Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 35
Оглавление2. Teil: In der anschließenden Nacht und am nächsten Tag
Ungeduldig wartete ich auf die Rückkehr des Freundes, aber es war schon ein paar Minuten nach Mitternacht, als er endlich nach Hause kam. Ein kurzer Blick auf sein von Sorgen und Misserfolg zerfurchtes und zerquältes Gesicht genügte mir zu erkennen, dass er nichts oder so gut wie nichts erreicht hatte.
Wortlos holte er die Geige heraus, deren Klänge er über alles liebte, und spielte längere Zeit sämtliche Tonleitern in Dur, zunächst einfach, dann als Doppelgriffe, erst langsam, dann immer schneller, zuletzt in geradezu rasendem Tempo. Ich saß schweigend dabei, bis er sich beruhigt hatte und die kostbare Stradivari schließlich beiseite legte.
»Alles, aber auch alles ist in die Hose gegangen«, sagte er schließlich, »und du kannst dir kaum vorstellen, wie ich mich mit meinen Untersuchungen im Haus des Urbano blamiert habe. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte, immer kam ich zum niederschmetternden Ergebnis, dass Marcello recht hat, und nur zu oft stand unser Ambrosio süffisant grinsend neben mir.
Obwohl sich alles in mir gegen diese Erkenntnis sträubte, fehlten mir die Argumente, mit denen ich ihm etwas hätte entgegenstellen können. Ich kann mir schon denken, wie das hohe Gericht, das demnächst tagt, mit dem vermeintlichen Verbrecherpärchen verfährt, wenn der Capitano seine Argumente vorgetragen hat.«
»Wolltest du nicht zuerst die Mutter besuchen?«
»Ja, das tat ich auch. Sie ist eine bezaubernde Witwe von Mitte bis Ende Vierzig, schlank und rank und dennoch nicht ohne Kurven. Recht groß ist sie und platinblond; ganz dein Typ, einmal abgesehen davon, dass sie etliche Jährchen älter ist als du, auch wenn sie sich jünger macht als sie ist.
Doch wenn du sie erst einmal zu Gesicht bekommen hast, wird es um dich geschehen sein, wie ich dich kenne, hihihi, und glaube mir, sie ist zurzeit noch zu haben und zeigt, wie ich ihr an der durchaus und überaus gewagten Garderobe samt der Schminkschicht auf Wangen und Lippen ansehen konnte, erste Zeichen von Torschlusspanik. Cornelio ist ihr einziges Kind.
Als ich sie nach Signore Urbano fragte, erklärte sie vor Wut kochend, dass sich der anscheinend Ermordete damals, als sie noch mit ihm verlobt gewesen war, als übler Halunke entpuppt habe. Sie tobte nur so beim Gedanken, ihr Söhnchen könnte sein Mörder sein; nie im Leben brächte er so etwa über sich.
Dass sie aber in solch wildem Hass gegen Urbano ausbrach, war für meine Bemühungen niederschmetternd, denn auf diese Weise arbeitete sie dem Capitano ja nur in die Hände. Gewiss, so würde er sagen, hatte ihr Sohn immer wieder von ihr gehört, wie sehr sie den vermissten Urbano verabscheute. So lag sein Tatmotiv auf der Hand.
Er sei schon damals, vor weit über zwanzig Jahren, der reinste Unmensch gewesen, schrie sie und wünschte ihn zur Hölle. Aber sie sei zum Glück nur kurze Zeit mit ihm verlobt gewesen, denn ihr, der dummen unerfahrenen Siebzehnjährigen, sei sein Reichtum, sein luxuriöses Auto verlockend vorgekommen. Ihr Verstand habe sich gottlob noch rechtzeitig gemeldet, und sie habe das Verhältnis beendet, ehe es noch richtig begonnen hatte.
Womit er denn ihren Abscheu geweckt habe, wollte ich nun wissen. Sie berichtete mir daraufhin, wie Urbano bei seinem zweiten oder dritten Besuch das Kätzchen, das sie liebte, eine Zeitlang gestreichelt habe, um ihm plötzlich den Kragen umzudrehen.
Dann holte sie ein Foto aus der Schublade. Obwohl es brutal zerschnitten war, erkannte ich die stolze Frau darauf wieder, über zwanzig Jahre jünger als heute. Staunend sagte ich mir, dass diese lange Zeit ihrer Schönheit kaum Abbruch getan hätte.
„Das bin oder besser: Das war ich! Und so hat Gaio mir das Portrait, das ich ihm zur Verlobung geschenkt hatte, an meinem Hochzeitstag zurückgesandt“, sagte sie.
„Aber jetzt hat er ja jetzt alles bereut, indem er Sie und Ihren Sohn als Erben einsetzte“, entgegnete ich.
