Читать книгу Fünf Jahreszeiten - Meral Kureyshi - Страница 10

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Nikola schläft noch unter der Treppe, während ich den Raum im neuen Anbau beaufsichtige. Mein Telefon klingelt laut, ich stelle es auf leise, verschwinde auf der Toi­lette. Anne möchte wissen, wo ich bin, was ich mache und ob es Manuel gutgehe.

Nichts, sage ich, wie immer, ich bin im Museum und kann jetzt nicht sprechen, es geht mir gut. Manuel geht es auch gut.

Es schneie auf Babas Grab, sie käme fast nicht durch den Friedhof. Das Gebüsch auf dem Weg sei schon hoch genug, dann noch der Schnee.

Jeden Freitag bringt Anne Baba Blumen, die weit weg wachsen, sie betet im weißen Kopftuch, das ihre grau gewordenen Locken verdeckt, in einer Sprache, die sie nicht spricht.

Anne kniet auf den Boden, sie berührt den Grabstein, ihre Tränen sickern durch die Erde, landen eine nach dem anderen auf Babas Gesicht, so stelle ich mir vor.

Ich fühle mich einsam, will ich Anne sagen und schweige.

Schritte sind zu hören, ich wecke Nikola, der sich reckt und streckt, als läge er im weichen Bett. Nikola wartet nicht, auch nicht auf etwas Besseres.

Wie lange habe ich geschlafen?, fragt er.

Diese Scheißarbeit, sagt Nikola, ohne eine Antwort zu erwarten, stößt beim Aufstehen mit seinem Kopf an die Treppe, geht weiter, als hätte ich es nicht gesehen.

Was wollen wir hier eigentlich?, fragt er, während er sich den Kopf reibt.

Ich weiß es auch nicht, will ich antworten, doch er ist schon weg. Irgendetwas muss man ja machen, die Rechnungen zahlen sich nicht von allein.

Als ich den Vorhang etwas zur Seite ziehe, um aus dem Fenster zu schauen, leuchten die ersten Lichter auf der Brücke zu meiner Linken und auch auf der Brücke rechts vom Museum.

Zwischen den kahlen Ästen fließt leise die Aare, die man von hier aus nur im Winter sehen kann. Die dunklen Bäume zeigen sich nackt, erst jetzt zeigt sich ihr verletzliches Gerüst, das im Sommer hinter dem dichten Grün verborgen liegt.

Es ist, als würden die Bäume miteinander tanzen, so langsam, dass mein Auge ihre Bewegungen verpasst, sie bewegen sich genau dann, wenn ich blinzle. Vielleicht blinzeln wir auch nur, damit wir nicht alles sehen müssen.

Nikola arbeitet nur an Wochenenden und Feiertagen im Museum, an diesen Tagen verdient man mehr. Er spielt Gitarre in verschiedenen Bands, seine Eltern bezahlen sein Studium in Kunstgeschichte, die Wohnung auch, nur seine Versicherungen und den Rest muss er selbst bezahlen. Ich beneide Nikola um seine Sorglosigkeit. Mein Geld reicht knapp für die Miete, die ich mit Manuel teile. Im Museum kann ich nicht täglich arbeiten, die Arbeit ist schlecht ­bezahlt. Manuel verdient mit seiner Vierzigprozentanstellung als Assistent in der Universität weniger als ich.

Babas Leichentransport, die Reise und die Beerdi­gung haben so viel Geld gekostet, dass ich Jahre dafür brauchen werde, um es abzuzahlen. Der rote Mercedes muss auch noch bezahlt werden, obwohl er auf dem Schrottplatz gelandet ist. Babas Schulden bei einem Kriminellen auch, wo er sich Geld geliehen hatte, unser Geld reichte nie aus.

Ich mache das schon, habe ich Anne und meinen jüngeren Geschwistern versprochen, macht euch keine Sorgen.

Unter den Lauben gehe ich nach Hause. Der Stars Coiffeur hat noch geöffnet, der Friseur winkt mir aus dem Neonlicht im Laden, als ich vorbeigehe, wir haben noch nie miteinander gesprochen. Eine Frau lässt sich gerade von ihm die Haare färben, ein Kopfhörer steckt in seinem Ohr.

Im Mery’s Couture ist wie immer niemand, nur die Verkäuferin schaut auf ihr Handy. Im kleinen Kioskhäuschen unter dem Turm mit der großen Uhr kaufe ich einen Lottoschein, wie es Baba immer getan hat, ich trage wie er die Geburtsdaten unserer Familie ein, gebe sie der älteren Dame mit den blond gefärbten Haaren und wünsche ihr einen schönen Abend. Bis nächste Woche, sagt sie.

Bei Tong Fong sitzt Manuel und liest in einem Buch.

Wie immer?, fragt die Frau hinter dem Tresen, sie trägt eine Schürze und eine Haube, ihr Mann lächelt aus der ­Küche und winkt mir zu.

Wie immer, sage ich und warte unter dem grellen Licht auf den gebratenen Reis, den er in einem großen Wok zubereitet. Die Fenster laufen an, auch die Brille von Manuel, die er neben sein Buch auf dem Plastiktisch legt. Ich nehme aus dem Kühlschrank einen Saft und setze mich zu ihm.

Er sei beim Joggen an der Aare einem Kormoran begegnet, der einen Fisch hinuntergewürgt habe, der langsam in seinem Bauch verreckt sei. Manuel pickt an seinem Reis ohne Sauce und ohne Fisch, Zutaten, die er sonst immer nimmt. Auf dem Nachhauseweg liest er in seinem Buch weiter, während ich ihn führe.

Er ist tollpatschig und stolpert oft, auch wenn er nicht gerade am Lesen ist. Zu Hause lässt er alle seine Sachen liegen, Chaos stört ihn nicht, mich schon, und das führt oft zu Streit.

Manchmal bin ich sogar eifersüchtig auf seine Bücher, mit denen er vorsichtig umgeht, keine Seite faltet, sie ­behandelt, als wären sie aus Porzellan. Wenn ich in einem seiner Bücher lesen will, gibt er mir Anweisungen, wie ich blättern soll, nicht an den Ecken, das gäbe Eselsohren.

Fünf Jahreszeiten

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