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Kampfloser Tod

Kilak streckte seine Arme hoch über seinen Kopf, und gab damit das Zeichen zum Halt.

Die Dämmerung war inzwischen soweit fortgeschritten, dass die Furche hinter ihnen, die nötig war um ihren Kurs zu bestimmen, kaum noch auszumachen war. Man wollte den Morgen abwarten, um den Marsch fortzusetzen.

Die Fläcks zogen die Wagen in einem großen Kreis um das Lager herum – bis auf dem des Tolsmois. Er wurde in der Mitte des Lagers postiert. Kilak saß dort mit einigen seiner Leute Rücken an Rücken, um rundum über die Köpfe ihrer Mitstreiter in die kommende tiefe Schwärze der Nacht blicken zu können.

Ein möglicher Angriff von Hyndriden war zwar nach aller Erfahrung während der Dunkelheit nicht zu erwarten, aber wer von ihnen wusste schon, was man hier in den unbekannten Weiten der Singala Erwarten durfte, und was nicht.

Nach und nach wurden Harzlampen und auch kleine Feuer entzündet, die zumindest ein diffuses Licht über das in Dunkelheit versinkende Lager ausbreiteten. Die kleinen Feuer waren wohl zunächst ein Ausdruck der Gewohnheit, den Nächten in ihren Häusern zu begegnen, denn eigentlich war es hier nicht notwendig. Das Meer des glitzernden Sternenhimmels, mit seinen unzähligen verschiedensten Mustern, die in allen Richtungen den Horizont begrenzten, ließen keine Gefahr aufkommen, ihren Geist zu verlieren.

Ein weiterer, und hier nun wahrscheinlich der entscheidendere Grund für das Bedürfnis nach Licht, waren aber wohl die seltsamen Kugeln. Man nutzte natürlich die Gelegenheit der Ruhe, sie schon ein erstes Mal näher zu betrachten, um über deren Sinn und Herkunft streiten zu können. Sie wurden also sogleich von den Wagen gezerrt, und lagen nun in Mitten von Zirkeln aufgeregt diskutierender Münder und schreibender Hände.

Zunächst einmal gab es wohl so viele Erklärungen für sie, wie es Köpfe im Lager gab, ihr Geheimnis zu entlocken. Nach und nach vereinigten sich dann immer mehr der verschiedensten Theorien und es bildeten sich kleine und größere Lager heraus, die in etwa ähnliches in ihnen vermuteten.

Die einen meinten, dass es sich am wahrscheinlichsten um ehemalige Seetiere handeln könnte, die einst in Kolonien lebten und nun über die Zeiten versteinert zurückgeblieben waren. Versteinerungen ehemaliger Lebewesen und Knochen waren keine ungewöhnlichen Erscheinungen in der langen Trockenheit des Droms der Asimielenen.

Andere fühlten sich sogleich an ihre kugelförmigen ,Visen’ erinnert – ihren Besonderen Apparaten, die mit Schleudern zwischen die Korks katapultiert wurden. Nur waren diese Kugeln hier ungleich größer und schwerer.

Hyndriden hätten durchaus das entsprechende Format, diese schweren Kugeln vielleicht als Geschosse zu nutzen – war eine weitere Idee. Sie hatten sie vielleicht an der Fundstelle verloren – oder als Depot dort angelegt. Eine nicht gerade erbauliche, aber immerhin doch faszinierende Theorie.

In einer ähnlichen Richtung bewegte sich jene These, die sich mit der ungewöhnlich Präzision ihrer runden Gestalt beschäftigten. Sie meinten, es müsse sich unbedingt um irgendwelche Besonderen Apparate handeln, deren Gebrauch auf ihre perfekten Rolleigenschaften beruhen sollte. Die ebenförmige Beschaffenheit der Singala wäre ein gutes Indiz für diese Möglichkeit. Man könnte sie dem Gegner in großen Mengen mit entsprechender Kraft über große Distanz entgegen rollen ... Die Fundstelle war also möglicherweise ein ehemaliges Schlachtfeld zwischen den Hyndriden und ... ja – aber gegen wen? Handriden? Die würden sich wohl kaum von diesen Dingern beeindrucken lassen ... Diese Theorie fand dennoch viele Anhänger, allein weil sie die Möglichkeit zuließ, dass die Singala von noch weiteren Wesen bewohnt war – was die Anzahl möglicher weiterer Theorien sogleich vervielfachte ...

Viel Zuspruch fand auch der Ansatz, die Ursache der Kugeln in ihrer seltsamen, gleichmäßigen Perforation finden zu können. Offenbar dienten die Kugeln dazu, etwas Dünnes – möglicherweise irgendwelche dünnen Stäbchen – in sie hinein zu platzieren. Man müsste sich also darauf konzentrieren, herauszufinden, was man in sie hineinsteckte – beziehungsweise was vielleicht ursprünglich einmal hineingesteckt war, und über die Zeiten verloren gegangen ist.