„Niemals werden wir von diesem Schuft auch nur einen Cent annehmen. Ich werde meinen Sohn veranlassen, die Erbschaft abzulehnen. Möge Gott der Allmächtige dafür sorgen, dass er von jedweder Schuld freigesprochen wird.“
Ich stellte der Frau dann noch diese oder jene Frage, kam aber in der Sache keinen einzigen Schritt weiter. Insbesondere bedauerte ich, dass sie all das, was sie mir berichtete, bereits vor Marcello ausgesagt hatte. Daher gab ich meine Bemühungen auf und verabschiedete mich. Sie stürzte sich auf mich, umarmte mich, gab mir einen dicken Schmatz auf die Lippen und wünschte mir ,Gute Reise‘. Darauf ratterte ich nach Treviso, um mich nach dem Haus des Gaio Urbano durchzufragen.
Es ist ein rechteckiger Klotz aus Ziegelsteinen, von einer einigermaßen spitzen Dachpyramide gekrönt. Tief ins Grundstück eingefügt steht es hinter hohem Gesträuch und ist von der Straße aus nur durch eine etwa zwei Meter breite Lücke im Grün der Büsche zu sehen.
Als ich dort ankam, war Marcello, der die Sache für abgeschlossen hielt, nicht mehr vor Ort und ließ sich durch Tenente Ambrosio di Fusco, unseren alten Bekannten, ersetzen. Er ging im Garten spazieren und vertrieb sich die Zeit mit Pfeife rauchen. Als alter Fan von Kommissar Maigret muss er das wohl.
Als ich zu ihm stieß, um die Asche des ominösen Holzstoßes unter die Lupe zu nehmen, zog dieser Mann von bemerkenswerter Beobachtungsgabe einige blind angelaufene runde Plättchen aus der Asche. Zweifellos waren es Münzen. Dazu fischte er den metallenen Bügel einer ehemaligen Geldkatze samt Urbanos eingraviertem Namenszug heraus; alles Beweisstücke gegen Cornelio Dolabella, und für mich ein Fiasko.
Dennoch untersuchte ich den Boden nach Spuren und kroch wie ein Spürhund durch die Gegend, vergebens! Die glühende Hitze des Brandes hatte alles Erdreich zu Stein erstarren lassen, und rein gar nichts war mehr zu entdecken.
Ich konnte anhand der Schleifspuren lediglich feststellen, dass tatsächlich ein großer Körper aus dem Haus und mitten durch die Sträucher zum Brandherd gezerrt worden war. Über eine Stunde robbte ich durch die Wildnis, welche sich um die Villa ausgebreitet hatte, und fand nichts, rein gar nichts, was der Capitano nicht schon längst entdeckt hatte.
Nun rannte ich durch den Korridor im Erdgeschoss, den uns Dolabella trefflich beschrieben hat und nahm mir das Arbeitszimmer vor. Es liegt in zentraler Lage mit Blick durch die genannte Lücke hinaus auf die schmale Anliegerstraße.
Umgekehrt könnte jeder Passant durch diese Lücke hineinblicken, falls die Vorhänge nicht zufällig zugezogen sind. Die Flügeltür zur Terrasse besteht nämlich aus nichts anderem als zwei großen holzgerahmten Glasscheiben, jede einen Meter breit und zwei Meter hoch, so dass meine Landstreicher-Theorie nicht ganz von der Hand zu weisen war.
Ich sah mich im Raum um und erblickte braune Spritzer an den Wänden, schwach, aber noch recht frisch. Auch den Stock unseres Klienten zeigte mir Ambrosio. Er wies Blutspuren auf. Ferner war das Zimmer mit feinen aus Wolle gewebten Matten ausgelegt, welche die Fußabdrücke von nur zwei Personen aufwiesen, denn Marcello, der alte Fuchs, hatte Stoffbahnen auslegen lassen, um nur ja keine Spuren zu verwischen. Auch hier triumphierten die Männer der Stadtwache auf ganzer Front.
Ich nahm mir dann den Safe vor, der da sperrangelweit offen stand, ganz wie vorgefunden: Fast alles war herausgenommen und von den Carabinieri mittlerweile vom Estrich aufgeklaubt und über die Breite des Tischs gestapelt. Das meiste steckte in versiegelten Umschlägen, die von Urbano mit einer Inhaltsangabe beschriftet worden waren. Nur wenige waren geöffnet und enthielten Mitteilungen über die Kontostände. Es waren auch Anteilsscheine an einigen Firmen darunter.
Ferner hatten die Carabinieri eine kleine Kiste (25 x 25 x 10 cm) aus dem Safe geholt. Das Vorhängeschloss war entfernt worden. Ich klappte sie auf. Sie war bis oben mit Goldbarren gefüllt, und nichts schien zu fehlen. Ambrosio sagte mit hochgezogenen Augenbrauen, wer denn werde schon etwas stehlen, wenn er es demnächst erben dürfe.
Nachdem ich jeden Gegenstand dreimal umgedreht hatte, ohne fündig zu werden, stets vom schmunzelnden Tenente begleitet, knöpfte ich mir die Haushälterin vor.
