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Kapitel 1 Die Ideologie der Automation

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Geistige Arbeit schafft prinzipiell immaterielle Güter. Diese Produkte des menschlichen Denkens verfügen immer schon über einen reflexiven Index zu ihren Ursprungskulturen: Sie bringen ideologische Formen hervor und reflektieren diese auch – entweder in dem positiven Sinn, in dem sie offensichtlich durch eine bestimmte ideologische Konstruktion geformt sind, oder in dem negativen, dass sie „gegen den Strich“ der ideologischen Strukturen arbeiten, in denen sie notwendigerweise ihren Ursprung haben. Da geistige Arbeit nur durch ihre greifbaren Produkte sichtbar wird – geschriebene oder gesprochene Texte, die verschiedenen Kategorien von Design und Kunst –, muss das Element der Arbeit dieser Konstrukte notwendigerweise unberührbar bleiben, ein rein geistiges Werk, bis ihm eine physische Form verliehen wird. Die „protestantische Arbeitsmoral“ des 19. Jahrhunderts ist der begriffliche Ausgangspunkt für die Entwicklung einer neuen „Ideologie der Automation“, die die „Ideologie der autonomen Leistung“ jener Zeit mit der digitalen Technik verbindet, um menschliche Arbeit aus der Produktion zu eliminieren. Damit macht sie die menschliche Arbeit im Zeitalter der auf digitaler Information beruhenden Wirtschaft für die Schaffung von Wert scheinbar irrelevant (faktisch obsolet).

Vielleicht das paradigmatische Beispiel für immaterielle Produktion, die Erziehung, unterlag im 20. Jahrhundert einem Wandel, den der Kritiker Dion Dennis als die „neo-liberale politische Neudefinition der höheren Bildung als eines privaten statt eines allgemeinen Guts“1 beschrieben hat. Diese zeitgenössische Umwandlung „geistiger Arbeit“ weg von etwas, das der Gesellschaft als Ganzer dient, spiegelt wider, zu was immaterielle Arbeit unter den Bedingungen des digitalen Kapitalismus wird: zu einer modularen Ware, die mit Wert versehen werden kann (und wird), und anschließend automatisiert wird. Die gegenwärtige Umwandlung der geistigen Arbeit ist ein direktes Zeichen dafür, dass multinationale Konzerne, die sich aktiv bemühen, die immaterielle Produktion in andere Länder auszulagern, dabei sind, die Fähigkeiten nationaler Regierungen, wie etwa der USA – wenn es darum geht, ihre Aktivitäten rechtlich zu regeln und zu kontrollieren –, zu unterlaufen. Dies ist Teil einer längerfristigen Entwicklung, bei der Unternehmen die Einschränkungen der Länder, in denen sie (vorübergehend) ihren Sitz haben, umgehen.

Diese Verschiebung in der Bedeutung von Erziehung und Bildung ist gleichzeitig sowohl eine Neuorganisation akademischer Institutionen, um einem individualistischen Gesellschaftsmodell gerecht zu werden, als auch ein grundsätzlicher Wandel im Verständnis der geistigen Arbeit selbst, um sie zu einer Warenform zu machen. Diese neue Konfiguration hat ihre Ursprünge in der Ideologie der „autonomen Leistung“ des 19. Jahrhunderts, die von T. Jackson Lears in seiner Untersuchung No Place of Grace beschrieben wird, einer Ideologie, die dazu verwendet wurde, die wirtschaftliche Ausbeutung der Arbeit und die soziale Stellung der wirtschaftlich mächtigen Oberschichten jenes Jahrhunderts zu rechtfertigen. Diese Behauptung, dass vermehrte, automatisierte Produktion menschliche Arbeit nicht verdrängt – die sich gegen das richtet, was manchmal als „technikfeindlicher Fehlschluss“2 bezeichnet wird –, gibt die Ideologie der Automation in Aktion wieder: dass die erhöhte mechanische Produktivität die Leistung der Arbeiter wesentlich verstärkt und die Kosten der Produktion und des Produkts auf diese Weise senkt. Die räumliche Verlagerung von Arbeit, um von geringeren Lohnkosten zu profitieren, war im 19. Jahrhundert in den USA weit verbreitet; die gegenwärtige Auslagerung von Arbeit in andere Länder ist in diesem Denkrahmen unausweichlich. Gleichzeitig offenbart sich die aufkommende Ideologie der Automation durch eine Transformation der Arbeit zur autonomen Produktion, durch eine vollständige Verdrängung menschlicher Arbeit, eine Verschiebung von der Produktion zur Konsumtion.

