Читать книгу Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 17

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6. Teil: Dottore Medico Anselmu Tigurinu zu Besuch


Niemandem in meinen Kreisen muss ich erklären, wer die mächtige Gestalt war, die sich da in einen unserer zu klein geratenen Korbsessel gezwängt hatte. Dieses von grau-meliertem krausen Haar und imposantem Vollbart eingerahmte Gesicht mit seiner markanten Adlernase, welches an den olympischen Zeus erinnerte, war allbekannt. Leider ist er seit seiner letzten Expedition verschollen. Böse Zungen munkeln, die Ureinwohner am Amazonas hätten ihn geschlachtet und gefressen.

Jetzt erhob sich der Hüne, und sein olympisches Lockengebirge berührte fast die Decke des Speiseraumes, in welchem wir uns zur Cena eingefunden hatten. Mit beiden Händen stemmte er sich gegen die Sessellehnen, um die lästige Sitzgelegenheit hinterrücks abzustreifen. Dann grüßte er mit leicht angewinkeltem rechten Arm samt zugehöriger Pranke. Die Hand hingegen reichte er uns nicht.

Es gab damals in ganz Italien kaum eine zweite Persönlichkeit, die bei uns Medizinern einen so hohen Bekanntheitsgrad genoss wie Dottore Tigurinu, dieser kühne Forscher. Einmal, das wird glaubhaft berichtet, hatte er einen Jaguar niedergerungen und ihm den Dolch ins Herz gestoßen.

Zurzeit aber hielt er sich hier im Alpago auf. Wiederholt hatten wir ihn aus der Ferne bewundert, aber zu einem Treffen war es nicht gekommen. Doch jetzt war er erstaunlicher Weise unaufgefordert zu uns gekommen, obwohl er als Eigenbrötler bekannt war, der sich noch nie in die Angelegenheiten eines Nachbarn eingemischt hatte. Ohne wenigstens ein kleines ,Buon Giorno, Signori‘ zu sagen, ließ er seinen Bass erdröhnen und fiel mit der Tür ins Haus.

»Die dämlichen Dorfbullen haben keine Ahnung von Tuten und Blasen, diese Vollidioten«, knurrte er grimmig, statt uns zu begrüßen. Wir setzten uns wortlos zu Tische und starrten ihn an. Er nahm zum zweiten Mal das Wort.

»Genau darum bin ich hier und denke, ein so intelligenter Mann wie Sie, Signore Tartini, hält nichts von Geistern und denkt an Mord. Warum ausgerechnet ich zu Ihnen gekommen bin, was mich das alles angeht, fragen Sie sich, nicht wahr? Das sehe ich Ihnen beiden doch schon an der Nasenspitze an!«

Volpe nickte nur und legte die Fingerspitzen aufeinander. Dr. Tigurinu nahm wieder Platz im knarrenden Korbstuhl und leerte einen großen Becher, den ihm der Hausdiener kredenzt hatte, in einem Zug. Während er wieder gefüllt wurde, fuhr er fort.

»Dass ich hierher gekommen bin, findet seinen Grund darin, dass ich gerne im Alpago verweile, um mich von den Strapazen des Urwaldes zu erholen. Von daher kenne ich auch die drei Lupo-Geschwister, von denen jetzt zwei im Jenseits sind.

Ihr Tod hat mich geschockt. Um fünf Ecken bin ich mit ihnen verwandt. Und da habe ich, obwohl ich mich schon auf der Fahrt nach Milano befand, um meine Maschine nach Rio zu erwischen, auf der Stelle kehrt gemacht. Ich möchte Ihnen bei Ihren Untersuchungen behilflich sein.«

Der Doktor schwieg und blickte abwechselnd auf mich und Volpe; mein Freund sagte: »Und dafür haben Sie Ihr Flugzeug verpasst?«

»Hat nichts zu bedeuten. Ich werde das nächste nehmen. Alle zwei, drei Tage geht eines.«

»Oh, das nenne ich wahre Freundschaft«, sagte Volpe nicht ohne einen irgendwie beißenden Unterton.

