Читать книгу Fünf Jahreszeiten - Meral Kureyshi - Страница 12

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In der Junkernbar sitzt Paul an einem runden Tisch neben einem großen Glas Bier und liest in einer Zeitung. Seine Stoffhose ist etwas zu weit, die Hosenträger über dem ­weißen Hemd. Seine Weste hat ein Loch am Ellbogen, die Lederschuhe glänzen. Seine weißen Haare versteckt er unter einem Filzhut. Die weiteren Tische stehen leer, der Kellner poliert die Gläser, er wirft das Handtuch über seine Schulter, während er mit Paul spricht, der sich über die Bar lehnt. Paul schaut aus dem Fenster. Er nimmt einen Schluck von seinem Bier, danach wischt er sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund.

Er lächelt, als er mich in den Lauben entdeckt, und winkt hinter der Scheibe. Ich habe keine Lust auf eine Diskussion, doch ich möchte nicht unhöflich sein und betrete die Bar, setze mich zu Paul, bestelle einen Kräutertee, in der Hoffnung, müde zu werden. Paul bestellt noch ein großes Bier und legt seinen Filzhut auf den Tisch.

Manchmal verschluckt mich die Nacht. Meistens rettet Paul mich aus der Stille und lässt mich für einen Moment vergessen.

Eine Maus kriecht unter dem Tisch durch, sucht nach Resten des Tages, ich ziehe meine Beine hoch.

In den Bergen riss ein Wolf zwei Schafe, dazu eine Ziege. Nun wollen die Bewohner eine Abschussbewilligung, den Tod des Wolfes. Paul lacht laut mit der Zeitung in seinen Händen. Er legt sie auf den Tisch, ein Foto zeigt einen Wolf in einem Wald.

Aber damit will ich Sie nicht langweilen, bitte entschuldigen Sie, sagt Paul.

Ich verschütte heißen Tee über meinen grauen Pullover, der so viele Löcher hat, dass der Versuch, ihn zu flicken, sinnlos wäre. Das passiert oft, sage ich zu Paul, ich glaube, mein Mund ist nicht richtig geformt.

Paul greift nach einer Postkarte, die zwischen den Zeitungen liegt. Die dritte Version der Toteninsel, habe er in der Alten Nationalgalerie gesehen. Sie tauche nebenbei in ­bedeutenden Werken auf, so viel sei über sie geschrieben und gesagt worden, dass ihm die Worte fehlen würden, etwas Neues zu denken. In jeder Version stehen die Spitzen der Zypressen anders, der Wind weht anders. In einem Museumsshop habe man Schirme mit einem Aufdruck davon kaufen können, Paul schüttelt den Kopf, während er einen großen Schluck nimmt.

Man fürchtet sich vor der Schönheit, will auf keinen Fall trivial sein oder gar sentimental, sage ich.

Paul verschluckt sich, er hustet laut.

Da will wer widersprechen, sagt er lachend, ich glaube sogar zu wissen wer, Sie erinnern mich an meine verstorbene Freundin, sie widersprach mir immer, auch wenn sie derselben Meinung war.

Das würde Manuel unterzeichnen, er wirft mir vor, aus Trotz immer die Gegenposition einzunehmen.

Was haben Sie gesagt?, fragt Paul.

Dass man sich vor der Schönheit fürchtet, sage ich.

Ach ja, das ist gut, dass man sich vor der Schönheit fürchtet, denn die kann gewaltig sein, sagt Paul.

Die ganze Welt steht in Flammen, nur sie könnte ihn retten, erklingt aus den Boxen. Der weiße Plattenboden ist nass geworden und der Ledersessel auch. Kopien von bekannten Künstlern hängen an den gelb gestrichenen Wänden, nicht wie im Museum. Die Zeichnung einer nackten Frau klebt schräg in einem schwarzen Rahmen, der nicht passt.

Die Musik erlaubt mehr Kitsch, sage ich, Paul lacht laut.

Allerdings, sagt er.

Wenn Paul ein Tier wäre, dann wäre er eine Maus, vor allem, wenn er lacht.

Fünf Jahreszeiten

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