Читать книгу KISHOU III - Michael Kornas-Danisch - Страница 20
Ein gefundenes Fressen
ОглавлениеOh – verzeiht die kleine Unverhältnismäßigkeit meines Auftretens in dieser Zeit …!“ Habadam stand vor dem Tisch, auf dem sie saß, und war etwas bestürzt, als sich Kishous Augen plötzlich weit öffneten. „Ihr seid nicht nur eine Kishou, sondern auch ein Dompteur! Ich bemerkte es bereits bei eurer Ankunft – ihr tragt seinen Bogen …! – ihr seht besorgt aus!“, unterbrach er sich selbst, als er meinte, dergleichen in Kishous Gesicht zu entdecken.
„Nein, nein – es ist nichts!“, reagierte Kishou … „Oder ich weiß nicht … irgendwas stimmt nicht!“
„Oh, das verhält sich normal – vollkommen normal!“, fand Habadam sofort die Erklärung. „Irgend etwas verhält sich immer unstimmig. Ich kenne keine Zeit, in der alles gestimmt hätte – außer der eurigen natürlich. Nein, das Verhalten einer stimmigen Zeit existiert nicht – zumindest ist dies eine Möglichkeit. ... die Wahrscheinlichste, möchte ich mal spekulieren … Natürlich könnte es auch ganz anders sein! Ich würde euch gern diesbezüglich einige Vorschläge unterbreiten, aber die Hebelaner und die gerade Zugereisten können es nicht erwarten, euer Verhalten zu studieren. Sie sind in diesen Zeiten der versiegenden letzten Wasser sehr ausgehungert und von all zu großem Appetit. Man erwartet euch auf der ‚Streitwiese’!“
„Streitwiese?“, wunderte sich Kishou.
„Ja, darin verhält sich der Ort, an dem wir die Stadt zuerst betraten – ihr erinnert euch? Dort pflegt man den Genuss des Streitens – sofern sich noch ein Verhalten findet, über das sich streiten lässt. Meine werten Sippenangehörigen sind bereits dort – es fehlt gewissermaßen nur noch die Hauptmahlzeit!“, freute sich Habadam sichtlich mit blitzenden Augen.
„Genuss des Streitens … Ich bin `ne Hauptmahlzeit …?“ Kishous Gesicht drückte Zweifel aus ...
„Oh – verzeiht die kleine Unverhältnismäßigkeit meiner Worte. Es ist euch ja vielleicht nicht bekannt … Ich dachte es euch schon erklärt zu haben – es wäre ja immerhin möglich gewesen … Nun – das Volk der Asimielenen ernährt sich vornehmlich von Gedanken. Dazu braucht es natürlich immer neuer Verhaltensmöglichkeiten, um solche ernten zu können – wenn ihr versteht. Zumindest verhält es sich so bezüglich ihrer Hauptnahrungsquelle. Es gibt daneben natürlich noch allerlei andere Möglichkeiten!“
„Was es alles gibt …!“ Kishou schüttelte beruhigt, und nunmehr fast schon amüsiert den Kopf.
„Und äh ... nehmt euren Bogen mit!“, bat Habadam noch. „Er erzählt viel von dem Volk der Afeten. Die Asimielenen kennen sie nur noch aus alten Legenden noch älterer Krypte, und euer Verhältnis gegenüber der Legende ist fruchtbarster Boden für vielerlei Gedanken.
„Ich versuch´s, zu verstehen!“, grinste Kishou, stieg vom Tisch und zog mit routinierter Bewegung die Sehne auf den Bogen …
Boorh, Mo und das untere Squatsch saßen Seite an Seite mit gekreuzten Beinen auf einem hölzernen Podest am Rande des Platzes, wie auf einem Sockel aufgestellte Statuen. Davor war das Chaos, dessen akustischer Ausdruck schon von Weitem zu hören war.
