Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 15

4. Teil: Im Haus des Grauens

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Es handelte sich um ein wettergegerbtes altes Landhaus, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Würfelförmig errichtet und von einem pyramidenförmigen Ziegeldach gekrönt, war es nicht ohne Anmut auf einer flachen Anhöhe zwischen die blühenden Fluren gebaut; rundherum ein Garten, in dem die Blumen bunte Farbtupfer hinterließen. Vögel zwitscherten in den steil ins Blau des Himmels ragenden Kastanienbäumen, welche die vier Ecken des quadratischen Anwesens markierten.

Wir gingen auf dem unter den Schuhsohlen knirschenden Kiesweg zum Gebäude hin, dann nach rechts in den Garten und standen zunächst vor dem großen Wohnzimmerfenster, das aus drei Flügeln bestand, deren jeder in sechs kleinere Scheiben unterteilt war. Einige Meter entfernt davon erblickte ich ein paar Büsche, die sich im Frühsommerwind wiegten.

Hier also, mitten zwischen ihnen, musste die unheimliche Gestalt aufgetaucht sein, welche die Geschwister zu Tode erschreckt hatte. Wenn man unter das oben beschriebene Fenster gelangen wollte, musste man über einen erdigen verunkrauteten Pfad schreiten. Volpe sah sich alles genauestens an, nickte und ging dann zu eben dieser Stelle hin.

Wir folgten ihm und blieben auf seinen Wink hin in angemessener Entfernung stehen. Er warf einen kurzen Blick durch das Fenster und untersuchte dann den Boden zwischen dem Gesträuch aufs Sorgfältigste. Einmal legte er sich dabei längelang auf den Rasen, um schließlich mit zufriedener Miene zu uns zurückzukehren.

Er werde sich jetzt den hinter dem Wohnzimmerfenster befindlichen Hauseingang ansehen, sagte er und machte sich auf den Weg. Schon wollten wir ihm folgen, doch er war dergestalt in Gedanken versunken, dass er über ein kleines Fass stolperte, in dem das Regenwasser gespeichert wurde. Es stürzte um. Sein grünlicher Inhalt ergoss sich über den Gartenweg und flutete uns entgegen. Verärgert sah ich hinter meinem Freund her, denn wir alle bekamen schlammige Füße, nur er nicht.

Und schon standen vor einem Portal, welches von zwei Halbsäulen eingerahmt wurde, überdacht von einem ziegelgedeckten Giebel. Volpe stapfte die drei steinernen Stufen empor, rüttelte vergebens an der Tür und murmelte schließlich:

»Ohne Werkzeug kommen wir nicht hinein. Obwohl ich wüsste, wie man hier einbrechen könnte, will ich es lieber nicht tun. Sagten Sie nicht, Signore Grana, Sie hätten bereits die Wache von Chiesa d‘Alpago benachrichtigt?«

Der Priester nickte.

»So wollen wir uns denn als gesetzestreue Genossen noch eine Weile in Geduld üben. Lange kann es nicht mehr dauern, bis sie da sind. Höre ich nicht schon das Geräusch der Räder eines Jeeps auf dem Schotter des Feldwegs?«

Volpe hatte wieder einmal Recht: In zügiger Fahrt kam ein kleiner grüner Geländewagen gebraust. Auf den Vordersitzen des betagten Lada hockten zwei uniformierte Carabinieri, der jüngere der beiden am Steuer.

Der Wagen kam zum Stehen. Der Beifahrer sprang leichtfüßig heraus und rannte auf uns zu. Als er Volpe gewahrte, strahlte er über das ganze Gesicht.

