Читать книгу Fünf Jahreszeiten - Meral Kureyshi - Страница 16
ОглавлениеIm Museum lag gestern eine schwarze Schnur auf dem Boden in der Eingangshalle, die ich hinter eine Wand warf, an der die kostbaren, pastellfarbenen Gärten hängen.
Der Künstler malte sie vor mehr als hundert Jahren in einem kleinen Dorf. Sein Garten diente ihm nicht nur zur Erholung, sondern inspirierte ihn zu seinen Werken. Auf den Seerosen im Teich durften sich keine Wassertropfen befinden, wenn er sie malte, sagt Manuel, der mir mein Mittagessen vorbeibringt, während Nikola mit geschlossenen Augen neben mir steht. Nikola konnte stehend schlafen, das war sicher, natürlich wollte er auch seine Langeweile demonstrieren, wenn Manuel sprach.
Ich bin keine deiner Studentinnen, und jetzt muss ich arbeiten, sage ich zu Manuel.
Im nächsten Raum hängen die Gemälde in einem abgedunkelten Raum ohne Tageslicht, das sie beschädigen könnte, die Blumen auf den Wiesen, die Farben, den Glanz der Zeit. Der Künstler wollte seinen Augenblick teilen, so stelle ich mir vor, und jetzt ist er eingefroren unter künstlichem Licht. Das tut mir leid. Der Augenblick gehört uns nicht. Wir dürfen ihn nur beiläufig erleben.
Nikola kennt alle Orte, an denen man von den Kameras nicht beobachtet wird, wo wir stehen, um miteinander zu sprechen oder einfach nur die Augen zuzumachen, weil das Licht noch heller ist, wenn man zu wenig geschlafen hat.
Muss Manuel auch in seiner Freizeit referieren, dieser Besserwisser?, sagt Nikola.
Lass Manuel doch einfach mal in Ruhe, sage ich.
Margrit winkt lächelnd hinter der Kasse.
Sie nähe Kleider für die Träume, so sagt sie. Manchmal zieht Margrit sie an, bevor sie schlafen geht. Sie seien bunt, hätten nur einen Ärmel oder seien so kurz, dass man die Beine sehen könne. Einige seien durchsichtig. Zu Hause kann Margrit tun, was sie will, sie lebt allein. Manchmal wünscht sich Margrit dennoch einen Menschen, mit dem sie ihre Gedanken teilen könnte. Aber nur manchmal, sagt sie.
Die Glocken der französischen Kirche schlagen laut, als ich gerade nach der Schnur hinter der Wand schaue wie zu einem Kind, das nicht schlafen kann. Der Schall dringt durch die Mauern nur leise in meine Ohren. Auf der hell beleuchteten Wand versuche ich den durchsichtigen kleinen Würmchen nachzusehen, die in meinem Blick schwimmen. Ich fürchte zu erblinden, glaube, dass dieses Phänomen der Anfang vom Ende sein könnte, doch getraue ich mich nicht, darüber zu sprechen, auch nicht zum Augenarzt zu gehen oder im Internet nachzulesen, was es sein könnte.
Mit dem rechten Fuß schiebe ich ein dickes, weißes Haar Schritt für Schritt zu einem Spalt im Parkett, wo es verschwindet.