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2. Teil: Der Bericht des Sebastian Schmidt

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Vor drei Tagen war es, als es gegen Abend zur unheimlichen Begebenheit kam ... und ich bin, wie Signore di Fusco schon sagte, Dolmetscher für Deutsch und Italienisch; dass ich auch ein guter Lateiner bin, sei am Rande bemerkt.

Naturgemäß ist mir die Muttersprache am vertrautesten, aber mein Italienisch gilt gewöhnlich als perfekt. Seit etlichen Jahren lebe ich nun schon in Venedig und bin ein gefragter Mann, wenn es um die Sprache der Tedeschi geht. Insbesondere in Hotels werde ich oft zurate gezogen, wenn deutsche Touristen ein Problem haben oder die Ursache eines Problems sind. Daher ist es auch nicht außergewöhnlich, dass man mich noch tief in der Nacht aufsucht, um meine Dienste zu beanspruchen.

Vor drei Tagen aber kam es zu einem außergewöhnlichen Ereignis. Zunächst war ich keineswegs überrascht, als am späten Abend ein gut gekleideter Herr bei mir anklopfte, der sich als ein gewisser Giulio Farnese vorstellte. Er bat mich, ihn in seinem Motorboot zu begleiten, welches draußen warte.

Ein Mann aus der Gegend von Monaco (München), der außer seiner bayerischen Mundart kaum ein Wort italienisch oder englisch beherrsche, sei in Geschäften zu ihm nach Venedig gekommen. Da er selbst, Farnese, seinerseits kein Deutsch könne, sei die Anwesenheit eines Dolmetschers unerlässlich.

Freilich müsse ich mich mit Geduld wappnen, da sein Landhaus in einem winzigen Dörfchen südöstlich von Mestre zu finden sei und man dazu, vom Bahnhof Mestre aus gesehen, eine Strecke von rund 15 km. mit dem Auto bewältigen müsse.

Für getane Arbeit werde er mir hundertfünfzig Euro zahlen, einen fürstlichen Lohn. Ich nickte. Er strahlte und schien es eilig zu haben, denn kaum gewannen wir die Gasse, da schob er mich auch schon hastig in ein Boot und warf den Motor an.

Wenn ich nun gedacht hatte, wir sollten zum Bahnhof knattern, um den nächsten Zug ans Festland zu nehmen, so sah ich mich getäuscht. Signore Farnese, oder wie er hieß, überquerte die in der Nacht versinkende Lagune westwärts und legte im Flecken Fusina an, einem Kaff, das mir bislang nur vom Hörensagen bekannt gewesen war, weil man von da aus eine direkte Vaporetto-Verbindung nach Venedig hat.

Dort harrte eine uralte Limousine mit sechs Sitzen unser, zwei Plätze vorne samt Fahrer, vier in Gestalt von zwei einander gegenüber angeordneten Bänken hinten.

Ehe ich es mich versah, hatte mich der vor Nervosität zitternde Signore bereits auf die Rückbank gedrängt, war selbst eingestiegen und hatte die Tür hinter uns zugeschlagen.

Die samtene Polsterung der Sitze war schon abgenutzt, aber dennoch von gehobener Qualität. Eine fensterlose Wand aus Metall trennte das Abteil, in dem wir saßen, von der Fahrerkabine. In der Mitte war sie in Gestalt einer Rosette unterbrochen, durch die man sich mit dem Fahrer verständigen konnte.

Der sogenannte Farnese gab nun dem Chauffeur einen Befehl, und schon rasten wir die ins Dunkel der Nacht und die im Nebel verschwimmende Straße entlang. Die Lichter der letzten Laternen, die durch das matte Glas grüßten, verblassten; dann nur noch Finsternis. Ich verlor Ziel und Richtung.

Vorsichtig wollte ich meinen mit finsterer Miene mir gegenüber sitzenden Auftraggeber auf das Unmögliche der Situation aufmerksam machen, doch die Worte blieben mir im Halse stecken, als er einen knorrigen Knüttel hervorzauberte, ihm mehrfach durch die Luft sausen ließ, um mir schließlich damit unter der Nase herumzufuchteln.

