Читать книгу Fünf Jahreszeiten - Meral Kureyshi - Страница 6
ОглавлениеManuel schläft tief und fest neben mir. Wenn ich mich zur Seite drehe, dreht auch er sich und hält mich in seinen Armen so fest, dass ich nicht atmen kann. Sein Körper ist wärmer als meiner, auch zieht er die Decke nicht über sein Gesicht, wenn er schläft, wie Adam es immer getan hat.
Als es ganz still wird, so still, dass die Gedanken zu laut werden, der Mund trocken, die Zunge schwer, verlasse ich die Wohnung.
Es ist noch zu früh, die Arbeit im Museum fängt erst in ein paar Stunden an. Der Mond sieht aus, wie ich ihn als Kind gezeichnet habe. Von der gepflasterten Straße sehe ich hoch in den dritten Stock, bemerke das Licht in der Wohnung hinter den Fenstern mit den vertrockneten Tomatensträuchern.
Es hat aufgehört zu regnen, und ich warte auf den Schnee. Der Brunnen ist zu hören, auf dem ein Löwe steht mit einem Speer. Das Wasser lässt sich fallen, es hat keine Wahl. Kerzen leuchten hinter anderen Fenstern, auch sie warten auf Weihnachten. Die meisten Fenster haben keine Vorhänge.
Hallo?, rufe ich leise durch die Laube, meine Stimme erklingt wie von weit her, sie zittert durch die Gassen.
Es antwortet niemand.
Die Gasse führt hinunter, sie macht einen kleinen Bogen nach links und mündet in eine größere Straße. Die Brücke ist mit Steinen gepflastert, unten fließt im Dunkeln der Fluss zäh wie Pech, die Laternen leuchten gelb.
Hinter dem Hochsicherheitszaun schlafen die Bären noch, Kameras bewachen sie. Erst kürzlich war ein geistig verwirrter Mann in das Gehege gesprungen und wurde dabei schwer verletzt. Ein Stacheldraht schützt zusätzlich das Gelände. Wenn die Bären nicht schlafen können, gehen sie im Kreis, als würden sie ihren eigenen Spuren folgen. Jetzt sind nur dunkelgraue Büsche zu sehen, die Nacht hat ihre Farben versteckt.
Über die dicke Mauer der Brücke hingen Adam und ich kopfüber, und ich ließ meinen Kaugummi ins Wasser fallen.
Jetzt erstickt ein Fisch daran, sagte Adam.
Eine Treppe führt hoch zum Obstbergquartier, wo es keine Restaurants oder Cafés gibt, wo Familien wohnen hinter den prachtvollen Fassaden. Wo kleine Roboter, die den ganzen Tag unermüdlich ihre Runden drehen, um den Rasen zu mähen, im Keller Winterschlaf halten.
Ich gehe an den Bären vorbei rechts die Straße hoch, von der zweiten Bank am Hang schweift mein Blick über die Stadt, zu den zwei Brücken, über die Dächer bis hin zum Münster.
Die Lichter der Stadt leuchten wie Glut in der Asche.