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Sprache und Identität

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In einer so vielschichtigen Gesellschaft wie der von Makuria kommt der Sprachwahl in Zusammenhang mit der Konstruktion von Identität zweifellos eine besondere Bedeutung zu. Der nördliche Sudan ist darüber hinaus eine Region mit Jahrtausende alter Schrifttradition, die auch im christlichen Nubien fortgesetzt wurde und ihren besonderen Ausdruck fand. Die einheimischen Quellen verraten auf direkte Weise kaum etwas darüber, wie sich nubische Identität konstruierte. In einem Text wird ein Sklave namens Apa von seinem Besitzer Kapopi freigelassen. Es wird festgehalten, dass Apa nicht plant, Kapopi nach seiner Freilassung zu verlassen. Die entscheidende Passage besagt, dass Apa nun als Nubier bei Kapopi bleiben will. Eine weitere Erläuterung dieser Aussage wird nicht gegeben.22 Da es sich um eine Rechtsurkunde handelt, kann man vorsichtig schließen, dass ein Nubier eine freie, nicht versklavte Person war. Auf einer Graffito-Notiz dagegen informiert der Schreiber, dass er gemäß königlichen Auftrags einen Vorgang in o∫kir-baid, d.h. ‚Sklaven-Sprache‘ verkündet habe.23 Vieles deutet darauf hin, dass unter dieser Bezeichnung keine wirklichen Sklaven, sondern der zunächst nicht an der Macht beteiligte, rezent eingewanderte nubische Bevölkerungsanteil verstanden wurde.

Die Sprache derjenigen Nubier, die in der Nachfolge Meroes die Macht in der neuen Hauptstadt Dongola übernahmen, war das Nobiin, das zunächst nur als gesprochene Sprache in Makuria Verwendung fand. Eine Verschriftung erschien wohl zunächst nicht nötig, da zum einen schon mehrere Schriftsprachen in der Region existierten, zum anderen diese als Medien der Einigung möglicherweise als besser geeignet angesehen wurden, da sie nicht als Muttersprachen bestimmter Bevölkerungsgruppen politisch belastet waren.

Schon im 5. Jahrhundert lässt sich die Entwicklung des Griechischen zur lingua franca in der Region beobachten. In der diplomatischen Kommunikation zwischen den Nubiern und den Beja beispielsweise wurde griechisch geschrieben. Verschiedene Autoren haben im Zusammenhang mit der verwendeten Variante der Sprache von Pidgin-Griechisch gesprochen.24 Es gibt zahlreiche zweisprachige nubisch-griechische Inschriften und Graffiti, die einen hybriden Charakter aufweisen – eine nobiin-nubische grammatische Struktur angefüllt mit griechischen Wörtern, aber auch grammatischen Formen, die ein gewisses Maß an Zweisprachigkeit voraussetzen.25

Das Griechische war in Makuria keineswegs nur eine Art Pidginsprache, sondern man muss von einer genuin nubischen Variante ausgehen. Die Verbreitung des Griechischen war eng mit der Einführung des Christentums verbunden. Das christliche Mittelalter stellte eine Blütezeit für die Sprache dar, und das nubische Griechisch war eine der offiziellen Sprachen in Regierung und Kirche. Bücher wurden in griechischer Sprache geschrieben, die Überreste einer griechischen Bibliothek wurden vor einigen Jahren gefunden. In einer einzigen Kirche blieben 650 griechische Graffiti erhalten, von denen viele in der ersten Person geschrieben sind, was auf eine breite aktive Verwendung der Sprache hindeutet. In ganz Nubien wurden hunderte Grabstelen mit griechischen Inschriften gefunden. Schließlich sind bilinguale Texte erhalten geblieben, in denen Psalmverse alternativ in Griechisch und Nubisch niedergeschrieben wurden.26

Diese Menge an Material spricht gegen die Annahme, dass das Griechische nur von einer kleinen, vielleicht klerikalen, Schicht in Nubien beherrscht wurde. Die Sprache überlebte mindestens bis zum Ende des 14. Jahrhunderts.