»Welch eine Freude«, rief er im Näherkommen, »der berühmte Giuseppe Tartini ist hier! Wie oft habe ich meinen venezianischen Kollegen di Fusco beneidet, wenn er mit ihm Seite an Seite einen Fall lösen durfte. Ich bin Commissario Michele Ferrano – und das ist mein Assistent Tito Antonini.«

»Die Freude auf meiner Seite ist ebenso groß«, sagte Volpe, »denn ich habe von etlichen Fällen gehört, die Sie tadellos zum Abschluss brachten. Kommen Sie bitte mit und werfen Sie einen Blick durch das Fenster! Das bringt mehr als alle Worte.«

Die beiden Carabinieri nahmen Volpe in ihre Mitte. Gemeinsam schritt man zum oben beschriebenen Fenster, um hineinzusehen. Der junge Mann, der noch keine große Erfahrung hatte, stieß einen Schrei aus, lief grünlich an, rannte in die Weite des Gartens und erbrach sich.

»Ein tolles Stückchen«, murmelte Ferrano und war aschfahl geworden, »so ziemlich der scheußlichste Anblick meines Lebens, und ich habe schon so manches gesehen, manches erlebt; und was hörte ich vom Priester? Das Haus ist verrammelt und der Riegel von innen vorgeschoben? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber ich habe für alle Fälle eine Axt mitgebracht.«

»Ausgezeichnet«, sagte Volpe, »Sie sind eine Leuchte unseres Berufes und haben an alles gedacht. Gehen wir ans Werk!«

»Tito«, sagte der Commissario zu seinem Rekruten, der mittlerweile käsebleich zurückgekehrt war, »nimm dieses eiserne Gerät und hacke die Tür vorschriftsgemäß auf!«

»Eine Vorschrift fürs Türaufhacken?«, staunte ich.

»Geübt ist geübt«, sagte Signore Ferrano, »denn wo kämen wir hin, wenn wir es da nicht zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hätten? Diese Dickschädel von Bauern verschanzen sich doch bei jeder Gelegenheit in ihren Hütten, und sei es nur, weil sie die Frau Gemahlin windelweich gehauen haben und jetzt die halbe Leiche nicht herausrücken wollen.«

Tito beäugte die Haustüre mittlerweile misstrauisch; dann rüttelte er an ihr und sagte: »Es ist tatsächlich ein Riegel vorgeschoben.«

»Weißt du, wo er zu finden ist?«, fragte Ferrano ihn.

»Das erkennt man meistens daran«, sagte er und zeigte auf die runden Köpfe von vier rostigen Nieten.

»Auf der Außenseite des Türblattes sieht man diese rotbraunen Dinger. Jeweils zwei sind auf der Innenseite miteinander verbunden; und durch die dadurch entstehenden Ösen ist der Riegel geführt, der dann in eine Nische der seitlichen Mauer geschoben werden kann. So gehen fast alle Riegel der sturen Bauern hierzulande im Alpago.«

Mir leuchtete das ein. Tito nahm die Axt zur Hand, holte möglichst weit aus und ließ sie dann mit donnerndem Getöse auf dem Reich der Nietenköpfe hernieder sausen. Als er das einige Male getan hatte, öffnete sich die Haustür wie von selbst und pendelte ächzend in den Angeln. Uns gähnte ein düsterer Korridor entgegen, in dessen Halbdunkel sich auf der rechten Flanke die Umrisse verschiedener Türen abzeichneten. Linksseitig war die Halle an die Außenwand angefügt und endete an einer Treppe ins Obergeschoss. Wir standen starr und lauschten angestrengt; kein Geräusch; alles totenstill.

Signore Ferrano gab Volpe mit einem Zeichen zu erkennen, dass er ihm den Vortritt ließ. Vorsichtig betrat er den Gang und starrte auf die Fliesen. Sie waren ausgetreten, wiesen aber nicht die geringsten Spuren auf.

Üble Luft, die mit ekelhaft-faulig nur unzureichend beschrieben wäre, strömte uns entgegen und zischte an uns vorbei, hinaus in die Frische des Morgens. Sie benahm uns den Atem und ließ uns würgen. Entsetzt blickten wir einander in die Augen, denn dieser Aasgeruch konnte nur aus dem Reich der Toten kommen.