Als ich schwieg, legte er das Ding neben sich auf den Sitz. Dann zog er rundum die an den Fenstern angebrachten Vorhänge zu. Sie waren aus schwarzem Samt gefertigt.

»Es liegt nicht in meiner Absicht«, säuselte er grimmig und mit singend drohendem Unterton, »Signore, Sie erkennen zu lassen, wohin wir fahren. Vielleicht könnte es mir ja unangenehm werden, wenn Sie sich an den Weg erinnerten.«

Das also sagte er, und versetzte mich, den ihm wehrlos Ausgelieferten, in eine dumpfe Art von Panik. Doch nun ist es an der Zeit, meinen neuesten Freund näher zu beschreiben.

Farnese ist ein junger Mann, ein mächtiger, breitschultriger Athlet mit kürbisgroßen Fäusten und einem Raubtiergebiss. Es hätte keines Knüppels bedurft, um mich, diesen Schrumpfgermanen, zu überwältigen. Kleinlaut murmelte ich:

»Das ist aber nicht die feine britische Art, wie Sie mich behandeln. Das ist ja ganz und gar ungesetzlich, Signore! Noch sind wir nicht weit weg von Fusina. Lassen Sie die Kutsche anhalten und mich aussteigen, auf der Stelle! Den immer noch kurzen Weg zur Vaporetto-Anlegestelle kann ich zu Fuß gehen.«

Er kicherte nur bösartig, verzog seine brutale Fresse zu einer sardonischen Grimasse und versetzte zähneknirschend:

»Zweifellos nehmen wir uns einige Freiheiten gegen Sie heraus, Sir, aber wir tun es nur von den Umständen gezwungen – und werden Sie, wenn Sie Ihre Arbeit zu unserer Zufriedenheit ausgeübt haben – dafür bestens bezahlen. Freilich warne ich Sie, irgendetwas auf eigene Faust zu unternehmen, was unserem Vorhaben zuwider läuft. Führen Sie sich vor Augen, dass niemand weiß, wo Sie sich aufhalten und Sie sich voll und ganz in unserer Gewalt befinden, jetzt und auch später. Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, richten Sie sich danach, andernfalls ...«

Der sogenannte Farnese sprach zwar sachlich und emotionslos, aber seine Stimme hatte etwas unglaublich Drohendes an sich. Außerdem fuchtelte er immer wieder einmal nervös mit der Keule in der Luft herum.

Schweigend und zu Tode erschrocken hockte ich also auf der gepolsterten Bank und zerbrach mir den Kopf, welchen Sinn meine Entführung denn haben sollte. Nur darin ward mir Klarheit, dass es absolut sinnlos, wenn nicht gar tödlich wäre, sollte ich mich zur Wehr setzen.

Also blieb mir nichts anderes übrig, als stumm und starr abzuwarten, was sich ereignen sollte, während das Rumpeln des Fahrzeuges darauf hindeutete, dass wir nach wie vor über das alte Pflaster einer Nebenstrecke fuhren. Neben diesem akustischen Merkmal gab es nicht das Geringste, das mir einen Anhaltspunkt hätte liefern können, wohin die Reise ging.

Es war leicht dämmerig gewesen, als man mich in Venedig abholte, doch nun war die schwärzeste Nacht hereingebrochen, während sich unsere Fahrt verlangsamte. Das Knirschen der Räder verriet mir, dass wir die befestigte Straße verlassen hatten und es nun über einen Kiesweg ging. Mein Entführer lüftete für einen Augenblick einen der seitlichen Vorhänge, so dass auch ich einen kurzen Blick hinaus werfen konnte.

Links und rechts zeichneten sich die schwarzen Umrisse von vier hoch aufragenden Eichen ab, welche ein Gebäude flankierten, auf das wir zufuhren. Ob wir uns auf einer öffentlichen Straße oder auf Privatgelände befanden, vermochte ich leider nicht festzustellen. Dann glitt der Wagen geradezu geräuschlos dahin. Vermutlich ging es über einen Rasen, der alle Geräusche verschluckte, und jetzt hielt der Chauffeur an.

Jemand riss den Verschlag auf. Ich wurde aus der Kabine herausgezerrt und durch einen Torbogen ins Innere des Hauses geschoben, während die Türflügel aus dicken Bohlen krachend hinter mir ins Schloss geschmettert wurden. Gerade noch hatte ich erkennen können, dass die Umgebung weit und breit in solcher Finsternis versank, dass man nichts Weiteres sehen konnte.

