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Erste westasiatische Ärzte in China

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Die Bedeutung „westasiatisch-muslimischer“ Medizin und ihrer Arzneidrogen in China wird durch mehrere Faktoren belegt. Außer auf Handelswegen erreichten Arzneidrogen aus dem Westen als offizielle Geschenke von Gesandten den chinesischen Hof. Leider existieren in den offiziellen Quellen nur wenige Hinweise auf derartige Geschenke. Doch die wenigen Einträge, die wir besitzen, lassen darauf schließen, dass hin und wieder große Mengen an Arzneidrogen als Gesandtschaftsgeschenke ihren Weg nach China fanden.

Bereits die ‚Offizielle Geschichte der Tang-Dynastie‘ (Xin Tang shu ) berichtet, dass Personen aus Fulin , d.h. entweder Personen aus dem ursprünglich christlichen Byzanz oder aus den zunehmend arabischmuslimisch beeinflussten Westgebieten des ehemaligen Römischen Reiches bzw. dem Iran, gute Ärzte seien. Sie seien beispielsweise in der Lage, Würmer aus offenen Schädeln zu entfernen, um Augenkrankheiten zu heilen (you shan yi neng kai nao chu chong yi yu musheng ).8 Das ‚Taiping guangji ‘ des Li Fang (925–966) berichtet über einen nestorianischen Arzt namens Qin Minghe , der auf Bitten der Kaiserin Kaiser Gaozong (reg. 1127–1162) mit Akupunktur Kopfschmerzen behandelte und heilte.9 Solchen Angaben können wir zumindest indirekt entnehmen, dass damals zumindest in der Metropole Chang’an sowie in einigen Handels- und Hafenstädten wie Guangzhou (Kanton) oder Yangzhou und Quanzhou Migranten oder deren Nachkommen lebten, die sich als Ärzte betätigten. Auch verschiedene Arzneidrogen erreichten damals China.10 Zahlreiche Perser müssen mit der Eroberung des Persischen Reiches durch die Araber im 7. Jahrhundert nach China gelangt sein. Bereits 638 hatte der persische König Yazdgard III. (reg. 632–651) eine Mission an den Hof des chinesischen Kaisers Taizong (reg. 627–649) geschickt, um die Chinesen um Hilfe beim Kampf gegen die Araber zu bitten. Dessen Sohn Peroz (gest. nach 677), Leiter der Mission, ließ sich sogar in Chang’an nieder und richtete wenig später einen persischen Königshof im Exil ein. Im Westen des chinesischen Reiches existierte sogar ein „Persischer Generalregierungsbezirk“ (Bosi dudufu ).11

Auffällig ist, dass viele Ausländer einschließlich bedeutender Mediziner, die nach China auswanderten, mit einer Religion in Verbindung gebracht werden, seien es Zoroastrer, benannt nach dem im zweiten oder ersten Jahrtausend v. Chr. als alt-iranischer Zaotar (Priester) lehrenden Zarathustra, Nestorianer – benannt nach Nestorius (ca. 381–451), des Patriarchen von Konstantinopel, der aufgrund seines Glaubenssatzes, dass die göttliche und die menschliche Natur in Christus geschieden seien, 431 verbannt wurde – oder eben Muslime. Viele der frühen Einwanderer werden als Zoroastrer (auch Mazdaisten oder Parsen), Anhänger der „Feuerreligion“ (xianjiao ), beschrieben. Für das Jahr 621 wird die Gründung eines mazdäischen Tempels (Huxian ci ) in Chang’an erwähnt.12 Vor dem religiös-politischen und kulturellen Hintergrund der Eroberung des ehemaligen Persischen Reiches durch die Araber erscheint es nachvollziehbar, dass nicht wenige Zoroastrer damals nach China umsiedelten. Es gilt jedoch auch zu bedenken, dass ein Großteil der damals entlang der Seidenstraßen agierenden Kaufleute, die nach China kamen, dieser persisch-medischen bzw. iranischen Religion angehörte.13 Gleichfalls bewirkte die auf dem Konzil von Ephesos 431 von der orthodoxen und römisch-katholischen Kirche beschlossene Verurteilung der von Nestorius vertretenen Lehre als Irrlehre, dass viele seiner Anhänger zunächst ins Sassanidenreich auswanderten. Sie entwickelten enge Beziehungen zur Dynastie der Abbasiden und versorgten die Muslime mit zahlreichen Lehrern und Gelehrten sowie Ärzten. Der Arzt des Hārūn ar-Rashīd war ein gewisser Jibrā’īl Bakhtishu, aus einer nestorianischen Familie stammend, die seit sieben Generationen Ärzte waren.14 Über die Seidenstraßen migrierten zahlreiche Anhänger weiter nach Osten bis ins tangzeitliche China, wo im Jahre 781 sogar eine Stele errichtet wurde, die von der „Religion des Lichts“ (jingjiao ) spricht.15