Es ist eine steinalte dürre Farbige, eine schweigsame und unangenehme Frau, die vorgab, nichts zu wissen, abgesehen davon, dass sie Dolabella bei Einbruch der Nacht eingelassen hätte.
Dieser habe seinen Hut sowie den am Griff verdickten Stab in der Garderobe abgelegt und sei dann von Urbano über das Esszimmer ins Arbeitszimmer geleitet worden. Das habe sie noch mit eigenen Augen gesehen.
Danach habe sie sich auf ihr Zimmer auf der Gartenseite des Gebäudes zurückgezogen und schlafen gelegt.
Doch einige Zeit später, nachdem sie schon in Morpheus Armen gelegen habe, sei sie durch einen ins Zimmer fallenden Feuerschein geweckt worden und ans Fenster geeilt. Hinaussehend habe sie den Holzstoß hell lichterloh brennen sehen.
Als sie nun versuchte, ihren Chef zu wecken, habe sie ihn weder im Schlafzimmer noch im Arbeitszimmer vorgefunden, wo sich die ihr unbekannten Dokumente türmten oder verstreut auf dem Boden lagen.
Nein, sie habe keine Ahnung, was Urbano mit dem Besucher verhandeln wollte. Den Kronleuchter habe sie noch brennend angetroffen. Seine sechs Glühbirnen hätten den Raum in grelles Licht getaucht. Ihr seien rote Pünktchen an der Wand aufgefallen.
Der Besucher vom Vortag, ein gewisser Cornelio Dolabella, sei nicht mehr anwesend gewesen. Seinen Stock habe sie im Korridor entdeckt, an die Wand gelehnt, mit dem blutigen stumpfen Ende am Boden. Durch diesen Anblick sei sie zur Überzeugung gelangt, dass ihr lieber guter Herr tot sei.
Daher habe sie die über hundert Meter entfernt wohnenden Nachbarn zu Hilfe gerufen, aber niemand sei in der Lage gewesen, die zum Himmel lodernden Flammen zu löschen. Alle aber könnten bezeugen, dass der Geruch verbrennenden und verkohlenden Fleisches die Gegend verpestete. Vorsichtshalber habe sie samt Capitano Marcello sämtliche Räume des Hauses einschließlich des Kellers durchsucht, aber der Vermisste sei nirgendwo zu finden gewesen. Seine unbenutzt im Schlafzimmer liegenden Kleider und Schuhe aber bewiesen, dass er das Haus nicht verlassen habe, jedenfalls nicht lebend.
So, mein lieber Sergiu«, sagte Volpe resigniert, »jetzt kennst du die gesamte Geschichte meines Misserfolges. Und dennoch, das spüre ich, ist etwas faul im Staate Dänemark, irgendetwas, das die Haushälterin verschweigt. Sie gehört zu der Art von Domestiken, die sich lieber totschlagen lassen, als den Herrn zu verpetzen. Sie hatte ein trotziges Gebaren an sich, das mir verdächtig vorkam. Vielleicht suche ich das Anwesen morgen noch einmal auf, denn mir schwant Übles, wenn ich an den Prozess denke.«
»Ich kann mir nicht vorstellen«, wandte ich ein, »dass der Richter so dumm sein wird, einen derart harmlosen Jüngling und seine, wenn man dir glauben darf, hübsche Mutter dazu zu verurteilen, jahrelang in den Knast geworfen zu werden.«
»Ach, mein Guter«, sagte Volpe seufzend, »vorigen Monat stand ein ebenso hübscher und womöglich noch harmloser dreinguckender Jüngling vor Gericht. Die Beweise gegen ihn, seine Geliebte, die ihn betrogen hatte, auf heimtückische Weise ermordet und verscharrt zu haben, um sich an ihr zu rächen, waren erdrückend. Er legte ein umfassendes Geständnis ab und wanderte für viele Jahre in den Bau.«
»Ich gebe mich geschlagen«, sagte ich und schwieg.
»Es ist zum wahnsinnig Werden«, sagte Volpe, »aber die Kette der Indizien gegen Cornelio ist lückenlos, und meine eigenen Ermittlungen haben alles nur bestätigt. Daher, so fürchte ich, wird der Fall mit einem Triumph der Carabinieri enden und Marcello dafür sorgen, dass die beiden lebenslang ins Gefängnis kommen. Entweder ist die Leiche des Urbano wirklich auf dem Holzstoß verbrannt, oder mir ist etwas Entscheidendes verborgen geblieben. Lass mich jetzt zu Bette gehen und mir eine Mütze Schlaf hineinziehen. Ich bin total am Ende.«
»Es wird wohl das Beste sein, wenn ich deinem guten Beispiel folge«, sagte ich herzhaft gähnend, »und wir wollen uns dem guten Morpheus zu Ehren aufs Ohr hauen! Auch ein Volpe kann nicht immer Recht behalten und muss sich gelegentlich ins Unvermeidliche fügen.«