Beim trüben Schein einer Lampe, die auf einer Konsole stand, konnte ich nun einen gewölbten Korridor erkennen. Die Wände waren über und über mit Ornamenten verziert. In Abständen gewahrte ich alte Ölgemälde. Ein hochherrschaftliches altes Landhaus also war es, in dem ich mich befand, wenn auch ziemlich heruntergekommen.

Der kleine feiste Mann, der mich ins Haus bugsiert hatte, stand nun neben mir, musterte mich verächtlich und gemahnte an ein bösartiges Frettchen. Vulgär sah der Fettsack aus; grünlich schillernde Schweinsäuglein; graumelierter Bart; Halbglatze; ungefähr vierzig Jahre alt.

»Ist das der deutsche Dolmetscher?«, fragte er den anderen.

»Genau dieser«, antwortete Farnese.

»Na, wunderbar! Hoffentlich nehmen Sie uns das da nicht übel, Signore«, sagte er dann zu mir, »aber ohne Ihre Hilfe hätten wir ein Problem. Wenn Sie sich anständig verhalten, werden Sie Ihren Einsatz nicht bereuen. Sollten Sie sich aber unseren Instruktionen widersetzen, dann möge der allmächtige Gott Gnade mit Ihrer Seele walten lassen. Ich heiße, äh, nenne mich gewöhnlich Vitello, Francesco Vitello (Franz Kalb).«

Er sprach abgehackt und ruckartig, mit einem unheimlichen Kichern zwischen den einzelnen Sätzen. Vor ihm hatte ich noch größere Furcht als dem ungeschlachten Riesen.

»Was wollt ihr von mir?«, brachte ich stotternd hervor. Er antwortete mir unter nervösem Kichern.

»Sie haben dem Mann aus Germania, der unser Gast ist, ein paar Fragen zu stellen und uns seine Antworten zu übersetzen. Aber sagen Sie ihm kein Sterbenswörtchen mehr, als wir Sie zu sagen heißen, oder Ihr letztes Stündlein hat geschlagen, und Sie wünschten sehnlichst, nicht geboren zu sein, mein Bester. Glauben Sie bloß nicht, man könnte Ihre Leiche finden!«

Nach diesen weiß Gott aufmunternden Worten öffnete er eine Zimmertür und führte mich in einen Raum, der trotz magerster Beleuchtung unverkennbar das geräumige Wohnzimmer reicher Leute war. Ich gewahrte im Hintergrund drei Ohrensessel samt Sofa um den Couchtisch gruppiert; alles Stücke der Luxusklasse; an der seitlichen Wand einen Tisch, der auf geschwungenen Füßen aus Erz ruhte; darum herum vier Korbstühle samt grünen Sitzkissen.

Den Fußboden bildeten Marmorplatten, in welche bunte Bilder aus der griechischen Mythologie eingelegt waren. Unter der bronzenen Lampe, die von der Decke herabhing, befand sich ein Stuhl, auf welchem ich von Vitello Platz zu nehmen genötigt wurde, während Farnese den Raum verließ. Der Fahrer des Oldtimers war übrigens bislang nicht erschienen.

Kurz darauf kehrte Farnese in Begleitung eines besonders großen Mannes zurück: Sein Oberkörper steckte in einem blauen Leinenkittel, die Beine in Jeans. Das Gesicht war hinter einer Maske verborgen, die den Kopf sackartig umhüllte und nur Sehschlitze aufwies. Als er in den Lichtschein des Lämpchens geführt wurde, bot sich meinen Augen ein Bild des Jammers.

Der Tedesco, wie ich ihn jetzt nennen möchte, war fürchterlich abgemagert. Seine aus dem Ärmel hervorragenden Hände waren gelblich und schienen nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Die Augen, welche ich in der Öffnung der Maske erkennen konnte, waren tief in die Höhlen gesunken. Er konnte vor Schwäche kaum die Füße vom Boden heben. Insgesamt betrachtet stand eine gebeugte Gestalt vor mir, die sich auf einen Wink seiner Peiniger hin in einen leise aufseufzenden Sessel fallen ließ.

