Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 16

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5. Teil: Grübeln im Hotel und auf dem Spazierritt


Nachdem die Polizisten davongerumpelt waren, begleiteten wir den Priester samt Signore Lupo zurück nach San Martino, obwohl dies für Volpe und mich ein Umweg war. Erst vor den marmornen Stufen hinauf zum Kirchlein trennten wir uns, um die 500 Meter zum Albergo hinüber zu gehen, während Adolfo Grana und sein Untermieter im Pfarrhaus verschwanden.

Längst schon saßen wir wieder auf der Terrasse über den flauschigen Kissen unserer bequemen Korbsessel und schlürften einen guten Sizilianer aus dem Acireale, verdünnt mit Wasser. Volpe sprach kein einziges Wort. Seine buschigen Augenbrauen waren zusammengezogen; die Stirn in Falten gelegt; der Mund verkniffen; der Blick abwesend; die sehnigen Hände gefaltet, als er endlich das Schweigen brach und, indem er seine gute Erziehung an den Nagel hängte, mit gefletschten Zähnen knurrte:

»Merda maledetta (verdammte Sch...e!)! Ich komme nicht weiter. Es ist zum wahnsinnig Werden. Komm, lass uns einen Spaziergang machen und nach den Überresten der Jahrtausende schauen! Und mögen die Monumente noch so zerfallen sein, wir werden sie leichter entdecken als die Lösung dieses Problems.

Es ist absolut sinnlos, sich das Gehirn zu zermartern. Ich bin kein Heautón Timoroúmenos (ein Sich-Selbst-Bestrafender), wie der Dichter Terenz (1951-59 v. Chr.) eine seiner Komödien nennt. Wenn wir uns in Geduld üben, wird sich der Fall vielleicht von selbst lösen. Also auf und davon! Hinein in die himmlisch einsamen Fluren des Alpago! Lass uns am Südhang des Monte Cimon (2346 m.) entlangreiten!«

Gesagt, getan! Nachdem wir uns die würzige Bergluft ausgiebig um die Nase hatten wehen lassen und die Rösser endlich Schritt gehen ließen, kam Volpe auf das leidige Thema zurück. Er sah mich an und sagte: »Bevor wir von neuen Ereignisse überrollt werden, sollten wir alles, was wir wissen, zusammenfassen: Zum Ersten bin ich – im Unterschied zu dir – nicht dazu bereit, böse Geister für den Tod der Geschwister verantwortlich zu machen. Es muss eine natürliche Ursache geben. Religion sollte Religion bleiben.«

»Dann ist es ja Mord«, flickte ich ein.

»Davon gehe ich aus. Es ist ein besonders raffiniert inszenierter Mord, wenn nicht einmal ich herausfinde, wie er über die Bühne ging; kommen wir zur Sache: Unser Priester besitzt ein Alibi. Er hat auch kein Motiv. Bleiben die Geschwister, von denen zwei ermordet wurden. Der dritte käme als Täter in Betracht. Allerdings lebte er in Harmonie mit Bruder und Schwester, wenn man ihm glauben darf. Ferner hat er ein Alibi. Als der Tod eintrat, schlief er im Haus des Priesters.

Das Mädchen starb nämlich erst, nachdem Ruggiero Lupo das Haus verlassen hatte. Bei ihrem Bruder wirkte die Substanz, die den Tod verursachte, um Einiges langsamer. Allerdings umnebelte sie seinen Verstand auf so verheerende Weise, dass er noch zum Messer greifen konnte.

Es müsste also eine unbekannte Person sein, welche allen drei Geschwistern nach dem Leben trachtete. Lediglich dadurch, dass Ruggiero bereits vor der Mitternacht nach Hause ging, könnte er dem Unheil entronnen sein. Ich halte es daher für gut möglich, dass auch unser schweigsamer Wolf bald an die Pforten des Jenseits anklopft, denn er weiß mehr, als er uns verrät.«

»Willst du damit erneut sagen, er hätte uns belogen?«

»Zumindest darin, dass er behauptet, sein Bruder habe ihm irgendwie seltsam über die Schulter geschaut, und er habe sich daraufhin umgedreht, um tatsächlich unten im Garten etwas Verdächtiges zu sehen.«

»Warum sollte das gelogen sein?«

»Mein Bester! Oh Gott«, sagte Volpe süffisant lächelnd, »es war doch stockfinstere Nacht, und draußen regnete es Hunde und Katzen. Das Zimmer war von einer matten Deckenlampe sowie der lodernden Partyleuchte erhellt, und was sieht man dann, wenn man die Blicke aufs Fenster richtet?«

»Ich Hornochse!«, sagte ich und schlug mir vor die Stirn. »Nur das Zimmer, wie es sich mit allem Drum und Dran in den Scheiben spiegelt. Ruggiero konnte gar nicht sehen, was er gesehen haben will. Aber warum hat er uns angelogen?«

»Das weiß ich nicht, noch nicht«, sagte Volpe, »aber es lenkt einigen Verdacht auf ihn. Wir sollten diesen Aspekt nicht aus den Augen lassen. Und gerade deshalb, weil man nicht in den Garten sehen konnte, ist der Gedanke zu verwerfen, die beiden im Zimmer Verbliebenen könnten von einem Wesen, das sich draußen aufhielt, zu Tode erschreckt worden sein und wären darum, Grimassen schneidend, gestorben.«

»Vielleicht hat das Biest ja sein Gesicht an der Scheibe platt gedrückt«, wagte ich einzuwenden.