Die Auslagerung von Arbeit in andere Länder ist jedoch nur ein Symptom dieser Umwandlungen: Indem die menschliche Tätigkeit von der Produktion getrennt wird, erreicht der Fortschritt von der direkten Handarbeit zu Werkzeugmaschinen in der Montagestraße von Ford seinen Höhepunkt, bei dem die Produktion einer semiotischen Fragmentierung in diskrete, voneinander unabhängige Einheiten unterworfen wird. Das Fließband macht die Rolle der menschlichen Tätigkeit deutlich, da selbst bei der Abtrennung der produktiven Aufgaben – sowohl von der vereinheitlichenden Designkonzeption als auch voneinander – die menschliche Beteiligung an der Produktion selbst notwendig bleibt. Dieses manuelle Element, die aktive Betätigung, kann nicht vollständig in eine Ware verwandelt werden, weil menschliche Arbeitskraft (mit all den direkten Einschränkungen, die mit Arbeit verbunden sind) eingesetzt werden muss. Die Automation bietet ein illusorisches Überschreiten der Grenzen, die die menschliche Arbeit setzt: Bei der Automatisierung ist der notwendige Zusammenhang zwischen der „Intention“ und der Arbeit, die diese „Intention“ in der Produktion realisiert, scheinbar zertrennt. Dies ist die Ideologie der Automatisierung – die Bresche zwischen der menschlichen Absicht und ihrer aktiven Umsetzung in beziehungsweise als Produktion. Die Ausweitung dieser Automatisierung auf die nicht-physische Produktion ist in der Weise des Einsatzes digitaler Technologie impliziert.

Die Umwandlung der geistigen Arbeit zur Ware als immaterieller Produktion – die sowohl „Bildung“ als auch „Kreativität“ umfasst – offenbart die Ideologie der Automation in Aktion. Diese Transformation stellt sich als Resultat derselben Computertechnologien ein, die die Verlagerung der „Arbeit der Wissensarbeiter“ ökonomisch durchführbar machen: Sobald verbesserte, kostengünstige Kommunikationstechnologien weit verbreitet waren, folgte die Verlagerung der immateriellen Arbeit dem etablierten, globalen Paradigma, gemäß dem die physische Produktion von den USA in Länder ausgelagert wurde, in denen die Löhne niedriger waren.3 Die Automatisierung geistiger Arbeit hängt von digitalen Technologien ab. Ihre Beziehung ist zirkulär: Ohne digitale Kommunikationstechnologie würde das Aufkommen immaterieller Produktion durch in der Kommunikation inhärente Wartezeiten verhindert. Der manuelle Aspekt der menschlichen Produktion erzwingt einen Rückgang der Produktion, welcher der Fragmentierung des Prozesses in einzelne Teile, die als einzelne Aktionen separater Individuen – der menschliche Teil der Arbeit – ausgeführt werden, eigentümlich ist. In dem Maße, in dem Technologien aufgrund des Erfolgs immaterieller Arbeit besser werden, wird es leichter, den Ort, an dem eine Arbeit ausgeführt wird, im globalen Maßstab zu wechseln. Verbesserte Technologien haben einen Rückgang der Stabilität und Sicherheit der Arbeit (sowohl der physischen als auch der geistigen) zur Folge, was die Inkompatibilität der von geistiger und physischer Produktion geschaffenen Werte zeigt. Die extraktive, semiotische Natur der immateriellen Produktion spiegelt die Bewegung von der sozialen Produktion der menschlichen Gesellschaft zur autonomen Produktion wider. Es ist eine produktive Metapher: Geistige Tätigkeit kann physisch eingeschränkt, bereichsweise in modulare Teile zerlegt und so (mithilfe der Automatisierung) der Verdrängung durch digitale Technologie ausgesetzt werden, und zwar ohne daraus folgende menschliche soziale Verlagerungen und Auswirkungen – die Ideologie der Automation in Aktion.

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