wir hoben die Gläser (Renata und ich ein gemeinsames) und ließen sie klingen. Dann schlürften wir den kostbaren Tropfen. Ich setzte meine Lippen an eben der Stelle des Glases an, um die sich kurz zuvor Renatas zugespitztes Mündchen geschlossen hatte.

Cornelio Dolabella nahm das Wort: »Lieber Signore Tartini, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben meine Mama und mich vor dem Gefängnis bewahrt, denn ohne Ihr geniales Eingreifen wäre Urbano unerkannt in Kanada untergetaucht und hierzulande für tot erklärt worden. Die Carabinieri hatten schon alle Beweise gegen uns beisammen. Es stand schlecht um uns.«

»Mein Bester«, entgegnete Volpe, »da gibt es nicht viel zu danken, da Sergiu und ich nur gegen Honorar handeln. Als unser Auftraggeber werden Sie also die gesamten Kosten des Unternehmens übernehmen. Giovanni wird Ihnen in den nächsten Tagen die Rechnung zukommen lassen. Sie dürfte nicht allzu saftig ausfallen, da es sich nur um einen kleinen Fall handelte, den ich in meiner Genialität beinahe vermasselt hätte.

Um es mit William Shakespeare zu sagen: Es war nichts anderes als ,much ado about nothing‘, auch wenn es hier und heute eines energischen Nachwortes bedarf.

Über meine allgemeine Gebührenordnung kann sich übrigens jedermann gerne unter www.giuseppevolpe@venezia.it im Internet informieren. Aber an Ihrer Stelle würde ich lieber auf die Frau Mama aufpassen, ehe sie Sergiu vernascht, hihihi.«

»Untersteh dich, mein Junge!«, fauchte Renata und gab mir einen Kuss, während die ganze Gesellschaft in ein homerisches Gelächter ausbrach, in das Volpe hinein rief: »Auch das noch! Der hat uns gerade noch gefehlt.«

»Wer, wie, was, wo?«, stotterte ich.

»Freund Ambrosio natürlich! Seinen Schritt höre ich aus Tausenden heraus. He, Giovanni, sorge dafür, dass der Tenente seine schmutzigen Stiefel in der Garderobe zurücklässt und mit unseren Hausschlappen vorlieb nimmt! Und herein mit einer Sitzgelegenheit für den Commissario!«

Mit einem »nanu, Signore Urbano hier! Hoffentlich habt ihr dem guten alten Ambrosio noch was zu Saufen übrig gelassen« ließ er sich in den von Giovanni hereingeschleppten Korbsessel fallen.

»Da sind wir ja alle beisammen; na, denn prost!«, sagte Volpe, während Debora ihre Wange angesichts ihres Chefs mit hochrotem Kopf an seine Wange schmiegte.

Der Tenente schmunzelte gönnerhaft dazu, trank seinen randvoll gefüllten Kelch auf einen Zug leer und dröhnte dann vergnügt: »Signore Urbano, es gibt Neues: Die Laboruntersuchungen haben ergeben, dass Sie Ihrer seit einigen Tagen vermissten deutschen Dogge Bello eine, äh, hihihi, Feuerbestattung gegönnt haben. Die menschlichen Knochenreste des Scheiterhaufens entnahmen Sie der Familiengruft der Urbano-Sippe. Man findet sie in Ihrer Hauskapelle. Mein Gott! Sie hatten sich der Gebeine Ihres Großvaters bedient, hihihi, wie die Genanalyse erbrachte. Wenn das nicht trickreich war! Das Testament zu Gunsten der beiden Dolabella haben Sie leider für ungültig erklärt. Wollen Sie es sich nicht nochmal überlegen?«

»Signore Tenente«, erwiderte Urbano, »mein liebes Hündchen war schon dreizehn Jahre alt und zum rechten Zeitpunkt eines natürlichen Todes gestorben. Fragen Sie den Tierarzt! Wie ich ihn vermisse! Aber darf ich jetzt wissen, warum man mich in diese illustre Runde geladen hat, mich, den amtlich anerkannten Bösewicht und Schurken?«

»Es geht darum, hier und heute vor allen Beteiligten den Fall Dolabella zum Abschluss zu bringen«, sagte Volpe.

