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§ 2.1

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Die neue Ästhetik von James Bridle, die 2011 und 2012 als Online-Forschungsprojekt vorgestellt wurde,1 deutet auf eine Physikalisierung dessen hin, was üblicherweise rein digital war beziehungsweise ist – eine Verwirklichung der Immaterialität als Physikalität. Sie zeichnet erneut ästhetische Entwicklungen nach, die früheren Ausstellungen ähnlich sind, wie etwa Post-Digital Painting im Jahre 20022. Bridles „neue Ästhetik“ sammelt Beispiele, in denen die automatisierte Herstellung eine fassbare Dimension der menschlichen Gesellschaft wird. Diese reichen von der automatischen Ausführung des Algorithmus, der Gesichter im Street View von Google unkenntlich macht, zur Übersetzung von Bitmaps in dekorative Textilmuster. Die besondere Wahrnehmung, die diese Sammlung dokumentiert, ist nicht nur eine gemeinsame Anstrengung, die digitale Natur des immateriellen „Raumes“ zu erkennen und anzuerkennen, der durch Computer und algorithmische Systeme (die Resultate der digitalen Automation) produziert wird, sondern ebenso die Übertragung dieser autonom produzierten Artefakte in den materiellen Bereich. Die automatisierte Maschinenarbeit, die durch dieses Projekt aufgezeigt wird, ist ein Symptom der aufkommenden autonomen Herstellung, die es dokumentiert. Es offenbart auf diese Weise das Paradox von Automation, Arbeit und Werterzeugung: die kulturellen, historischen und ästhetischen Brüche zwischen Automation und den (traditionellen) begrifflichen Zuordnungen der menschlichen Gesellschaft.

In Bridles Sammlung finden sich mehrere, einander überlagernde Kategorien des Materiellen: (1) autonom generierte Bilder, die digitale Hinweise enthalten, wie etwa kleinere Defekte verschiedener Art (Kodierungsfehler, algorithmische Fehlerkennungen von Gesichtern, Fehler in der Pixelierung, den Abtastlinien, den digitalen Daten etc.); (2) physische Konstruktionen, die Bezüge auf digitale Formen verwenden (eine kubische, pixelige Konstruktion, Abtastlinien etc.); (3) Übersetzungen digitaler Formen in einen visuellen Stil (QR-Codes, Bitmaps mit geringer Auflösung etc.); (4) dynamische, interaktive Datenvisualisierungen (Kunstinstallationen wie Pixel Per Person von Carina Ow, die WiFi-Nutzung, biometrische Scanner und visualisierte erweiterte Realität – das Projekt Google Glass3 ist ein weiteres Musterbeispiel). Diese Kategorien sind weder vollständig noch schließen sie sich gegenseitig aus. Während es Berührungspunkte zwischen ihnen gibt und sie sich mehr oder weniger überlappen, bezeichnen sie allgemeine Tendenzen im formalen Erscheinungsbild digitaler Technologie und dokumentieren ein scheinbares Paradox: immaterielle Physikalität.

Bridles „neue Ästhetik“ enthält auch Beispiele von Tarnung, die verwendet werden, um sich vor digitalen militärischen Systemen zu „verstecken“. Diese Bilder veranschaulichen eine neue Ausrichtung physischer Strukturen auf ihre Verbindung mit digitaler Technologie. Sie sind eigens so gestaltet, das sie den Artefakten und Formen der digitalen Bildgebung ähnlich sehen. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen, die auf speziell menschliche Erkennungsleistungen und Fähigkeiten ausgerichtet waren, imitiert die gegenwärtige Tarnung die Verpixelung digitaler Bilder – sie richtet sich nicht am menschlichen Sehvermögen, sondern an den automatisierten Erkennungssystemen von Maschinen und digitalen Kameras aus, die damit einhergehen. Diese Verschiebung – weg von einem primären Interesse am menschlichen Erkennen hin zur Störung des maschinellen Sehens – ist eine Änderung von Umfang und Richtung der Adressierung, die die Umwandlungen widerspiegelt, die durch die „neue Ästhetik“ generell dargestellt werden.

Die Bedeutung der primitiven Akkumulation für die kapitalistische Expansion – das Annektieren von Bereichen ohne die erforderliche Bezahlung, die die Arbeit normalerweise erhält – nimmt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine konsumtive Dimension an, als die im Krieg eingesetzten Technologien zunehmend teurer und (selbst-)zerstörerischer werden; auf diese Weise war der Krieg ein produktiver Anreiz für die kapitalistische Expansion, und zwar sowohl durch die produktive Nachfrage als auch durch die primitive Akkumulation (die der Irak-Krieg unter Präsident George W. Bush so deutlich zu erkennen gab).4

Alle diese Werke scheinen die Aura der Information greifbar und physisch präsent zu machen, während sie jedoch zugleich der unmittelbaren Interaktion entzogen wird: Die neue Ästhetik bietet sich selbst als Beweis dafür an, dass das digitale Streben nach dem Zustand umfassender Kenntnis immanent ist – die Übersetzung der Information in reine Instrumentalität. Sie entspringt direkt daraus, wie die digitale Technologie die kapitalistische Ideologie der Akkumulation in der autonomen Produktion verdinglicht. Die technischen Aspekte der digitalen Technologie werden zum Stil – daher neue Ästhetik –, einem Transfer, der das Immaterielle in einer physischen Form instanziiert: einem „Aus-Druck“, dessen Greifbarkeit dann zu einer operativen Dimension wird, indem sie die Präsenz eines immateriellen, digitalen „Informationsraums“ bekräftigt. Diese Physikalität stellt die Verwirklichung der Information als Instrumentalität bereit. Die von Bridle gesammelten Gegenstände spiegeln die digital abgeleiteten Merkmale wider und stellen die vorhandenen Möglichkeiten (sowohl gegenwärtige als auch historische) der digitalen Technologie zur Schau: Die von ihnen geschaffene Illusion ist eine solche, bei der, was immateriell war, im Halbschatten lag, sich aus der Luft in feste, greifbare Form kristallisiert: Verdinglichung wird Verwirklichung – immaterielle Physikalität.

Kritik des digitalen Kapitalismus

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