Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 36
Оглавление3. Teil: Am übernächsten Tag
Als ich mich, ohne einen erquickenden Schlaf gefunden zu haben, bei Morgengrauen ins Speisezimmer schleppte, hockte Volpe schon längst im Korbsessel vor dem Tisch; auf ihm ein zerknülltes Blatt Papier. Er sah bleich und müde aus; dunkle Ringe unter den erloschenen Augen; das Kinn in die Hände gestützt. Er hörte mich kommen und murmelte:
»Ambrosio hat mir diesen Wisch da aus Treviso per Fax zukommen lassen. Gerade eben hat er sich aus dem Drucker gequält. Was hältst du davon?«
Er strich den Bogen glatt und reichte ihn mir; ich las:
»Ambrosio grüßt seinen alten Kumpel Giuseppe aus der schönen Stadt Treviso. Sei mir nicht böse, aber an der Schuld des Tito Cornelio Dolabella besteht ab sofort nicht mehr der geringste Zweifel. Es ist nämlich ein neues Beweisstück aufgetaucht. Gib auf und wende dich einem anderen Fall zu!«
Ich gab ihm den Fetzen zurück und murrte:
»Ein verdammt überheblicher Affe, dieser Tenente di Fusco. Hoffentlich freut er sich nicht zu früh. Chi ultimo ride, ride bene (wer als Letzter lacht, lacht gut)«, knurrte ich wütend.
»Ja, ja«, flüsterte Volpe und vergrub das Gesicht in den Händen, »es ist ein wahres Triumphgeheul, das da! Und dennoch könnte es sich als voreilig erweisen. Meine Nachforschungen vor Ort waren nämlich so akribisch, dass ich mir eigentlich kein neues Beweisstück vorstellen kann.
Daher sollten wir erst einmal das Frühstück einnehmen. Danach gilt es getrennt zu marschieren, vereint zu siegen. Ich werde mich nochmal auf die Reise nach Treviso machen. Wollen mal sehen, was Freund Ambrosio Neues entdeckt hat. Du hingegen könntest vorerst das Haus hüten und auf Nachrichten warten. Mich erreichst du jederzeit über das Mobilphon.«
Volpe aß etwas Obst und eine Scheibe gerösteten Brotes, das mit Butter und Honig bestrichen war, wozu er klares Wasser trank, dann rannte er mit fliegendem Feuerhaar zur Vaporetto-Station Ospedale und schipperte Richtung Stazione Ferroviaria Santa Lucia. Von da aus nahm er den erstbesten IC nach Treviso. Dort am Bahnhofsplatz angekommen, stieg er in ein Taxi.
Als er schließlich am Anwesen des Urbano ankam, musste er sich den Weg durch eine Traube Neugieriger bahnen, aus deren Reihen mehrfach die Wörtchen ,Attenzione Volpe‘ geraunt wurden, um schließlich Freund Ambrosio in die Arme zu laufen, der ihm mit rötlich geschwollener Rübe entgegen kam, ganz der Sieger und Triumphator.
»Nun, lieber Giuseppe«, sagte er genüsslich lächelnd, »hast du deinen Landstreicher gefunden und dingfest gemacht? Oder willst du immer noch behaupten, wir von den Carabinieri befänden uns in der Sackgasse?«
»Ich bin nur deshalb gekommen«, sagte Volpe gedehnt, »weil ich noch keine abschließende Meinung besitze.«
»Hihihi«, kicherte der Tenente, »doch wohl im Unterschied zu uns Männern der Polizei. Wir haben unsere abschließende Meinung längst gefasst, und seit heute früh liegt der endgültige Beweis vor. Diesmal sind wir dir um Längen voraus. Steck es auf und füge dich ins Unabänderliche!«
»So, wie du mir kommst«, entgegnete Volpe, »muss es sich ja um einen überwältigenden Beweis handeln.«
Der Tenente lachte dröhnend und rief:
»Giuseppe, amico caro, oft genug hattest du die Nase vorne und konntest uns diesen oder jenen nützlichen Hinweis geben. Aber diesmal wäre es wirklich an der Zeit, die Niederlage einzugestehen. Schließlich kann man nicht immer gewinnen, und der nächste verzwickte Fall kommt bestimmt; so! Jetzt wäre es durchaus nützlich, mir zu folgen. Was ich zu zeigen habe, wird sogar einem Volpe den letzten Hauch eines Zweifels an der Schuld des bellissimo Signore Dolabella nehmen.«
Er führte mich durchs den Korridor ins Arbeitszimmer hinein, knipste den Kronleuchter an und sagte: »In umgekehrter Folge wie wir gerade eben ist Cornelio nach dem Mord aus dem Haus gegangen, nachdem er vom Verbrennen der Leiche hierher zurückgekommen war. Genau an dieser Stelle nahm er dann den Hut vom Haken herunter. Sieh her! Genau hier muss er gehangen haben.«
Ambrosio hielt nun eine Taschenlampe vor die Wand. In ihrem Lichtkegel wurde ein Blutfleck sichtbar, eindeutig der schmierige Abdruck eines Handballens.