»Na, da ist er ja, dieser Enkel der Hölle«, sagte Vitello, »und Sie, caro Signore Schmidt, werden ihm jetzt meine Fragen ins Deutsche übersetzen und dann seine Antworten dolmetschen. Meine erste Frage lautet: Bist du bereit, den ausgearbeiteten Vertrag zu unterzeichnen?«

»Nein! Niemals!«, ächzte der Gefangene.

»Und du wirst es unter keiner Bedingung tun?«

»Nur, wenn Marion auf der Stelle die Freiheit erhält und mit mir nach Colonia (Köln) zurückkehren kann.«

Vitello kicherte boshaft: »Das könnte dir so passen. Sie ist Giulios Geliebte und ihm hörig. Diesen Trumpf werden wir nicht aus der Hand geben. Du weißt, was dich erwartet, wenn du nicht unterschreibst.«

»Was aus mir wird, ist gleichgültig.«

»Da sei du dir deiner Sache nicht allzu sicher! Wir können noch ganz anders mit dir umspringen als bisher.«

»Auch das interessiert mich nicht mehr.«

»Aber wenn du das Dokument unterzeichnest, erhältst du die ausgemachte Summe und zugleich deine Freiheit. Marion freilich muss bei uns bleiben. Sie ist so gut wie unsere Sklavin.«

Ich will das Frage- und Antwortspiel nicht fortsetzen, Signore Tartini, es war stets das Gleiche, und der Tedesco gab nicht nach, obwohl er sich vor Schwäche kaum aufrecht halten konnte. Sooft er auch gefragt wurde, ob er unterzeichnen wolle, lehnte er trotz wüstester Drohungen ab.

Schließlich wagte ich mich an ein kleines feines Experiment heran und begann damit, heimlich winzige Sätze hinzuzufügen. Zunächst waren es nur belanglose Dinge, die ich sagte, dann wurde ich kühner, denn die beidem Männer verstanden tatsächlich kein einziges Wörtchen Deutsch, und es entspann sich ungefähr folgende Unterhaltung:

»Deine Sturheit wird dir übel bekommen; wer bist du?«

»Mit Drohungen kommt ihr nicht weiter; ich bin fremd hier.«

»Dein Schicksal hängt am seidenen Faden. Unterzeichne, und wir lassen dich laufen; wie lange halten sie dich hier schon fest?«

»Da gibt es nichts zu überlegen; seit zwanzig Tagen.«

»Wenn du erst für tot erklärt worden bist, wird Marion alles erben, und dann sind wir ohnehin am Ziel; bist du krank?«

»Mit Verbrechern wie euch mache ich keine gemeinsame Sache; die Schufte lassen mich verhungern.«

»Unterzeichne, und du bist frei! Wo befindet sich dieses Haus?«

»Nur unter der Bedingung, dass Marion mit mir frei kommt; ich habe nicht die geringste Ahnung.«

»Sie wird gewiss nicht mit dir gehen wollen; wie heißt du?«

»Das soll sie mir selber sagen; wie einst Germaniens Befreier.«

Ich hatte eine große Dummheit begangen, als ich ihn nach dem Namen fragte. Unsere Peiniger hätten mir, wenn er ihn gesagt hätte, leicht auf die Schliche kommen können. Da aber jedes Kind weiß, dass ein gewisser Arminius im Jahre 9 n. Chr. die Schlacht beim Teutoburger Wald gewann, in welcher der römische General Varus fiel, kannte ich nun seinen Namen.

»Sobald du unterschrieben hast, wirst du das Mädchen wiedersehen; woher stammst du?«

»Gut, dann werde ich sie eben nie wieder sehen; aus Bonn am Rhein.«

Lieber, edler Signore Tartini, wären mir nur noch wenige Augenblicke vergönnt gewesen, hätte ich die gesamte Geschichte seiner Entführung zu hören bekommen, aber in diesem Augenblick öffnet sich eine seitliche Tür, und herein schwebte eine anmutige Elfe. Da meine Augen sich an die trübe Beleuchtung gewöhnt hatten, konnte ich sie in aller Muße bewundern.