Als nun auch noch Kishou dazu kam, war das Chaos komplett. Was auf dem Boden saß erhob sich und drängte nach besserer Sicht, und alles verrenkte sich die Köpfe. Für einen kleinen Moment brach das Stimmengewirr vollkommen in sich zusammen und eine regelrechte Stille trat ein. Die hatte aber nicht einmal die Zeit eines Atemzuges, bevor sich dann, einer starken Brandung gleich, ein kontrastloser Stimmenteppich darüber legte.
Zum Glück konnten sie das Podest, das direkt an der Grenze eines dichten Waldes aufgebaut war, von hinten besteigen.
Kishou fühlte sich nicht besonders wohl, wie sie da so stand und über die tobende Menge blickte. Habadams Ausdruck der ‚Hauptmahlzeit’ schien ihr nun zutreffend – sie hatte durchaus das Gefühl, aufgefressen zu werden.
Auf die einladende Geste Habadams setzte sie sich neben den anderen, und auch Habadam selbst gesellte sich dazu. „Ihr müsst das hiesige Verhalten verzeihen ...! “, rief er Kishou ins Ohr. „Allein das Verhältnis eures Anblick löst in meinem Volk bereits so viele Fragen und Möglichkeiten einer Antwort aus, dass es ein Fest ist, das erst einmal gefeiert werden will – wenn ihr versteht!“ Habadam selbst schien nicht weniger aufgeregt, wie die knisternden Entladungen um ihn herum verrieten. Er gestikulierte mit weit geöffneten Knopfaugen in Richtung der Menge und meinte. „Dergleichen Verhalten hat noch niemand hier erlebt. Es wird eine Zeit dauern, bis die Möglichkeiten der Art eurer Erscheinung erschöpft sind, und sie euch endlich direkt befragen können!“
Die Masse dort unten geriet zunehmend in Bewegung und überall schienen sich kleine und größere Gruppen zu bilden, die sich aber immer wieder auflösten, um sich in neuen zusammenzufinden. Offenbar debattierte man heftig miteinander, während die Blicke der Einzelnen stetig Kishou und die Chemuren aufsuchten. Krypte, wie die Asimielenen diese kleinen Heftchen nannten, wurden zu Hauf irgendwo her herangeschleppt und durchgeblättert, während man irgendwelche Notizen in seine eigenen machte.
„'tschuldigung Habadam ...! “, rief Kishou nach einer langen Weile, in der sich nichts an der Situation änderte, “... wie lange dauert denn das noch. Ich kann nicht die ganze Zeit hier nur so rumsitzen. Ich hab’ noch nicht mal gefrühstückt. Ich hab Hunger und will auch was von der Oase hier sehen!“
Habadam zeigte sich ehrlich betroffen, das er nicht daran gedacht hatte – ‚obwohl doch immerhin eine große Wahrscheinlichkeit für solcherlei Bedürfnisse bestand’, wie er sofort bemerkte. „Kein Asimiele würde diesen Zustand ertragen können!“, gab er dann auch sofort zu. „Aber ein außerordentlich Interessantes Problem, das einer Lösung bedarf. Wenn ihr euch noch eine kleine Zeit in Geduld üben wolltet? Ich denke, es verhält sich da eine gute Möglichkeit einer Lösung in meinem Kopf!“
Mit diesen Worten erhob er sich, und ließ seinen Blick suchend über die Menge gleiten. Dann schien er etwas entdeckt zu haben. Er stieg vom Podest, und wühlte sich mitten durch die Menge hindurch, die ihm freilich überall respektvoll auswich.
Es war für Kishou nicht schwer, seinen Weg zu verfolgen – er überragte mit seiner schlaksigen und außergewöhnlichen Gestalt seine Landsleute fast um die Hälfte – bis er endlich sein Ziel gefunden zu haben schien. Einen Moment später bewegte er sich wieder eine Weile in eine andere Richtung. Jemand lief offenbar vor ihm her – bis er wiederum zum stehen kam. Bald darauf verließen zwei aus der Menge zusammen mit Habadam das Gewühl am rechten Rande des Platzes und verschwanden im Dickicht der Vegetation.