»Ganz klar von Dolabella. Nicht wahr, mein Bester, das ist der endgültige Beweis für seine Schuld?! Aber auch ohne dieses Indiz hätte ihn das Gericht wahrscheinlich schuldig gesprochen.«
Volpe erwiderte mit aufleuchtenden Augen: »Ja, das ist der Beweis.«
Er brach dann in ein sardonisches Gelächter aus, an dem er ums Haar erstickt wäre. Wieder bei Sinnen, schlug er sich mehrfach an die Stirne, um schließlich in einer irren Mischung von Kichern und Stammeln zu sagen: »Ich Hornochse! Und der junge Mann schien doch so ein lieber Mensch zu sein! Das sollte uns aber zur Lehre dienen.«
»Ganz recht, guter Herr Kollege, und auch der klügste Privatdetektiv sollte einsehen, dass es Fälle gibt, bei denen er sich irrt.«
»Und dann auch noch dieser irre Zufall, dass der Mörder im Weggehen seinen Handballen unterhalb des Garderobehakens verewigt! Statt mit spitzen Fingern den Hut herunter zu fischen, patscht dieser Blödmann die blutige Hand gegen die weiß gekalkte Wand, damit es jeder sehen kann, hihihi.«
Volpe bebte vor innerlichem Lachen und fragte: »Wer hat diese weltbewegende Entdeckung gemacht?«
»Die dürre Schwarze, die hundertjährige Haushälterin des Urbano. Sie hat es dem Carabiniere, der hier Nachtwache hielt, gezeigt, und ich bin dann hergebrettert, ums mir anzusehen.«
»Aber warum habt ihr es nicht schon gestern gefunden? Wenn deine Theorie stimmt, prangte er da schon an der Wand.«
»Oh, mein Gott! An dieser Stelle hatten wir nicht gesucht. Oder denkst du, Cornelio hätte mitten in der Nacht das Gefängnis verlassen, um hier mal eben seinen Handabdruck anzubringen?«
»Nein, natürlich nicht, aber rein zufälliger Weise habe ich die Stelle gestern untersucht«, sagte Volpe.
Ambrosio ging gar nicht darauf ein und murrte: »Gut, schön, dann wollen wir den Fall zu den Akten legen. Ich gehe jetzt ins Wohnzimmer des Ermordeten, mich mit dem Tablet hinzuhocken und meinen Bericht für Marcello zu tippen und ihm zu senden.«
Der Tenente ging und ließ Volpe, der immer noch wie irre kicherte, einsam im Arbeitszimmer zurück.
Kaum hatte di Fusco die Türe hinter sich zugeschlagen, rannte Volpe auch schon durch die Terrassentür ins Freie und dann in den Garten hinaus, um das Bauwerk mehrfach zu umrunden und schließlich ins Wohnzimmer zu stürmen, wo Ambrosio hockte und emsig seinen Bericht eintippte.
Volpe rief: »Ich denke, Freundchen, deine Arbeit ist verfrüht. Es fehlt uns noch der wichtigste Zeuge. Es ist der Schuft, der im Schutze der Dunkelheit den Blutfleck in der Garderobe anbrachte, und zwar letzte Nacht und nicht früher.«
Der Tenente schob das Tablet beiseite und fauchte: »Bist du jetzt endgültig übergeschnappt?«
»Gewiss nicht«, sagte Volpe, »es gibt wirklich noch einen Zeugen; den entscheidenden Zeugen. Wenn wir ihn finden, könnten wir Cornelio samt Mama von allen Vorwürfen reinwaschen.«
»Wenn das so ist, machen ich mit«, sagte Ambrosio, der sich seiner Sache jetzt nicht mehr sicher war, denn er hatte großen Respekt vor den Methoden unseres Freundes.
»Was schlägst du vor?«
»Ich bitte euch Carabinieri nur darum, die große Wanne aus rostigem Blech, die im Garten herumlungert, mit Stroh drüben aus dem Schuppen zu füllen, in der Mitte des oberen Korridors aufzustellen und dann das Zeug anzuzünden. Es wird wie Zunder brennen. Ein paar Eimer Wasser sollten daher zur Sicherheit daneben stehen. Du, deine Männer und ich werden dann auf mein Kommando hin incendio – incendio! (Feuer) brüllen.«
»Du spinnst wohl«, sagte Ambrosio belustigt, »aber einem alten Kumpel soll man sogar einen derart absurden Wunsch nicht abschlagen. Marcello wird sich halb tot lachen, wenn ich es ihm berichte und dir einen guten Psychiater empfehlen.«
Kopfschüttelnd und grinsend schleppten die beiden Carabinieri die Wanne ins Obergeschoss und häuften Stroh drin auf. Volpe brachte die Flamme eines Streichholzes dran, und das trockene Material ging in Flammen auf. Als es ordentlich brannte, warf Volpe weiteres Stroh darüber, das er in einem der Eimer angefeuchtet hatte. Schon wehte erst weißlich-grauer, dann tiefschwarzer Rauch durch den Korridor und sammelte sich oben an der Decke. Volpe gab das Zeichen: »Incendio, incendio!«, riefen alle.
