Читать книгу Am Ende bleibt das Lachen - Teil II - Michael Fuss - Страница 9
Blende - Eine Nacht in Frankfurts Straßen
ОглавлениеSpaxel ist mit seinem Bruder zu Besuch. Mario will ihnen die große Kleinstadt zu zeigen. Doch die neoklassizistischen Hausfassaden der neuen Architektur bekam, nicht gerade Beifall von Spaxel. Die Lichter der Leuchtreklamen erhellten den nasskalten Dezemberabend. Das Geschäft mit den Hologrammen war in der Berliner. Mario bekommt einen Parkplatz auf der anderen Straßenseite. Eine Musikalienhandlung erregt gleich Spaxels Aufmerksamkeit. Marios Aufmerksamkeit wird von ganz anderen Dingen in Anspruch genommen.
Die ganze Zeit schon haben verdächtig viele Bullenwagen ihren Weg gekreuzt. Sie sind jedoch so gehäuft, dass sie wichtigeren Zwecken dienen müssen, als die Drei zu überwachen.
In schneller Fahrt kommt ein roter Opel Ascona näher. Aus einer Seitenstraße schießt ein weiterer Bullenwagen mit zuckendem Blaulicht. Doch der Polizist am Steuer kommt nicht aus Hollywood. Er spielt nicht den draufgängerischen Helden. Er bremst den Wagen ab und gibt die Fahrt für den verfolgten Ascona frei. Der heizt in rasender Fahrt an den Drei vorbei, verfolgt von dem verhinderten Helden und einem weiteren, Sirenen- und Blaulichtbestückten Polizeiwagen.
Mario guckt Ulli an, der guckt zurück.
"In welchem Film sind wir hier schon wieder gelandet?"
Spaxel hat von all dem nichts mitbekommen. Verträumt wendet er sich von seiner Gitarre im Schaufenster ab und fragte:
"Was ist denn los, ist was passiert?"
Sie überqueren die Berliner und erklären ihm, dass er cool bleiben soll und dass alles nur ein Film ist.
Das ist Futter für seine grauen Zellen. Plötzlich stehen sie vor einem brüllenden Löwen. Eigentlich ist es nur der Kopf eines dieser großmäuligen Savannenbewohner. Immerhin springt er fast einen Meter aus seinem Rahmen.
Das Hologramm ist wirklich beeindruckend. Aber der Schwarze in dessen weit aufgerissenem Mund ein Bauarbeiter, presslufthammerbewährt am dritten Backenzahn links unten Reparaturarbeiten ausführt, kommt auch nicht schlecht. Du kannst dem Schwarzen sogar in die Nasenlöcher schauen. Wie kleine Buben staunend stehen die Drei vor all diesen Merkwürdigkeiten hinterm Schaufenster.
Der Nachtwind zieht empfindlich kühl durch die Straßenschluchten. Sie machen sich auf, Richtung Eckstein. Das ist der Name des derzeitigen Szenetreffs. Und wieder ist Mario die Parkplatzgöttin hold. Direkt vor dem Laden wird gerade einer frei.
Dann befinden sie sich mitten im Zeitgeist. Die meisten hier schwarz gekleidet. In dieser Begräbnisgesellschaft kommt Mario sich mit seinem karierten Hemd und der weiten, weißen Hose fehl am Platz vor. Ist dieser allgegenwärtige schwarze Touch nicht ein Ausdruck von Depressivität?
Die Wände, von Jim Avignon gestaltet, haben einiges gekostet. Mario sagt´s ja immer wieder, wäre er nur etwas mutiger, und ließ sich noch die richtigen Verkaufssprüche einfallen, er könnte auch einen dieser "Untergrundkünstler" abgeben.
Die Wände in seiner Wohnung hat er in ähnlicher Weise mit Farben marmoriert. Er ist von der Geschichte nur nicht so eingenommen, dass er auch noch Goldfarbe verwenden würde.
Ansonsten findet Mario das Eckstein ganz inspirierend. Denn, wie gesagt, hier findest du den Zeitgeist greifbar nahe.
Dann erzählt er Spaxel vom Romantica, ein ehemaliger Nachtclub im Bahnhofviertel. Die Kaiserstraße liegt gerade um die Ecke. Ein Undergroundtyp konnte den stillgelegten Club mitsamt dem plüschigen Inventar übernehmen. Jetzt ist es der Geheimtipp für Nightrider die auf Bizarres, Ausgefallenes hungrig sind.
Die Musik ist schräg aber oft gut, gespielt von Indepentengruppen, deren Namen so ausgefallen wie ihre Rhythmen sind.
Also machen sie sich auf den Weg. Nahe der Konstablerwache Wache landen sie plötzlich mit ihrem BMW in einer dunklen Sackgasse. Das ist eine Art Hinterhof mit Laderampen für die Kaufhäuser. Schwarze Gestalten entfernen sich bei ihrem plötzlichen Kommen.