Die von Habadam angekündigte ,kleine Weile’ schien für Kishou nicht enden zu wollen – als er plötzlich neben ihr auftauchte. Ein Asimiele mit rotem Rauschebart und rundlicher Figur schleppte etwas an ihr vorbei, dass Kishous Augenbrauen hochschnellen ließ. Ein anderer, nicht weniger stattlicher Asimiele, mit seitlich zu Zöpfen geflochtenem Haar, in dem sie den Tolsmoi Driesal wiedererkannte, kam gleich hinterdrein und schaute prüfend zwischen Kishou und diesem ‚Etwas“ hin und her.
Die meinte ihren Augen nicht zu trauen. Dieses ,Etwas’, deren Rückseite sie sah, und das nun ein Stück vor ihr abgestellt wurde, war augenscheinlich eine sitzende Figur, geformt aus Ton oder etwas ähnlichem – und die ihr verdammt bekannt vorkam ...
Der sie abgestellt hatte, hantierte nun mit verschiedenen Werkzeugen unter steten kritischen Blicken auf Kishou an der Vorderseite der Figur herum, während der mit den Zöpfen immer wieder unter gleichen kritischen Blicken auf den arbeitenden einredete. Dann schien man endlich zufrieden zu sein. Mit einem breiten Strahlen im Gesicht drehte der Rotbärtige die Figur zu Kishou.
„Sufus hat einen außerordentlichen Sinn für das Verhalten von Proportionen zueinander und deren Erscheinungen!“, rief nun Habadam ihr ins Ohr, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte. „Es wird ein paar neue Gedanken in den Köpfen meines Volkes aufwerfen, wenn nun dieses Abbild von euch statt eurer Selbst hier verbleibt, doch sie werden sich schnell auf die Möglichkeit einigen, dass ihr hier nicht so lange mit spärlichstem Verhalten sitzen könnt!"
Kishou schaute fasziniert auf ihr Abbild, dass ihr bis auf’s Haar zu gleichen schien. „Und was ist mit den anderen?“, fragte sie.
„Kein Problem – der Chemure verhält sich nicht zur Zeit!“, beruhigte er sie.
Was auch immer dieser Satz bedeuten sollte – Mo, Boorh und das Untere Squatsch saßen da, wie eingefroren. Sie waren in jene seltsame Starre verfallen, die für Kishou aus hundertfacher Erfahrung längst schon selbstverständlich war. Insofern brauchte es keiner weiteren Erklärung von Habadam ...
Das für Kishou seltsame Gebaren der Asimielenen hatte durchaus auch ein Gutes. Die Oase war nun wie ausgestorben, und Kishou konnte unter der Begleitung Habadams nach einem ausgiebigen Frühstück ungestört den Ort erkunden.
Er erinnerte mit seinen vielen Türmen und Zinnen zuweilen an Ephral, der Heimstatt Mos in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms. Was sich dort aber auf einen zentralen Ort der Oase konzentrierte, war hier gewissermaßen verstreut in alle Winde. Überall tauchten im dichten Buschwerk stattliche Besiedlungen auf, mit eng verschachtelten Gassen und zuweilen erstaunlich hoch gebauten Häusern.
Zu ebener Erde konnte man immer wieder durch große, offene Fenster in die Behausungen hineinsehen. Schilder mit Zeichen und Symbolen waren darüber angebracht. In zumeist ausladenden Räumen waren vor allem hohe, mit Krypten vollgepackte Regale zu sehen – in anderen Räumen immer paarweise zusammengestellte Gegenstände, wie Kugeln und Würfel, kleine Figuren von Asimielenen, gepaart mit allerlei Gegenständen, wie Steine, Baumnachbildungen und noch unüberschaubar mehr an anderem, zuweilen seltsamen und schwer zu deutenden Gegenständen.
