Читать книгу Fünf Jahreszeiten - Meral Kureyshi - Страница 15
ОглавлениеAuf der Treppe vor dem Museum kommt Nikola auf mich zu.
Was hast du?, fragt er. Als ich die Schultern hebe, küsst er meine Wange.
Je weniger ich an Adam denken möchte, umso mehr denke ich an ihn, sage ich.
Du hast dich doch gegen ihn entschieden, mehrmals sogar, sagt Nikola. Und wie lange müssen wir eigentlich noch warten, bis das große Tor sich öffnet für uns Gefängnisinsassen?, fragt er.
Warum wir nicht Gefängnisinsassinnen für beide Geschlechter gebrauchen würden?, fragte ich, in den Gefängnisinsassinnen ist der Gefängnisinsasse enthalten, umgekehrt nicht.
Ich bin doch kein Musikerin, das klingt bescheuert, sagt Nikola.
Nein, sage ich, das klingt wunderbar, du bist auch ein Studentin.
Auch ein Freundin?, fragt er.
Ja, auch ein Mitarbeiterin im Museum, sage ich.
Und was ist mit den Pronomen?, fragt Nikola.
Das große Tor geht auf, wir betreten die leeren Räume, die bei jedem Schritt hallen.
Als Erstes bringe ich die Briefe mit den Paketen zur Post.
Neben dem Kalkbrunnen stehen riesige, prall gefüllte Müllsäcke und gebündelter Karton. Ein Mann, der in einer winzigen Kabine sitzt, stopft mit seinem Kranarm Baumstämme in ein Maul mit Riesenzähnen. Er füttert ihn so lange, bis nichts mehr übrig bleibt, aus einer Öffnung fällt Sägemehl in einen großen Bauch aus Plastik.
Nach langem Warten bei der Post erscheint meine Zahl auf der Tafel, und ich gehe zum Schalter C.
Ob ich ein Glückslos kaufen möchte, fragt mich die Mitarbeiterin hinter dem Glas, das hochgeht, ich gebe ihr die Pakete rein, dann geht das Glas wieder runter, nur ein Spalt bleibt offen.
Nein danke, sage ich.
Wie in einem Kiosk gibt es Süßigkeiten zu kaufen, Telefone, Bestsellerromane und Bürosachen, auch Müllsäcke kann man bei der Post kaufen. Als Kind bin ich oft mit Baba zur kahlen Post ohne Süßigkeiten, um farbig gemusterte Taxcards zu kaufen, damit wir in der Telefonkabine mit unseren Verwandten sprechen konnten. Wir stopften uns alle rein, der Zigarettenrauch umgab uns, ich hustete laut, Babas Asche von der Zigarette zwischen seinen Lippen fiel auf meine Haare, Anne strich sie weg und nahm ihm die Zigarette aus dem Mund, um sie auf den Telefonbüchern auszudrücken. Hier, sprich mit deiner Tante, sagte Anne, und sprach vor, was ich sagen sollte. Meine Schwester weinte in ihren Armen. Mein Bruder kauerte am Boden und versuchte hinauszublicken. Ich wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht und sprach Annes Worte nach.
Ich mache einen Umweg zurück ins Museum, friere eine Weile auf der zweiten Bank bei den Platanen. Mit dem Taschenmesser ritze ich ein Herz in den grünen Lack der Bank und komme mir albern vor, als Nikola anruft und fragt, wo ich so lange stecke, Alice habe schon nach mir gefragt, ihm würden keine Ausreden einfallen. Seine Stimme hallt auf der Toilette. Ich gehe schnell zurück, am Kino vorbei, höre Musik, um die Erinnerung zu fälschen, vergessen kann ich nicht.