Da haben sie Dealer mit ihren Kunden aufgeschreckt. Langsam aber stetig fährt Mario um den Wendehammer und sieht zu, dass sie dort raus kommen, ohne dass ihnen ein Pflasterstein in die Windschutzscheibe kracht.
So landen sie in der Kaiserstraße, die bald Sperrgebiet werden soll. Schade drum! Die Drei machen einen Spaziergang durchs Kiez. Spaxel verschwindet schnurstracks in einer der zahlreichen Pornokabinen. Hier kannst du dir für fünf Mark einen runter holen. Papiertücher sind im Preis inbegriffen.
An einer Straßenecke ist ein Hütchenspieler zu Gange. Eine Anzahl aufgeregter Männer steht dicht gedrängt. Der Spielmacher ist ausnahmsweise am Verlieren. Das Publikum ist schadenfroh. Mario muss sich die Sache mal genauer anschauen und drängt sich vor.
Sie eröffnen gerade ein neues Spiel. Es geht um zweihundert Mark. Der Hütchenspieler schiebt die drei kleinen Pappschachteln blitzschnell von einer Position an die andere. Es geht darum, die Schachtel mit der Papierkugel darunter zu benennen.
Und Mario sieht, dass es bestimmt die linke Schachtel war. Der Zocker wirbt um neue Kundschaft. Er wendet sich um und in diesem kurzen Moment hebt einer der Gaffer das Hütchen auf. Da ist die kleine Kugel.
Erst denkt Mario, jetzt fängt die Randale an. Aber da gibt es wohl keinen Aufpasser. Der Zocker spielt alleine. Fast hätte Mario seinen Stiefel auf die Schachtel gesetzt, die zweihundert gehalten und auf fünfhundert erhöht. Aber er ist zu zögerlich, hat eh nicht so viel Geld einstecken. Ein anderer macht das Spiel. Er hat eigentlich so gut wie gewonnen. Blieb aber bei den zweihundert, zu seinem Glück.
Denn als er sich zur Schachtel bückt, beging er den Fehler einen Moment den Fuß zu heben. In diesem Augenblick gelingt es dem Spielmacher die Schachtel noch mal zu verschieben.
Das ganze passiert blitzschnell in der hektischen Atmosphäre der nächtlichen Straße, der unterdrückten erregten Ausrufe des Publikums, der schnellen Bewegungen im Augenwinkel und dem ständigen auf der Hut sein vor den allgegenwärtigen Bullen. Und wiedermal ist der Passant nicht der Gewinner.
Plötzlich kommt Bewegung in die dichtgedrängten Leiber. Sie spritzen nach allen Seiten auseinander. Scheinbar sind Bullen im Anmarsch. Mario ruft Spaxel zu, dass er ihm folgen soll. Er steht nämlich schon wieder mit weit aufgerissenen Augen auf der Straße und wartet darauf, dass endlich eine Ampelanlage gebaut wird und er Grün bekommt.
Aber im Bahnhofsviertel brauchst du Reflexe, du musst wissen, wann es Zeit ist wegzuschauen und weiterzugehen. Die Schlepper preisen die sensationelle Livesexschau an. Abgerissene Junkies hängen in den Hauseingängen. Abgetakelte zwanzigjährige Huren bieten ihnen ihre Stecknadelpupillen an. Ein Penner sitzt auf einer Treppenstufe und zählte die Passanten mit ausgestrecktem Arm: "Ein Geizkragen, noch ein Geizkragen und wieder einer."
Mario bemerkt im Vorbeigehen: "Noch ein Alkoholiker!" Da hält der Penner die Klappe und sie stehen vorm Romantica.
Mario geht vor. Schlägt die Samtvorhänge zur Seite und schon sind sie wieder in einer anderen Welt. An der Bar holen sie sich erst mal die Drinks. Die Drei sitzen im puffigen Ambiente, auf Sesseln der Nierentischära. Schummriges Rotlicht mildert die Konturen der Exzentriker um sie herum. Die erheben die Nacht zum Tage und bei Tage schließen sie ihre Augen. An der Wand ein Gemälde zweier nackter Männer in eindeutiger Position. Dem einen kommt es gerade, während der andere dessen Arsch bediente.
Und die Reflexe der sich drehenden Spiegelkugel treiben durch die rötliche Gebärmutteratmosphäre.
Durch die Nase des DJs müssen schon einige Unzen Schnee gewandert sein. Der Rest seiner überzogenen, ausgeprägten scharfen Gesichtskonturen passt jedenfalls dazu. Mario bekommt mal wieder den deutlichen Eindruck, in einer sehr kontrastierten Zeit zu leben. Gewaltige Gegensätze wo er auch immer hinschaut. Ja, er lebt in einer schnelllebigen Zeit, in der alles möglich ist. Du brauchst nur die nötige Frechheit, den Mut und die richtigen Werbeslogans.