Mir schien es so, als sollte sie Mitte Dreißig sein. Sie war groß und breitschultrig, einen ganzen Kopf größer als ich, und das Blondhaar floss ihr in breitem Strome über Schultern und Rücken. Sie trug ein rein weißes Kleid, in der Taille mit einer goldenen Kordel gegürtet. Das Gewand ließ Arme und Unterschenkel frei, welche mir von eleganter und feiner Gestalt erschienen.

Insgesamt gesehen, bot die Bezaubernde meinen sich weitenden Augen den Körper einer germanischen Venus, rank und schlank, hoch aufgeschossen, die Anmut in Person. Ich verliebte mich auf der Stelle in sie. Nie, glaube ich, habe ich eine schönere Frau gesehen.

»Lieber Giulio«, sagte sie in gebrochenem Italienisch und mit melodischer Stimme, »ich konnte es oben auf meinen Räumlichkeiten ohne dich, mein Schatz, nicht mehr länger aushalten, und daher bin ich die Treppe hinunter gegangen, um ...«

In diesem Augenblick erblickte sie den ausgemergelten Gefangenen im Sessel, erkannte ihn trotz der Maske instinktiv und schrie nunmehr auf Deutsch: »Oh Gott, du hier, mein Armin? Und wie siehst du aus? Was ist nur geschehen?«

»Marion, liebe Marion!«, rief der Entführte, sprang trotz aller Schwäche aus dem Sessel empor und fiel der Frau um den Hals. Doch das währte kaum die Dauer von zehn Herzschlägen, denn schon hatte sie Farnese von ihm weggerissen und zerrte sie aus dem Zimmer, während Signore Vitello sich böse kichernd auf den Tedesco stürzte, ihn mit einigen Faustschlägen zu Boden streckte, um ihn dann an den Beinen durch die gegenüber liegende Tür aus dem Raum zu schleifen.

Für einen kurzen Augenblick war ich allein gelassen und sah mich eilig nach einem Fluchtweg um, ohne einen entdecken zu können. Noch stand ich unschlüssig auf der Stelle, als die beiden Unholde auch schon wieder erschienen. Vitello kicherte bösartig und rieb sich die Hände. Farnese sagte: »So, Signore! Das wärs für heute. Wie Sie sicher bemerken konnten, handelt es sich hier um eine private Angelegenheit, zu deren Lösung wir Sie zugezogen haben. Da sich unser einziger Freund, welcher der deutschen Sprache mächtig ist, zurzeit in Marsala Sicilia aufhält, mussten wir Ihre Dienste in Anspruch nehmen. Wir waren erfreut, von Ihren Fähigkeiten zu hören.«

»Stets zu Diensten, Signori«, sagte ich schlotternd vor Angst und verbeugte mich leicht, freilich nicht ohne dabei innerlich vom Grauen geschüttelt zu sein.

»Hier sind hundertfünfzig Euro für Sie«, versetzte Vitello, »und ich hoffe, Sie sind damit zufrieden, denn es ist für solch kurzen Einsatz eine fürstliche Entlohnung. Aber vergessen Sie nicht«, sagte er heiser kichernd und mir auf die Brust tippend, »dass wir Sie zu Hackfleisch verarbeiten, sollten Sie auch nur mit einer einzigen Menschenseele über das Abenteuer reden.«

Während er das sagte, war er mir mit seinem Gesicht ganz nahe gekommen, so dass ich seinen verpesteten Atem roch. Ekel und Abscheu erfüllten mich beim Anblick seiner ordinären Züge. Insgesamt wirkte er verbraucht und ältlich. Sein feistes Doppelkinn war nur spärlich durch einen kümmerlichen Bart verhüllt. Immer wieder ging ein Zucken über seinen Körper. Wahrhaft Grauen erweckend aber wirkten seine grünlichen Augen, in denen neben einer unerbittlichen Grausamkeit der blanke Hass glühte. Selten hat mir ein Mensch solch eine Furcht eingejagt; er fauchte:

»Ich werde es auf der Stelle erfahren, wenn Sie es wagen sollten, irgendetwas zu verraten. Wir haben unsere Leute überall. Ich werde Sie unter Beobachtung stellen. So, und jetzt hinaus mit Ihnen, der Wagen wartet. Farnese wird Ihnen das Geleit geben.«

Von beiden Männern unerbittlich in die Zange genommen, wurde ich zurück ins Auto eskortiert. Farnese nahm mir gegenüber Platz, und nachdem wir über den Rasen gefahren waren, gewannen wir nacheinander den gekiesten Weg und die gepflasterte Straße, wie mir das Geräusch der Reifen verriet.

