Читать книгу Fünf Jahreszeiten - Meral Kureyshi - Страница 13

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Im Eingangsbereich des Museums steht jede Woche eine neue Blumenkombination. Jetzt sind da Äste, die gelbe Mascarabürsten tragen.

Ich streife mit dem Zeigefinger darüber, er leuchtet gelb, und tusche meine Wimpern mit den weichen Bürsten der Pflanze, kneife dabei die Augen auf und zu.

Tränen rollen über mein Gesicht, ich kann nicht zur Toi­lette, muss beim Eingang stehen bleiben, mit einem Zähler in der linken, einem Notruftelefon in der rechten Hand, bis Nikola kommt, um mich abzulösen. Die Augen brennen stark.

Nikola übernimmt den Zähler in die linke Hand, das Notruftelefon in die rechte.

Alles wird gut, sagt er, was hast du wieder gemacht?, und ich steige, ohne zu antworten, die Treppen hinunter zu den Toiletten, wasche mir das Gesicht so lange, bis Haare, Pull­over, Hose und Schuhe nass geworden sind. Auch die weiße Ablage ist nass geworden.

Ich sehe aus wie Vadas bester Freund Thomas J., der stirbt, als er von den Bienen gestochen wird auf der Suche nach ihrem Ring, den sie im Wald verloren hat, sage ich.

Nikola schüttelt seinen Kopf, nein, sagt er, Thomas J. ist zu süß, das ist kein guter Vergleich, außerdem stirbst du nicht daran.

Als ich mir diesen Film mit Manuel anschaute, sagte er mit Tränen in den Augen, dass er berührend und traurig sei, die Kinder würden beeindruckend spielen, aber gut sei der Film deswegen noch lange nicht.

Meine Mittagspause verbringe ich in der Notaufnahme. Hier hatte Baba plötzlich aufgehört zu atmen, seine Hand wurde kalt in der meinen. Das Zimmer im Krankenhaus war hell beleuchtet, und draußen wurde es immer dunkler. Onkel Edo überredete mich, ins Zimmer zurückzugehen, um mich von Baba zu verabschieden, zuerst wollte ich das nicht, ich wollte ihn so nicht sehen, erkannte ihn nicht im grellen Licht.

Wo ist Baba?, schrie ich Anne an, sie sagte nichts, niemand sagte etwas. Wo war sein Lachen? Wo sein Ausdruck? Seine zwei kleinen Falten zwischen den Augen waren verschwunden. Ich lief, so schnell ich konnte, aus dem Zimmer, vor dem Krankenhaus setzte ich mich an die frische Luft. Es war der erste September, Baba sechsundvierzig Jahre alt und seine Haare schwarz, er sollte sterben, bevor sie grau wurden.

Beim ersten Mal, als ich Baba nicht erkannt habe, war ich ein Kind gewesen. Bei der Arbeit hatte er sich Verbrennungen dritten Grades zugezogen, er war an einem Strommast hochgeklettert und wollte die Leitungen reparieren.

Als er wieder zu sich kam und wir ihn im Krankenhaus besuchten, erkannte ich ihn nicht. Ich schrie und weinte. Ich bin hier, sagte Baba, ich bin hier, hab keine Angst, meine Haare werden wieder nachwachsen. Jeden Abend strich Anne ihm Schweinefett auf die verbrannte Haut und wickelte seinen Körper ein. Der strenge Geruch liegt mir wieder auf der Zunge.

Ich weiß nicht mehr, welches Wetter damals war oder welche Jahreszeit. Ich weiß nur, dass Baba nicht mehr antwortete. Er lag auf dem Rücken, sein Brustkorb bewegte sich nicht, auch unter seinen Augenlidern. Irgendwann schwieg er für immer, und seine Stimme verschwand mehr und mehr aus meinem Ohr.

Manuel trifft ein, als Anne anruft, sie richtet herzliche ­Grüße aus von Leuten, die mir fremd sind.

Es gehe mir gut, Manuel sei da, ich müsse jetzt auflegen, sage ich.

Manuel fragt, ob ich Schmerzen habe, und wischt die Tränen von meiner Wange.

Nein, sage ich.

Als würdest du eine erfundene Sprache sprechen, so klingt es für mich, wenn du mit deiner Mutter sprichst, sagt Manuel.

Er packt ein Buch aus seiner Tasche, der Bus kommt in zwei Minuten, und es nervt mich, dass er jetzt zu lesen an­­fangen muss. Er steigt lesend ein, liest stehend weiter, liest beim Aussteigen. Er merkt gar nicht, dass ich auf der Straße stehen bleibe, erst nach ein paar Schritten dreht er sich um und ruft nach mir.

Ich bin kein Hund, sage ich.

Die Lichterketten werden entfernt, die Sterne in Kisten verpackt. Der Ausverkauf beginnt in den Läden, die Menschen stürzen sich auf die Schnäppchen in den Wühl­kisten. Das alte Karussell wird zerlegt, der Glühweinstand verschwindet wie die Straßenmusiker. Der Schnee schmilzt in die Straßenabläufe, und die Fahrräder rosten langsam in der Kälte vor sich hin.

Es wird still, so still, dass ich zu summen anfange auf der Straße.

Green Grass, sagt Manuel und fängt an zu singen.

Als Adam unerwartet anruft und ich ihn wegdrücke, schaut Manuel skeptisch auf mein Telefon.

Du hast mir versprochen, sagt er, dass du ihn nicht mehr triffst, dann läuft er wütend davon.

Das tue ich auch nicht, ich habe keinen Kontakt mehr mit Adam, ich reagiere nicht auf seine Anrufe und lösche seine Nachrichten, ohne sie zu lesen.

Die Zeit heilt alle Wunden, so sagt man doch, also warte ich.

Fünf Jahreszeiten

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