Die Tür zum Wohnzimmer, in dem die Leichen liegen mussten, stand halb offen und bewegte sich, indem sie in die Halle hinein pendelte, knarrend in der Zugluft. Ich vernahm das kratzende Geräusch der in ihr schmarotzenden Holzwürmer. Mir ward unheimlich zumute. Ich wollte, ich wäre in unserem schönen Venedig und nicht hier auf dem Lande. Wie oft hatte mich Volpe schon davor gewarnt, die ländliche Einsamkeit mit einer Idylle des Friedens zu verwechseln.

Wir folgten ihm und tasteten uns bis zur besagten Tür des Wohnzimmers vor. Der Anblick, der sich bot, war grässlicher als alles, was ich jemals gesehen hatte. Die Geschwister hockten einander gegenüber am Tisch, auf dem die Karten in wirrem Durcheinander neben den Gläsern lagen. Der dritte und vierte Stuhl war an der Wand zerschmettert worden. Das Vertiko lag umgestürzt auf dem Estrich. Ich wandte meine Blicke der toten Frau zu.

Cecilia mochte zu Lebzeiten als schöne Frau gegolten haben. Die meisten Frauen hätten sie um ihre Figur beneiden können, wie sie da erstarrt im Lehnstuhl hing, diese Dame von Mitte dreißig, den Leib in ein ärmelloses blaues Kleid gehüllt. Ihr fein geschnittenes, vom Blondhaar umwölktes Gesicht hätte noch im Tode als anziehend gegolten, wenn es nicht schwärzlich angelaufen wäre und samt dunkler, heraushängender Zunge und offen stehender Glotzaugen Ausdruck unerhörten Grauens gewesen wäre.

Ein langes Küchenmesser war ihr in die Brust gerammt worden, aus der aber nur wenig Blut geflossen und dann geronnen war. Ein Schwarm schwarzer Fliegen suchte brausend das Weite. Sie waren zur Eiablage durch das fingerbreit offen stehende Fenster der nebenan liegenden Toilette eingedrungen.

Volpe gab mir ein Zeichen. Ich ging mit schlotternden Beinen hinein, öffnete den einen Fensterflügel, um die eklige Luft hinauszulassen, schritt dann zu Cecilia hin, um sie zu untersuchen, während die anderen stumm auf der Schwelle verharrten.

Sie war kalt und steif. Ich nahm eine feine Schere aus meinem Köfferchen hervor und trennte das Gewand an eben der Stelle auf, wo die Klinge hindurchgestoßen worden war. Der Täter hatte sie der Frau mitten ins Herz hinein gestoßen und stecken lassen. Es war aber kaum Blut hervorgetreten. Mühsam drehte ich mich um und krächzte:

»Der Tod ist nach all meiner Erfahrung gegen 0.30 Uhr eingetreten. Sie muss schon eine Weile tot gewesen sein, als man ihr dieses Messer da durch die Rippen rammte, mitten ins Herz hinein. Warum eine Tote töten wollen, ist hier die Frage.«

»Gut«, sagte der Carabiniere, »dann untersuchen Sie bitte auch noch die Leiche des Mannes!«

Sesto saß krumm auf einem Korbstuhl und hatte beide Hände auf den Tisch gestützt. Im Gesicht ähnelte er seiner Schwester in jeder Hinsicht. Auch er war im Grauen zu Stein erstarrt. Nie zuvor hatte ich eine derart entstellte Miene gesehen. Im Unterschied zur Schwester hing ihm die Zunge nicht so weit heraus. Dafür waren seine Zähne gebleckt und hatten sich ins Fleisch der Zunge verbissen. Die Haare sträubten sich noch im Tode. Seine rechte Hand wies geringe Blutspuren auf.