Bei aller vorläufigen Annäherung der verschiedenen Ansätze war doch unabsehbar, dass man noch lange brauchen würde, um dass Geheimnis der Kugeln zu lüften. Es hatte aber zumindest schon einmal den Effekt, das die Zeit im Fluge verging, und sich der Morgen bereits ankündigte, bevor noch der Einigungsprozess entscheidende Fortschritte gemacht hatte.

Die kleinen Feuer waren längst ausgegangen und nur die vielen Harzlampen brannten noch, und produzierten nach wie vor ihre charakteristischen Rauchfähnchen. Es war kaum zu bemerken, wie langsam – nach und nach – die aufgeregten Stimmen auf seltsame Weise träger wurden – mit der Zeit immer mehr verstummten. Die bereits verstummt waren, saßen einfach nur da, mit seltsam anmutenden glasigen Augen, die aus ihren Augenhöhlen geradeaus ins nirgendwo blickten.

Irgendwann war dann Stille. Vollkommene Stille. Vereinzelt vielleicht ein kleines Rascheln, wenn mal eines der Krypte aus den Händen rutschte und in den Sand fiel.

Die dünnen Rauchfähnchen der Lampen waren zu vielfältig, als dass jene aufgefallen wären, die aus den kleinen Löchern der Kugeln heraus strömten – zumal ihre blass-blaue Färbung in der Dämmerung kaum zu sehen war. Der süßlich, leicht beißende Geruch verbrannten Harzes lag über dem Lager, und überdeckte jenen, der ohnehin kaum wahrzunehmen wäre.

Einer der Asimielen – es war ausgerechnet einer von denen jener Gruppe, die meinten, in der Perforation der Kugeln deren Geheimnis finden zu müssen – fiel plötzlich um. Einfach so. Es nahm niemand Notiz davon. Er fiel aus seiner Sitzhaltung nach vorn auf sein Gesicht, und blieb so einfach liegen. Vollkommen regungslos. Seine Hände unternahmen nicht einmal den Versuch, den Fall abzufangen.

Irgendwann tat es ihm ein zweiter gleich – nur das der zur Seite kippte. Ein kurzes dumpfes Geräusch kündete davon.

Der Dritte dumpfe Aufprall folgte sehr schnell, und nach diesem konnte man das Aufschlagen der einzelnen Körper nicht mehr voneinander trennen. Sie kippten einfach um – alle. Wortlos, mit teilnahmslosen Blicken fielen sie in den Sand. Lediglich einer dieser Aufschläge auf den Boden hob sich noch einmal von den anderen ab – als der Tolsmoi Kilak rücklings über die Seitenwand des Wagens kippte, und sein schlaffer Körper aus der Höhe auf den Boden aufschlug. Sein viel zu großer mantelartiger Umhang verfing sich im Sturz noch einmal kurz an einem Nagel. Der scharfe Ton reißenden Stoffes passte nicht zu den anderen Geräuschen ...

Die Kugeln schienen nun lebendig zu werden. Unzählige Sprossen von fadenförmigen Würmern lugten aus unzähligen kleinen Löchern der kugeligen Gebilde, bis sie nun begannen, sich aus ihnen hinaus zu schieben. Nein, es waren keine Würmer ... Würmer haben einen Anfang und ein Ende! Diese hier schienen nur einen Anfang zu haben. Es waren endlos lange, dünne Fäden. Lebendige Fäden. Sie quollen ohne Unterlass aus den Kugeln heraus, und ergossen sich zuckend und schlängelnd über den sandigen Boden.

Sofort begannen sie den Sand aufzuwühlen – tauchten mühelos in ihn ein. Da wo sie verschwunden waren, wurde der Boden wie lebendig – sackte hier und da ein, oder es entstanden wellenartige Aufschüttungen. Ein Krypt rutschte in eine der Kuhlen hinein – und versank auf seinem Boden wie in Wasser ... bevor es seinem Besitzer ebenso erging.

Der Untergrund des Lagers schien sich immer mehr in einen See zu verwandeln. Einen See aus flüssigem Sand. Still rutschten nach und nach die Körper, die Fläcks, ihre Wagen, und alles was sich auf ihnen befand nach unten – und versanken in einem körnigen See ...

Als die Sonne ihren ersten Strahl über den fernen Horizont warf, gab es nichts mehr, was auf ein Lager von Asimielenen verwies. Es gab überhaupt nichts mehr, was auf irgend etwas verwies. Alles was es hier gab, war eine unendlich öde, gleichförmige Fläche sandigen Bodens. Die Singala. Was hätte es hier jemals anderes gegeben haben können ...?

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KISHOU III

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