»Nun, es handelt sich um zwei verstorbene Verwandte.«

»Das ist korrekt ... über eine Urgroßmutter mütterlicherseits, äh, sind Sie mit ihnen verwandt«, flickte Volpe ein, der sich offenbar gut informiert hatte.

»Aber was ist mit Ihrem Gepäck? War es etwa schon auf dem Jet nach Brasilien verstaut?«

»Leider ja; ich werde es, wenn ich nach Rio komme, am Flughafen in Empfang nehmen.«

»Hm, soso, tsts«, sagte Volpe bösartig schmunzelnd, »aber ich kann gar nicht begreifen, wie Sie vom nur wenige Stunden alten Ereignis haben hören können.«

»Jemand hat mich auf dem Mobilphon informiert. Ich war gestern Abend von hier abgereist und im Carlton zu Milano eingekehrt.«

»Und wer könnte der Beste gewesen sein, der es so wunderbar gut mit Ihnen meinte?«

Dr. Tigurinu ballte seine mächtigen Fäuste. Die Befragung schien ihm unbehaglich zu sein. Volpes Ton gefiel ihm nicht. Er knurrte: »Ist doch meine Angelegenheit; tut nichts zur Sache.«

»Das sehe ich anders. Wenn mir jemand kein Vertrauen entgegenbringt, kann ich nichts für ihn tun.«

»Gut, ich will ganz offen sein. Es gibt ja auch keinen Grund, die Dinge geheim zu halten. Signore Grana war es, der Priester von drüben, der mir eine Mail hinterherschickte.«

»Hat er mir aber gar nicht gesagt, dieser Schlingel«, erwiderte Volpe kichernd, »und da wir jetzt alle Klarheiten beseitigt haben, hihihi, will ich Sie über den augenblicklichen Stand der Ermittlungen informieren:

Es ist eine zugleich unheimliche wie verzwickte Angelegenheit, über die ich mir noch kein Urteil erlauben kann. Zwar weiß ich ziemlich genau, was als Nächstes geschehen wird, bin aber weder willens, es jemandem zu verraten noch, es zu verhindern, obwohl ich es könnte, wenn ich wollte. Schließlich bin ich als Urlauber hier und kein Carabiniere.

In Einem wenigstens darf ich Ihnen meine Zustimmung erteilen, es handelt sich keineswegs um eine Geistergeschichte. Der Täter, wer immer es war, lustwandelte auf natürlichen Bahnen und erfrecht sich jetzt, die Polizei an der Nase herumzuführen. Mehr kann ich noch nicht sagen. Gut Ding braucht Weile!«

»Und dennoch wäre es riesig nett von Ihnen, wenn Sie mir verraten könnten, wen Sie im Verdacht haben.«

»Auch auf diese Frage möchte ich noch nicht eingehen.«

»Gottverdammt schade! Also habe ich mir auf sinnlose Weise die Zeit um die Ohren geschlagen; hätte mehr von einem so berühmten Detektiv erwartet; nun, wie auch immer, leben Sie wohl!«

Dr. Tigurinu erhob sich ächzend und verließ unseren Gasthof in übelster Laune. Von Ferne hörte ich ihn noch leise aber lästerlich vor sich hin fluchen.

Kaum jedoch war er im Zwielicht des hereinbrechenden Abends untergetaucht, als sich Volpe auch schon erhob, um ihm auf leisen Sohlen zu folgen. Vergebens rief ich ihm hinterher, er solle doch wenigstens zum Essen bleiben. Vergebens erinnerte ich ihn daran, dass er hier einen Erholungsurlaub angetreten hätte.

Doch schon war er verschwunden und überließ mir ein doppeltes Menü. Verdrossen aß und trank ich, was das Zeug hielt. Alleine zu Tische zu sitzen, war nicht unbedingt meine Sache.

Schon war die Nacht hereingebrochen und es bereits nach 23.00 Uhr, als er endlich zurückkehrte. Er sah fürchterlich aus. Alles, aber auch alles, was er am Leib trug, musste der Wäscherei des Hauses anvertraut werden.

Langsam und mit zerzaustem Rotschopf stolperte er ins Speisezimmer und ließ sich auf den erstbesten Stuhl fallen, während ihm der Diener des Hauses einen gläsernen Humpen mit verdünntem Wein reichte.