»Nochmal! Etwas lauter, wenn ich bitten darf, Signori«, sagte Volpe, und diesmal brüllten sie unisono wie verrückt: »Incendio, incendio, incendio!«
Dieses Schreien muss bis ins eine halbe Meile entfernte Treviso vernehmbar gewesen sein. Kaum war sein Echo verklungen und noch zitterten die Wände, da ereignete sich Unerhörtes und zumindest für Ambrosio Unvorhergesehenes.
Mit Getöse fiel aus der holzgetäfelten Decke eine Klappe heraus, die zuvor nicht erkennbar gewesen war. An ihr hing eine Leiter, über die hastig und hektisch ein weißhaariger kleiner fetter Mann herunter sprang, um dann wieselflink zu versuchen, über den Korridor und die Treppe nach unten zu entwischen.
Doch Ambrosio hielt ihn am Kragen fest, da mochte er zappeln, wie er wollte und starrte ihn an, als wäre er ein Gespenst: »W-w-wer ist das?«, stotterte er.
»Darf ich ihn vorstellen, Signori Carabinieri?«, fragte Volpe grinsend und sagte dann: »Dies ist, hihihi, der vorgestern von Signore Dolabella ermordete Besitzer dieses Hauses, dies ist Maestro Gaio Urbano.«
Der alte Mann warf hasserfüllte Blicke um sich und versuchte, sich aus dem eisernen Griff des Beamten zu befreien; ein böser Kerl mit buschigen weißen Augenbrauen, unter denen uns winzige Schweinsaugen anstarrten.
»Du verfluchter Hund!«, tobte Ambrosio mit hochrotem Gesicht. »Dort oben unter der Pyramide des Daches also hast du die ganze Zeit gesteckt und uns gründlich verarscht. Na warte, Bürschlein! Das werden wir dir heimzahlen.«
»Na und«, sagte das Frettchen frech, »wo ich mich aufhalte, ist doch wohl meine Sache.«
»Aber du hast es damit soweit gebracht, dass ein Unschuldiger samt seiner Mutter ins Gefängnis geworfen wird, nur um dich dafür zu rächen, dass dich diese Frau einst nicht erhörte«, rief Volpe empört.
»Ich habe doch nur Spaß gemacht«, jammerte der Mollige mit widerlich quiekender Stimme, »und das wird doch wohl noch erlaubt sein.«
»Ein feiner Scherz!«, brüllte Ambrosio, »ein teuflischer Scherz! Uns alles aufs Hinterhältigste ausgeklügelt.«
»Ja, was haben wir denn da?«, sagte Volpe, der Urbano die Brieftasche aus der Jacke gefischt und geöffnet hatte. »Ein niedliches Flugticket nach Ottawa. Nicht wahr, du wolltest nach Kanada verduften und dort unerkannt untertauchen, um Mama und Sohn Dolabella ihrem Schicksal zu überlassen. Das hast du dir fein ausgedacht.«
»Ich bin freier Bürger eines freien Landes und kann reisen, wohin ich will«, fauchte Urbano.
Ambrosio tobte wie verrückt und brüllte: »Nicht, wenn es darum geht, Unschuldige hinter Gitter zu bringen. Und wie hast du das mit dem Handabdruck gemacht?«
Das Frettchen gab keine Antwort.
Volpe sagte: »Dolabella hatte ihn auf der lackierten Tischplatte im Arbeitszimmer hinterlassen, als er sich über die Akten beugte. Meister Urbano konnte die fettigen Spuren dann mittels einer Folie abziehen, ein paar Tropfen seines Blutes darauf geben, um das Ganze an die Wand drücken. Seitdem befindet sich auf dem Schreibtisch eine klebrige Stelle, die ursprünglich nicht zu sehen war. Gerne zeige ich sie dir, Ambrosio.«
»Abführen!«, brüllte der Tenente, und dann zu Volpe: »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Dann will ich mal meinen Bericht von vorne anfangen und alles richtigstellen.«
»Erwähne mich nicht darin! Meine Aufgabe war es nur, Dolabella zu helfen. Damit ist der Fall für mich erledigt. Maestro Scimmia wird im Corriere schreiben, kein anderer als der schlaue Tenente di Fusco habe ihn gelöst«, sagte Volpe lachend.
Ungläubig starrte ihn Ambrosio an. Wenn das mal kein überwältigender Freundschaftsbeweis war! Dann begann er zu tippen, während Volpe das Mobilphon zückte, um mich anzurufen.
Signore Urbano wurde übrigens binnen einer Woche aus dem Gefängnis entlassen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm einen Deal angeboten: Um ein monatelanges Verhandeln mit ungewissem Ausgang zu vermeiden, war Gaio ohne Weiteres bereit, eine halbe Million an die Staatskasse zu überweisen. Er hatte es ja, und es tat ihm nicht weh. Damit aber war er aus dem Schneider, und der Fall wurde zu den Akten gelegt.