»Er ist doch schon längst abgeschlossen«, maulte Ambrosio.

»Juristisch vielleicht, menschlich aber längst noch nicht«, erwiderte Volpe und wandte sich dann an Gaio Urbano.

»Signore, Sie waren vor 27 Jahren mit einer gewissen Renata Claudia Mora verlobt, der Tochter eines städtischen Busfahrers aus Padua, nicht wahr?«

»Ja, das stimmt. Ich war gerade siebenundzwanzig und Renata süße siebzehn. Kein Wunder, dass ich mich unsterblich in die Zuckerpuppe verliebte. Als alles vorbei war, bin ich dann Junggeselle geblieben, wie Sie ja wissen, Signore Tartini.«

»Ja, das weiß ich«, sagte Volpe, »aber wenn ich unsere Signora Dolabella richtig verstanden habe, kam es nur deshalb zur Trennung, weil Sie Renatas geliebtem Kätzchen einfach den Kragen umdrehten.«

»Das ist eine gemeine Lüge«, schrie Urbano und sprang aus dem Sessel, »ich bin ein tierlieber Mensch.«

»Ja, es war eine Lüge«, sagte Renata seufzend.

Signore Gaio Urbano ließ sich wieder in den Sessel fallen und verdrehte die Augen.

»Mein Gott«, klagte Ambrosio, »bin ich da in ein Familiendrama geraten? Hoffentlich fallt ihr jetzt nicht mit frisch gewetzten Messern übereinander her. Soll ich die Carabinieri alarmieren?«

»Signore Tito Cornelio Dolabella«, sagte Volpe nun streng und scheinbar das Thema wechselnd, »sagen Sie uns bitte in aller Offenheit, wie alt Sie sind!«

»Siebenundzwanzig.«

»Hm, hm; ts, ts; so, so, ach, wie seltsam«, sagte Volpe und legte die Fingerspitzen aufeinander, »und Ihren Vater haben Sie gar nicht gekannt, oder irre ich mich?«

»Sie haben gewiss Nachforschungen betrieben, Signore Tartini«, flickte Renata ein, »mein Mann starb bereits vor 25 Jahren.«

»Woran?«

»Herzinfarkt; das hat der Arzt bescheinigt.«

»Wie alt war er damals?«

»Fünfundzwanzig.«

»Ein bisschen früh für einen Infarkt. Haben Sie was geerbt?«

»Signore Tartini, was fragen Sie mich? Sie wissen es doch schon längst. Ich erbte umgerechnet fünf Millionen Euro.«

»Könnte es vielleicht sein, dass Sie damals zwei Bewerber hatten, die Signori Dolabella und Urbano, und dass Dolabella bei Weitem der reichere war?«

»Mein Vermögen betrug damals nur eine halbe Million. Aber ich habe mit meiner Keramik-Firma zehn Millionen dazu verdient«, rief Urbano ungehalten in die Runde.

»Ziemlich interessant«, entgegnete Volpe und wandte sich erneut Signora Renata Dolabella zu.

»Wäre es vielleicht möglich, dass Ihr einstiger Göttergatte namens Salvatore Dolabella trotz der ärztlichen Bekundung keines natürlichen Todes gestorben ist? Könnte es sein, dass Sie mit dem Medico ein intimes Verhältnis hatten? War es nicht ein gewisser Dottore Felice Gimondi aus Padua, der kürzlich im zarten Alter von Einundachtzig das Zeitliche segnete?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht; ist doch gleichgültig«, antwortete bissig die Schöne auf meinem Schoß, »aber da ich Salvatore auf Anraten meines Ihnen offenbar bekannten Arztes und Helfers eine Feuerbestattung angedeihen und ihn im Friedwald beisetzen ließ, wird mir niemand mehr das Gift nachweisen können, das ich ihm beibrachte. Der Schuft hatte mich bereits das dritte Mal mit einer anderen betrogen und fuhr verdienter Maßen zur Hölle.«