Geraume Zeit fuhren wir durch Nacht und Nebel, und wieder waren die Vorhänge zugezogen. Dann blieb das Auto stehen. Farnese entriss mir das Mobilphon und stieß mich zur Tür hinaus. Ich überkugelte mich zweimal, bis ich wieder auf die Beine fand.

»... und wagen Sie es nicht, uns zu folgen! Das würde Ihnen übel bekommen«, schrie er, bevor er die Tür ins Schloss drosch. Der Chauffeur ließ den Motor aufheulen, die Räder drehten kreischend durch, der Wagen schoss davon, und nach kurzer Zeit gewahrte ich nur noch den schwachen roten Schimmer der Rücklichter, dann nichts mehr. Das Kennzeichen war übrigens unkenntlich gemacht.

Nun stand ich inmitten einer Abgaswolke mutterseelenallein in der undurchdringlichen Finsternis und wusste nicht mehr weiter. Mit den Füßen das Pflaster ertastend machte ich mich in eben der Richtung auf den Weg, die ich für die richtige hielt.

Etwa eine halbe Stunde später gab sich der allmählich aufgestiegene Mond die Ehre, zwischen den Wolken hindurch zu scheinen, und sein fahles Licht sickerte über die Landschaft.

Hier und da zeichnete sich der Umriss eines Baumes ab; in der Ferne so etwas wie ein Gehöft. Hundegebell und der schwache Geruch von Rauch deuteten auf die Anwesenheit menschlicher Wesen hin. Ich ging dort hin und pochte an die Tür.

Es dauerte seine Zeit, bis mir der verschlafene Hausherr öffnete. Ich fragte ihn, wo ich gelandet sei. Er sagte, ich befände mich in einem allein stehenden Anwesen auf halber Strecke zwischen Oriago und Marano, in der Einsamkeit der Po-Ebene.

»Oh, du lieber Gott«, entfuhr es mir, »das sind ja Meilen von Mestre entfernt. Wie soll ich nur nach Hause kommen?«

Der Bauer erkundigte sich neugierig, wie Bauern nun einmal sind, nach dem Grund meines Strandens, und ich log ihm etwas von einem Streit im Auto meiner Kumpels vor, der dazu geführt habe, dass man mich hinausgeworfen hätte. Er lächelte und tat, als glaubte er mir. Immerhin war er so nett, mich im Stroh seiner Scheune übernachten zu lassen. Obwohl ich mich, so gut es ging, bettete, war an Schlaf nicht zu denken, denn ich teilte mir den Heuschober mit einer Sippe von Ratten.

Am nächsten Morgen erwischte ich den dort alle zwei Stunden verkehrende Omnibus und ließ mich gemächlich nach Mestre fahren. Von dort aus gelangte ich mit der Bahn nach Venedig und suchte den zuständigen Commissario auf, Signore Marcello, der mich freilich nur auslachte. Er meinte, er habe für Phantastereien keine Zeit und genug mit dem in Venedig und Umgebung alltäglichen Mord und Totschlag zu tun. Dergleichen Kleinkram wie der meinige sei etwas für die Gilde der naseweisen venezianischen Privatdetektive und sonstiger Privatschnüffler.

Weil ich persönlich niemand von dieser Sorte kannte, wandte ich mich einen Tag später an den Tenente. Den kenne ich, seit er mich zu Hilfe holte, um einen deutschen Touristen zu bändigen, der da glaubte, im Canal Grande nackend baden zu dürfen.

Di Fusco meinte, solch verzwickte und scheinbar harmlose, in Wirklichkeit aber oft genug dramatische Dinge wie die meinigen seinen für Sie, edler Signore Tartini, das sprichwörtlich gefundene Fressen.

Ich ließ mir das noch einmal durch den Kopf gehen und sprach anderen Tages wieder beim Commissario vor. Dieser gab mir das Geleit zu Ihrem Haus. Jetzt sind wir hier.«

Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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