„Das Verhalten Hebelas ist bekannt in der Dritten Ebene des Dritten Tals des Dritten Doms für seine vielen guten Geschäfte!“, referierte Habadam mit weit ausladenden Bewegungen. „Deshalb ist Hebela immer gut besucht von Auswärtigen. Dort drüben zum Beispiel: ,Gundels gedankliche Raritäten’ – sehr gefragt – oder dort!“, er wies mit seinem knorrige Stab auf ein nur ein paar Häuser weiter gelegenes Geschäft: ,Gedanken zum Vorgang des Denkens’. Oder auch hier ...! “ er blickte in das offene große Fenster des Ladens, an dem sie gerade vorübergingen: ,Rüdis Gedankenspiele – Verhalten aller Art’! Ihr werdet in Hebela viele hervorragende Geschäfte finden, wo es sich wahrlich lohnt, seine Gedanken zu tauschen!“, stellte er nicht ohne Stolz fest.
Kishou unterdrückte ihre Befremdung um den scheinbaren Kult von Gedanken. Immerhin wusste sie ja von Habadam, dass der Gedanke für die Asimielenen die Hauptnahrungsquelle darstellte – was für sie schon unverständlich genug war.
Mit einiger Verwunderung bemerkte sie dann irgendwann, dass sie nirgendwo eine Tür fand – oder auch nur eine Fensterscheibe?! Anfänglich dachte sie noch, dass alle Türen und Fenster gerade offen ständen – was schon seltsam genug wäre – aber letztlich musste sie feststellen, dass es sie tatsächlich nicht gab!?
„Der geschlossene Raum kann sich nicht angemessen Verhalten, um seinen Atem zu erneuern!“, erklärte ihr Habadam sofort auf ihre Frage. „Das Verhalten der Winde des Großen Belfelland muß jeden Winkel erreichen können. Es verhält sich wie mit eurem Kopf!“, fügte er sogleich hinzu. „Würdet ihr ihn verschließen, so kämmen keine neuen Gedanken mehr hinein. Wie auch die Winde in einem geschlossenen Raum ohne frischen Atem bald schon von üblem Geruch wäre, so würde sich wohl auch bald der Schimmel über eure Gedanken legen!“
„’n witziges Bild!“, grinste Kishou. „Aber ich mach’ die Türen trotzdem ganz gern mal zu – sonst bekommt man ja niemals Ordnung rein, wenn immer wieder was neues von draußen reinkommt!“, relativierte sie mit ironischem Unterton.
„Ein erstaunlicher Gedanke!“, stellte Habadam überrascht fest. Er war stehengeblieben und strich nachdenklich und mit hochgezogenen Augenbrauen durch seinen langen, weißen Bart ... Die Ironie Kishous war im wohl entgangen „Madame KA meinte auch einmal etwas in dieser Art – wenn ich mich recht erinnere ... Ihr erlaubt, dass ich euren Gedanken in Besitz nehme, um nach Möglichkeiten eines Irrtums eurerseits zu forschen – obgleich ihr es seid, die diesen Gedanken formte! ... Verzeiht diese möglicherweise kleine Unverhältnismäßigkeit euren Gedanken gegenüber!“ Mit diesen Worten setzte er sich wieder in Bewegung.
Als sie gegen Abend zur Heimstatt Habadams zurückkehrten, und der sich für diesen Tag verabschiedete, um mit einigen Fackeln bewaffnet zum ‚Streitplatz zurückzukehren, kletterte Kishou geschickt in einen der Turkelbäume hinein, die sie Tags zuvor vom Balkon des Hauses aus bemerkt hatte, und machte es sich auf einer starken Astgabel bequem. In dem berauschenden Funkeln seiner Blätter, die gleich einem nicht enden wollenden farbigen Feuerwerk die Abendsonne um sie herum reflektierte, ließ sie den Gedanken ihren Lauf.
Einen Moment lang überlegte sie auch, ob sie nicht doch zum ‚Streitplatz’ gehen sollte …
Die Hände auf ihrem kleinen Bäuchlein abgelegt, wäre sie fast dort oben eingeschlafen ...
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