Volpe erwiderte: »Auf der äußeren Fensterbank befindet sich ein Blumenkasten. Er wurde nicht berührt. Außerdem müsste die Scheibe Spuren von Fett oder Ähnlichem aufweisen, aber es gibt keine. Auch Ruggiero kann seine Geschwister nicht erschreckt haben, denn er ist kein einziges Mal näher als etwa 1,50 m an das Fenster herangetreten. Warum überhaupt? Gewiss wollte er drinnen irgendetwas sehen, ohne selber gesehen zu werden.«

»Was du nicht sagst, du Allwissender! Warum bist du dann über das Wasserfass gestolpert?«

»Hihihi«, kicherte Volpe, »du alter Hase hast naturgemäß bemerkt, dass es nicht zufällig geschah. Nun, ich erzielte damit einen besonders deutlichen Fußabdruck unseres Meisters Ruggiero Lupo. Darum ging es mir, denn auch in der Mordnacht war das Gelände ja feucht vom Regen.

So konnte ich, als wir auf dem Weg zum Pfarrhaus waren, seine Spur verfolgen, die er hinterließ, nachdem er das Haus der Geschwister verlassen hatte: Er ging von der Haustür zum dreiflügeligen Fenster und lief dort in der genannten Distanz eine Zeitlang auf und ab. Gewiss beobachtete er Schwester und Bruder im Zimmer, ohne dass diese ihn, wie du ja weißt, sehen konnten.

Dann kürzte er über den Rasen ab und verließ das Grundstück, um in Riesenschritten zum Pfarrhaus zu eilen. Dort endet die Spur, und in diesem einen Punkt hat er uns immerhin die Wahrheit gesagt. Eine zweite, weniger deutliche Spur führt der genannten entgegen. Sie sollte von Morgenausflug des Frühaufstehers stammen und ist der Gangart Schlendern zuzuordnen.

Ihr entgegengesetzt finden sich die weit gespreizten Tappen eines wie wahnsinnig Rennenden. Wenn wir Ruggiero glauben wollen, dann stürmte er, nachdem er das Unheil entdeckt hatte, wie entfesselt zurück zum Haus des Priesters.

Der Mord wurde also nachweislich erst, nachdem er vom Schauplatz verschwunden war, verübt, von wem auch immer. Es ist nun unsere Aufgabe, den Täter zu ermitteln, um herauszufinden, womit sie den beiden solch ein Grauen einflößen konnte, dass die Hübsche sofort daran verstarb, während der Bruder, der offenbar von besserer Kondition war, in geistig umnachteter Weise noch eine Zeitlang tobte.

Siehst du jetzt, mein lieber Sergiu, wie sich die Schwierigkeiten vor uns in den Himmel türmen? Wir wissen nicht, wie und von wem das Verbrechen begangen wurde. Wenn wir wenigstens ein plausibles Motiv hätten!«

»Ich sehe das auch so«, meinte ich seufzend.

»Und dennoch«, sagte Volpe, »hatten wir schon Fälle, bei denen das vorliegende Material noch viel geringer als diesmal war, und trotzdem konnten wir sie lösen.

Doch da wir einstweilen nicht weiter kommen, wollen wir den Tag nicht durch Grübeln verderben sondern uns ganz den Antiquitäten der Gegend hingeben. Ich denke, es lohnt sich, und unsere braven Rösser brauchen Bewegung. Wenn ich mir noch eine winzig kleine Bemerkung gestatten darf: Mein Lieber, du zeitigst erkennbare Fortschritte in der Reitkunst.«

Seit ich meinen Freund kenne, gerate ich immer wieder in entzücktes Staunen über seine Vielseitigkeit: Mit einer Konzentration, welche ihresgleichen sucht, ritt er, mich im Schlepptau, von Monument zu Monument, oft nur als wirre und von Ranken überwucherte Ansammlung von Steinen erkennbar, um sie zeitlich und in Bezug auf ihre kulturelle Zugehörigkeit einzuordnen. Aufs Genaueste wusste er dabei zwischen Relikten der Steinzeit, der uralten Pelasger, der alten Italiker, Kelten und Hellenen bis hin zum Mittelalter zu unterscheiden, um seufzend zu bemerken, dass ihm sein Beruf kaum Zeit lasse, ein dickes Handbuch mit dem Titel „3.000 Jahre Antiquitäten des Alpago“ zu verfassen. Als ich ihm entgegnete, wer denn ein solches Werk lesen werde, brach er in ein homerisches Gelächter aus.

Am späten Nachmittag kehrten wir zum Albergo zurück, glücklich aber auch erschöpft, um uns auszuruhen und die Cena einzunehmen. Doch im Speisezimmer wartete ungeduldig ein bärtiger Riese auf uns, ein Zweimetermann, der in meinen Kreisen bestens bekannte Forscher und Mediziner Dottore Anselmu Tigurinu, ein gebürtiger Rumäne wie ich, einst in Bukarest zu Hause, seit Jahren aber im Amazonasbecken tätig, in welchem er gelegentlich für Monate unterzutauchen pflegt.

Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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