Während der Song-Zeit (960–1279) gelangten einhergehend mit dem Aufschwung der maritimen Seidenstraße zahlreiche weitere medizinische Drogen, Arzneimittel, Harze, Weihrauch und dergleichen mehr (im Chinesischen als xiangyao bezeichnet) aus dem Iran und arabisch dominierten Ländern nach China. Xiangyao gehörten in der Song-Zeit zu Chinas wichtigsten Importprodukten.16 Wir wissen, dass eine Verbindung zwischen chinesischen und arabischen Ärzten bestand und dass zahlreiche Arzneimittel nach China exportiert wurden. Araber und Perser waren dabei als Arzneimittelhändler und Apotheker tätig.17 Ebenso wissen wir, dass zahlreiche iranische und arabische Ärzte und Pharmakologen nach China kamen und sich ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf importierter Arzneidrogen verdienten, was sogar als „islamische Tradition“ angesehen wurde.18 Die im 14. Jahrhundert erfolgte beinahe vollständige Vernichtung der nestorianischen Kirche durch Timur Lenk (1336–1405) trug, einhergehend mit der religiösen Offenheit der Mongolen-Herrscher schließlich dazu bei, dass zahlreiche Anhänger des Nestorianismus weiter nach Osten wanderten und im mongolischen China eine neue Heimat fanden. Man geht davon aus, dass das nestorianische Christentum später im Mongolenreich eine weit verbreitete Glaubensrichtung war. Um 1250 gab es in der mongolischen Hauptstadt Karakorum auch eine nestorianische Kirche. Das erneute Aufleben der Nestorianer im China der Yuan-Zeit (1279–1367) wird u.a. in den Aufzeichnungen Marco Polos erwähnt. Nestorianer waren demzufolge außer in der Hauptstadt besonders in den südostchinesischen Hafenstädten wie Quanzhou oder Yangzhou präsent.19 In diesen Hafenstädten gab es über die maritime Seidenstraße bereits seit der Tang-Zeit eine größere Gemeinschaft von Ausländern. Die ersten mongolischen Khane siedelten schließlich große Anzahlen von Zentralasiaten nach Osten um. Chingis Khan beispielsweise ließ 230.000 muslimische Handwerker aus Karakorum umsiedeln. In Henan soll es eine muslimische Gemeinde von 186 Haushalten gegeben haben, und die muslimische Gemeinde in Hangzhou soll noch bis in die 1320er eine selbstverwaltete florierende Gemeinschaft gewesen sein.20

Die Migration von Ärzten sowohl aus den ehemaligen Ostgebieten des Römischen Reiches als auch aus dem Iran und Arabien sowie anderen Regionen Westasiens bis in den Orient scheint also ursprünglich im Wesentlichen auf politische und religiöse Migration, zumindest die Suche nach besseren Lebensbedingungen, zurückzuführen zu sein. Daneben brachten auch reiche Kaufleute, die sich längere Zeit in China aufhielten, ihre Ärzte mit und handelten in China mit Arzneidrogen aus ihren Heimatländern; andere Mediziner mögen aus Neugier und angelockt durch den Reichtum der chinesischen Gesellschaft den Weg nach China gesucht haben. Dabei stellte das medizinische Wissen, welches von diesen Ärzten nach China gebracht wurde, meist eine Mischung aus griechischer, persischer und arabisch-muslimischer Medizin dar. Die „muslimische“ Medizin bildete sich erst allmählich auf Grundlage der griechischen, persischen, indischen und ägyptischen heraus.

Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend

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