Seine Augen waren erloschen; das Gesicht ausdruckslos. Die Hände zitterten, als er beidhändig die Trinkschale an den Mund führte, um sie gierig auszuschlürfen.

Ich schloss daraus, dass er einen Misserfolg eingefahren hatte, und als der Diener ihm einen Eilbrief auf einem silbernen Tablett überbrachte, ein Faksimile, las er ihn kurz, um ihn dann in den angeheizten Kamin zu schleudern. Dem Kellner drückte er zwei Euro Trinkgeld in die Hand.

»Was war das für ein Brief?«, fragte ich ihn erstaunt.

»Er stammt von Inhaber des Hotels, in welchem Tigurinu abgestiegen sein wollte, dem Carlton zu Milano. Der Portier bestätigt die Aussage des Doktors. Es sieht also danach aus, dass er die letzte Nacht in den Federn des Carlton Hotels verbracht hat und als Täter ausscheidet.

Dass er aber dann, unerachtet sein Gepäck schon auf dem Flieger war, hierher zurückkehrte, um uns, wie er gnädig meinte, bei unseren Untersuchungen behilflich zu sein – oder war es umgekehrt, und wir sollte ihm zur Seite stehen? – was könnte das zu bedeuten haben, mein Lieber? Oder glaubst du noch an das Märchen mit der Urgroßmutter, die unser kleiner Mann ja nie gesehen hat?«

Ich dachte nach; dann hatte ich die Lösung parat und sagte: »Es muss also mehr als nur verwandtschaftliche Anteilnahme gewesen sein, wenn Dottore Tigurinu Kehrt machte.«

»Ganz recht! Und was ist grundsätzlich bei jedem Verbrechen zu beachten, he? Nun, mein Lieber? Erinnerst du dich?«

»Äh«, sagte ich, während ich mich am Kopf kratzte, »du pflegst mit Monsieur Bertillon zu sagen: cherchez la femme!«

»Genau, genau«, sagte Volpe kichernd und händereibend, »denn das alleine ist der Grund, warum unser Doktor so eilig zurückkehrte, auch wenn sein Gepäck dadurch alleine auf Reisen ging. Und an eben dieser Stelle wird es uns gelingen, den Gordischen Knoten zu durchhauen, der uns da schier unlösbar anlächelt. Ich denke, wir werden noch einiges an Beweismaterial zusammentragen müssen, bis wir soweit sind, den Fall als gelöst zu betrachten. Ein in Kürze eintretendes unappetitliches Geschehen, auf das ich schon warte, wird uns weiterhelfen.«

Als ich Volpe fragte, was er damit meine, betonte er, dass es sich nur um eine Theorie handele. Daher wäre es das Beste, wir hauten uns aufs Ohr, um am kommenden Morgen den Dingen mit frischen Kräften zu Leibe zu rücken. Er bestellte für uns noch rasch den Pranzo (Frühstück), bestehend, so er herrisch, nur aus einer mit Butter und Käse belegten Scheibe Vollkornbrot samt einem Humpen mit Wasser verdünnter Milch.

Ferner verlangte er nach dem für das Rasieren zuständigen Diener; und das alles forderte er für die Zeit zwischen 6 und 7.00 Uhr des kommenden Tages, ohne mir zu erklären, warum jetzt auch er unter die Frühaufsteher geraten sei, wo er doch sonst einen guten Schlaf in den Tag hinein liebt. Dass mir frische Austern auf Weißbrot samt verdünntem Wein lieber gewesen wären, wage ich hier am Rande zu bemerken.

Bevor wir schlafen gingen, drängte ich Volpe wenigstens noch eine Schale dampfenden Vollkornbreis mit Gemüse auf, welchen er sonst so liebt, damit er nicht mit leerem Magen zu Bette ginge. Dann zogen wir uns nach einem kleinen Umweg über das erfrischende Bad auf die Zimmer zurück, um uns erschöpft in Morpheus Arme zu werfen.

Hätte ich geahnt, was am kommenden Tag auf mich zukam, wäre mir kein einziges Stündlein des Schlafes beschieden gewesen.

Lagunenmorde: Detektiv Volpe ermittelt: 5 Venedig Krimi-Bücher

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