Ich untersuchte die Leiche nach allen Regeln der Kunst und sagte schließlich, nachdem ich das Zimmer wieder verlassen hatte: »Auch er ist schon stundenlang im Jenseits. Allerdings deuten die Anzeichen darauf hin, dass der Tod nicht vor ca. 3.00 Uhr eingetreten ist. Vermutlich hat er noch eine Zeitlang getobt und im Irrsinn der Schwester das Messer in die Brust gestoßen.«

»Vielleicht; vielleicht auch nicht; nur keine voreiligen Schlüsse«, murmelte Volpe und ging vorsichtig in den Raum hinein, um ihn mit leichten und raschen Schritten zu durchmessen. Ich sah, wie er durch das Fenster in den Garten hinaus blickte, gewiss, um zu sehen, wer oder was dort in der vergangenen Nacht gewesen war.

Dann warf er noch einen letzten Blick auf die völlig heruntergebrannte Kerze in ihrem kleinen roten Blecheimer.

Es war eben die Art, wie man sie gerne bei Sommerpartys im Freien verwendet. Ganz unten gewahrte ich, als ich ihm über die Schulter blickte, eine erkaltete schwärzliche Masse, hässlich verklumpt. Kein ein einziges Mal sah ich das Aufleuchten der Augen meines Freundes. Er hatte keine Spur entdeckt.

»Warum nur die Kerze? Das gibt keinen Sinn«, murmelte er.

»Es war eine ungemütliche Nacht, letzte Nacht«, bemerkte Signore Ferrano, »und da haben sie eben die Leuchte angezündet. Viele Leute machen das so, und dann ist sie solange herunter gebrannt, bis dieser stinkende Wachshaufen übrig blieb, eine Mischung von Wachs, Ruß und erloschenem Docht.«

»So wird es wohl gewesen sein«, sagte Volpe resigniert, »und es dürfte jetzt das Beste sein, die Kripo von Belluno zu holen, um die Leichen in die Pathologie zu schaffen. Für Sergiu und mich ist hier leider nichts mehr zu tun. Wir werden noch heute eine schriftlichen Bericht an Sie senden.«

»Du glaubst also, es waren die Geister der Hölle?«, fragte ich.

»Es scheint so gewesen zu sein«, erwiderte Volpe gedehnt, »aber es gibt gewiss auch eine natürliche Erklärung. Vielleicht hätten die beiden das Zimmer besser lüften sollen, denn möglicherweise stiegen von der dicken Kerze Dämpfe auf, die ihnen den Atem raubten. Doch was kann ich aus dem Klumpen im Eimerchen jetzt noch herauslesen? Mit diesem jämmerlichen Rest, den uns die tote Flamme hinterlassen hat?«

»Schön und gut! Aber all das erklärt überhaupt nicht, warum sie solche Fratzen schneiden. Wenn sie nur erstickt wären, wären sie friedlich eingeschlafen«, erwiderte ich wichtigtuerisch, »denn die Kohlenmonoxidvergiftung ist so sanft, dass sie gerne auch von Selbstmördern genutzt wird.«

»Du hast vollkommen recht, mein Lieber«, sagte Volpe, »und darum werde ich das verrußte Eimerchen weiterhin in meine Überlegungen mit einschließen.

Meine Herren, mit Ihrer Erlaubnis werden Sergiu und ich uns jetzt in unser gastliches Haus zurückziehen. Hier ist nichts Weiteres zu entdecken. Ich will mir alle Aspekte durch den Kopf gehen lassen. Sollte ich auf eine von Geistern freie Lösung stoßen, werde ich Sie umgehend davon in Kenntnis setzen.

Und Ihnen, lieber Kollege Ferrano, wird mein Freund einen speziellen ärztlichen Bericht über den Tod der beiden zugehen lassen, welchen Sie als Teil der Akte betrachten können. Arrivederci, amici carissimi – lebet wohl, meine liebsten Freunde!«

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