Das Koptische ist die zweite Sprache, die in Zusammenhang mit dem Christentum nach Makuria kam. So wie das Griechische für das byzantinische Element im Königreich stand, symbolisierte das Koptische den Einfluss der ägyptischen monophysitischen Kirche. Es fungierte darüber hinaus als lingua franca in der Kommunikation mit dem nördlichen Nachbarn Ägypten. In der nubischen Kirche blieb das Koptische von besonderer Bedeutung bis zum 12. Jahrhundert. Es kann auch hier angenommen werden, dass zumindest Teile der nubischen Bevölkerung kompetente Sprecher des Koptischen waren.27

Spätestens seit dem 8. Jahrhundert erreichten den nubischen König Briefe in arabischer Sprache, und im 12. Jahrhundert hatte das Arabische das Koptische in der Kommunikation mit Ägypten komplett ersetzt. Zunächst wird das Arabische vor allem als Sprache des Handels und politischer Verhandlungen zwischen Ägypten und Makuria verwendet. Im Zuge der fortschreitenden Islamisierung und der Einwanderung arabischer Gruppen nach Makuria wächst der Einfluss des Arabischen. Im 12. Jahrhundert zeigen sich erste arabische Lehnwörter in den nubischen Dokumenten.

Exemplarisch für die hybride Schriftlichkeit in Makuria sind die sogenannten „Schriften des Bischofs Timotheos“. Zwei Schriftrollen, jeweils ca. 482 cm lang, enthalten Texte an das Volk der Nubier, die Einsegnung eines neuen Bischoffs betreffend. Eine Rolle ist in Koptisch beschrieben, die andere in Arabisch. Beide Texte sind weitgehend identisch, weisen aber auch Unterschiede in der Wortwahl auf. Die koptische Rolle enthält darüber hinaus Zeilen in Griechisch und Arabisch. Auf der arabischen Rolle sind alle Monogramme in Griechisch, und sie enthält Zeilen in Koptisch. Bemerkenswerterweise stammen die Schriftrollen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.28

Wenngleich es in Makuria also schon drei Schriftsprachen gab, verschrifteten die regierenden Nubier auch noch ihre eigene Sprache irgendwann im Verlauf des 8. Jahrhunderts. Darüber, warum dies zu diesem Zeitpunkt geschah, kann nur spekuliert werden. Möglicherweise zeigte sich hier ein neues Selbstbewusstsein, das sich aus der Abwehr der arabisch-muslimischen Eroberungsversuche nährte. Vielleicht versuchte man aber auch, einen strukturierten und homogeneren Staat mit einer einheitlichen Sprache zu formieren. Die nubische Schriftsprache kann auch als Symbol der Abgrenzung gegenüber der Außenwelt interpretiert werden.

Aber auch die Verschriftung des Nobiin ist Ausdruck der kulturellen Hybridität Makurias. Man wählte eine modifizierte Form des griechischen Alphabets – und nicht das Koptische. Einige Zeichen sowie das System der Supraliteration übernahm man jedoch aus dem Koptischen und ergänzte das System durch drei Zeichen aus dem Meroitischen, der Sprache des Vorgängerreiches von Makuria.

Mit der Schaffung einer nubischen Schriftsprache erhielt das Nobiin eine Art offiziellen Status, und wir können aus dem sprachlichen Material schließen, dass andere im Reich ansässige Gruppen Nobiin als Zweitsprache erlernten oder ihre eigene Sprache ganz aufgaben.29

Wenngleich die nubische Schriftsprache sehr schnell an Bedeutung gewinnt, werden auch Griechisch, Koptisch und Arabisch weiterhin intensiv genutzt. Erst zum Ende des 15. Jahrhunderts ersetzt das Arabische alle anderen Schriftsprachen in der Region.

Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend

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