»Was Sie nicht sagen, Signora! Äh, und haben Sie nach dem, äh, unvermeidlichen Tod des Salvatore wieder Annäherungsversuche an Signore Urbano gemacht?«

»Hat sie«, fauchte Urbano ungefragt, »aber nach all dem, was sie mir angetan hatte, war mein Interesse erloschen. Ich wolle kein Mann zweiter Wahl für sie sein und verabscheute sie. Zugegeben, ich war dadurch von heute auf morgen zu einem verbitterten bösen rachsüchtigen alten Mann geworden.«

»Schön, das hätten wir dann auch noch geklärt«, sagte Volpe tief seufzend und wandte sich Tito Cornelio zu.

»Lieber Signore Dolabella, sicher sind Sie stolz darauf, dass Sie Ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten sind, oder?«

»Ja, ich habe eine wunderschöne Mama und liebe sie über alles auf der Welt. Darum habe ich bislang noch keine Freundin gefunden. Meine Ansprüche sind wohl zu hoch.«

»Das verstehe ich, Signore, aber haben Sie sich auch schon einmal gefragt, ob Sie auch ihrem Vater ähnlich sehen könnten?«

»Ich kenne ihn nur von Fotos. Wir sind grundverschieden.«

»Das habe ich mir gedacht«, sagte Volpe, »aber vielleicht ist Ihnen ja eine Besonderheit an der Hand Ihres Vaters aufgefallen, eine ins Auge fallende Tatsache?«

»Nicht dass ich wüsste. Anscheinend hatte Salvatore ganz normal entwickelte Finger.«

»Nun, mein Lieber«, sagte mein Freund, »es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass sich gewisse Anomalien der Finger vererben können. Sie zum Beispiel haben an beiden Händen je einen auffälligen kleinen Finger. Beide sind leicht sichelförmig einwärts gebogen, nicht wahr? Von Ihrer Frau Mama können Sie den kleinen Makel nicht geerbt haben, oder?«

»Gewiss nicht! Sie hat wunderschöne Hände. Aber auch meine sind nicht allzu sehr missraten. Ja, mir wäre es gar nicht aufgefallen, aber mein Geigenlehrer machte mich darauf aufmerksam, als ich mit ungefähr neun Jahren meine ersten Stunden nahm.«

Volpe nickte ernst und sagte dann: »Verehrte Signori Urbano und Dolabella, haben Sie die Güte, vor unser aller Augen Ihre Hände nebeneinander auf die Glasplatte dieses Couchtisches zu legen.«

Widerstrebend taten sie es: Alle vier kleinen Finger waren in derselben Weise einwärts gebogen, aber auch sonst glichen sich die Hände, abgesehen vom verschiedenen Alter, aufs Haar.

»Nicht wahr, Signora Renata Dolabella«, sagte Volpe mit Nachdruck, »Sie waren bereits schwanger, als Sie sich von Ihrem Verlobten trennten, um Salvatore zu heiraten?«

Renata nickte stumm und auf den Tod erbleicht. Wir alle waren wie vom Donner gerührt. Eisige Stille wehte durch den Raum, bis Tito Cornelio in ein hemmungsloses Schluchzen ausbrach und sich wie verrückt die Haare ausraufte.

Renata war von meinem Schoß heruntergesprungen und stand schwankend im Zimmer. Ich eilte hinterher, um sie festzuhalten, denn sie drohte in Ohnmacht zu fallen. Auf einmal sah sie keinen Tag jünger als Fünfzig aus, trotz aller kosmetischen Kunst. Ich geleitete sie zurück zum Sessel und gab ihr einen Grappa zu trinken, den Giovanni eilig hereingebracht hatte.

Als erster fand Signore Gaio Urbano die Fassung zurück, erhob sich feierlich und sagte trocken:

»Ich fürchte, Signori, ich muss mein ursprüngliches Testament wieder in Kraft setzen.«

ENDE

Privatdetektiv Volpe: Die Jagd auf Amanda


Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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